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Analyse der “Großen Terrors”

 

"Wohl kaum eine andere Zeit hatte für so viel Aufsehen gesorgt und zugleich wurden über keine Zeit so viele Lügen vebreitet"

Man erinnere sich nur an antikommunistische Werke wie “The Great Terror” von Robert Conquest, “Archipel GULag” von Alexander Solschenizyn, oder auch “modernere” Literatur wie das “Schwarzbuch des Kommunismus” und weitere Werke, die die - angeblich- ungeheueren Ausmaße des stalinistischen “Terrors” beschreiben sollen.

Diese Säuberungen, so die bürgerliche Propaganda, sei die große Abrechnung Stalins gewesen, da habe er endgültig alle Konkurrenten ausgeschaltet, sein Land bluten lassen. Laut der vorhin genannten Werke, soll der Eindruck erweckt werden, dass zu dieser Zeit niemand sicher war; dass selbst der kleinste Fehler dazu führen würde, verhaftete, gefoltert, in Lagerhaft deportiert oder gar erschossen oder gefoltert zu werden. Hier sollen parallelen zur Hitlerdiktaur gezogen werden, oder gar- wie uns das “Schwarzbuch” weismachen will, soll der Kommunismus um ein vielfaches schlimmer sein als der Faschismus.

Dass diese Behauptungen rein gar nix mit der Realität zu tun haben, sollte jeder wissen, der sich ernsthaft mit der Geschichte des “Großen Terrors” befasst hat.

Und hier stoßt man auf ein regelrechtes Problem: obwohl ein Großteil der Sowjet - Archive geöffnet und zugänglich gemacht wurde, ist in den bürgerlichen Medien davon wenig bis gar nichts zu erfahren. Dies hat auch einen bestimmten Grund: die Archive beweisen, dass die antikommunistische Propaganda, die Hetze gegen die Sowjetunion Stalins eine komplette Lüge sind. Der Antikommunismus, speziell der Antistalinismus, soll aber ideologisch an Standfestigkeit haben, um jegliche Arbeiterbewegung zu brechen und/oder zu kriminalisieren. Eine Veröffentlichung der Archive, hätte aber das Gegenteil zur folge.

Nun, das muss man auch bedenken, gibt es tatsächlich eine Anzahl bürgerlicher Historiker, die nicht nur Zugänge zu den Archiven hatte oder hat, sondern auch darüber Arbeiten publiziert hatten. Zu solchen Historikern gehören J. Arch Getty, Garbor T. Rittersporn, Robert Thurston und Viktor N. Zemskow. Allen gemeinsam ist ihr Antikommunismus, doch anders als Conquest oder Solschenizyn haben sie die nötige Objektivität, sodass ihre Ausführungen glaubhafter sind. Ihre Arbeiten sind eher akademischer Natur, sodass man es weniger mit politischer Bewertung zu tun hat, wie man es von dem “Cold War” - Historikern kennt. Andererseits muss man auch bedenken, dass es sich hierbei um bürgerliche und ihrer gewissen Objektivität zum Trotz antikommunistische Historiker sind. Ihre Arbeitsmethode ist nun mal nicht der dialektische oder historische Materialismus, sondern die idealistische Geschichtsschreibung. Sie sehen nicht, oder wenn nur verzerrt, die stattfindenden Klassenkämpfe, beachten kaum die Linie der KPdSU und deren Bedeutung, verstehen nicht, dass die Geschichte keine Geschichte einzelner Persönlichkeiten , sondern die Geschichte von Klassenkämpfen ist, sehen somit nicht die wahre Bedeutung des Sozialismus und der dort stattfindenden Prozesse. Diese Gesichtspunkte sollte man als Marxist - Leninist im Auge behalten.

Von bürgerlichen Historikern ist es, auch wenn sie in gewisser Weise objektiv sind, nicht zu erwarten.

Die Analyse des Großen Terrors beruft sich auf die Arbeiten dieser Historiker, deren Werke großteils unbekannt sind. Diese Werke werden aber nicht bloß ins deutsche übersetzt und wiedergegeben, sondern, sondern fallen unter eine marxistisch-leninistische Betrachtung, werden unter dem Gesichtspunkt des dialektischen und historischen Materialismus analysiert.

Danach, nach der herrschenden Meinung in diesem Land, also der Meinung der Herrschenden, handelte es sich bei den 'physischen Liquidierungen' vieler Menschen, darunter auch einiger deutscher Kommunisten in der UdSSR in den dreißiger Jahren um 'stalinistische Säuberungen', um 'stalinistischen Terror'.

Danach ist und war allein Stalin für diesen 'Terror', für diese 'Verbrechen', für diese 'Massenmorde' verantwortlich. Niemand sonst. Gemeint ist im Grunde damit: der in der Sowjetunion aufgebaute Sozialismus war im Grunde dafür verantwortlich. Er war ein 'verbrecherisches', 'menschenfeindliches' 'Terrorsystem':

Wer dies nicht wahrhaben will, wird gemeinhin als 'völlig blind' hingestellt, als unverbesserlicher 'Stalinist'.

Also fassen wir die übliche, gängige Position unserer bürgerlichen Geschichtswissenschaftler und Meinungsmacher zunächst einmal zusammen. Sie sagen also:

1. Es waren 'stalinistische Säuberungen' als damals, zwischen 1936 und 1938 hauptsächlich, so viele Emigranten in der Sowjetunion vom NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten, seit 1934 der Name des damaligen sowjetischen Geheimdienstes), darunter viele deutsche Antifaschisten und Kommunisten abgeholt und abgeurteilt, ermordet oder in den 'Gulag' gesteckt wurden, in dem sie häufig umkamen. Alles geschah mit Wissen Stalins, war Ausfluss seines 'paranoiden Verfolgungswahns', seiner 'Herrschsucht', seiner 'Rachsucht', seines 'üblen Charakters' usw. usf.

2. sagen sie:

Es gab nur eine einzige Kategorie von Verfolgungen: Die Moskauer Prozesse gegen das trotzkistische, sinowjewistische und bucharinsche Zentrum oder gegen die Tuchatschewski-Leute zwischen 1936 und 1938 sind gleichzusetzen mit den unzähligen Urteilen, die im Schnellverfahren gegen Antifaschisten, Sozialisten oder Kommunisten in der gleichen Zeit gefällt wurden. Es gibt da keinen qualitativen Unterschied. Es sei die gleiche Kategorie von Verbrechen.

Dies ist bis heute die allgemeine Doktrin, an der nicht gerüttelt werden soll. Dennoch besteht jede Menge Grund daran zu rütteln. Für nachdenkliche Menschen, die nicht gläubig und unkritisch Legenden und Doktrinen hinnehmen, sondern sich Gedanken machen, besteht schon aus rein logischen Gründen Anlass, diese Version in Frage zu stellen. Warum?

1. Als Marxisten-Leninisten lehnen wir das Konzept des 'allmächtigen Diktators', nach dem Motto 'Männer machen die Geschichte' ab. Wir wissen, dass Menschen nur die Vollstrecker historischer Gesetzmäßigkeiten sind, denn gesellschaftliche Entwicklungen folgen wie natürliche Prozesse Gesetzmäßigkeiten. Die Geschichte ist nicht die Summe zufälliger Gegebenheiten und Ereignisse. Dies ist das bürgerlich-idealistische Konzept, das wir aus gutem Grunde ablehnen.

2. Wir wissen auch, dass die Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen ist, und, wenn wir auf dem Boden des historischen Materialismus stehen und seine Weiterentwicklung durch Lenin und Stalin akzeptieren, dann wissen wir auch, dass im Sozialismus der Klassenkampf mit aller Härte weitergeht, auch nachdem die Diktatur des Proletariats schon errichtet ist. Sie ist ja gerade dazu da, die Macht der Arbeiterklasse gegen alle Anschläge der historisch überlebten Klassen und ihre politischen Handlungsträger zu verteidigen und diesen Kräften das Handwerk zu legen.

3. wissen wir, dass alles in der Geschichte Sinn ergibt. Die Geschichte folgt nicht irgendwelchen irrationalen, mystischen Mustern. Auf jene Zeit bezogen: Wenn alles 'stalinistische Verbrechen waren', wie ist dann zu erklären, dass Kommunisten angeblich letztendlich auf Stalins Geheiß umgebracht wurden, die voll und ganz seine politische Linie des Aufbaus des Sozialismus in einem Land, in der UdSSR, unterstützten? Warum wurden also Leute wie die deutschen Kommunisten Hermann Schubert, Erich Birkenhauer, Hans Kippenberger, Werner Hirsch und viele andere, die während ihres gesamten Lebens gezeigt hatten, dass sie für die Sowjetunion und den dort im Aufbau befindlichen Sozialismus und für Stalins Politik eintraten und ihr gesamtes Leben dafür gaben, letztendlich von Stalin 'umgebracht'? Warum schaltet jemand seine eigenen Parteigänger aus, warum sägte dieser völlig herrschsüchtige Mensch plötzlich an seinem eigenen Ast und verminderte durch Terror die Zahl seiner eigenen Anhänger?
Weil dies nicht logisch zu erklären ist, greifen die bürgerlichen Geschichtswissenschaftler - und die revisionistischen Ideologen mangels eigener Gedanken - auf 'psychologisierende' Konzepte wie
'Stalins Paranoia', seine 'Wahnvorstellungen', seine 'Entfernung aus der Wirklichkeit'
zurück. Damit sei dieser Widerspruch dann aus der Welt. Dass Stalin jedoch noch kurz vor seinem Tode hervorragende und klar und logisch einzigartig strukturierte Bücher geschrieben hat und dass er auf seine Besucher einen völlig normalen Eindruck gemacht hat, darf nicht erwähnt werden.

Also:

Jeder, der auf marxistisch-leninistischen Positionen steht, auf denen des historischen Materialismus, der in der Geschichte Sinn sieht und sich nicht mit irrationalen und mystischen Ersatzhypothesen abspeisen lässt, weil er denken kann, jeder der den Sachen auf den Grund geht und nach Tatsachen und der Wahrheit forscht, statt bequem herrschende Doktrinen nachzubeten, muss zumindest an die von den herrschenden imperialistischen Ideologen der Bourgeoisie vermittelte Doktrin von den 'stalinistischen Säuberungen' in den dreißiger Jahren ein dickes Fragezeichen setzen. Dieses Fragezeichen muss aber Anlass geben, nun der Sache auf den Grund zu gehen.

Gehen wir der Sache nur für einen kleinen Moment auf den Grund und versuchen wir dabei die drei Grundannahmen nicht aus dem Auge zu verlieren: Nicht Männer machen die Geschichte, Geschichte ist Geschichte von Klassenkämpfen, alles ergibt Sinn, (man muss ihn nur finden, auch wenn er auf den ersten Blick nicht erkennbar ist).

Was kann als gesichertes Wissen unter uns Marxisten-Leninisten angesehen werden?
1. Dass es in der Sowjetunion eine starke trotzkistisch-bucharinistische Opposition in der KPdSU (B) gegeben hat. Ich glaube, dies kann niemand, der einigermaßen mit der Geschichte der UdSSR vertraut ist, leugnen. Es hat viele bürgerliche „Historiker“ gegeben, und die gibt es auch noch heute, die diese Prozesse als ein „Theater“ verkaufen wollen, jedoch fehlt ihnen für ihre Behauptungen jeglicher beweis. Im übrigen werden Leute wie Josef E. Davies, Lion Feuchtwanger, Pat Sloan u. v. m., die die Moskauer Prozesse verfolgt haben, also Zeitzeugen waren und von der Richtigkeit der Prozesse überzeugt waren (und hierbei handelte es sich um Leute, die genau wussten was sie sagten, Spezialisten in ihrem Bereich waren), von solchen Historikern nicht erwähnt. Aber auch wenn einer logisch denken kann, dem müsste doch klar sein, dass so ein Vorhaben 3 Große Prozesse zu inszenieren, dem Land nur unnötig Probleme berieten würde; so hätte man Leute mit ausgefallener Fantasie finden müssen, die sich solche komplexen Geschichten und Anschuldigungen hätten ausdenken müssen. Diese wiederum könnten für die Sowjetmacht eine neue potentielle Gefahr werden, da sie ja von diesem „Theater-Prozessen“ wüssten, womit der „paranoide“ Stalin wieder am Anfang seiner Probleme stehen würde. Und wären die Prozesse tatsächlich unecht, also ein falsches Spiel, wer wäre denn da so blöd diese vor neu breiten Publikum zu zeigen? Man kann von der Sowjetunion und von Stalin halten was man will, aber so dumm können sie nicht gewesen sein!

2. Wir wissen auch, dass die unterschiedlichsten Leute, Anhänger Trotzkis und Bucharins und gleichzeitig Anhänger der stalinschen Führung von den 'Säuberungen' betroffen waren. Wir wissen, dass Sinowjew und Kamenjew 1936 verurteilt wurden, weil sie den Mord an Sergej Kirow organisierten; wir wissen, dass Marxisten-Leninisten Opfer von Anschlägen wurden wie Lenin, Gorki u.a.
(oder ist dies nicht bekannt? Ich glaube, Eingeweihte wissen dies. Es kann nicht bestritten werden. Es liegen gesicherte Fakten dazu vor).

3. Und wir wissen, dass unglaublich viele in die 'Säuberungen' oder auch 'Jeschowschina' genannt, einbezogen wurden, dass es unglaublich viele Opfer gegeben hat. Das versuchen einige Genossen herunterzuspielen. Es ist aber eine unbestrittene Tatsache, dass es zumindest Zehntausende waren. Es waren aber weniger als die Millionen, die uns von gewissen Leuten untergeschoben werden sollen. Aber wir dürfen die Dinge nicht verharmlosen. Auf gar keinen Fall. Marxisten-Leninisten stellen sich den Tatsachen, auch wenn sie unbequem sind und sehen nicht weg.

4. Wir wissen auch, dass es mit den Massensäuberungen ab 1939 so gut wie vorbei war, dass es danach nicht mehr diese Auswüchse gegeben hat.

Das ist im Prinzip, was die meisten wissen.

Bevor auf die Einzelheiten der Stalinschen Säuberung eingegangen wird, stellt sich die Frage was zu diesen Säuberungen führte? Bürgerliche „Historiker“ kennen da natürlich nur eine Antwort: es handelt sich dabei um Stalins krankhaften Misstrauen gegenüber seiner eigenen Bevölkerung, die er mehr fürchtete als die äußeren Feinde. Diese bodenlose Behauptung ist totaler Schwachsinn! Die Gründe für den „Terror“ haben viele Aspekte, die man unbedingt miteinbeziehen muss um ein umfassendes, realistisches Bild über diese Zeit zu machen. Gehen wir dabei auf die wichtigsten Punkte ein:

  1. Zu dieser Zeit war die Sowjetunion von Feinden umgeben. 1933 kam Hitler an die Macht und drohte den „Kommunismus mit Stumpf und Stiel auszurotten“ und „neuen Lebensraum im Osten“ zu suchen. 1936 marschierten die Deutschen ins entmilitarisierte Rheinland, 1935 gab es ein Rüstungsabkommen mit Großbritannien. 1936 begann der Bürgerkrieg in Spanien, wo linke Kräfte vereint gegen das faschistische Franco-Regime kämpften. Franco wurde selber von den Deutschen tatkräftig unterstützt. 1935 marschierten Mussolinis Truppen in Äthiopien ein; nicht zu vergessen ist der Antikomintern-Pakt zwischen Deutschland, Japan und Italien. Die Gefahr der Bildung einer „Fünften Kolonne“ wie in Spanien, die es ermöglichte, dass Franco in Spanien den Bürgerkrieg gewann, bestand auch in der Sowjetunion mehr denn je. Wer diese Tatsachen leugnet, kann die Geschichte nicht verstehen! Oder will jemand tatsächlich behaupten, diese Gefahr besteht nicht?
  2. In dieser Zeit machte die Sowjetunion gravierende Veränderungen durch. Innerhalb eines Jahrzehnts wurde aus einem Agrarland mit feudalen Strukturen die zweitgrößte Industrienation. Es wurde das erreicht wofür andere Staaten über ein Jahrhundert oder wesentlich mehr brauchten! Um dies durchzuführen waren bestimmte Repressalien notwendig. Zu solchen gehörten zum Beispiel die sogenannten Inlandpässe, die es den Arbeitern verbaten, ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Wer aber mit solchen und ähnlichen „Repressionen“ die unmenschliche Diktatur Stalins sieht, der vergisst, dass kapitalistische Staaten während der Industrialisierung wesentlich härter Vorgingen!
  3. In diesem Zusammenhang muss man weiterhin beachten, dass zwar innerhalb eines Jahrzehnts ein Staat industrialisiert wurde, das zaristische Erbe in der Gesellschaft immer noch wirkt. Unter der Zaristischen Herrschaft waren Verbrechen wie Diebstahl, Mord sowie rassistische und sexistische Verbrechen an der Tagesordnung. Zum einen weil alte rückständige Traditionen (die Frau soll dem Mann untergeordnet sein, Rassismus, Antisemitismus) in der Zarenzeit gang und gebe waren, aber unter der sowjetischen Führung verboten wurden. Dass sich aber in einer so kurzen Zeit alle an diese neuen Gesetze halten ist einfach unrealistisch, da diese seit jahrhunderten und somit seit Generationen in den Köpfen der Menschen haften. Zum anderen waren es die bitterarmen Verhältnisse, unter denen die werktätigen Massen während der Zarenherrschaft litten, die die Menschen zu Verbrechen zwangen um zu überleben. Nicht zu vergessen ist das Leid der während des Ersten Weltkrieges, der ausländischen Intervention und der Hungersnot 1921 im Land herrschte. Das alles prägt die Menschen und da sind hohe Kriminalitätsraten nicht zu verhindern. Es muss aber bedacht werden, dass die Sowjetregierung alles Mögliche tat, das Leben der Menschen zu verbessern, den Hunger zu besiegen, den Menschen eine erträgliche Zukunft zu sichern. Aber es lässt sich nicht alles von heute auf morgen regeln!
  4. die sozialen Verhältnisse sind während der Industrialisierung weitgehend reformiert worden. Dennoch bestanden auch weiterhin Merkmale der alten Gesellschaft. So wurde zwar die Frau befreit, dennoch musste sie einen Großteil als Hausfrau und Mutter verbringen. War sie noch berufstätig, war sie also doppelt belastet. Zum anderen gab es zum Teil hohe Lohnunterschiede. Das Parteimaximum wurde aufgehoben, Parteikader erhielten wesentlich mehr Lohn. Das ließ sie von den werktätigen Massen abheben. Es gab also ein große Differenz zwischen den einzelnen Schichten, was auch oft dazu führte, dass Betriebsdirektoren oder Parteikader nicht ihrer wirklichen Arbeit nachgingen, sondern Korruption und ähnliches betrieben. Dies führte zu großen Widersprüchen in der Gesellschaft, auch wenn am Inhalt des Sozialismus wenig gerüttelt wurde (so hatten Arbeiter wesentlich mehr Rechte, als in kapitalistischen Staaten).
  5. ein weiteres Problem stellten die Bürokraten mit dem Parteibuch in der Tasche dar. Parteimitglieder gingen nicht in die Partei um die Massen zu führen, sich mit ihnen zu verbinden, sondern um Karriere zu machen, mehr Geld zu verdienen etc. Das Ergebnis war, dass Mitte der 30er Jahre die Partei vor allem in den unteren und mittleren Reihen der lokalen und regionalen Sowjets verbürokratisiert war die innerparteiliche Demokratie nicht eingehalten wurde, man gegen Parteiregeln verstieß und die Verbindung mit den werktätigen Massen vernachlässigte oder ignorierte. Um den Bürokratismus bekämpfen zu können, haben Stalin und die bolschewistische Parteiführung zunächst die politische Bildung und Erziehung verstärkt. So wurden Anfang der 30er Jahre Parteischulen gegründet, die den Menschen auf dem Lande, denen es oft an der elementarsten politischen Bildung mangelte, die ersten Grundkenntnisse vermittelte. Das Studienmaterial für den ersten systematischen Lehrgang über die Geschichte der Partei wurde 1929 von Jaroslawski veröffentlicht: Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Ein sehr gut ausgearbeitetes Buch. 1938 erschien unter der Leitung Stalins eine zweite, kürzere Ausgabe: Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) - Kurzer Lehrgang. In den Jahren 1930 bis 1933 wurden immer mehr politische Lehrgänge organisiert. Die Zahl der Parteischulen stieg von 52000 auf über 200000 an, die der Studenten von 1 auf 4,5 Millionen. Es handelte sich um ein bemerkenswertes Streben mit der Absicht, diesen Hunderttausenden von neuen Parteimitgliedern ein Mindestmaß an politischem Zusammenhalt zu vermitteln. Eine der bewährtesten Methoden im Kampf gegen die bürokratische Entartung war die der Überprüfung und Säuberung. 1917 gab es 30000 Parteimitglieder. 1921 waren es nahezu 600000; ihre Zahl stieg bis 1929 auf 1,5 Millionen und 1932 waren es 2,5 Millionen. Nach jeder groß angelegten Aufnahmewelle musste die Parteileitung die neu geworbenen Mitglieder überprüfen. Die erste Überprüfungskampagne wurde 1921 unter Lenin vorgenommen. Dabei wurden 45% der unter der Landbevölkerung geworbenen Mitglieder wieder ausgeschlossen oder insgesamt gesehen 25% der Parteimitglieder. Es handelte sich um die größte Säuberungsaktion, die jemals durchgeführt wurde. Ein Viertel der Mitglieder entsprach eben nicht den elementarsten Kriterien. 1929 verließen im Verlaufe einer zweiten Säuberungsaktion 11% der Mitglieder die Partei. 1933 wurde eine weitere Säuberung vorgenommen. Man nahm an, sie würde vier Monate dauern, sie zog sich aber in Wirklichkeit über zwei Jahre hin. Den Parteistrukturen, den Kontrollmechanismen, der effektiven Autorität der Zentralleitung mangelte es derart an Wirksamkeit, dass man nicht einmal mehr eine Überprüfungskampagne planen und ordnungsgemäß durchführen konnte. Schließlich wurden damals 18% der Parteimitglieder ausgeschlossen. Nach welchen Kriterien ging nun die Säuberung vor sich? Es wurden Leute ausgeschlossen, die ehemals Kulaken, weißgardistische Offiziere und Konterrevolutionäre gewesen waren. Korrupte Elemente, Karrieremacher, unverbesserliche Bürokraten. Mitglieder, die keine Parteidisziplin einhalten wollten oder einfach absichtlich die Richtlinien des Zentralkomitees ignorierten. Personen, die Verbrechen oder sexuellen Missbrauch begangen hatten, und Trunkenbolde. Im Verlaufe der Überprüfungsaktion 1932-1933 musste die Parteileitung feststellen, dass es ihr nicht nur nicht gelungen war, ihre Direktiven durchzusetzen, sondern dass obendrein der Parteiverwaltungsapparat auf dem Lande recht dienstunfähig war. Man wusste nicht mehr, wer Mitglied war und wer nicht. Die Zahl der verloren gegangenen Mitgliedskarten und Duplikate belief sich auf 250000. Über 60000 unausgefüllte Karten waren verschwunden. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage so ernsthaft, dass die Zentralleitung die regionalen Parteiführer mit Ausschluss bedrohen musste, weil sie nicht die persönliche Verantwortung für diese Aktion übernehmen wollten. (siehe: Ludo Martens: „Stalin anders betrachtet“ S. 99 ff) Arch Getty kommentiert in seiner ausgezeichneten Untersuchung Origins of the Great Purges (Ursprung der Großen Säuberung) folgendermaßen: „Die Partei war solchermaßen bürokratisch, ökonomisch, mechanisch und administrativ geworden, dass es nicht mehr zu dulden war. Stalin und andere Parteiführer der zentralen Leitung haben dies als eine Verknöcherung, eine Schlappe, eine Perversion der Parteifunktion empfunden. Die auf örtlicher Ebene und in der Region tätigen Parteifunktionäre waren keine politischen Führer mehr, sondern ökonomische Verwalter. Sie widerstanden der sowohl von oben als auch von der Basis kommenden politischen Kontrolle, und sie wollten sich nicht mehr mit Fragen der Ideologie, Erziehung und Bildung, politischer Massenkampagne oder den Rechten und individuellen Karrieren der Parteimitglieder herumärgern. Die logische Ausdehnung dieses Entwicklungsprozesses wäre die Umwandlung des Parteiapparats in ein Netz von lokalen ökonomischen Verwaltungen despotischen Typs gewesen. Die zur Verfügung stehenden Unterlagen zeigen, dass Stalin, Schdanow, und andere eine Wiederbelebung der Bildung und Parteiarbeit den Vorrang gaben, sowie die absolute Herrschaft der stolzen Machthaber in den Orten einschränken und gewisse Beteiligungsformen an der Basis fördern wollten.“ (Getty; Origins of the Great Purges, S. 105) Als die deutschen Faschisten die Sowjetunion besetzten, fanden sie in Smolensk alle Archive des Parteikomitees der Westregion auf: alle Versammlungen, alle Diskussionen, alle Richtlinien des Regionalkomitees, die Direktiven des Zentralkomitees - alles war darin enthalten. Man fand auch die Protokolle der Wahlversammlungen vor, die infolge des eben erwähnten ZK-Plenums stattgefunden hatten. So kann man erfahren, was damals an der Basis praktisch vorgegangen ist. Arch Getty beschreibt den Ablauf mehrerer Wahlen, die 1937 in der Westregion abgehalten wurden. Für die Posten eines Distriktkomitees stellte man zunächst 34 Kandidaten für 7 Sitze auf. Es wurde über jeden Kandidaten diskutiert. Wollte ein Kandidat sich zurückziehen, so stimmte man zuerst über das Einverständnis der Mitglieder ab. Die Abstimmung war geheim. Im Mai 1937 verfügte man über die Angaben bezüglich 54000 Grundorganisationen der Partei. Im Verlaufe der Wahlkampagne wurden 55% der Mitarbeiterposten dieser Komitees neu besetzt. In der Leningrader Region wurden 48% der Rayonskomiteemitglieder erneuert. (ebenda, S. 158) Getty stellte fest, dass es sich bei diesen Wahlen um die bedeutendste antibürokratische, allgemeinste und wirksamste Kampagne handelte, die je von der Partei geführt worden ist. Er zeigt auch auf, dass sich auf regionalen Ebenen, den Hauptbereichen der an Ort und Stelle getroffenen Entscheidungen, sehr wenig veränderte. In den Regionen hatten sich seit Anfang der 20er Jahre Individuen nebst Sippenwirtschaft fest niedergelassen und ein Machtmonopol ausgeübt. Selbst die groß angelegte antibürokratische Aktion konnte diese Leute nicht vertreiben. Die Smolensker Archive enthalten schriftliche Beweisstücke. Der Sekretär des Parteikomitees der Westregion hieß Rumjantzew. Er war Mitglied des Zentralkomitees wie mehrere andere Parteifunktionäre der Region. Der Bericht über die Wahl des Regionalsekretärs des Jahres 1937 befindet sich in diesen Archiven. Die ersten 5 Seiten bestätigen, dass die Lage gut und zufrieden stellend sei. Dann folgen 9 Seiten bitterer Kritik - nichts gehe mehr rund. Alle vom Zentralkomitee bezüglich der Bürokratisierung in der Partei formulierte Kritiken wurden anscheinend von der Basis aufgenommen und gegen Rumjantzew ausgesprochen: Ungerechtfertigte Ausschlüsse, Beschwerden von Arbeitern, die niemals vom Regionalkomitee beachtet worden waren, mangelnde Beobachtung der regionalen ökonomischen Entwicklung, eine von der Basis getrennte Leitung, usw. Diese beiden antagonistischen Linien innerhalb einer Versammlung kommen im Protokoll klar zum Ausdruck. Das Dokument zeigt auf, dass die Basis zwar zu Wort kam, sich aber nicht durchzusetzen vermochte gegenüber einer Sippenwirtschaft, die den gesamten Apparat der Region fest in den Händen hielt. (ebenda, S. 162)
  6. Die Ausweisung des wichtigsten Oppositionsführers Leon Trotzki aus der Sowjetunion, brachte die übrigen Mitglieder der Opposition zu der Erkenntnis, dass eine offene politische Opposition gegenüber der Politik der Führung um Stalin aller Wahrscheinlichkeit nach in der nahen Zukunft erfolglos bleiben würde. Sie änderten deshalb ihre Taktik. Sie stellten die offene Oppositionsarbeit in der Partei ein, sie 'verurteilten' ihre begangenen Fehler und 'versprachen', jede fraktionelle Aktivität einzustellen. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung schien es eine vollständige Einmütigkeit in der Kommunistischen Partei zu geben. Ihren neuen Taktik entsprechend arbeitete die Opposition darauf hin, ihre Mitglieder in führende, einflussreiche Positionen im Staat und in der Partei einzuschleusen und durch terroristische Methoden solche Parteimitglieder zu liquidieren, die als unverbesserliche Gegner der angestrebten revisionistischen Orientierung eingestuft wurden. Die politische Opposition wurde, wie Stalin sich ausdrückte, zu 'einer konspirativen und terroristischen Organisation'. In jedem Staat bilden die Sicherheitskräfte einen wichtigen Teil des Staatsapparats. Ein wichtiger Bestandteil der Pläne der oppositionellen Konspiration war deshalb auch das Bestreben, die Kontrolle über die Sicherheitskräfte zu gewinnen. Im Jahre 1934 'starb' der Leiter der sowjetischen Sicherheitspolizei Wjatscheslaw Menschinski und an seine Stelle trat sein Stellvertreter Genrich Jagoda. Bei seinem Landesverratsprozess 1938 gestand Jagoda ein, dass er Mitglied der geheimen Untergrundorganisation gewesen war und die Ermordung Menschinskis arrangiert hatte. Dieser Mord sollte als natürlicher Tod hingestellt werden. In den folgenden vier Jahren befand sich die Sicherheitspolizei 'NKWD' in den Händen der Opposition, die das NKWD zunächst hauptsächlich dazu benutzt hatte, die Mitglieder der oppositionellen Verschwörung zu schützen. Danach startete man eine groß angelegte Kampagne, um solche führenden Politiker der Partei und des Staates zu ermorden, die als unversöhnliche Gegner angesehen wurden. Die Hauptmethode, um diese Pläne zu realisieren, bestand darin, Ärzte zu benutzen, denen die Gesundheit jener Führer anvertraut worden war, Ärzte, die entweder bereits zur oppositionellen Verschwörung gehörten oder die man durch Druck oder Erpressung für diese Pläne gewinnen konnte. Also: Ein führender Politiker erkrankte, der Arzt wurde gerufen, die falsche Behandlungsmethode wurde zur Anwendung gebracht, der Patient starb und der Arzt unterschrieb den Totenschein mit dem Vermerk, dass der Tod auf natürlichem Weg eingetreten war. Die Führer der Opposition schrieben dann überschwängliche und herzzerreißende Nachrufe für die Presse. Zu den führenden Politikern, die auf diese Weise ausgeschaltet wurden, gehörten außer Menschinski zum Beispiel Walerian Kuibyschew (Vorsitzender des Obersten Wirtschaftsrats und Mitglied des Politbüros der Partei) und der Schriftsteller Maxim Gorki. (W. B. Bland: Stalin- Mythos und Wirklichkeit)

Dies sind im Großen und Ganzen die Hauptgründe für die stalinschen Säuberungen und die möglichen Ursachen für die Verbrechen die dort stattfanden: die Kriegsgefahr, notwendige Repressalien während der Industrialisierung, das zaristische Erbe, unterschiede zwischen „oben“ und „unten“, die zunehmende Bürokratie der Partei und die offene terroristische Opposition um Trotzki.

Häufig wir erwähnt, dass viele Maßnahmen, die zur Säuberung geführt haben (nicht zuletzt einige der oben genannten, wie die Repressalien, oder die Lohnunterschiede), Fehlentscheidungen der Sowjetregierung waren. Wer tatsächlich so was unterstellt dem sei gesagt: „Wie hätte es denn die Sowjetregierung anders machen sollen? Hätte sie ihr Land nicht industrialisieren sollen? Und wenn sie es industrialisieren sollte, wie hätte sie es denn anders machen sollen?“

Natürlich ist aus heutiger Sicht, wenn man zum Beispiel die Verhältnisse in Deutschland betrachtet, „Fehler“, aber insofern nur Fehler, wenn man das sowjetische Modell zu 100% auf heute übertragen würde. Die Sowjetregierung hatte zu dieser zeit nicht nur die richtige marxistisch-leninistische Grundlinie gehabt, sondern hatte auch die richtigen, zur damaligen zeit notwendigen Maßnahmen getroffen, weil sie den historischen Umständen die einzig möglichen, die einzig richtigen waren!

Gehen wir jetzt dem Phänomen 'stalinistische Säuberungen' nur für einen Moment etwas näher auf den Grund unter Zugrundelegung dessen, was es an neueren Erkenntnissen dazu inzwischen gibt, wozu auch die teilweise Öffnung von Archiven - längst nicht aller! - beigetragen hat

1. Welche 'Säuberungen' gehen auf 'Stalins Konto'?

Auf 'Stalins Konto’ geht der Schachty-Prozess von 1929, der Prozess gegen die Industrie-Partei1930, der Menschewikenprozess 1931 und der Prozess gegen die Vickers-Ingenieure 1933. Auch auf 'Stalins Konto' gehen die Prozesse gegen die trotzkistische, sinowjewistische und bucharinsche Opposition sowie gegen die Tuchatschewski-Verschwörung und die 'Leningrader Affäre' von 1948.

Der Grund dafür, dass es diese Prozesse geben musste, war, dass die trotzkistische Opposition seit 1931 in den Untergrund gegangen war und ihren Kampf gegen die Sowjetmacht mit illegalen und terroristischen Mitteln weiterführte (siehe 'Rjutin-Plattform' der Vereinigten Opposition, die explizit auf die physische Liquidierung des marxistisch-leninistischen Kerns der Sowjetführung orientierte). Fast alle Oppositionsgruppen, die dem Zentrum angeschlossen waren - und es waren unglaublich viele - unterstützten diese terroristische Orientierung.

Die Moskauer Prozesse - und das beweisen die verfügbaren Prozessprotokolle - verurteilten nicht unschuldige politische Gegner wegen ihrer abweichenden Meinung, sondern wegen ihrer konkreten Aktivitäten, ihrer Anschläge, Sabotageakte, ihres Hochverrats. Sinowjew und Kamenjew konnte nachgewiesen werden, dass sie im Dezember 1934 Sergej Kirow auf dem Weg zu seiner Dienststelle erschießen ließen. Sie legten ein umfangreiches Geständnis ab und wurden zum Tode verurteilt

Der US-Botschafter Davies der wie viele andere westliche Journalisten damals den Prozessen beiwohnte, lobte die Fairness und den rechtstaatlichen, ja sogar vorbildlichen Charakter dieser Verfahren. Davies war selbst Anwalt und verstand etwas von der Materie.

Diese Prozesse schalteten die 'Fünfte Kolonne' der Nazis in der UdSSR aus, denn es hatte sich auch gezeigt, dass die trotzkistische Opposition mit dem militaristischen Japan und dem faschistischen Deutschland zusammengearbeitet hatte und sogar die Zerstückelung der UdSSR nach einem Naziüberfall diskutiert hatte. Die Trotzkisten waren z.B. bereit, einen Teil der Ukraine an Deutschland abzugeben usw.

Was die Moskauer Prozesse angeht, so wird häufig erwähnt, dass die Geständnisse der Angeklagten durch Folter etc. erpresst oder erzwungen wurden. Gehen wir mal auf einige der gängigsten Theorien ein:

1. Folter.

Nun ist es sicherlich möglich, einen ehrlichen Kommunisten dazu zu bewegen, falsche Geständnisse von Landesverrat durch die Anwendung von Folter schriftlich abzulegen. Jedoch eröffnet sich im offenen Gerichtssaal die Möglichkeit, das zu entlarven. Aber nicht ein einziger der Angeklagten machte von ihr Gebrauch. Im Gegenteil: Diejenigen, denen die Frage gestellt wurde, ob sie unter Druck gesetzt worden waren, als sie auf den Prozess warteten, verneinten dies.

2. Drogen.

Der Medizin ist jedoch keine Droge bekannt, durch die Menschen dazu veranlasst werden könnten, völlig falsche Anschuldigungen zuzugeben und gleichzeitig in anderer Hinsicht sich völlig normal zu benehmen und sogar Streitgespräche mit dem Ankläger zu führen.

3. Das Versprechen der Begnadigung bei Ablegen eines falschen Geständnisses.

Das wäre bezogen auf den ersten Prozess, den Sinowjew und Kamenjew hatten, (bei dem sie glimpflich davonkamen Übers.) noch plausibel. Aber nachdem Sinowjew und Kamenjew hingerichtet worden waren, war das nicht mehr auf die nachfolgenden Prozesse anwendbar.

4. Loyalität gegenüber Stalin.

Wenn man bedenkt, dass fast alle der Angeklagten jahrelang gegen Stalin gearbeitet hatten, dann ist diese Theorie wohl am wenigsten stichhaltig.

Ein wieteres "Argument" jener, die die Moskauer Prozesse für unglaubwürdig halten, ist, dass gerne behauptet wird, dass diese Prozesse antisemitistischen Character hatten und das aus dem Grund, weil die Namen der Angeklagten, die jüdischen Glaubens waren, voll ausgeschrieben wurden (z. B.: Sinowjew, Grigorij Jewsejewitsch). Wer soll billige Argumente verbreitet, kann nicht ernst genommen werden. Es handelte sich hierbei um ein Gerichtsverfahren, damit ist es logisch, dass die Namen der Angeklagten voll ausgesprochen werden mussten. Das hat mit Antisemitismus rein gar nichts zu tun. Andererseits könnte man also auch behaupten, dass wenn z. B. Stalin Angeklageter in solchen Prozessen wäre, man diesen Rassismus vorwirft, da Stalin georgischer Name (Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwilli) voll ausgesprochen wird. Solche Behauptungen sind somit völlig lächerlich!

Was die Echtheit der Prozesse angeht, so sagt z.B. Lion Feuchtwanger in seinem Buch Moskau 1937:

" Es ist läppisch, diese Prozesse, den Sinowjew- und den Radekprozeß, simpel auf Stalins Herrschsucht und Rachgier, zurückzuführen. Josef Stalin, der gegen den Widerstand der ganzen Welt ein so großes Werk vollbracht hat wie den wirtschaftlichen Aufbau der Sowjet-Union, der Marxist Stalin, gefährdet nicht die Außenpolitik seines Landes und damit einen wichtigen Teil seines Werkes aus einem persönlichen Motiv, wie es Gymnasiasten, die historische Stücke schreiben, ihren Helden unterschieben.
Den Prozeß gegen Sinowjew und Kamenew kenne ich aus Berichten der Presse und Erzählungen von Augenzeugen, dem Prozeß gegen Pjatakow und Radek habe ich beigewohnt. Ich habe also den ersten dieser Prozesse in der Atmosphäre Westeuropas, den zweiten in der Atmosphäre Moskaus miterlebt. Der ganze, ungeheure Unterschied zwischen der Sowjet-Union und dem Westen wird spürbar, wenn man den einen dieser Prozesse in der Luft Europas, den ändern in der Luft Moskaus auf sich einwirken läßt.
Manche meiner Freunde, sonst nicht unvernünftige Leute, finden diese Prozesse von Anfang bis zu Ende, nach Inhalt und Form, tragikomisch, barbarisch, unglaubwürdig, ungeheuerlich. Eine ganze Reihe von Männern, die vorher Freunde der Sowjet-Union gewesen waren, sind durch diese Prozesse zu ihren Gegnern geworden. Einige, die in der Gesellschaftsordnung der Union das Ideal des sozialistischen Humanismus gesehen hatten, waren nach diesem Prozeß wie vor den Kopf geschlagen; für diese Leute hatten die Kugeln, welche die Sinowjew und Kamenew getroffen, nicht nur diese, sondern die ganze neue Welt erschossen.
Auch mir schien, solange ich in Westeuropa war, die Anklage des Sinowjewprozesses von Grund auf unglaubwürdig, die hysterischen Geständnisse der Angeklagten schienen mir durch geheimnisvolle Mittel erpreßt, die ganze Verhandlung kam mir wie ein mit vollendeter, befremdlicher und grausiger Kunst inszeniertes Theaterstück vor.
Als ich indes in Moskau dem zweiten Prozeß bei wohnte, als ich Pjatakow, Radek und seine Freunde sah und hörte, zergingen in dem sinnlichen Eindruck dessen, was diese Angeschuldigten und wie sie es sagten, meine Bedenken, wie sich Salz in Wasser löst. Wenn das gelogen war oder arrangiert, dann weiß ich nicht, was Wahrheit ist. Ich nahm also die Prozeßprotokolle vor, überlegte, was ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatte, und bedachte nochmals, was für und gegen die Glaubwürdigkeit der Anklage sprach.
Im Grunde richteten sich die Prozesse vor allem gegen den großen, nicht anwesenden Angeklagten Trotzki, und der Haupteinwand ist die angebliche Unglaubwürdigkeit dessen, was die Anklage Trotzki vorwarf. 'Dieser Mann Trotzki', entrüsten sich die Gegner, 'einer der Begründer des Sowjetstaates,
Lenins Freund, soll selber Direktiven gegeben haben, den Aufbau des von ihm mitbegründeten Staates zu sabotieren, Krieg gegen ihn zu entfesseln, die Niederlage in diesem Krieg vorzubereiten? Ist das denkbar? Ist das glaubhaft? Gemach. Bei eingehenderer Prüfung ergibt sich, daß die Haltung, welche die Anklage Trotzki vorwirft, nicht nur nicht unglaubhaft, sondern die einzige ist, die seiner inneren Situation entspricht.
Man stelle ihn sich gut vor, diesen Mann Trotzki, zur Untätigkeit verurteilt, gezwungen, müßig mitanzuschen, wie das großartige Experiment, das Lenin und er begonnen hatten, in eine Art gigantischen kleinbürgerlichen Schrebergarten verwandelt wurde. Denn ihm, der den Erdball mit Sozialismus durchtränken wollte, erschien der 'Stalinstaat', so sagte er, so schrieb er, als läppisches Zerrbild dessen, was ihm ursprünglich vorgeschwebt war. Dazu kommt der tiefe, persönliche Widerwille gegen Stalin, den Kompromißler, der ihm, dem Schöpfer des Planes, ständig ins Handwerk gepfuscht und ihn schließlich vertrieben hatte. Unzählige Male hat Trotzki seinem maßlosen Haß und seiner Verachtung Stalins Ausdruck gegeben. Was er in Wort und Schrift tat, sollte er es nicht auch in Taten tun? Ist es wirklich so 'undenkbar', daß ihm, dem Manne, der sich allein für den geeigneten Führer der Revolution hielt, kein Mittel zu schlecht war, den 'falschen Messias' von seinem durch kleine Lügen erschlichenen Sitz zu stürzen ? Mir scheint, das ist sehr wohl denkbar. Mir scheint, es ist auch weiter denkbar, daß ein Mann, der sich haßblind weigerte, zur Kenntnis zu nehmen, was alle erkannten, nämlich den vollzogenen wirtschaftlichen Aufbau der Union und die Stärke ihrer Armee, mir scheint, es ist denkbar, daß ein solcher Mann auch gegen die Untauglichkeit seiner Mittel blind wurde und Wege wählte, die offenbar falsch waren. Trotzki ist mutig und bedenkenlos, ein großer Spieler, sein ganzes Leben ist eine Kette von Abenteuern, tollkühne Unternehmungen waren ihm sehr oft gut hinausgegangen. Zeitlebens hatte der Optimist Trotzki sich die Kraft zugetraut, Schlechtes für seine Pläne nutzen und es am Ende, wenn es darauf ankam, ausschalten und unschädlich machen zu können. Wenn Alkibiades zu den Persern ging, warum nicht Trotzki zu den Faschisten?
Ein russischer Patriot ist Trotzki nie gewesen, der 'Stalinstaat' war ihm zuwider, ihm lag an der Weltrevolution. Stellt man die Äußerungen zusammen, die der exilierte Trotzki gegen Stalin und dessen Staat getan hat, dann ergibt sich ein Lexikonband voll Haß, Wut, Ironie, Verachtung. Was also war wohl die ganzen Jahre der Verbannung hindurch, was muß heute noch Trotzkis Hauptziel sein? Wieder ins Land hinein, um jeden Preis, wieder an die Macht kommen.
Shakespeares Coriolan, als er zu Roms Gegnern, den Volkskern, geht, spricht von den falschen Freunden, die ihn alle im Stich gelassen hätten. 'Sie duldetens', sagt er zu Roms Erzfeind, 'mich durch der Sklaven Stimme aus Rom gezischt zu sehen. Diese Verruchtheit bringt mich an deinen Herd, Haß, ganz meinen Neidern alles wett zu machen, bringt mich hierher.
So urteilt Shakespeare über die Möglichkeit, ob Trotzki mit den Faschisten paktiert hat. „Trotzkis antibolschewistische Vergangenheit ist kein Zufall'. So urteilt in seinem Testament Lenin über die Möglichkeit, ob Trotzki mit den Faschisten paktiert hat.
Und Emil Ludwig berichtet über eine Unterredung, die er bald nach Trotzkis Verbannung auf der Insel Prinkipo bei Stambul mit ihm gehabt hat. Veröffentlicht hat Emil Ludwig diese Unterredung im Jahr 1931 in seinem Buch 'Geschenke des Lebens', und was damals schon, im Jahre 1931, Trotzki geäußert hat, sollte allen denjenigen zu denken geben, welche die Anklage gegen ihn ungereimt und absurd finden. 'Seine eigene Partei´ berichtet Ludwig, ich zitiere wörtlich, 'nennt er, Trotzki, überall zerstreut, daher schwer abzuschätzen. „Und wann könnte sie sich sammeln?“ „Bei irgend einem objektiv neuen Anlaß, etwa bei einem Krieg oder einer neuen Intervention Europas, das aus der Schwäche der Regierung Mut schöpfen könnte. „ „Dann würde man aber gerade Sie nicht herauslassen, wenn jene Sie hereinlassen möchten."
Pause der Verachtung. „Ach, da würden sich wohl Wege finden. „ Jetzt lächelt sogar Frau Trotzki."
So urteilt Trotzki über die Möglichkeit, ob Trotzki mit den Faschisten paktiert hat.
Was nun die Männer anlangt, die in diesem zweiten Prozeß vor Gericht standen, die Pjatakow, Sokolnikow, Radek, so wendet man ein, es sei unwahrscheinlich, daß Männer von ihrem Rang und Einfluß den Staat sollten sabotiert haben, dem sie ihre Stellungen und ihre Wirksamkeit verdankten, daß sie sich auf die abenteuerlichen Pläne sollten eingelassen haben, welche die Anklage ihnen zur Last legt.
Mir scheint es falsch, in diesen Leuten nichts anderes zu sehen als Männer von Stellung und Einfluß. Pjatakow und Sokolnikow waren nicht nur hohe Beamte, Radek nicht nur Chefredakteur der 'Iswestja' und einer der intimen Berater Stalins. Vielmehr waren die meisten der Angeklagten in erster Linie Konspiratoren, Revolutionäre; zeitlebens waren sie passionierte Umstürzler und Änderer gewesen, dazu waren sie geboren. Alles, was sie erreicht hatten, hatten sie gegen die Voraussagen der 'Vernünftigen' erreicht, durch Mut, Lust am Abenteuer, Optimismus. Zudem glaubten sie an Trotzki, dessen suggestive Kraft man gar nicht hoch genug einschätzen kann; mit ihrem Meister sahen sie in dem 'Stalinstaat' ein Zerrbild dessen, was sie hatten erreichen wollen, und ihr höchstes Ziel darin, dieses Zerrbild in ihrem Sinn zu korrigieren.
Auch vergesse man nicht die persönlichen Interessen, welche die Angeklagten an einem Umsturz haben mußten. Der Ehrgeiz, die Machtsucht keines dieser Männer war befriedigt, sie saßen in Ämtern und Würden, aber keiner hatte einen jener ersten Plätze inne, von denen sie glaubten, daß sie ihnen zukämen, keiner etwa saß im 'Politischen Büro'.
Sie waren zwar wieder in Gnaden aufgenommen, aber immerhin waren sie als Trotzkisten vor Gericht gestanden und hatten keine Aussicht mehr, in die erste Reihe aufzurücken. In einem gewissen Sinn waren sie alle degradiert, und 'niemand ist gefährlicher als der Offizier, dem man die Epauletten abgerissen hat, ' sagt Radek, der es wissen muß.
Nicht weniger heftig als die Anklage wird das Prozeßverfahren angegriffen. Wenn man Dokumente hatte und Zeugen, fragen die Zweifler,
warum dann hielt man die Dokumente in der Schublade, die Zeugen hinter den Kulissen und begnügte sich mit unglaubhaften Geständnissen?
Es ist richtig, erwidern die Sowjetleute, in dem Hauptverfahren haben wir gewissermaßen nur das Destillat, das präparierte Ergebnis der Voruntersuchung, gezeigt. Das Beweismaterial hatten wir vorher geprüft und den Angeklagten vorgehalten, wir haben uns im Hauptverfahren mit ihren Geständnissen begnügt. Wer daran Anstoß nimmt, möge bedenken, daß der Prozeß vor einem Militärgericht geführt wurde, und daß er in erster Linie ein politischer Prozeß war. Es ging uns um die Reinigung der innenpolitischen Atmosphäre. Uns lag daran, daß jedermann im Volk, von Minsk bis Wladiwostok, begreife, was los war. Deshalb haben wir alles so einfach und durchsichtig wie möglich gemacht. Detaillierte Indizien, Dokumente, Zeugenaussagen mögen den Juristen, den Kriminalisten, den Historiker interessieren, unsere Sowjetbürger hätten wir durch die Aufrollung vielerlei Details nur verwirrt. Ihnen leuchten die klaren Geständnisse besser ein als noch so viele scharfsinnig zusammengestellte Indizien. Wir führten diesen Prozeß nicht für ausländische Kriminalisten, wir führten ihn für unser Volk.
Da die eindrucksvolle Tatsache der Geständnisse, ihre Präzision und Lückenlosigkeit nicht geleugnet werden kann, so stellen die Zweifler die abenteuerlichsten Hypothesen auf über die Methoden, wie diese Geständnisse zuwege gebracht sein mögen. Die erste, billigste Vermutung ist natürlich die, die Geständnisse seien den Angeklagten durch Folterungen und durch die Drohung mit noch schlimmeren Folterungen abgepreßt worden. Doch dieser Anwurf wurde widerlegt durch die offensichtliche Frische und Vitalität der Angeklagten, durch ihren gesamten physischen und geistigen Aspekt. Die Skeptiker mußten also, um die 'unmöglichen' Geständnisse zu erklären, zu ändern Motivierungen greifen. Man habe, verkündeten sie, den Angeklagten allerlei Gifte eingegeben, man habe sie hypnotisiert und unter Drogen gesetzt. Nun ist zwar noch niemandem auf der Welt eine so starke und nachhaltige Einwirkung auf andere geglückt, und derjenige Wissenschaftler, dem sie glückte, dürfte sich kaum damit begnügen, der mysteriöse Handlanger von Polizeiorganen zu sein, er würde seine Methoden vermutlich zur Mehrung seines wissenschaftlichen Ansehens verwenden. Allein die Gegner des Verfahrens greifen lieber zu den absurdesten Hintertreppen-Hypothesen, als daß sie an das Nächstliegende glaubten: daran nämlich, daß die Angeklagten überführt waren und ihre Geständnisse auf Wahrheit beruhten.
Wenn man den Sowjetleuten von solchen Hypothesen spricht, dann zucken sie nur die Achseln und lächeln. Warum sollten wir, meinen sie, wenn wir fälschen wollten, zu so schwierigen und gefährlichen Mitteln greifen wie zu gefälschten Geständnissen? Wäre es da nicht einfacher, Dokumente zu fälschen? Glauben Sie, wir könnten, statt Trotzki durch den Mund von Pjatakow und Radek hochverräterische Reden führen zu lassen, nicht leichter hochverräterische Briefe von ihm vor die Augen der Welt bringen, Dokumente, die seine Verbindung mit den Faschisten viel direkter erwiesen? Sie haben die Angeklagten gesehen und gehört: hatten Sie den Eindruck, daß ihre Geständnisse nach Erpressung klangen? Diesen Eindruck hatte ich wahrhaftig nicht. Die Männer, die da vor Gericht standen, waren keineswegs gemarterte, verzweifelte Menschen vor ihrem Henker. Überhaupt darf man sich nicht vorstellen, daß diese Gerichtsverhandlung etwas Gemachtes, Gekünsteltes oder auch nur etwas Feierliches, Pathetisches an sich gehabt hätte. Der Raum, in dem die Verhandlung stattfand, ist nicht groß, er faßt etwa dreihundertfünfzig Menschen. Richter, Staatsanwalt, Angeklagte, Verteidiger, Sachverständige saßen auf einer niedrigen Estrade, zu der Treppen hinaufführten, es war keine Schranke zwischen Gericht und Zuhörern. Auch war nichts da, was an eine Anklagebank erinnerte; die Barriere, welche die Angeklagten von den übrigen trennte, wirkte eher wie die Umrahmung einer Loge. Die Angeklagten selber waren gutgepflegte, gutgekleidete Herren von lässigen, natürlichen Gebärden, sie tranken Tee, hatten Zeitungen in den Taschen und schauten viel ins Publikum. Das Ganze glich weniger einem hochnotpeinlichen Prozeß als einer Diskussion, geführt im Konversationston, von gebildeten Männern, die sich bemühten, festzustellen, welches die Wahrheit war, und woran es lag, daß geschehen war, was geschehen war. Ja, es machte den Eindruck, als hätten Angeklagte, Staatsanwalt und Richter das gleiche, ich möchte fast sagen, sportliche Interesse, die Geschehnisse lückenlos aufzuklären. Wenn ein Regisseur diese Gerichtszenen hätte arrangieren müssen, dann hätte es jahrelanger Proben bedurft, um die Angeklagten so einzuspielen, daß sie einander eifrig in Kleinigkeiten korrigierten, und daß ihre Bewegtheit sich auf so unterdrückte Art äußerte. Kurz, es müssen die Hypnotiseure, Giftmischer und Justizbeamten, welche die Angeklagten präparierten, abgesehen von ihren übrigen verblüffenden Eigenschaften, auch ausgezeichnete Regisseure und Psychologen gewesen sein.
Unwirklich, unheimlich war die Sachlichkeit, die Nacktheit, mit der diese Männer unmittelbar vor ihrem so gut wie sicheren Tod ihre Handlungen, ihre Schuld darlegten und erklärten. Es ist schade, daß die Verordnungen der Sowjet-Union verbieten, in den Gerichtsälen Photographien herzustellen und Grammophonplatten. Hätte man der Weltöffentlichkeit vorgeführt, nicht nur was die Angeklagten gesagt haben, sondern auch wie sie es gesagt haben, ihren Tonfall, ihre Gesichter, ich denke, es gäbe dann nur mehr wenig Ungläubige.
Sie gestanden alle, aber es gestand ein jeder auf verschiedene Art: der eine mit einem zynischen Unterton, der zweite mit soldatischer Bravheit, der dritte mit innerem Widerstand, sich windend, der vierte wie ein Schüler, der bereut, der fünfte dozierend. Ein jeder aber mit dem Ton, der Miene, dem Gestus der Wahrheit.
Ich werde nie vergessen, wie dieser Mann Georg Pjatakow vor dem Mikrophon stand, ein mittelgroßer Herr in mittleren Jahren, etwas beglatzt, mit einem rötlichblonden, altmodischen, schütteren Spitzbart, und wie er dozierte. Ruhig und dennoch beflissen setzte er auseinander, wie er das gemacht hatte, die ihm unterstellten Industrien zu sabotieren. Er erklärte, deutete mit dem Finger, er wirkte wie ein Hochschullehrer, ein Historiker, der einen Vortrag hält über das Leben und die Taten eines längst verstorbenen Mannes namens Pjatakow, und der bemüht ist, alles bis ins Kleinste klar zu machen, damit ihn ja seine Hörer und Studenten richtig verstünden. Auch den Schriftsteller Karl Radek werde ich schwerlich jemals vergessen. Nicht, wie er dasaß in seinem braunen Rock, das häßliche, fleischlose Gesicht von einem kastanienfarbenen, altmodischen Bart umrahmt, nicht, wie er ins Publikum hinausschaute, das er zu einem großen Teil kannte, oder auf die ändern Angeklagten, häufig lächelnd, sehr gelassen, häufig gewollt ironisch, nicht, wie er beim Hereinkommen dem oder jenem der Angeklagten den Arm mit leichter, zarter Gebärde um die Schultern legte, nicht, wie er, wenn er sprach, gern ein wenig posierte, sich über die ändern Angeklagten ein bißchen lustig machte, seine spielerische Überlegenheit zeigte, arrogant, skeptisch, gewandt, literarisch. Brüsk etwa schob er Pjatakow fort vom Mikrophon und stellte sich selber hin, manchmal schlug er mit der Zeitung auf die Barriere, oder er nahm sein Teeglas, warf ein Scheibchen Zitrone hinein, rührte herum, und während er die ungeheuerlichsten Dinge vorbrachte, trank er in kleinen Schlucken. Ganz frei indes von jeder Pose war er, während er sein Schlußwort sprach, in welchem er bekannte, warum er gestanden habe, und es wirkte denn auch dieses Bekenntnis, so ungezwungen er sich gab, und trotz der vollendet schönen Formulierung, als die Offenbarung eines Menschen in großer Not und ergreifend. Am erschreckendsten aber und schwer deutbar war die Geste, mit der Radek nach Schluß der Verhandlung den Gerichtsaal verließ. Es war gegen vier Uhr morgens, und alle, Richter, Angeklagte, Zuhörer, waren erschöpft. Von den siebzehn Angeklagten waren dreizehn, darunter nahe Freunde Radeks, zum Tod, er selber und drei andere nur zu Gefängnis verurteilt worden. Der Richter hatte das Urteil verlesen, wir alle hatten es stehend angehört, Angeklagte und Zuhörer, unbeweglich, in tiefem Schweigen, und unmittelbar nach der Verlesung hatten die Richter sich zurückgezogen. Soldaten erschienen, sie traten zunächst zu den vieren, die nicht zum Tod verurteilt worden waren. Einer legte Radek die Hand auf die Schulter, ihn offenbar auffordernd, ihm zu folgen. Und Radek folgte ihm. Er wandte sich, grüßend hob er die Hand, zuckte ein ganz klein wenig mit den Achseln, winkte den ändern zu, den zum Tod Verurteilten, seinen Freunden, und lächelte. Ja, er lächelte.
Schwer auch ist zu vergessen die umständliche, mühselige Erzählung des Ingenieurs Stroilow, wie er in die trotzkistische Organisation hineingeriet, wie er zappelte und sich hinauszuwinden suchte, wie man ihn aber durch das, was er einmal getan hatte, festhielt und nicht mehr aus dem Netz ließ. Unvergeßlich weiter jener jüdische Schuster mit dem Rabbinerbart, Drobnis, der sich während des Bürgerkriegs vor allen ändern ausgezeichnet hatte, der, nach sechs Jahren zaristischen Gefängnisses, von den Weißgardisten dreimal zum Tod verurteilt, den drei Erschießungen wie durch ein Wunder entronnen war, und der sich jetzt vor Gericht verhaspelte und sich drehte und abarbeitete, als er zugestehen sollte, er habe durch absichtlich herbeigeführte Explosionen nicht nur Materialschaden, sondern auch, bewußt, den Tod von Arbeitern bewirkt. Erschütternd auch der Ingenieur Norkin, der mit seinem 'Letzten Wort' Trotzki verfluchte, ihm seine 'brodelnde Verachtung und seinen Haß' zuschrie, blaß vor Erregung, und sogleich darauf den Saal verlassen mußte, weil ihm übel geworden war. Da übrigens geschah es während der ganzen Verhandlung das erste und einzige Mal, daß einer laut wurde; sonst immer sprachen alle, Richter, Staatsanwalt, Angeklagte, ruhig, ohne Pathos, und nie hob einer die Stimme. Daß die Zweifler sich so gar nicht zu der Annahme bequemen wollen, die Anklage könnte auf Wahrheit beruhen, begründen sie, abgesehen von ihren schon genannten Einwänden, damit, daß das Verhalten der Angeklagten vor Gericht psychologisch nicht erklärt werden könne. Warum, fragen diese Skeptiker, überbieten sich die Angeklagten, statt ihre Schuld zu bestreiten, in Geständnissen? Und in was für Geständnissen. Sie malen sich selber als schwarze, niederträchtige Verbrecher. Warum verteidigen sie sich nicht, wie sonst jeder Angeklagte vor jedem Gericht? Warum, selbst wenn sie überführt sein sollten, versuchen sie nicht, mildernde Umstände vorzubringen, sondern belasten sich immer nur mehr? Warum, da sie doch an die Theorien Trotzkis glauben, bekennen sich diese Revolutionäre und Ideologen nicht zu ihrem Führer und zu seinen Theorien? Warum rühmen sie sich nicht jetzt, da sie zum letzten Mal vor den Massen sprechen, dieser ihrer Taten, die sie doch lobenswert finden müßten? Man könnte sich schließlich vorstellen, daß unter den siebzehn einer sich demütigte oder zwei oder vier. Aber alle? Daß die Angeklagten gestehen, erwidern die Sowjetleute, erklärt sich aus einem sehr einfachen Grund. Weil sie nämlich während der Voruntersuchung durch Zeugen und Dokumente dergestalt überführt waren, daß Leugnen sinnlos wäre. Daß sie alle gestehen, erklärt sich daraus, daß man keineswegs sämtliche Trotzkisten, die in das Komplott verwickelt waren, vor Gericht gestellt hat, sondern eben nur diejenigen, die bis ins Letzte überführt waren. Daß die Geständnisse pathetisch klingen, liegt wohl zumeist an der Übersetzung. Der Tonfall des Russischen ist schwer zu treffen, das Russische wirkt, übersetzt, leicht superlativisch, überschwänglich, befremdlich. (Dies Letztere ist richtig. Ich hörte etwa einen Verkehrschutzmann zu meinem Chauffeur sagen: „Wollen Sie, bitte, Genosse, die Liebenswürdigkeit haben, den Regeln Ehrfurcht zu bezeigen. „ Eine solche Ausdrucksweise befremdet. Sie befremdet weniger, wenn man mehr nach dem Sinn als nach dem Wortlaut übersetzt: „Fahren Sie gefälligst nach Vorschrift, Mann. „ Die Übersetzungen der Prozeßprotokolle klingen aber mehr noch 'Den Regeln Ehrfurcht bezeigen' als nach 'Fahren Sie gefälligst nach Vorschrift'. ) Ich muß gestehen, daß, obwohl mich der Prozeß von der Schuld der Angeklagten überzeugt hat, ihr Verhalten vor Gericht mir trotz der Argumente der Sowjetleute nicht bis ins Letzte klar geworden ist. Unmittelbar nach dem Prozeß faßte ich, in einer Erklärung für die Sowjetpresse, meinen Eindruck dahin zusammen: 'Ganz klar sind westlichen Menschen die letzten Ursachen dessen, was die Angeklagten getan haben, vor allem die letzten Gründe ihres Verhaltens vor Gericht nicht geworden. Mögen die Taten der meisten dieser Männer den Tod verdient haben: durch Schimpfworte und Empörungstürme, so begreiflich diese sind, werden diese Männer charakterologisch nicht erledigt. Ihre Schuld und ihre Sühne westlichen Menschen klar zu machen, bedürfte es eines großen Sowjetdichters. ' Das soll nun beileibe nicht heißen, daß ich an der Führung des Prozesses und an seinen Resultaten mäkeln möchte. Wenn man mich um die Quintessenz meiner Meinung befragt, dann kann ich vielmehr nur nach dem Vorbild des gescheiten Essayisten Ernst Bloch den Sokrates zitieren, der, befragt über gewisse Dunkelheiten des Heraklit, erwiderte: 'Was ich verstanden habe, ist vortrefflich. Daraus schließe ich, daß das andere, was ich nicht verstanden habe, auch vortrefflich ist. '
Die Sowjetleute verstehen nicht so viel Verständnislosigkeit. Nach Beendigung des Prozesses und in Ansehung meiner oben zitierten Erklärung er eiferte sich in einer Versammlung ein Moskauer Schriftsteller: 'Feuchtwanger begreift nicht die Motive, aus denen die Angeklagten gestanden haben. Die Viertelmillion Arbeiter, die jetzt auf dem Roten Platz demonstrieren, begreifen sie. ' Mir scheint aber trotzdem, daß ich mich mehr bemühte, Verständnis für den Prozeß aufzubringen, als die meisten westlichen Kritiker, und da der Sowjetdichter, der die Motive der Geständnisse erhellen könnte, noch nicht da ist, will ich versuchen, zu schildern, wie ich mir die Genesis der Geständnisse vorstelle. Man darf das Gericht, vor dem der Prozeß stattfand, füglich als eine Art Parteigericht ansprechen. Die Angeklagten waren von früher Jugend an Parteiangehörige, manche unter ihnen zählten zu den Führern der Partei. Es ist nun ein Irrtum, anzunehmen, ein Mann, der vor ein Parteigericht geladen ist, könnte sich verhalten wie ein Mann vor einem üblichen westlichen Gericht. Es war mehr als ein äußerliches Sichversprechen, wenn Radek die Richter anredete: 'Genossen Richter' und vom Vorsitzenden ermahnt werden mußte, 'Bürger Richter' zu sagen. Auch der Angeklagte fühlt sich der Partei noch verbunden, und so ist es kein Zufall, daß der Prozeß von Anfang an jenen den westlichen Menschen befremdenden Charakter einer Diskussion trug. Richter, Staatsanwalt und Angeklagte schienen nicht nur, sie waren durch einen gemeinsamen Zweck verbunden. Sie waren wie Ingenieure, die eine neuartige, komplizierte Maschine auszuprobieren hatten. Einige haben an der Maschine etwas verdorben, nicht aus Bosheit, sondern weil sie eigensinnig ihre Theorien über die Verbesserung der Maschine erproben wollten. Ihre Methoden haben sich als falsch erwiesen, aber die Maschine liegt ihnen nicht weniger als den ändern am Herzen, und darum beraten sie jetzt gemeinsam mit den ändern freimütig ihre Fehler. Was alle zusammenhält, ist das Interesse an der Maschine, die Liebe zu ihr. Es ist dieses Grundgefühl, welches Richter und Angeklagte veranlaßt, so einträchtig zusammenzuarbeiten, ein ähnliches wie etwa das, welches in England Regierung und Opposition so aneinanderbindet, daß der Führer der Opposition von Staatswegen ein Gehalt von zweitausend Pfund bezieht.
Die Angeklagten waren Anhänger Trotzkis; auch nach seinem Sturz noch glaubten sie an ihn. Aber sie lebten innerhalb der Sowjet-Union, und was für den verbannten Trotzki ferne, vage Ziffern und Statistiken waren, das wurde für sie zu lebendiger Anschauung. Vor dieser lebendigen Anschauung konnte Trotzkis Prinzip, die Errichtung der sozialistischen Wirtschaft in einem einzigen Land sei unmöglich, auf die Dauer nicht standhalten. Im Lauf des Jahres 1935, angesichts der steigenden Prosperität der Sowjet-Union, mußten die Angeklagten erkennen, daß der Trotzkismus bankerott gemacht hatte; 'sie verloren, ' erklärte Radek, 'den Glauben an die Konzeption Trotzkis. ' Unter diesen Umständen liegt es in der Natur der Sache, daß die Geständnisse sich wie ein erzwungener Hymnus auf das Regime Stalins anhören. Die Angeklagten gleichen da jenem heidnischen Propheten Bileam der Bibel, der auszieht, um zu fluchen, und der gegen seinen Willen segnen muß.
Der Angeklagte Muralow hatte acht Monate geleugnet, ehe er, am fünften Dezember, gestand.'Obwohl ich, ' sagte er im Prozeß aus, 'die Direktiven Trotzkis, Terror und Sabotage, nicht für richtig hielt, schien es mir moralisch unzulässig, an Trotzki Verrat zu üben. Aber schließlich, als die ändern sich abkehrten, die einen ehrlich, die ändern unehrlich, sagte ich mir: für die Sowjet-Union habe ich mich in drei Revolutionen aktiv geschlagen, und dutzende Male hing mein Leben an einem Haar. Muß ich mich da nicht ihren Interessen unterordnen? Oder soll ich weiter bei Trotzki bleiben und seine falsche Sache weiterführen und fördern? Dann aber wird mein Name eine Fahne für jene sein, die noch in den Reihen der Konterrevolution stehen. Die ändern, ob sie ehrlich oder unehrlich von Trotzki abfielen, werden jedenfalls nicht zum Banner der Konterrevolution gehören. Soll da ich als ein so sonderbarer Heiliger dastehen? Das war für mich das Ausschlaggebende, und ich sagte mir: schön, jetzt geh ich hin und packe die ganze Wahrheit aus. ' Radeks Aussagen zu diesem Punkt, in der Form viel nuancierter, besagen in der Sache das Gleiche. Die Darlegungen beider Männer scheinen mir, über den Prozeß hinaus, psychologisch interessant. Sie zeigen beispielhaft, wieweit Männer mitgehen mit einem, an dessen überlegene Führerintelligenz und geniale Konzeption sie glauben, und wo der Punkt ist, an dem sie ihn verlassen. Die abenteuerlichen und verzweifelten Mittel, zu denen, nachdem seine Grundkonzeption sich als falsch erwiesen hatte, ein Trotzki zu greifen entschlossen war, mußten seine kleineren Partisanen abschrecken. Sie begannen, seine Methoden für verrückt zu halten. Sie fielen nur deshalb nicht schon früher offen von ihm ab, weil sie nicht wußten, wie sie das technisch anstellen sollten. 'Wir wären, ' erklärte Radek, 'zur Polizei gegangen, wenn diese nicht vorher zu uns gekommen wäre, ' und das ist glaubhaft. Einige Mitläufer der Angeklagten waren ja wirklich vorher zur Polizei gegangen, und so war es gekommen, daß das ganze Komplott aufflog.
An sich ist, was die Zweifler einwenden, richtig. Leute, die an ihre Sache glauben und die so gut wie sicher verloren sind, verraten ihre Sache nicht in ihrer letzten Stunde. Sie nehmen die letzte, große Möglichkeit wahr, zur Öffentlichkeit zu sprechen, und benützen sie, für ihre Sache Propaganda zu machen. Vor den Hitlergerichten erklären Revolutionäre zu Hunderten: 'Ja, ich habe das getan, was mir vorgeworfen wird. Ihr könnt mich umbringen, aber ich bin stolz auf das, was ich getan habe. ' An sich also haben die Zweifler recht, zu fragen: warum hat von diesen Trotzkisten keiner so gesprochen? Warum hat von diesen Trotzkisten keiner gesagt: 'Ja, euer Stalinstaat ist falsch. Trotzki hat recht. Was ich getan habe, war gut. Bringt mich um, aber ich stehe dafür ein. '
Allein es gibt auf diesen Einwand eine schlagende Antwort. Diese Trotzkisten haben einfach deshalb nicht so gesprochen, weil sie eben nicht mehr an Trotzki glaubten, weil sie innerlich nicht mehr für das einstehen konnten, was sie getan hatten, weil ihre trotzkistische Überzeugung durch die Fakten dergestalt widerlegt worden war, daß Männer mit sehenden Augen nicht mehr an sie glauben konnten. Was also blieb ihnen übrig, nachdem sie sich auf die falsche Seite gestellt hatten? Es blieb ihnen, gerade wenn sie überzeugte Sozialisten waren, für ihr letztes Auftreten vor ihrem Tode nichts übrig als das Geständnis: der Sozialismus kann nicht auf dem Weg Trotzkis verwirklicht werden, den wir gegangen sind, sondern nur auf dem ändern, dem Weg Stalins.
Aber auch wenn man von ideologischen Beweggründen absieht und nur die äußeren Umstände in Bettacht zieht, dann waren die Angeklagten zu ihren Geständnissen geradezu gezwungen. Was sollten sie tun, nachdem sie einmal durch erdrückendes Beweismaterial überführt waren? Verloren waren sie, ob sie gestanden oder ob sie nicht gestanden. Wenn sie gestanden, dann vielleicht eröffnete ihnen ihr Geständnis trotz allem ein Fünkchen Hoffnung auf Begnadigung. Nackt ausgedrückt: wenn sie nicht gestanden, waren sie hundertprozentig, wenn sie gestanden, neunundneunzigprozentig verloren. Da innere Gründe nicht gegen ein Geständnis sprachen, warum also sollten sie es nicht ablegen? Es zeigt sich denn auch aus ihren Schlußworten, daß dieses Motiv mitsprach. Von den siebzehn Angeklagten bitten zwölf die Richter, ihr Geständnis bei der Urteilsfindung als mildernden Umstand zu berücksichtigen.
Sie mußten wohl oder übel alle für diese Bitte ziemlich ähnliche Wendungen gebrauchen, und dies hatte zuletzt eine fast grausige, tragikomische Wirkung. Am Ende nämlich, als die letzten der Angeklagten ihr Schlußwort sprachen, wartete man schon geradezu nervös auf diese Bitte, und als sie dann wirklich kam, und notwendig in der gleichen monotonen Form, konnten die Zuhörer das Lachen kaum mehr unterdrücken. Noch schwieriger vielleicht als die Frage: welches waren die Motive der Angeklagten? ist die Frage: welche Gründe veranlaßten die Staatsleitung, diesen Prozeß so ins hellste Licht zu rücken, die Weltpresse und die Weltöffentlichkeit dazu einzuladen? Was versprach man sich davon? Mußte diese Manifestierung nicht eher peinliche Folgen haben als günstige? Der Sinowjewprozeß hatte im Ausland sehr üble Wirkung getan; er hatte den Gegnern willkommenes Propagandamaterial geliefert und viele der Freunde wankend gemacht. Er hatte Zweifel hervorgerufen an der Stabilität des Regimes, an die vorher selbst die Feinde geglaubt hatten.
Warum also schädigte man durch einen zweiten, ähnlichen Prozeß so leichtfertig das eigene Prestige?
Der Grund ist, behaupten die Gegner, Stalins wüste Despotie, seine Freude am Terror. Klar: dieser Mensch Stalin, voll von Minderwertigkeitsgefühlen, von Herrschsucht und maßloser Rachgier, will sich an allen denjenigen rächen, die ihn irgendwann kränkten, und alle diejenigen beseitigen, die auf irgend eine Art gefährlich werden können. Dergleichen Geschwätz beweist Unkenntnis der
menschlichen Seele und Mangel an Urteilskraft. Man lese ein beliebiges Buch, eine beliebige Rede Stalins nach, betrachte ein beliebiges Bild von ihm, erinnere sich einer beliebigen Maßnahme, die er zu Zwecken des Aufbaus getroffen hat. Sogleich dann ergibt sich sonnenhell: dieser gescheite, überlegene Mann kann unmöglich die ungeheure Dummheit begangen haben, mit Hilfe zahlloser Mitwirkender eine so plumpe Komödie aufzuführen lediglich zu dem Zweck, ein Rachefest, die Demütigung der Gegner, bei bengalischer Beleuchtung zu feiern.
Ich glaube, die Lösung der Frage ist einfacher und zugleich komplizierter. Man denke an die Entschlossenheit der Sowjet-Union, auf dem Weg zur Demokratie weiterzugehen, und man denke vor allem an jene Kriegsmentalität, auf die ich schon mehrmals hinweisen mußte. Die zunehmende Demokratisierung, besonders die Vorlage des neuen Verfassungsentwurfes, mußte den Trotzkisten neuen Auftrieb geben, mußte ihnen Hoffnung machen, sich mehr rühren, ihre Agitation wirksamer betreiben zu können. Die Regierung hielt es für an der Zeit, ihren festen Willen zu zeigen, jede trotzkistische Aktivität im Keim zu ersticken. Vor allem aber war es wohl die unmittelbar drohende Kriegsgefahr, welche die Führer der Sowjet-Union veranlaßte, diesen Prozeß vor so viel Lautsprechern zu führen. Früher waren die Trotzkisten weniger gefährlich, man konnte sie begnadigen, sie im schlimmsten Fall verbannen. Ein sehr wirksames Mittel ist Verbannung nicht; Stalin, selber sechsmal verbannt und sechsmal entkommen, weiß das. Jetzt, unmittelbar vor dem Krieg, konnte man sich solche Milde nicht mehr erlauben. Eine Abspaltung, eine Parteiung, im Frieden ohne Belang, kann im Krieg zu einer unungeheuern Gefahr werden. Seit der Ermordung Kirows sind es in der Sowjet-Union die Militärgerichte, die sich mit den Trotzkisten befassen. Es war ein Kriegsgericht, vor dem diese Männer standen, ein Kriegsgericht, das sie verurteilte. (Lion Feuchtwanger: Moskau 1937, S. 117ff)

Der oben erwhnte Joseph E. Davies urteil ebenfalls über die Richtigkeit der Prozesse: " All die grundlegenden Schwächen und Laster der menschlichen Natur persönliche Ambitionen in ihrer schlimmsten Form zeigen sich in diesem Verfahren. Es bringt die Umrisse eines Komplotts ans Licht, das kurz davor war, diese Regierung zu stürzen. ... Was die politischen Angeklagten betrifft, so meine ich, dass genügend Verbrechen nach sowjetischem Gesetz .. nachgewiesen wurden, um zweifellos das Urteil des Landesverrats zu rechtfertigen. .. Die Meinung jener Diplomaten, die am regelmäßigsten den Prozess besucht hatten, war einheitlich die, dass der Fall die Tatsache erwiesen hat, dass es eine beachtliche politische Opposition und ein äußerst ernstzunehmendes Komplott gab, das für die Diplomaten viele Dinge, die sich in den letzten sechs Monaten in der Sowjetunion ereignet haben, plausibel machten." (J. E. Davies, 'Mission in Moskau', Band 1, London 1942, S. 177, 178-9)

Im April 1937 richtete das Komitee für die Verteidigung von Leon Trotzki in Mexiko eine 'Untersuchungskommission' zur Überprüfung der Moskauer Prozesse ein. Als er gefragt wurde, weshalb, falls sie unschuldig waren, aufrichtige revolutionäre Veteranen nicht von der Möglichkeit Gebrauch machten, in einem öffentlichen Verfahren ihre Unschuld zu beteuern, konnte Trotzki nur erwidern: 'Ich bin nicht verpflichtet, diese Frage zu beantworten.'

Wegen der militärischen Natur der Beweise erhielten Tuchatschewski und die anderen prominenten Generäle ein nichtöffentliches Verfahren vor einem Militärgericht. In den vergangenen Jahren bezogen sich die Behauptungen von einem Fehlurteil besonders auf diesen Prozess.

Es wird zugegeben, dass sowohl der britische als auch der tschechoslowakische Geheimdienst Warnungen nach Moskau schickte über die verräterischen Beziehungen, die Tuchatschewski mit Nazi-Deutschland unterhielt, aber dies wird versucht mit der Theorie zu 'erklären', dass er der Sowjetunion gegenüber loyal und das Opfer einer 'Intrige' wurde, die vom deutschen Geheimdienst ausging, um die militärische Stärke der Sowjetunion zu schwächen. Nun gibt es zum Unglück für diese Theorie genügend Hinweise darauf, dass bei seinen Auslandsaufenthalten Tuchatschewski kein Hehl aus seinen Sympathien für die Nazis machte. Die französische Journalistin Geneviève Tabouis schrieb zum Beispiel in ihrem Buch 'Sie nannten mich Kassandra':

"Ich sollte Tuchatschewski das letzte Mal am Tag nach der Beerdigung von König Georg V. treffen. Bei dem Essen in der sowjetischen Botschaft war der russische General sehr gesprächig. ... Er war soeben von einem Deutschlandbesuch zurückgekehrt und lobte die Nazis in den höchsten Tönen. Er saß zu meiner Rechten und sagte immer und immer wieder ... 'Sie sind bereits unschlagbar, Madame Tabouis!' ...Ich war nicht die einzige an diesem Abend, die über diese Zurschaustellung von Enthusiasmus tief besorgt war." Zusammengefasst kann man sagen, dass es keine andere Erklärung für die bekannten Tatsachen die sowjetischen Prozesse von 1936-38 betreffend gibt als dass die Angeklagten dieser Prozesse schuldig im Sinne der Anklage waren. Was inzwischen klar geworden ist, ist, dass nur die herausragenderen der führenden Verschwörer entdeckt und ausgeschaltet werden konnten, jene hauptsächlich, die schon in der Vergangenheit offen oppositionell aufgetreten waren. Es bestand zweifellos ein stillschweigendes Übereinkommen, dass jene Mitglieder der Verschwörung, die verhaftet worden waren, sich bemühen sollten, ihre noch nicht enttarnten Partner zu decken, indem sie nur so viel zugaben wie den Behörden ohnehin bekannt war und nicht mehr. So gaben Sinowjew und Kamenjew auf ihrem ersten Prozess zu, dass ihre Reden eine Atmosphäre erzeugt haben könnten, die zur Ermordung von Kirow beitrugen und sie äußersten darüber großes Bedauern. Erst in ihrem zweiten Prozess, nachdem weitere Beweise vorhanden waren, gaben sie auch zu, dass sie Komplizen dieses Verbrechens waren.

So viel zu den Moskauer Prozessen. Es gab aber natürlich nicht nur diese gängigen Prozesse sondern auch viele andere, die von den so genannten Troikas durchgeführt wurden. Dass hier auch unschuldige verhaftet und verurteilt wurden ist nicht abzustreiten.

Die Ausschaltung dieser verräterischen Kräfte war somit eine Voraussetzung für den späteren Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Quislinge gab es jedoch trotzdem noch. (Sie sorgten in der Anfangsphase des Krieges dafür, dass die Nazi-Truppen so weit ins Land eindringen konnten. Zu ihnen gehörte ein gewisser Nikita Chruschtschow, wie wir heute wissen).

Welche 'stalinistischen Säuberungen' gehen aber nicht auf 'Stalins Konto'?

Nicht auf Stalins Konto gehen die unzähligen Verurteilungen, die auf die Vorarbeit des NKWD zurückgingen, die in Form von Schnellverfahren, oft von so genannten 'Troikas' und auf Initiative ganz anderer Kräfte durchgezogen wurden und denen unzählige ehrliche Kommunisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion Exil gesucht hatten zum Opfer fielen. Wir wissen heute, dass es viele unschuldige Opfer (auch nur ein Unschuldiger ist ein Unschuldiger zu viel), darunter auch besonders Kommunisten, getroffen hat, weil fremde Elemente (Trotzkisten, Weißgardisten, Kriminelle etc.) in diese Organe eingedrungen waren, um ihre Dienststellung als Mittel antisowjetischen Klassenkampfes zu nutzen. Aber auch die Unerfahrenheit mancher ehrlicher NKWD- Leute und der Bürokratismus sind in dieser Frage bedeutend.

Dabei sollte aber bedacht werden, dass natürlich nicht alle dieser Verurteilungen ungerecht waren. Viele der in den Schnellverfahren verurteilten waren tatsächlich Konterrevolutionäre. Viele Mitglieder des NKWD waren aufrechte Kommunisten und der Sowjetmacht ergeben. Und die Opfer- gleich ob schuldig oder unschuldig- waren um ein vielfaches weniger, als die bürgerlichen Medien verbreiten. Hier bedarf es auch noch weiterer Untersuchungen, da viele Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt wurden und nicht jeder verurteilter ein politisch Verurteilter war.

Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die so genannten „Todeslisten“, die von Stalin unterzeichnet wurden, über 6000 Listen mit ca. 44000 Namen. Hier könnte man doch sagen, dass Stalin doch dafür verantwortlich war. Hier sollte man aber erwähnen auch wenn Stalin Todesurteile bestätigte, wurde er von anderen informiert, die die Untersuchung geführt hatten und mit unter auch nur vorgaben, sie hätten eine Untersuchung geführt. Zum anderen bleiben bei diesen Todeslisten viele Fragen offen: wer waren diese Verurteilten? Was waren die Anklagepunkte? Handelte es sich nur um politische Verbrechen? Sind die Todesurteile tatsächlich vollstreckt worden? Fragen auf die man eingehen müsste um die Geschehnisse zu beantworten!

Dabei muss der Begriff „vernichten“ viele Bedeutungen hatte, er ging von einer Rüge bis hin zur Erschießung. Laut I. F. Mursin sollten vom NKWD 40000 Kommandeure und Politkommissare von 1937- 1940 „vernichtet“ worden sein. In Wirklichkeit waren es 36898 Entlassungen von Angehörigen des Offizierkorps, die vom NKWD aus folgenden Gründen entlassen wurden: 1. Altersgründe, 2. Unzureichender Gesundheitszustand, 3. Disziplinarverstöße, 4.moralische Verfehlungen und moralische Labilität, 5. Mangelndes politisches Bewusstsein und mangelnde politische Zuverlässigkeit. Davon wurden 9579 verhaftet. Es war nur natürlich, dass viele Entlassene Beschwerden eingereicht haben oder Einsprüche einlegten, die von einer dafür eigens geschaffenen Kommission unter der Leitung von E. A. Schtschadenko geprüft wurden. Im Ergebnis dieser Überprüfung wurden 12461 Kommandeure wieder eingestellt. Zum ersten Januar 1941waren es fast 15000. Zum Tod durch Erschießen wurden 70 Personen verurteilt. (siehe Militärkader des Sowjetstaates im Großen Vaterländischen Krieg 1941- 1945, Moskau 1951, russ.)

Nach den Worten Stalins ergibt sich auch folgendes: „im Jahre 1938 waren nach dem Paragraphen über konterrevolutionäre Verbrechen von den Organen des NKWD 52372 Personen verhaftet. Bei der Durchführung der Gerichtsverfahren wurden von den Justizorganen 2731 Personen verurteilt, davon 89 zum Tod durch Erschießung. 49641 Verhaftete und Angeklagte wurden freigesprochen. Eine so hohe Zahl von Freisprüchen hat bestätigt, dass der ehemalige Volkskommissar des Inneren (des NKWD) Genosse Jeschow viele Menschen ohne hinreichende Gründe verhaften ließ. Hinter dem Rücken des ZK gab es Willkür.“ (SW 15, Seite 32, russ.). Man vergleiche diese Zahlen mit den in die Welt gesetzten Horrorzahlen des angeblichen Stalinistischen Terrorregimes, und man beachte, dass Stalin dem genossen Jeschow in seinen Ausführungen vor Kadern der Sicherheits- und Justizorgane nicht nur Massenmorde, sondern auch Verhaftungen vorwarf. Genau das war in den Jahren 1938- 40 nach Berichten von Zeitzeugen das eigentliche Thema bei Repressionen, und gar nicht die vielen angeblich unschuldig zum Tode verurteilten.

Ein weiteres „Argument“, welches als „Beweis“ für den „Terror“ kursiert, ist, dass behauptet wird, dass die Mehrheit der Delegierten des XVII. Parteitages der KPdSU (ca. 80%), der im Januar/Februar 1934 stattfand, auf dem XVIII. Parteitag (März 1939) nicht mehr dabei waren, weil sie verfolgt, verurteilt, vernichtet worden seien. Was soll man von solchen „Argumenten“ halten? Es sind im Grunde plumpe Irreführungen und Desinformationen. Keiner von jenen, die solche Behauptungen machen und machten, hat sie jemals belegt, obwohl die Delegierten namentlich bekannt sind. Welcher dieser Delegierten ist nun zum Tode verurteilt worden und welcher ins Arbeitslager gesteckt worden? Außerdem ist die Delegierung zu einem Parteitag nicht ein Freibrief zur Teilnahme am nächsten gewesen. Von daher ist es logisch, dass der nächste Parteitag anders zusammengesetzt ist als der vorherige. Zum anderen Parteitag sind jeweils in der Mehrheit andere Mitglieder gewählt worden. Andererseits sollen Personen, die für einen Parteitag einberufen wurden, nicht für eine Tätigkeit belangt werden?

Die Frage ist nun, wer hauptsächlich von diesem Terror bedroht wurde.

N. Holmberg gibt in seinem Buch „Die friedliche Konterrevolution“ auf Seite 30 folgendes Beispiel aus Leningrad:

„Eine Angabe zeigte auf, dass von den 1094 Personen, die in Leningrad bis zum 16. März 1936 verhaftet und wegen sowjetfeindlicher Tätigkeit oder Spionage für ausländische Mächte angeklagt wurden, 547 frühere Generäle der Zarenarmee und der weißgardistischen Armeen, 142 frühere zaristische Beamte, 133 frühere Beamte der zaristischen Polizei, 41 frühere Prinzen, 109 frühere Grafen und Barone, 68 frühere Gutseigentümer, 35 frühere Industrieeigentümer und 19 frühere Kaufleute waren“

Man sieht es handelte sich Ausschließlich um Reste der Ausbeuterklassen!

Es ist auch Fakt, dass einige KPD-Mitglieder Opfer solcher willkürlichen Verurteilungen wurden.

Welchen Anteil an diesen Verurteilungen die neue deutsche Parteiführung der KPD seit der 'Brüsseler Konferenz' von 1935 und die damalige Kaderabteilung der Kominternführung, sei an einigen Beispielen dargestellt:

Nehmen wir den Fall des deutschen Kommunisten Willi Budich.

Budich hatte schon 1919 den so genannten 'M-Apparat' der KPD gegründet ('Militärapparat' oder Nachrichtenapparat der KPD). Er entwickelte sich zu einer ganz wichtigen Organisation im Kampf gegen den reaktionären und später gegen den Naziterror in der Weimarer Republik. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 wurde Budich inhaftiert, in der Haft schwer misshandelt und gefoltert, so dass er halbblind wurde und ihm die Beine gebrochen wurden. Er blieb standhaft und verriet niemanden, wurde entlassen und ging nach Moskau ins Exil (August 1933). Hier wurde er jedoch wie viele andere, die Ähnliches durchgemacht hatten, nicht mit offenen Armen empfangen, sondern vom NKWD verhört. Warum? Weil es vom stellvertretenden Leiter der Kaderabteilung der Komintern am 23. Februar 1934 über den 'Verdacht' informiert worden war, dass er 'im Diente der deutschen Polizei' stehe. Die Kaderreferentin der KPD, bei dieser Kaderabteilung der KI, Grete Wilde, die zum Kreis der später, auf der Brüsseler Konferenz in Moskau bestimmten neuen Führung der KPD um Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht gehörte, hatte Teschernomordik ein geheimes Dossiers zukommen lassen, das dieser dann an den NKWD-Offizier Genkin schickte mit der Bitte: 'Wir ersuchen, die Angelegenheit Budich zu überprüfen'. Budich wurde aufgrund des Dossiers am 19. September 1936 vom NKWD verhaftet und beschuldigt, 'nach seiner Ankunft in Moskau im Auftrage der Gestapo mit der von dem deutschen Terroristen Erich Wollenberg (der ebenfalls Mitglied des alten Militärapparats der KPD gewesen war - G.) geleiteten antisowjetischen Organisation konterrevolutionäre Verbindungen aufgenommen zu haben'.

Budich wurde am 22. März zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tage erschossen'. (Hermann Weber, u.a. 'Terror', München 1998, S. 143f).

Hier also mal ein konkretes Beispiel für einen unschuldig Verurteilten.

Ebenso erging es dem ehemaligen Sekretär des Führers der alten KPD bis 1933, Ernst Thälmann, Werner Hirsch, der für 'Teddy' viele Reden und Vorlagen schrieb und mit ihm zusammen Anfang März in seiner illegalen Wohnung in Berlin verhaftet worden war.

Auch er habe 'mit der Gestapo' zusammen gearbeitet', so hieß es seitens der Kaderabteilung. Alle Versuche von Hirsch, dies zu widerlegen, scheiterten am Einspruch von Wilhelm Pieck. Die Broschüren, die Hirsch noch für Pieck geschrieben hatte - eine zu Klara Zetkin - durften nach diesem Verdikt nicht mehr erscheinen.

Die Grundlage für solche Schnellverfahren durch das NKWD bildeten Dossiers und 'Charakteristiken' über Emigranten, die gerade in Moskau angekommen waren, durch einen Vertrauten der neuen KPD-Führung von Ulbricht und Pieck. Er hieß Herbert Wehner und machte später, nach dem Kriege in der SPD Karriere, wurde später Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen. Er gehörte nach Ausschaltung der Thälmann-Leute aus dem ZK der KPD auf dem 'Brüsseler Parteitag' vom Oktober 1935 mit zum engsten Führungskreis. Er erhielt unmittelbar nach diesem Parteitag, den Auftrag von der Kaderabteilung, 'Charakteristiken' über unliebsame Leute wie Hans Kippenberger, Erich Birkenhauer, Wahls u.a. zu verfassen, die die neue Linie der KPD nicht mittrugen, sondern an der alten thälmannschen Linie festhalten wollten. Wehners Angaben dienten dann später als Grundlage für die Übergabe dieser Marxisten-Leninisten an das NKWD. Kippenberger wurde als 'Sektierer' diffamiert und in den laufenden Prozess gegen den Trotzkisten Heinz Neumann miteinbezogen und 1937 mit ihm zusammen zum Tode verurteilt.

Die Eingaben eines Herbert Wehner, einen Ulbrichtianer, hörten sich so an:

'Außerdem sind die führenden Leute dieser Gruppe verbrecherische Feinde. Im Spezialfall des Genossen Schulte will ich daran erinnern, dass auch der Genosse Ulbricht auf der 'Brüsseler Konferenz' schärfsten Einspruch gegen seine Verwendung erhob und dass gegen ihn ein Verfahren eingeleitet werden musste, für das ich aufgefordert wurde, Unterlagen zu liefern.'
(Reinhard Müller, 'Die Akte Wehner', Berlin 1993, S. 313, Wehner in einem Schreiben an Pieck).

Wehner lieferte eifrig das Material. Der als 'Sektierer' bezeichnete Fritz Schulte, wurde aufgrund seiner Denunziation als 'aktiver Teilnehmer der antisowjetischen Neumann-Gruppe' bezeichnet und später hingerichtet. Als 'Beweis' seiner 'parteifeindlichen' Betätigung, hieß es in einem Verzeichnis der Kaderabteilung der KPD, die sich ab 1935 fest in den Händen der neuen revisionistischen KPD-Führung befand:

'Er schickte an die Kaderabteilung im August einen Brief mit Angriffen gegen Pieck und Weber, der dem Sekretariat übergeben wurde. Er hat Verbindung zu Richter, Blank, Gold, Süssking.'
(Hermann Weber, ebd., S. 138).

Den Moskauer Prozess von August 1936 gegen das trotzkistisch-sinowjewistische Zentrum gegen Kamenjew, Sinowjew und andere, auf dem auch der persönliche Referent von Wilhelm Pieck, dem neuen KPD-Führer seit der 'Brüsseler Konferenz', Fritz David zum Tode verurteilt wurde, weil er den Auftrag Trotzkis, Stalin auf dem 7. Weltkongress zu erschießen, entgegengenommen hatte, aber nicht ausführen konnte, weil er nicht an ihn herankam, nimmt Pieck, gegen den nun auch Untersuchungen laufen, zum Anlass zurückzuschießen: Um seine Kritiker loszuwerden, setzt er eine Direktive bei der Komintern durch, wonach, einzelne Emigranten aus der Sowjetunion über die Tschechoslowakei wieder nach Deutschland zur 'illegalen Arbeit' zurückkehren sollen. Dazu schreibt Reinhard Müller:

'Bei dieser Säuberung nahm die KPD-Führung in Moskau bewusst in Kauf, dass diese 'Remigranten' in Deutschland Gefahr liefen, wieder verhaftet zu werden. Zudem erklärte Wilhelm Pieck den Prager und Pariser Mitgliedern des Politbüros, dass man in Moskau 'wegen der geschilderten Umstände nicht geneigt ist, noch weitere faulen Elemente herzulassen.'
(Reinhard Müller, ebd., S. 183f).

Müller weiter:

'Nach der erfolgten Ausweisung und der Ankunft in Berlin verübte Otto Walther, seit 1908 Lithograph in Russland, Teilnehmer an der Oktoberrevolution und seither im sowjetischen Pressewesen tätig, durch einen Sturz aus dem Fenster Selbstmord.'
(Ebd., S. 184).

Und am 22. August 1937 stellt das unter dem Befehl von Jeschow stehende NKWD wie auf Bestellung fest, dass

'die überwältigende Mehrheit der in der UdSSR lebenden Ausländer Organisatoren von Spionage und Diversion' seien. Die Aufenthaltserlaubnis für Ausländer solle nach Ablauf ihrer Gültigkeit nicht mehr verlängert werden. Auf Grund eines weiteren Befehls Jeschows, der Direktive 00439, wurden dann im Jahre 1938 insgesamt 31080 Personen als 'deutsche Spione' verhaftet, in Schnellverfahren zum Tode oder zu Lagerhaft verurteilt.

In dem Jeschow-Befehl vom 15. August 1937 hieß es sogar:

'Nach Erhalt des vorliegenden Befehls beginnen Sie (gemeint die örtlichen Vollzugsorgane des NKWD) mit der Repressierung der Frauen, der durch das Militärkollegium und die Militärtribunale verurteilten Landesverräter. ... Aufgrund der gesammelten Materialen ist zusammenzustellen: ... b. eine getrennte kurze Information über sozial gefährliche und zu antisowjetischen Handlungen fähige Kinder, die älter als 15 Jahre sind, c. Namenslisten von Kindern unter 15 Jahre, und zwar in getrennten Listen: Kinder des Schul- und Vorschulalters'
(Befehl des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten vom 15. August 1937, in : Reinhard Müller, 'Menschenfalle Moskau', Hamburg 2001, S. 449).

Was jedoch die Opfer der KPD angeht so liegt noch viel im Dunkeln. Oben habe ich einige Beispiele aufgeführt, die von dem Historiker Hermann Weber geschildert wurden. Man muss hier aber nochmals erwähnen, dass Weber selber ziemlich unseriös in seinen Arbeiten ist. (siehe dazu sein Buch: „Weiße Flecken in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung“)

Über das Schicksal der oben genannten, kann ich nicht sagen ob dies zutrifft oder nicht. Bei anderen KPD-Mitgliedern, die nach Weber Opfer des Stalinismus wurden, handelt es sich aber offenbar um bewusste Lügen. Zu diesen zählen Max Hoelz, Willi Münzenbreg und Heinrich Vogeler (siehe Rote Fahne/MLPD Nr. 16/1989).

Es ist interessant, mal das Schicksal dieser 3 KPD-Männer näher zu betrachten:

Max Hoelz, ein Arbeiterführer der Weimarer Republik, ertrank am 1.9.1933 in einem Fluß; trotzdem übernimmt Weber die Behauptung, er sei ermordet worden mit der Formulierung : ’schon damals verlautete’. Die Quelle die er verschweigt, ist das Buch „Der verratene Sozialismus“ von Karl I. Albrecht, das 1941 in Nazideutschland erschien. Eine Hoelz-Biographie mit dem Tatsächlichen Sachverhalt erschien 1983 von M. Gebhardt im Verlag Neues Leben, Berlin

Willi Münzenberg, kommunistischer Verleger, brach 1939 mit der KPD und versuchte 1940 von Frankreich in die Schweiz zu fliehen. In einem Wald bei Chamonix wurde er erhängt aufgefunden – die politischen Differenzen mit der Sowjetunion sollen seitdem als „Beweis“ gelten, dass er von Kommunisten getötet worden sei.

Heinrich Vogeler, kommunistischer Maler, verstarb mit 69 Jahren am 14. 6. 1942 in einem sowjetischen Lazarett. Er war niemals angeklagt und bis zu letzt aktives Parteimitglied. Sein Leben erforschte Werner Hohmann „Heinrich Vogeler in der Sowjetunion 1931 – 1942“ Galerie-Verlag

Unter den angeblichen Opfern, die „ebenfalls als verschollen gelten“, führt Weber den Schauspieler Alexander Granach an. Er war verhaftet worden und kam durch ein Gesuch des Schriftstellers Lion Feuchtwanger an Stalin frei. In ihren Erinnerungen „Nur eine Frau“ (Knaur Verlag) beschreibt Marta Feuchtwanger, wie sich Granach später in Amerika bei ihrem Mann bedankte.

Um Sensation zu machen, behauptet Weber: „Insgesamt sind 4000 Personen … von den Behörden der Sowjetunion ‚abbefördert’ worden“ (S.83). seine Quelle ist das von den Nazis 1942 in Berlin herausgegebene Buch „Rückkehrer berichten über die Sowjetunion“.

Es zeigt sich hierbei, dass es während der Säuberungen zu schweren Fehlern kam, doch zeigt sich auch hier, dass antikommunistische Autoren auch viele Lügen, Gerüchte und Halbwahrheiten verbreiten.

Dass es unter den KPD-Opfern aber auch einige schuldige gab, deren Ziel es war Die Sowjetunion, die KPD zu zersetzen zeigen folgende Beispiele:

Karl I. Albrecht, seit 1924 als Spezialist in der Sowjetunion tätig, wurde 1932 unter Spionageverdacht verhaftet und verurteilt. 1934 wurde er begnadigt und kehrte nach Hitlerdeutschland zurück. 1938 veröffentlichte er das Buch „der verratene Sozialismus“ in Nibelungen Verlag Berlin-Leipzig, das bis zum heutigen Tage Antikommunisten vom Schlage Hermann Webers als „Quelle“ dient.

Nachdem er 1934 die Sowjetunion verlassen hatte, bekannte sich der ehemalige KPD-Militärspezialist Erich Wollenberg (1892 – 1973) laut Auskunft des Schriftstellers Harry Schulze-Wilde als Agent des französischen Geheimdienstes (Brief Schulze-Wildes vom 11. 2. 1975 an den Herausgeber der Europäischen Ideen, s. Heft 34/35, 1977, S. 122). Mehrere Verhaftungen in der Sowjetunion erfolgten damals aufgrund von Verbindungen mit dem Agenten Wollenberg.

Einige der verhafteten KPD-Mitglieder wurden – teils auf Verlangen der Nazis – von der Sowjetunion an Hitlerdeutschland ausgeliefert und stellten sich dort den Faschisten zur Verfügung – so der Sohn des im Reichstagsbrandprozess angeklagten KPD-Fraktionsvorsitzenden Ernst Torgler (1893 – 1963). Torgler hatte mit den Nazis kollaboriert, sein Sohn Kurt arbeitet nach der Überstellung ins Reich für die Wehrmacht als Übersetzer und fiel 1943 in der Sowjetunion.

Von daher sollte man dieses Thema mit großer Vorsicht behandeln!

Es war ein schwerwiegendes Versäumnis, dass über die Fehler beim Kampf gegen Konterrevolutionäre und Spione nie öffentlich gesprochen wurde. Bei den Angriffen auf Stalin und den Marxismus-Leninismus im Jahre 1956 konnte Chruschtschow sich das zunutze machen.

Wie man mit dieser zeit richtig umgehen sollte, so habe ich ein interessantes Zitat von Kurt Gossweiler gefunden:

"Wäre Chruschtschows Ziel nicht gewesen, Stalins Autorität ein für allemal zu zertrümmern, um nicht ständig an ihm gemessen zu werden, und um für seine konterrevolutionäre Kursänderung freie Bahn zu haben; und hätte zu seiner Absicht nicht auch gehört, der Überzeugung der Sowjetbürger in die Gerechtigkeit ihrer Sache und dem Stolz auf ihre Sowjetmacht einen schweren Schlag zu versetzen; hätte er wirklich nur im Sinne gehabt, den unschuldigen Opfern der "Säuberungen" Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die geschichtliche Wahrheit über die Zeit der Repressionen darzulegen, dann hätte in seinem Bericht etwa das Folgende gesagt werden müssen:

"1936, nach der Errichtung der faschistische Diktatur in Deutschland, nach der Aufrüstung des faschistischen Deutschland unter Duldung und sogar Mithilfe der Westmächte, nach dem Verrat der Westmächte an der spanischen Republik, standen wir vor der Gefahr, vom faschistischen Deutschland, - möglicherweise sogar im Einvernehmen mit den Westmächten, - überfallen zu werden und uns allein der stärksten Militärmacht der ganzen Kriegsgeschichte gegenübergestellt zu sehen, von der wir aus dem Spanienkrieg schon wussten, was sich dann in Norwegen und Frankreich später wiederholte, nämlich, dass der faschistischen Wehrmacht im Hinterland der überfallenen Länder "fünfte Kolonnen" von Quislingen und Verrätern zu Hilfe kamen.

Wie groß die Gefahr des Überfalles war, zeigte sich noch viel deutlicher mit dem Münchener Abkommen der Westmächte mit Hitler und der Auslieferung der Tschechoslowakei an ihn, mit der Weigerung der Westmächte, mit uns einen Vertrag über kollektive Sicherheit und gegenseitigen Beistand zur Bändigung Hitlerdeutschlands abzuschließen.

Unsere Vorbereitungen auf den faschistischen Überfall mussten also auch der Verhinderung der Bildung einer 5. Kolonne in unserem Hinterland gelten. Noch gab und gibt es bei uns Feinde der Sowjetmacht, einst von uns enteignete Kulaken und ihre Nachkommen, Reste der zerschlagenen Gruppe der Trotzkisten und anderen Oppositionsgruppen, - hatte doch Trotzki mehrfach in seinen Veröffentlichungen dazu aufgerufen, im Kriegsfalle den Aufstand gegen den "Stalinismus" zu beginnen; ferner Leute, die mit den Deutschen sympathisieren, z.B. unter den Wolgadeutschen oder bei bestimmten Nationalitäten, wie den Krimtataren und den Tschetschenen.

Also mussten wir angesichts der tödlichen Bedrohung alles tun, um es möglichen Feinden der Sowjetmacht unmöglich zu machen, im Hinterland mit Fünften Kolonnen den faschistischen Überfall zu unterstützen. Dabei mussten wir in Rechnung stellen und in Kauf nehmen, dass es bei Säuberungen so großen Ausmaßes, wie wir sie für notwendig erachteten, nicht auszuschließen war, dass auch Unschuldige, sei es wegen absichtlicher Falschbeschuldigungen feindlicher Elemente, sei es aus Übereifer örtlicher Organe, sei es durch Anlegen eines zu pauschales Rasters, in erheblichem Umfange von den Maßnahmen betroffen sein würden, wie es dann auch der Fall war.

Aber wir hatten damals abzuwägen, was schwerer wog: Wenn wegen ungenügender Sicherungsmaßnahmen die Sowjetmacht durch kombinierte Schläge der faschistischen Armeen und der Fünften Kolonnen zugrunde ging - oder wenn wir bei den Gegenmaßnahmen nicht nur echte Feinde, sondern auch Unschuldige und sogar eigene Leute treffen würden. Die Partei hat sich für die Sicherung des Landes als die allem anderen übergeordnete Pflicht entschieden.

Jetzt aber ist es an der Zeit, dabei begangenes Unrecht aufzuklären und zu beenden."

Eine typische Lüge antikommunistischer Hetzer ist die Behauptung, dass Stalin Antifaschisten an Hitler auslieferte. Es wird gesagt, dass im Rahmen des Vollzugs des Hitler – Stalin – Paktes 1939 über 800 deutsche Kommunisten an Hitler ausgeliefert wurden, die dann umgehend in deutschen KZs umgebracht wurden. Diese Behauptung ist rundweg falsch. Weder hat die Zahl eine reale Grundlage, noch gibt es einen Beweis, dass die an Deutschland ausgetauschten Gefangenen getötet wurden, noch wurden Kommunisten übergeben. In der Vorkriegssituation gelangte die Wühlarbeit der imperialistischen Geheimdienste gegen die Sowjetunion zu einem Höhepunkt. Eine ihrer Methoden war es, Spione in die Reihen der ausländischen Emigranten zu schleusen oder dort abzuwerben. Eine bisher offiziell nicht genau bekannte Zahl von ihnen wurde von ihnen enttarnt und verurteilt.

Solche Leute wurden im Rahmen eines Gefangenenaustausches mit Hitlerdeutschland entlassen. Darunter auch welche, die sich als Kommunisten bezeichneten. Die Bekannteste unter ihnen ist M. Buber-Neumann, die nach dem Krieg mehrer Bücher veröffentlichte, in denen sie ihre gegen die KPD und die sowjetische Führung gerichtete Tätigkeit beschrieb. Der frühere Kommunist A. Weissberg-Cybulski wurde nach der Übergabe 1940 von den Nazis freigelassen und schrieb später sein Anti-Stalin-Buch „Hexensabbat“.

Als Gegenleistung mussten die Hitlerfaschisten Kommunisten aus ihren Folterkellern in die Sowjetunion freilassen. Der Generalsekretär der ungarischen Kommunisten, Matyas Rakosi wurde so 1940 an die Sowjetunion ausgeliefert. Er war wegen seiner Teilnahme an der ungarischen Revolution 1918 zu lebenslanger Haft verurteilt worden und hatte über 10 Jahre Kerker hinter sich. Auch das SED-Politbüromitglied Hermann Axen ist ebenfalls nach westlichen Angaben im Zuge des Nichtangriffspaktes in die Sowjetunion haftentlassen worden.

Obwohl man nicht ausschließen kann, dass unter den an die Nazis übergebenen Häftlingen auch solche waren, die aufgrund falscher Angaben verurteilt wurden, bleibt die grundsätzliche Seite bestehen: Sie bestand in der korrekten Ausnutzung zwischenstaatlicher Beziehungen zur Stärkung der revolutionären Bewegung.

Stalin nutzte den 18. Parteitag der KPdSU, B für die Abrechnung mit Jeschow. Roy Medwedjew, nicht gerade ein Anhänger Stalins, aber fair genug, die Einzelheiten der Jeschow-Absetzung zu schildern, schreibt in seinem Buch 'Das Urteil der Geschichte', Bd. 2, Berlin 1992:

'Stalin zu Jeschow: 'Als du gespürt hast, dass du selbst erwischt wirst, da bist du angerannt gekommen. Und vorher? Wer hat die Verschwörung ausgeheckt? Wer wollte Stalin umbringen? Führende Mitglieder des NKWD haben eine Verschwörung vorbereitet und du hattest angeblich nichts damit zu tun! Denkst du, ich sehe nichts?! fuhr Stalin fort. 'Erinnere dich doch mal, wen du dann zu Stalin zum Dienst geschickt hast! Wen? Mit Pistolen! Wozu braucht man bei Stalin Pistolen? Um Stalin zu töten.

Und wenn ich es nicht bemerkt hätte? He?!'

Dann beschuldigte Stalin Jeschow, er sei übereifrig gewesen, hätte viele Unschuldige verhaften lassen und andere gedeckt.

'Na geh! Ich weiß nicht, Genossen, ob er Mitglied im ZK bleiben kann. Ich habe meine Zweifel. Natürlich - denkt darüber nach. Wie Ihr wollt, aber ich habe meine Zweifel!'

Jeschow wurde dann einstimmig von der Liste der ZK-Kandidaten gestrichen.'
(Ebenda, S. 147).

Trotz seiner unglaublichen Verbrechen, die er zusammen mit den Revisionisten aus anderen Parteien, besonders aus der deutschen und zusammen mit der Kaderabteilung des EKKI, also der Komintern, die oft das Material für Verurteilungen im Schnellverfahren lieferte, wurde Nikolai Jeschow nicht sofort erschossen. Es wurden ausführliche Ermittlungen angestellt. Zwei Jahre nach seiner Verhaftung, 1940, wurde der dann zum Tode Verurteilte erschossen. Ganz anders hatten es die Jeschow-Leute gehalten: Ihre Gefangenen wurden im Schnellverfahren abgeurteilt, die oft nur 10 Minuten dauerten und noch am gleichen Tag auf dem NKWD-Schießplatz in der Nähe von Moskau erschossen.

Danach kam das Ende der 'Jeschowschina', die sämtliche Historiker und natürlich die Chruschtschow-Revisionisten, die eng mit Jeschow zusammenarbeiteten, Stalin nach dem 20. Parteitag in die Schuhe schoben. Ein Vertrauter Stalins, Lavrenti P. Beria aus Georgien, ein Marxist-Leninist, übernahm die Führung des NKWD Ende 1938, das nun nach vier Jahren, nach der Terrorherrschaft unter Jagoda (1934-1936) und Jeschow (1936-1938) wieder unter marxistisch-leninistischer Führung war. Es hatte noch bis 1934 unter der Leitung von Menschinski, einem Marxisten-Leninisten, der ebenfalls vom trotzkistischen Zentrum ermordet worden war, gestanden, was den Trotzkisten ermöglichte, ihren Kandidaten für die Nachfolge, Genrich Jagoda, durchzusetzen.

Unzählige Fälle wurden neu aufgerollt, viele unschuldig Verhaftete entlassen und rehabilitiert, wenn auch vielleicht nicht alle. Hier einige Beispiele:

„In den Städten und Dörfern der Sowjetunion ging die Zahl der willkürlichen Massenverhaftungen stark zurück." (R. Conquest, 'Der Große Terror', Harmondsworth 1971, S. 623 ff.). "Endlich ist es mit den Säuberungen vorbei, worauf ja schon die Ablösung von Jeschow durch Beria im Innenministerium hindeutete, die Hinrichtung von fünf GPU-Funktionären in Kiew wegen groben Machtmissbrauchs ..., der aktuelle Prozess gegen vier GPU-Leute in einer mittelsibierischen Stadt, die über 150 Kinder, darunter einige unter 12 Jahren, wegen 'Terrorismus' inhaftiert hatten aufgrund von Artikel 58, das Theaterstück, das gerade in Moskau aufgeführt wird und die Auswüchse der Säuberungen einem begeisterten Publikum darbietet und schließlich die Rückkehr von Hunderten, wenn nicht Tausenden von politischen Gefangenen." ('The Times', 27. Februar 1939, S. 11).

Diese Tatsachen beweisen folgendes: der „Terror“ war definitiv kein „Plan“ Stalins und der Sowjetregierung, ihr Land zu terrorisieren. Im Gegenteil, Leute die solche Verbrechen begangen hatten, Leute die nicht davor scheuten sogar Kinder als Terroristen anzuklagen, solchen Leuten wurde der Prozess gemacht. In einem faschistischen Staat wie Hitler-Deutschland, waren solche Verbrechen nicht nur an der Tagesordnung, sondern auch gebilligt und belohnt!


Das NKWD wurde jetzt wieder zu dem Instrument, das es eigentlich immer seit der Oktoberrevolution hätte sein sollen: ein Instrument der Diktatur des Proletariats zur Verteidigung der Arbeitermacht gegen die Konterrevolution. Es war lange Zeit ein Instrument der Konterrevolution gegen die Sowjetmacht und gegen die marxistisch-leninistischen Kräfte aus dem Ausland gewesen. Stalin musste seinen eigenen Geheimapparat unter der Leitung seines Vertrauten Poskrebytschew aufbauen, weil er sich auf das revisionistisch dominierte NKWD nicht mehr verlassen konnte. Die Unterlagen, die Stalins eigenes Nachrichtenbüro gesammelt hatte, wurden dann den Gerichten vorgelegt. Diese Nachrichtenarbeit war es, die die Beweise gegen das trotzkistische Zentrum erbrachten.

Redet man über den Terror in den Jahren 1936 bis 1937, so kommt man auch nicht darum über die Zahl der Opfer zu sprechen. Die bürgerliche Propaganda schreibt von millionenfachen Verhaftungen und Erschießungen. Manche Leute gehen ja soweit, dass ihre Opferzahl höher ist als die der sowjetischen erwachsenen Bevölkerung. Wie hoch war die Zahl der während der Säuberungen erschossenen und oder verhafteten? Wie hoch war die Zahl der GULag-Häftline und um was für Häftlinge handelte es sich hierbei?

Archivzahlen belegen aber das absolute Gegenteil, von dem was uns bürgerliche Propagandisten berichten wollen:

Folgender Artikel von Andrea Schön „Geschichtslügen- Fundamente des Antistalinismus“ (erstmals erschienen in Offen-siv, Heft 7/2002) wird hier zum großen Teil wieder gegeben.

Nazis lancieren Opfer-Legende

Bevor die aufgedeckten statistischen Daten genauer betrachtet werden, sei zunächst ein kurzer Blick auf die Entstehungsgeschichte der Opferlegende geworfen.

Wie bereits 1925 in Hitlers "Mein Kampf" angekündigt, galt die Ukraine als die "Kornkammer" für das "Volk ohne Raum" und damit als eines der wichtigsten Kriegsziele des deutschen Faschismus im Osten. Um den kriegerischen Feldzug propagandistisch vorzubereiten, startete Göbbels eine Hetzkampagne gegen die Bolschewiken der Ukraine, die angeblich ihr Volk einer bewußt von Stalin provozierten Hungerkatastrophe auslieferten. Die Kampagne erwies sich allerdings als allzu durchsichtig im Hinblick auf die dahinter stehenden faschistischen Kriegsziele.

Unterstützung nahte jedoch von William Hearst, dem Gründer der Regenbogenpresse in den USA, dem in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts 25 Tageszeitungen, 24 Wochenzeitungen, 12 Radiostationen, eine der ersten Fernsehstationen und 2 Nachrichtenagenturen gehörten. Die Gesamtauflage der Zeitungen betrug 13 Millionen Exemplare pro Tag und wurde von einem Drittel der erwachsenen Bevölkerung in den USA gelesen. 1934 wurde der ultra-konservative Nationalist und Antikommunist Hearst von Hitler als Gast und Freund empfangen. Nach diesem Besuch waren Hearsts Zeitungen plötzlich voll von Horrorstories über die Sowjetunion – von angeblichem Völkermord über Fälle von Sklaverei, einer im Luxus schwelgenden Führung etc. Das Material lieferte die Gestapo.

Zu den ersten Kampagnen gehörte die besagte über die ukrainische Hungersnot: "6 Millionen Menschen sterben Hungers in der Sowjetunion", titelte die Chicago American am 18.2.1935 und lancierte Berichte, wonach diese von den Bolschewiki absichtlich herbeigeführt worden sei. (Nebenbei: Der dafür bezahlte Lohnschreiber nannte sich Thomas Walker, ein angeblich weitgereister Journalist, der jahrelang die Sowjetunion durchquert hatte. Wir kommen auf ihn noch zurück.)

Tatsächlich wissen wir, daß der Beginn der dreißiger Jahre von heftigen Klassenauseinandersetzungen auf dem Lande geprägt war: Arme, landlose Bauern revoltierten gegen die Kulaken, reiche Landbesitzer, um die Bildung von Kolchosen (Genossenschaften) durchzusetzen. Ein großer Teil der Kulaken wiederum versuchte seinerseits die Einbringung seines riesigen Privateigentums an Boden und Landwerkzeugen in die Kolchosenwirtschaft zu verhindern – indem er sein Vieh abschlachtete, durch Sabotageaktionen oder durch gezielte Unterwanderung der Kolchosen. Insgesamt waren 120 Millionen Bauern in diese heftigen Klassenkämpfe verwickelt. Die Partei hatte dabei die extrem schwierige Aufgabe, die Massenbewegung zur Enteignung der Kulaken in geordnete Bahnen zu lenken und zugleich die Landfrage als Klassenfrage grundsätzlich zu lösen (d.h. die Enteignung der Kulaken durchzusetzen). Insbesondere die Zusammenstöße mit rechten Nationalisten in der Ukraine führten zu heftigen Nahrungsmittelengpässen. Aber es war gerade diese reaktionäre Clique, die die Nazis während der Besatzung in ihrem Völkermord an den Juden unterstützte und nach dem Zweiten Weltkrieg im U.S.-amerikanischen Exil zynischerweise die Mähr vom "ukrainischen Holocaust" in die Welt setzte, der auch noch der Opferzahl der Juden entsprach: 6 Millionen (vgl. dazu Martens, S. 129 ff).

Opfer-Legende zum Zweiten

Die Lügen der Nazis überstanden den Zweiten Weltkrieg, indem sie vom amerikanischen und vom britischen Geheimdienst (CIA und MI5) kultiviert wurden und immer einen bevorzugten Platz in der Propaganda gegen die Sowjetunion einnahmen. Auch McCarthys Hexenjagd in den fünfziger Jahren basierte auf den Märchen der Millionen Hungertote in der Ukraine. 1953 erschien in den USA ein Buch mit dem Titel "Black Deeds of the Kremlin" (Die schwarzen Taten des Kreml), finanziert von in die USA geflüchteten ukrainischen Nazi-Kollaborateuren. Während der US-Präsidentschaft von Ronald Reagan in den Achtzigern wurde dieselbe Propaganda-Platte erneut aufgelegt, und 1984 erhielt diese durch das Buch eines Harvard-Professors mit dem Titel "Human Life in Russia" (Leben in Rußland) wissenschaftliche Weihen. Im Jahre 1986 erschien ein weiteres Buch zum Thema, diesmal von einem ehemaligen Mitglied des britischen Geheimdienstes, Robert Conquest, seines Zeichens Professor an der Stamford University in Kalifornien, mit dem Titel "Harvest of Sorrow" (in deutscher Übersetzung: Ernte des Todes). Für dieses Werk erhielt Robert Conquest 80.000 US-Dollar von der faschistischen Ukraine National Organisation, die 1942 in der Ukraine eine Partisanenarmee zur Unterstützung der Nazis aufbaute und deren Mitglieder zum größten Teil als Polizisten, Hinrichtungskommandos, Partisanenjäger und örtliche Verwaltungsbeamte für die Gestapo oder die SS gearbeitet hatten (vgl. Martens, S. 127). Diese Organisation finanzierte im übrigen auch 1986 einen Film mit dem Namen "Harvest of Despair" (wörtlich: Ernte der Verzweiflung), der u.a. auf Conquests Material basiert. Zu jenem Zeitpunkt hatten die angeblichen Hungertoten der Ukraine bereits eine stattliche Zahl von 15 Millionen erreicht.

Ein Lichtblick in dem immer wieder neu aufgelegten Lügengespinst ist die Veröffentlichung von Douglas Tottle, einem kanadischen Journalisten, dessen Buch mit dem Titel "Fraud, Famine and Fascism, The Ukrainian Genocide Myth from Hitler to Harvard" (Fälschung, Hunger und Faschismus, Der Mythos vom ukrainischen Völkermord von Hitler bis Harvard) 1987 in Toronto erschien und materialreich die hartnäckig konservierte Lügenpropaganda widerlegte. Unter anderem konnte er nachweisen, daß diverse Autoren, darunter Conquest, Fotos von hungernden Kindern verwendet haben, die nachweislich aus dem Jahre 1922 stammen - Folgen des Interventionskrieges gegen die Sowjetunion! Des weiteren weist Tottle nach, daß Thomas Walker, jener Journalist, der für die Horrorberichte der Ukraine verantwortlich zeichnete, in Wirklichkeit auf den Namen Robert Green hörte, ein entlaufener Strafgefangener aus dem Staatsgefängnis von Colorado war und vor Gericht zugab, niemals in der Ukraine gewesen zu sein. Und ausgerechnet die Berichte des eigentlichen Moskau-Korrespondenten der Hearst-Presse, Lindsay Parrott, z.B. über die ausgezeichnete Ernte in der Sowjetunion im Jahre 1933 und die erzielten Fortschritte in der Ukraine, seien nie veröffentlicht worden. Parrott hielt sich 1934 in der Ukraine auf und konnte nach dem erfolgreichen Erntejahr keinerlei Anzeichen einer Hungersnot bemerken (Tottle; zit. n. Martens, S. 116).

Conquest und Solschenizyn - Opferlegende zum Dritten

Nach wie vor zu den berühmtesten Autoren über Millionentote in der Sowjetunion gehört Robert Conquest, der eigentliche Schöpfer aller Mythen und Lügen, die nach dem Zweiten Weltkrieg Verbreitung fanden. Seine bekanntesten Bücher sind "The Great Terror" (Der große Terror) von 1969 und "Harvest of Sorrow". Danach sind nicht nur Millionen Menschen in der Ukraine Hungers gestorben, sondern ebenso in den Arbeitslagern des Gulag und im Zuge der Moskauer Prozesse 1936-38. Die Quellen von Conquest sind exilierte Ukrainer in den USA, eine illustre Gesellschaft, die den rechtesten Parteien angehörte und die Nazis im Zweiten Weltkrieg unterstützte. Viele der Helden von Conquest sind bekannt als Kriegsverbrecher, die am Genozid an der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine 1942 beteiligt waren, darunter der verurteilte Kriegsverbrecher Mykola Lebed, Sicherheitschef in Lwow während der Besatzung. Er wurde unter die Fittiche der CIA genommen, der er als "Informations"quelle zur Verfügung stand.

Conquests Vergangenheit als ehemaliger Agent in der Desinformationsabteilung (Information Research Department (IRD)) des britischen Geheimdienstes – zuständig für das gezielte Lancieren von "Informationen" in der ausländischen Presse - wurde am 27.1.1978 in einem Artikel des Guardian enthüllt. Das IRD wiederum erhielt traurige Berühmtheit durch seine Verstrickung in den Rechtsextremismus, weshalb es seine Tätigkeit 1977 einstellen mußte. Bis dahin gelang es ihm, mehr als 100 der bekanntesten Journalisten Großbritanniens - von der Financial Times, The Times, dem Economist, dem Daily Mail und Daily Mirror, The Express, The Guardian etc. - mit Desinformationsmaterial zu versorgen. Robert Conquest arbeitete für den IRD bis 1956 mit der Aufgabe, zur sogenannten "schwarzen Geschichte" der Sowjetunion beizutragen. Auch nachdem Conquest offiziell den Dienst verlassen hatte, schrieb er seine Bücher mit dessen Unterstützung. So bestand "The Great Terror" im wesentlichen aus Material, das er in seiner Zeit beim Geheimdienst gesammelt hatte, und erschien mit Unterstützung des IRD. Conquests Hauptadressaten waren nützliche Idioten wie Universitätsprofessoren und Medienleute, die seinen Lügen ein breitestmögliches Publikum bescherten.

Ein weiterer berühmter "Gulag"-Autor ist der hinlänglich bekannte Alexander Solschenizyn, der wegen konterrevolutionärer Aktivitäten in Form von Verbreitung antisowjetischer Propaganda 1946 zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt worden war. Er vertrat die Ansicht, daß der Krieg gegen Nazideutschland durch einen Kompromiß mit Hitler zu verhindern gewesen wäre, und klagte die sowjetische Regierung und Stalin an, angesichts der schrecklichen Kriegsfolgen eine noch schlimmere Rolle als Hitler gespielt zu haben. Solschenizyn machte keinen Hehl aus seinen Nazisympathien. Mit Zustimmung und Hilfe Chruschtschows begann er 1962 mit der Veröffentlichung seiner Bücher, 1970 erhielt er für seinen "Archipel Gulag" den Nobelpreis für Literatur, 1974 emigrierte er in die Schweiz und anschließend in die USA. Dort wurde er gerne als Vortragsreisender herumgereicht, u.a. zum AFL-CIO Gewerkschaftskongreß im Jahre 1975 geladen und am 15.7.1975 sogar vor den US-Senat zur Einschätzung der Weltlage. Er agitierte für eine erneute Intervention in Vietnam (nach der Niederlage der USA!) zur Befreiung der angeblich Tausenden von gefangenen und versklavten U.S.-Soldaten sowie für einen amerikanischen Einmarsch in Portugal angesichts der sogenannten Nelken-Revolution 1974. Konsequenterweise betrauerte er die Befreiung der portugiesischen Kolonien in Afrika und propagierte die weitere Aufrüstung der USA gegen eine Sowjetunion, die angeblich über fünf- bis siebenmal so viele Panzer und Flugzeuge verfügte und über zwei- bis drei-, wenn nicht fünfmal so viele Atomwaffen. Besonders pikant: Im spanischen Fernsehen warnte er 1976 vor demokratischen Liberalisierungen u.a. mittels Verweis auf die 110 Millionen Opfer des russischen Sozialismus. Solschenizyns Sympathie für das ehemalige Zarenregime, die russisch-orthodoxe Kirche und seine pro-faschistischen Äußerungen ließen ihn als antisozialistischen Propagandisten schließlich in den Augen kapitalistischer Meinungsmacher erheblich an Wert verlieren (vgl. Sousa).

Die statistischen Methoden der Opferzähler

Conquest, Solschenizyn sowie der ebenfalls hinlänglich bekannte "Antistalinist" Roy Medwedew verwendeten für ihre Opferzählungen statistisches Material aus der Sowjetunion, z.B. nationale Volkszählungen. Auf diese wurde ungeachtet der konkreten Situation im Lande noch ein statistischer Bevölkerungszuwachs geschlagen. Daraus ergab sich eine Soll-Einwohnerzahl für die jeweils betreffenden Jahre. Die Differenz zu den Ist-Zahlen bedeutete danach entweder Tod oder Gefangenschaft. Tottle beschreibt diese Methode an folgendem Beispiel: "Nimmt man die Angaben der Volkszählung des Jahres 1926 (...) und diejenigen der Erfassung vom 17. Januar 1939 (...) sowie einen jährlichen Wachstumsdurchschnitt vor der Kollektivierung (2,36%), so kann errechnet werden, daß die Ukraine (...) im Zwischenzeitraum dieser beiden Volkszählungen 7,5 Millionen Menschen verloren hat" (zit. n. Martens, S. 122). Es ist klar, daß jeder halbwegs ernst zu nehmende westliche Wissenschaftler sich gegen eine solche Methode verwahren würde – ginge es nicht um die Sowjetunion. (Die Ukraine hatte im Jahre 1939 nicht einmal die gleichen Grenzen wie 1926, abgesehen von weiteren Faktoren wie Geburtenrückgang infolge des Interventionskrieges, Wechsel von eingetragener Nationalitätszugehörigkeit, Migrationen etc.)

Conquest errechnete auf diese Weise 1961 6 Millionen Hungertote in der Sowjetunion zu Beginn der 30er Jahre und erhöhte diese Zahl 1986 auf 14 Millionen. Für die Moskauer Prozesse allein errechnete er sieben Millionen Gefangene 1937-38 und eine Gesamtzahl von 12 Millionen politischen (!) Gefangenen in den Arbeitslagern im Jahre 1939 (im Jahre 1950 soll es abermals 12 Millionen politische Gefangene in der SU gegeben haben). Die gewöhnlichen Kriminellen haben nach Conquest diese Zahl noch bei weitem übertroffen, so daß in den Arbeitslagern angeblich 25-30 Millionen Gefangene saßen. Von den politischen Gefangenen seien zwischen 1937 und 1939 eine Million ermordet worden, weitere zwei Millionen seien Hungers gestorben. Einschließlich "statistischer Anpassungen" kam Conquest auf insgesamt 12 Millionen getötete politische Gefangene zwischen 1930 und 1953. Zusammen mit den Hungertoten der dreißiger Jahre ergibt das 26 Millionen Todesopfer auf das Konto der Bolschewiken (Stalin).

Die Phantasiezahlen erschienen in der bürgerlichen Presse der sechziger Jahre als Fakten, die angeblich auf wissenschaftlich-statistischen Methoden beruhen, und – obwohl maßgeblich aus dem Hause CIA/MI5 stammend - wurden bzw. werden sie bis heute von weiten Teilen der westlichen Bevölkerung (einschließlich der Linken) als bare Münze genommen. Gerade von jenen sich als links, progressiv, marxistisch etc. verstehenden Kreisen sollte man annehmen, daß sie die Quellen jeder Berichterstattung über die SU schon aus Prinzip unter die Lupe nehmen anstatt zwanghaft jeden Horrorbericht (insbesondere über die "Stalinzeit") nachzuäffen.

Doch die Situation verschlimmerte sich noch wesentlich unter Gorbatschow. Bis 1990 konnten Figuren wie Solschenizyn, Sacharow und Medwedew in der Sowjetunion niemanden mit ihren Hirngespinsten beeindrucken. Als dann aber die "freie Presse" eröffnet wurde, galt alles Oppositionelle und gegen den Sozialismus Gerichtete plötzlich als positiv und berichtenswert – mit desaströsen Folgen: Eine unglaubliche Inflation der angeblich Verhafteten und Getöteten setzte ein, und nach dem Motto "Wer bietet mehr?" verstieg man sich schon bald in die zig Millionen "Opfer der Kommunisten". Die Hysterie der von Gorbatschow protegierten "freien Presse" spülte wieder die Lügen von Conquest und Solschenizyn an die Oberfläche und forderte die Öffnung der Archive.

Gorbatschow öffnet die Archive und die Opferlegende zerbricht. Der offizielle Bericht über das sowjetische Strafsystem

Als im Jahre 1990 schließlich Gorbatschow die Archive des Zentralkomitees der KPdSU für historische Studien öffnen ließ, geschah etwas sehr Merkwürdiges: Die so lange Zeit ersehnte Öffnung der Archive, die allen Todesopferspekulanten die endliche Bestätigung ihrer mühsamen Rechnereien verheißen hatte, wurde plötzlich mit völligem Desinteresse und Grabesstille in den Medien quittiert.

Die Forschungsergebnisse, die die russischen Historiker W.N. Zemskow, A.N. Dugin und O.W. Xlewnjuk (Schreibweise aus dem Englischen übertragen!) seit 1990 in wissenschaftlichen Fachzeitschriften vortrugen, blieben völlig unbeachtet. Die Forschungsergebnisse gelangten nie über die engen professionellen Kreise der Fachzeitschriften hinaus und waren damit unfähig, die allgemeine Opferhysterie der großen Medien auch nur anzukratzen.

Auch im Westen wurden die Ergebnisse der Archivöffnung ignoriert und fanden sich weder in den großen Blättern der Printmedien noch in irgendeinem Fernsehsender. Die linke Presse dokumentierte ebenfalls wenig sichtbares Interesse an den Forschungsergebnissen, nicht zu reden von offizieller Revidierung bis dato unkritisch kolportierter Schauermärchen zum Thema "Verbrechen des Stalinismus". Was war geschehen?

Der offizielle Bericht über das sowjetische Strafsystem umfaßt beinahe 9.000 Seiten. Es haben viele Autoren daran mitgearbeitet, zu den bekanntesten zählen die genannten russischen Historiker Zemskow, Dugin und Xlewnjuk. Im Westen wurde der Bericht als Ergebnis der Zusammenarbeit von Forschern aus verschiedenen westlichen Ländern vorgestellt. Die Daten, auf die sich Mario Sousa bezieht und die wie eingangs erwähnt das eigentliche Thema dieses Artikels sind, wurden im Jahre 1993 veröffentlicht:

- in der französischen Zeitschrift "L'Histoire" (Die Geschichte) von Nicholas Werth, Forschungsleiter des französischen Forschungszentrums Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS – Nationales wissenschaftliches Forschungszentrum)

- in der Zeitschrift "American Historical Review" (Amerikanische Geschichtsbetrachtung) von J. Arch Getty, Geschichtsprofessor an der Universität von Kalifornien, Riverside, zusammen mit G.T. Rettersporn, einem CNRS-Forscher, sowie dem russischen Wissenschaftlicher Zemskow vom Institut für russische Geschichte an der russischen Akademie der Wissenschaften

Mario Sousa weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, daß keiner der beteiligten Forscher dem sozialistischen Lager zuzurechnen ist, es sich vielmehr um bürgerliche, zum Teil offen reaktionäre Forscher handelt – mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, daß diese ihre wissenschaftliche Integrität über jede ideologische Befangenheit stellen, d.h. keine Datenfälschung im Interesse ihrer ideologischen Orientierung bzw. ihres Geldbeutels betreiben.

So geben die Daten reichhaltig Auskunft zu den folgenden Fragestellungen:

-Bestandteile des sowjetischen Strafsystems

-Anzahl der politischen und nicht-politischen Gefangenen-Anzahl der Todesopfer in den Arbeitslagern

-Anzahl der Todesurteile vor 1953, insbesondere in den Säuberungen der Jahre 1937-38

-durchschnittliche Dauer der Gefängnisstrafen

Der Gulag

Ab 1930 zählten zum sowjetischen Strafsystem Gefängnisse, die Arbeitslager und Arbeitskolonien des Gulag sowie spezielle offene Bereiche und Geldstrafen.

Die Untersuchungshaft fand in den normalen Gefängnissen statt. Die Strafen bei einem Schuldspruch reichten von einer Geldstrafe in Form eines bestimmten Prozentsatzes vom Lohn für einen definierten Zeitraum über eine Haftstrafe bis hin zum Todesurteil.

In die Arbeitslager wurden jene geschickt, die ein schweres Verbrechen begangen hatten (Mord/Totschlag, Raub, Vergewaltigung, Wirtschaftskriminalität etc.), sowie ein großer Teil der wegen konterrevolutionärer Aktivitäten Verurteilter. Auch jene, die zu mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden, konnten in Arbeitslager geschickt werden. Umgekehrt konnten Gefangene nach einer bestimmten Zeit im Arbeitslager in eine Arbeitskolonie oder in einen speziellen offenen Bereich überführt werden.

1940 gab es 53 Arbeitslager, in denen die Inhaftierten in großen Gebieten unter strenger Aufsicht arbeiteten.

Es gab 425 Arbeitskolonien, d.h. viel kleinere Einheiten als die Arbeitslager, mit einem freieren Reglement und weniger Aufsicht. Hierhin kamen Gefangene mit kürzeren Haftstrafen, deren Verbrechen bzw. politische Vergehen weniger schwerwiegend waren. Sie arbeiteten als gleichberechtigte Bürger in Fabriken oder auf dem Land und bildeten einen Teil der Zivilgesellschaft. In den meisten Fällen gehörte der gesamte Arbeitslohn dem Gefangenen, er war damit seinen Kollegen gleichgestellt.

Die speziellen offenen Bereiche waren in der Regel landwirtschaftliche Gebiete, in die Kulaken verbannt wurden, die im Zuge der Kollektivierung enteignet worden waren. Außerdem kamen dorthin auch Gefangene, die minderschwere Verbrechen begangen hatten.

454.000 sind nicht 9 Millionen!

Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht über die in den jeweiligen Lagern bzw. Gefängnissen zwischen 1934 und 1953 Inhaftierten, darunter den Anteil der wegen politischer Verbrechen Verurteilten sowie alle Todesopfer:

z. 1.

Januar

Arbeits-lager

politische

Gefangene

Anteil in %

Ge-storben

Anteil in %

  vorzeitig

entlassen

Ent-kommen

Arbeits-kolonie

Gefäng-

nisse

Häftlinge

insgesamt

1934

510.307

135.190

26,5

26.295

5,2

147.272

83.490

 

 

510.307

1935

725.438

118.256

16,3

28.328

3,9

211.035

67.493

240.259

 

965.697

1936

839.406

105.849

12,6

20.595

2,5

369.544

58.313

457.088

 

1.296.494

1937

820.881

104.826

12,8

25.376

3,1

364.437

58.264

375.488

 

1.196.369

1938

996.367

185.324

18,6

90.546

9,1

279.966

32.033

885.203

 

1.881.570

1939

1.317.195

454.432

34,5

50.502

3,8

223.622

12.333

355.243

350.538

2.022.976

1940

1.344.408

444.999

33,1

46.665

3,5

316.825

11.813

315.584

190.266

1.850.258

1941

1.500.524

420.293

28,7

100.997

6,7

624.276

10.592

429.205

487.739

2.417.468

1942

1.415.596

407.988

29,6

248.877

18,0

509.538

11.822

360.447

277.992

2.054.035

1943

983.974

345.397

35,6

166.967

17,0

336.135

6.242

500.208

235.313

1.719.495

1944

663.594

268.861

40,7

60.948

9,2

152.113

3.586

516.225

155.213

1.335.032

1945

715.506

283.351

41,2

43.848

6,1

336.750

2.196

745.171

279.969

1.740.646

1946

600.897

333.833

59,2

18.154

3,0

115.700

2.642

956.224

261.500

1.818.621

1947

808.839

427.653

54,3

35.668

4,4

194.886

3.779

912.794

306.163

2.027.796

1948

1.108.057

416.156

38,0

27.605

2,5

261.148

4.261

1.091.478

275.850

2.475.385

1949

1.216.361

420.696

34,9

15.739

1,3

178.449

2.583

1.140.324

 

2.356.685

1950

1.416.300

578.912

22,7

14.703

1,0

216.210

2.577

1.145.051

 

2.561.351

1951

1.533.767

475.976

31,0

15.587

1,0

254.269

2.318

994.379

 

2.528.146

1952

1.711.202

480.766

28,1

10.604

0,6

329.446

1.253

793.312

 

 

2.504.514

1953

1.727.970

465.256

26,9

5.825

0,3

937.352

785

740.554

 

2.468.524

 

______________

Quelle: "Custodial Population 1934-1953" (Bevölkerung in Gewahrsam in der UdSSR 1934-1953), The American Historical Review

Aus diesen Zahlen läßt sich eine Reihe von Schlußfolgerungen ableiten:

Zunächst kann man sie mit den Daten von Robert Conquest vergleichen. Wir erinnern uns, daß nach Conquests Behauptung im Jahre 1939 12 Millionen politische Gefangene in den Arbeitslagern gewesen und davon 3 Millionen in der Zeit von 1937 bis 1939 ums Leben gekommen sind.

Und Conquest spricht in diesem Zusammenhang ausschließlich von politischen Gefangenen!

Im Jahre 1950 gab es nach Conquest ebenfalls 12 Millionen politische Gefangene. Wie man nun ersehen kann, stimmen seine Daten nicht einmal entfernt mit den recherchierten Archivdaten überein. 1939 betrug die Gesamtzahl aller Gefangenen in allen Formen des Gewahrsams insgesamt 2 Millionen. Von diesen waren 454.000 politischer Verbrechen für schuldig befunden – nicht 12 Millionen wie Conquest behauptet, und rund 165.000 starben zwischen 1937 und 1939 im Arbeitslager – nicht etwa 3 Millionen; das sind in diesem Zeitraum 5,3% aller Arbeitslagerinsassen. Zum leichteren Überblick:

Im Zeitraum

nach Behauptung Conquests

nach Archivdaten

1939

12 Mio. politische Gefangene in Arbeitslagern

454.432

1937-39

3 Mio. tote politische Gefangene

166.424Tote insgesamt

1950

12 Mio. politische Gefangene

578.912

Insgesamt lebten im angegebenen Zeitraum 2,5 Millionen Sowjetbürger in Gefangenschaft, d.h. 2,4% der erwachsenen Bevölkerung - sicherlich keine geringe Zahl und ein Indikator für die noch bestehenden Widersprüche in der Gesellschaft. Trotzdem lag die Zahl noch unter der der imperialistischen Hauptmacht. Ein Vergleich mit den Daten aus den USA: 1996 gab es im reichsten Land der Welt 5,5 Millionen Gefangene, d.h. 2,8% der erwachsenen Bevölkerung.

Nun zur Frage der Todesopfer. Der prozentuale Anteil der im Arbeitslager Verstorbenen variiert im angegebenen Zeitraum zwischen 0,3% und 18%. Die Todesursachen waren im wesentlichen auf die allgemeine Mangelsituation im Lande zurückzuführen, insbesondere die medizinische Versorgungslage zur Bekämpfung von Epidemien. Das betraf damals allerdings wie erwähnt nicht nur die Sowjetunion, sondern auch alle entwickelten Länder. Erst mit der Erfindung des Penicillin während des Zweiten Weltkrieges wurde ein wirksames Mittel gegen ansteckende Krankheiten geschaffen. Tatsächlich waren es wiederum die Kriegsjahre, in denen die Hälfte aller Todesfälle im untersuchten Zeitraum zu verzeichnen war. Nicht zu vergessen die 25 Millionen Todesopfer, die "in Freiheit" starben. Der systematische Rückgang der Todesopfer nach dem Zweiten Weltkrieg (nominal und prozentual) ist denn auch auf die verbesserte medizinische Versorgung zurückzuführen.

Todesurteile und Hinrichtungen

Robert Conquest behauptet, die Bolschewiken hätten 12 Millionen politische Gefangene in den Arbeitslagern zwischen 1930 und 1953 getötet. Davon sei 1 Million bei den Säuberungen 1937 und 1938 umgekommen. Solschenizyn spricht gar von zig Millionen Toten in den Arbeitslagern, davon 3 Millionen allein 1937/38. Diese Zahl wurde im Zuge der "Wer bietet mehr?"-Kampagne unter Gorbatschow noch weit übertroffen. So nennt die Russin Olga Schatunowskaja etwa 7 Millionen Tote während der 1937/38 Säuberungen.

Die Daten aus diversen Archiven sprechen hingegen eine andere Sprache: Man muß dabei berücksichtigen, daß die Forscher sich verschiedener Quellen bedienten und diese miteinander abglichen. Dabei waren Doppelzählungen sicherlich nicht zu vermeiden. So wurden beispielsweise nach Dimitri Wolkogonow, von Jeltzin als Verantwortlicher für die Sowjetarchive ausersehen, 30.514 Personen bei Militärtribunalen in den Jahren vom 1.10.1936 bis 30.9.1938 zum Tode verurteilt. Eine andere Zahl stammt vom KGB: Nach Informationen, die im Februar 1990 der Presse freigegeben wurden, sind in den 23 Jahren zwischen 1930 und 1953 786.098 Menschen wegen Verbrechen gegen die Revolution zum Tode verurteilt worden, davon 681.692 in den Jahren 1937 und 1938. Diese Zahlen bedürfen allerdings noch der Überprüfung. Nach den vorliegenden Daten aus den Archiven schätzt Mario Sousa die Zahl der tatsächlich vollstreckten Todesurteile 1937-38 auf ca. 100.000. Viele Todesurteile seien in Haftstrafen umgewandelt worden bzw. basierten auf Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung.

Schließlich bleibt noch die Frage nach der durchschnittlichen Dauer der Strafe in einem Arbeitslager. Die antikommunistischen Propagandisten erwecken den Eindruck, daß ein Strafgefangener normalerweise das Arbeitslager nicht überlebte bzw. endlos lange gefangen gehalten wurde. Es zeigt sich jedoch, daß die Strafzeit in der Stalinzeit für den größten Teil der Gefangenen maximal 5 Jahre betrug. So erhielten nach der American Historical Review 82,4% der gewöhnlichen Kriminellen im Jahre 1936 Haftstrafen von bis zu 5 Jahren und 17,6% zwischen 5 und 10 Jahren. Von den politischen Gefangenen erhielten 44,2% Haftstrafen bis zu 5 Jahren und 50,7% zwischen 5 und 10 Jahren. Für 1939 liegen von sowjetischen Gerichten folgende Zahlen vor: 95,9% bis zu 5 Jahre, 4% zwischen 5 und 10 Jahre und 0,1% über 10 Jahre.

Was die Kulaken betrifft, so wurden 381.000 Familien, d.h. 1,8 Millionen Menschen im Zuge der Enteignung in die Verbannung geschickt, wovon der kleinere Teil Arbeit in den Lagern oder Kolonien verrichten mußte. Aufgrund heftiger Klassenauseinandersetzungen zwischen den Kulaken und den ärmeren Bauern, die schließlich darin gipfelten, daß die Großbauern Kolchosfarmen überfielen, Bauern und Parteiarbeiter töteten, Felder anzündeten und Vieh abschlachteten, um Hungersnöte zu provozieren, wurden schließlich 1,8 Millionen der 10 Millionen Kulaken verbannt oder verurteilt. Bei diesen Klassenzusammenstößen waren wie erwähnt 120 Millionen Menschen involviert, so daß mit Sicherheit in diesem Zusammenhang auch manche Ungerechtigkeiten geschehen sind.

Die Säuberungen von 1937

Die Moskauer Prozesse waren der Endpunkt langjähriger Auseinandersetzungen mit Trotzki und seinen Anhängern, die die Beschlüsse des ZK kritisierten, umgingen, sabotierten und grundsätzlich nicht die innerparteilichen Mehrheitsverhältnisse akzeptierten. Das führte schließlich zu Kampfmitteln jenseits offizieller Diskurse: Industriesabotage, Spionage für den potentiellen Kriegsgegner (Deutschland, Japan) und schließlicher Landesverrat (Vereinbarungen zwischen Leo Trotzki und der deutschen Reichswehr bzw. Reichsregierung über die Abtretung großer Landesteile der Sowjetunion im Falle einer Naziinvasion, Umsturz der bestehenden und Ersetzung durch eine trotzkistische Regierung); vgl. u.a. Kahn & Sayers, Drittes Buch, S. 215 ff. Die Untersuchung der Umstände der Ermordung Kirows brachten nach und nach das verschwörerische Netzwerk ans Tageslicht.

Eine weitere Verschwörung fand in der Armee um Marschall Tuchatschewski statt, die eine Säuberung in der Roten Armee nach sich zog. Auch hierzu liegen von Conquest Horrorzahlen vor: Danach wurden 15.000 Offiziere und 20.000 Kommissare (d.h. die Hälfte der angeblich 70.000 Offiziere und politischen Kommissare der Roten Armee) gefangen genommen und entweder hingerichtet oder zu lebenslanger Haft in den Arbeitslagern verurteilt. Der Historiker Roger Reese gibt in seiner Arbeit "The Red Army and the Great Purges" (Die Rote Armee und die großen Säuberungen) hingegen folgende Fakten: Im Jahre 1937 gab es 144.300 Offiziere und politische Kommissare in Armee und Luftwaffe und 282.300 im Jahre 1939. Während der Säuberungen 1937/38 wurden 34.300 Offiziere und Kommissare aus politischen Gründen entlassen. Bis zum Mai 1940 wurden allerdings 11.596 rehabilitiert und wieder in ihre Posten eingesetzt. Das heißt, zu den Entlassenen zählten 22.705 Offiziere und Kommissare (davon 13.000 Armeeoffiziere, 4.700 Luftwaffenoffiziere und 5.000 politische Gefangene). Das sind insgesamt 7,7% aller Offiziere und Kommissare, wovon wiederum nur ein geringer Teil als Verräter verurteilt wurde, während der Rest ins zivile Leben zurückkehrte.

Insgesamt wird die Verfolgung der Konterrevolution als Klassenfrage unter anderem anhand der Zugehörigkeit politischer Gefangener zu bestimmten Berufsgruppen deutlich. So nennt Medwedew u.a.: Juristen, Verwalter im Erziehungswesen, Biologen, technische Intelligenz, Betriebsleiter, Chefingenieure, Maler, Schauspieler, Musiker, Architekten und Filmschaffende – klein- bis großbürgerliche Intelligenz. Das Wesen der "Repression" hat sich demnach von Lenin zu Stalin nicht geändert – daher im übrigen auch der Hinweis bürgerlicher Kritiker, bereits Lenin habe Verrat an den marxistischen Prinzipien begangen, Stalin habe das Ganze nur noch ins Monströse gesteigert. Tatsächlich war und ist die Bekämpfung der Konterrevolution die zentrale Klassenfrage, die Machtfrage der proletarischen Revolution, die Frage von Sein oder Nichtsein einer sozialistischen Gesellschaft. Sie ist mithin keine moralische Frage, zumal eine Revolution der denkbar ungünstigste Zeitpunkt ist, metaphysische Überlegungen über den Wert eines Menschenlebens anzustellen. Das mag zynisch klingen, ist darum aber weder weniger wahr noch wirklich: Der Imperialismus tötet täglich in der Dimension von Millionen; kein Mittel darf daher gescheut werden, diese Mordmaschinerie WIRKSAM außer Kraft zu setzen – damit die Menschheit endlich ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen kann und alsbald KEINE Opfer mehr zu zählen sind.

Andrea Schön, Dortmund

P.S. Noch ein Hinweis von Kenneth Neill Cameron, ehemaliger Professor an der New York University: In der Pariser Commune von 1870 war die Arbeiterklasse sich noch nicht der Brutalität bewußt, mit der die Bourgeoisie versucht, die verlorene Macht zurück zu gewinnen - wenn's sein muß, mit Hilfe ihrer erbitterten Feinde. Das Ergebnis: 30.000 Leichen säumten die Straßen von Paris, Bürgertum und Monarchie triumphierten. Dieser Erfahrung sollte man sich auch in Zukunft bei einem erneuten "Anlauf" wieder erinnern.

 

Literatur:

Cameron, Kenneth Neill: "Stalin - Man of Contradiction" (Stalin - Mann der Widersprüche), NC Press Limited, Toronto 1987
Martens. Ludo: "Stalin anders betrachtet", EPO VZW Verlag, Berchem/Belgien 1998
Sayers, Michael und Kahn, Albert E.: "Die große Verschwörung", Verlag Volk und Welt, 1949
Sousa, Mario: "Lies concerning the history of the Soviet Union", in: Proletären (Schweden), April 1998

(Andrea Schön: Fundamente des Antostalinismus)

Vielleicht sollte hier noch einiges zu den sogenannten Arbeitslagern der Sowjetunion (GULAGS) gesagt werden. Diese Art des Strafsystems in der Sowjetunion wird gerne dafür benutzt zu sagen, dass auch die Sowjetunion ihre KZs hatte, die mindestens genauso schlimm, wenn nicht sogar schlimmer waren als die KZs der Nazis, da Hitler ja bekanntlich nur fremde Völker in die KZs sperrte, Stalin dort sein eigenes Volk als billige Arbeitskräfte missbrauchte. Als bestes Beispiel für die Gleichsetzung von GULags und KZs werden Bücher wie „Archipel Gulag“ von oben erwähnten Herrn Solschenizyn erwähnt. Dass solche eine perverse Gleichsetzung zweier unterschiedlicher Straflagersysteme nur der Relativierung der Verbrechen des Nazi-Regimes in Deutschland dient, zeigen folgende Argumente:

  • man sagt sowohl in den GULags als auch in den KZs saßen nur unschuldige Menschen die wegen ihrer Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer politischen Ansichten gesessen haben. Was die KZs betrifft so stimmt dies auch und niemand kann und wird dies widerlegen können, aber wie sah es in den sowjetischen Arbeitslagern aus? Wie beim Text von Andrea Schön erwähnt, saßen hier nicht nur politische Gefangene, sondern hier verbüßten alle Kategorien von Verbrechern ihre Straftaten. Dass es auch hier unschuldige Gefangene gab, wohl auch nicht wenige, ist nicht abzustreiten, doch waren sie in der Minderheit und hatten die Möglichkeit aus der Haft entlassen zu werden, wenn ihre Unschuld erwiesen wurde (siehe die Rehabilitierungen nach der Jeschowschina). Was die politischen Gefangenen betrifft, so wurden sie nicht verurteilt, weil sie eine andere Meinung hatten, sondern weil sie sich an terroristischen Aktivitäten beteiligten, die den sowjetischen Strafgesetzen, der sowjetischen Verfassung widersprachen!
  • Des Weiteren wird gerne behauptet, dass die Gulags kaum einer überlebt hat, dass wie in den KZs der Nazis Menschen gefoltert, ermordet, gedemütigt wurden. Dass es solche Fälle in den sowjetischen Arbeitslagern gab, dass tatsächlich Menschen von einigen NKWD-Wachmännern erleiden mussten, ist nicht abzustreiten. Wie häufig so was vorkam ist nicht abzuschätzen, aber das so was vorkam, heißt nicht gleich, dass es staatlich verordneter Terror war. Im Gegenteil war Folter in der UdSSR verboten und wurde strafrechtlich verfolgt. Wurden solche Fälle bekannt, dass einige Wachmänner ihre Gefangenen gefoltert haben, so wurden sie dementsprechend von ihrem Posten enthoben und rechtmäßig verurteilt. Zum anderen ist die Behauptung falsch. Dass die GULags extra eingerichtete Foltermaschinen waren, in der kein Mensch lebend raus kam. Die GULags waren spezielle Einrichtungen um Straftäter in die Gesellschaft wieder einzugliedern, indem sie sich an der gesellschaftlichen Produktion beteiligten, anstatt ihre Haftstrafe nur hinter Gittern zu verbringen. Die die aus den GULags nach ihrer meist unter 5 Jahren dauernden Haftstrafe entlassen wurden, konnten sie sich in das normale Leben integrieren, was heutzutage in den als menschlich bezeichneten JVAs in Deutschland oder anderen Gefängnissen den Exinsassen oft schwer fällt, da als Verbrecher verurteilte in solchen „demokratischen“ Staaten als Menschen 3. Klasse behandelt werden und nicht selten wieder zurück in die Kriminalität fielen. Die KZs der Nazis hingegen waren alles andere als Einrichtungen um Menschen „wieder ins normale Leben zurückzuführen“. Im Gegenteil waren die KZs und Vernichtungslager des Nazisfaschismus extra eingerichtete Tötungsmaschinen in denen Folter und andere Repressionen nicht nur an der Tagesordnung, sondern gesetzlich gebilligt waren, nicht nur die Gaskammern, in der Menschen, weil sie nicht in das arische ‚Menschenbild’ dieser ekelhaften Ideologie passten!
  • Ein weiterer Vergleich den mal allzu gerne als „Beweis“ für die Gleichheit zwischen KZ und Gulag herstellen möchte ist, dass man behauptet beide wären ARBEITSlager gewesen, in der Menschen als billige Arbeitskräfte eingesetzt wurden. Dies ist in vielerlei Hinsicht eine plumpe Lüge! Die KZs der Nazis dienten eindeutig nicht als Einrichtungen, in der Menschen als billige Arbeitskraft genutzt wurden. Und das aus folgendem Grund: in der offenen terroristischen Diktatur des Kapitals, was ja bekanntlich als Faschismus bezeichnet wird, ist der Mensch ohnehin eine billige Arbeitskraft, nicht zuletzt, weil sämtliche Rechte der Arbeiter, ihr Leben (was man in einer Faschistischen Diktatur ohnehin als ‚Vegetieren’ bezeichnen kann) zu verbessern, genommen werden. So was wie Streikrecht, Meinungsfreiheit, gewerkschaftlicher Zusammenschluß, Mindestlöhne oder Versicherung gab es nicht, somit waren Arbeiter ohnehin eine billige Arbeitskraft! Wozu also KZs einrichten um dort Menschen als billige Arbeitskraft zu nutzen, wenn die Firmen das ohnehin schon so weit es geht tun! Natürlich gab es in den KZs Zwangsarbeit, keine Frage, doch waren KZs nicht dafür eingerichtet. Die sowjetischen Gulags hingegen waren dafür eingerichtet, dass Menschen die Straftaten begangen haben nicht sinnlos hinter Gittern vegetieren, sondern die Möglichkeit nutzen konnten sich produktiv in die Gesellschaft einzugliedern. Diese aber als billige Arbeitskraft zu nutzen entspricht ebenfalls nicht der Wahrheit, denn auch Strafgefangene hatten die Möglichkeit sich gegen ungerechte Behandlung zu wehren, wurden ihren Leistungen entsprechend entlohnt etc. Konstantin Simonow schreibt in seinem Buch „Aus Sicht meiner Generation. Gedanken über Stalin“ hierzu folgendes: „ Unter dem Einfluß von Reportagen, Erzählungen und Stücken, entstanden nach Fahrten, die Schriftsteller im letz­ ten Jahr zum Weißmeer-Ostsee-Kanal unternommen hatten, schrieb ich das dilletantische Poem »Weißmeerkanal«, der Umerziehung von Häftlingen gewidmet. Teile davon wur­ den, nachdem ich das Poem etliche Male im Literaturaktiv vorgestellt hatte, vom Goslitisdat (Staatsverlag für Schöne Literatur) in einem Sammelband der Jungen herausgege­ ben. Zudem bekam ich im nächsten Urlaub von der Sektion Junger Autoren, die am Goslitisdat existierte, eine Studien­ reise, dazu ein bißchen Geld in die Hand gedrückt und fuhr als junger Arbeiterschriftsteller - ich hatte ja in der Tat drei Jahre Praxis als Arbeiter hinter mir - zum Weiß­meerkanal, um mit eigenen Augen zu sehen, was dort vor­ ging, und eventuell mein Poem neuzufassen, das, das merkte ich selber wohl, mir bestenfalls in einigen Partien geglückt war. Der Bau des Weißmeerkanals und der Bau des Moskwa­- Wolga-Kanals, der sofort nach Fertigstellung des ersteren in Angriff genommen wurde, galten damals allgemein wie auch für mich nicht nur als Bauvorhaben, sie galten als hu­ mane Umerziehungsschulen, die aus schlechten Menschen gute, aus Kriminellen Fünfjahrplanerbauer heranbilden sollten. Durch die Zeitungen wie auch durch ein Buch, das von einem Schriftstellerkollektiv nach großer kollektiver Reise 1933 zum just fertig gestellten Kanal geschrieben wurde, zog sich als roter Faden ebendieses Thema - Umer­ ziehung der Kriminellen. Über die kleinen Straftäter wurde viel weniger geschrieben, obwohl es doch viel mehr waren, doch Journalisten wie auch Schriftsteller fanden sie weni­ ger interessant. Vergleichsweise wenig las man auch über die aus allen Landesteilen hergeschickten vormaligen Kula­ ken, obwohl davon doch auch viele hier waren, nicht weni­ ger als die Kriminellen, eher mehr. Etwas eingehender - dieses Thema war nicht zu umgehen - fanden die vormali­ gen Schädlinge Erwähnung, die auf den Baustellen die ver­ schiedensten Ingenieursposten bekleideten. Nach der ihnen gewidmeten Aufmerksamkeit nahmen sie Platz zwei ein nach den Kriminellen. Doch wie dem auch sei, das alles war - aus der Sicht der Gesellschaft - etwas höchst Opti­ mistisches, Anstoß zur Bewußtseinswandlung, Gelegen­heit, Vergangenes vergessen zu machen, neu Schritt zu fas­ sen. Die alten Missetaten wurden vergeben, für außeror­ dentliche Arbeitsleistungen gab es Haftverkürzung und vorzeitige Entlassung, und manchmal gar wurden vorma­lige Häftlinge mit Orden ausgezeichnet. So im großen und ganzen sah man das, so stellte man sich das alles vor. Ich fuhr also zum Weißmeerkanal, nicht, um das Leben in den Lagern, sondern, um die Umerziehung auf der Großbau­ stelle kennenzulernen. Das mag naiv klingen, war aber so. Der Kanal war schon fertig gestellt, jedenfalls sein erster Abschnitt, diverse Zusatzobjekte waren noch im Bau - an ihnen arbeiteten noch Zehntausende von Menschen. Stra­ßen wurden gelegt, Nebenwirtschaften schossen aus dem Boden, der Bauabfall wurde beseitigt, die Umgebung ver­ schönt. Eben zu dieser Zeit langte ich am Kanal an und ver­ brachte den größten Teil der vier Wochen, die ich hier war, in einer der Lageraußenstellen, belegt vorwiegend mit Leu­ ten, die in unterschiedlichster Weise straffällig geworden waren. Der Chef KWTsch (Sektor Kultur und Erziehung) der Außenstelle stellte mir in seiner abgetrennten Barac­ kenkammer eine Zusatzpritsche auf. Er war Moskauer und Strafgefangener, ebenso wie alle andern hier in dieser Außenstelle. Ich weiß nicht, nach welchem Paragraphen er einsaß, einem politischen allem Anschein nach, dem 58er, antisowjetische Agitation, nach ihm kam man damals ins Lager wegen Beteiligung oder angeblicher Beteiligung an trotzkistischer oder generell linker Opposition. Ich habe ihn nicht nach dem Paragraphen gefragt. Daß er Strafgefan­gener war, habe ich erst später erfahren, er trat auf wie ein erfahrener Parteiagitator. Er war ein netter Kerl, dreißig, al­lem Anschein nach hatte er einen ziemlich günstigen Ein­fluß auf die kriminellen und halbkriminellen Elemente, die die Arbeiterklasse dieser Außenstelle bildeten. An mir nahm niemand sonderliches Interesse, ich war knapp neunzehn und unterschied mich im Äußeren kaum von den andern hier - allenfalls, daß ich einer der Jüngsten war. Als dann bekannt wurde, ich sei Arbeiterautor und schreibe Gedichte, gaben sie sich jovial, schulterklopfend - na dann, los, schreib über uns -, sie hatten keine langen Strafen und arbeiteten gut, da sie sich dadurch Haftverkür­ zung und baldige Entlassung versprachen. Ich war, zuge­geben, mit mir beschäftigt, meinem Poem, meinen Versen, war überhaupt ein grüner Junge noch sozusagen und kehrte von dieser, nach heutigen Begriffen wundersamen Lagerreise nach Hause zurück ohne Gewissensskrupel, im Gegenteil, im Wunsch, das Poem über die Umerziehung von Häftlingen neu zu schreiben; im Gefühl, wenn auch nur kurz, aber doch mit eigenen Augen erlebt zu haben, wie das tatsächlich vor sich ging; in der Gewißheit, so müsse es wohl vor sich gehen - wie sonst in einer Gesell­ schaft wie der unseren könne man einstige Verfehlungen gutmachen außer durch Arbeit? Mit den Schädlingen der Ingenieurelite hatte ich keine Gelegenheit zusammenzutreffen; von einem allerdings hörte ich durch eine Bekannte unserer Familie - ihr Mann, den sie einige Jahre zuvor geheiratet hatte, vormals Pionier und dem Vernehmen nach unter der Provisorischen Regie­rung umständehalber letzter Kommandant des Winterpala­ stes, nach dem Paragraphen 58 verhaftet und verurteilt zu acht oder zehn Jahren Straflager, eingesetzt zwei oder drei Jahre als Chefingenieur an einem Bauabschnitt des Weiß­ meerkanals und dank glänzender bautechnischer Erfolge entlassen, ging dann, in freiem Arbeitsverhältnis stehend, als Chefingenieur an einen noch größeren Bauabschnitt des Moskwa-Wolga-Kanals. Informationen dieser Art haben meine Reiseeindrücke ergänzt.“ (S. 47f)
  • Des weiteren wird häufig gesagt, dass es doch so viele Beweise für die Unmenschlichkeit der Gulags gibt, und wer diese leugnet, der setzt sich gleich mit den Holocaust-Leugnern, die ebenfalls behaupten, dass es keine KZs gab. Diese Behauptung gehört wohl zu den dreistesten Lügen die man sich vorstellen kann. Kein Kommunist, der sich auf Stalin beruft, leugnet die Existenz der GULags. Aber was für glaubhafte Beweise gibt es denn? Was die KZs betrifft, so gibt es unzählige Dokumente, Zeugenaussagen, Statistiken, Bilder und Filmaufnahmen. Was weiß man über die GULags? Man kennt einige Fantasiegeschichten eines Herrn Solschenizyn. Warum sollen denn die Aussagen des bekannten GULag-Autors alles Lügen sein? Die Antwort liegt auf der Hand: welche Beweise legt denn der Herr Solschenizyn vor? Dokumente und Zeugen die nur er kennt und sonst niemand? Und soll man einem Herren der mit Hitler sympathisiert, der antisemitistische Sichtweisen hat, der das Abschlachten von einer Millionen Vietnamesen durch den US-Imperialismus lobt, glauben und so ein Subjekt als Märtyrer des Antistalinismus und als „Vorkämpfer“ der Menschenrechte feiern? Wer dies allen ernstes tut, der kann auch gleich Hitler, Goebbels, Göring und sonstiges faschistisches Dreckspack den Friedensnobelpreis überreichen und diese als Antifaschisten feiern!

Was die tatsächliche Lebenssituation in den GULags angeht, so schreibt Robert Thurston in seinem Buch „Life and Terror in Stalins Russia 1934 – 1941“ wesentlich objektiver. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Lebensverhältnisse in den Arbeitslagern erträglich waren, dass es Möglichkeiten gab gesellschaftlich produktiv zu arbeiten, dass es sogar Kultureinrichtungen, wie Theater, Büchereinen, Musikschulen etc. gab. Eine Ausnahme bildete (die Zeit des zweiten Weltkriegs 1941 – 1945 ausgenommen) die Zeitspanne 1936 bis 1937, in der sich die Lagerbedingungen verschlechterten, weil die Massenverhaftungen zu einer Überfüllung der Arbeitslager führten, und das die Wachmänner die Gefangenen schlechter behandelten aus dem Grund, weil man glaubte es handle sich hierbei tatsächlich um Schädlinge, deren Absicht es war die Sowjetunion zu zerstören. Anfang 1938 beklagt sich Andrej Wischinsky, Chefankläger der Moskauer Prozesse über die schlechten Lebensbedingungen in den Lagern und forderte die Bestrafung jener, die solche Zustände in den Lagern zuließen. Sofort wurden entsprechende Maßnahmen getroffen. Wachmänner, die für die schlechten Zustände zur Verantwortung gezogen wurden, wurde öffentlich der Prozess gemacht.

Oben wurde erwähnt, dass nach der Jeschowschina, es eine Welle der Rehabilitierungen gab. Wie sah es aber während dieser Säuberungen aus? Gab es dort die Möglichkeit sich zu wehr zu setzen? Die Behauptung, das NKWD sei eine privilegierte, administrativ-bürokratische Terrormaschine, ähnlich wie die Gestapo, der irrt. Es gab eindeutig die Möglichkeit, sich gegen eine Festnahme etc. zu wehren, hohe NKWD-Offiziere, die Korruption begangen, öffentlich zu kritisieren und von ihrem Posten abzusetzen (siehe dazu Robert Thurston: Life and Terror in Stalins Russia, Seite 91ff)

In den 30er Jahren, hatte das gesamte Justizwesen der UdSSR wesentliche Veränderungen durchgenommen. So beschreibt der oben erwähnte Robert Thurston – durch aus keine Freund des Kommunismus, aber ehrlich genug, sich an der Objektivität zu halten, dass Menschen gegen willkürliche Verhaftungen juristischen Schutz erhielten, Prozesse öffentlich gehalten wurden, Richter, Staatsanwälte, die sogenannten „Troikas“ von dem Massen gewählt wurden und ihnen Rechenschaft schuldig waren (Thurston, Seite 1 ff/ siehe dazu auch Pat Sloan: Sovjet Democracy, S. 108ff).

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Säuberung innerhalb der Partei. Dass es auch hier erhebliche Fehler gab und diese in der Partei nicht verschwiegen wurde, zeigt der Bericht von A. A. Shdanow auf dem 18. Parteitag der KPdSU 1939 „Abänderungen an Statut der KPdSU“:

„Die Abschaffung der Massenreinigungen

In den Thesen wird weiter die Abschaffung der Massen­reinigungen der Partei vorgesehen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß man jetzt auf sie verzichten kann und muß, und zwar aus folgenden Gründen.

Die Methode der Massenreinigungen, die zu Beginn der NÖP, in der Periode der Neubelebung der kapitalistischen Elemente, eingeführt wurde, um die Partei davor zu schützen, daß Leute in ihre Reihen eindrangen, die sich im Zusammen­hang mit der NÖP zersetzten, hat unter dein gegenwärtigen Verhältnissen, wo die kapitalistischen Elemente liquidiert sind, ihre Berechtigung verloren.

Es muß hier betont werden, daß die Massenreinigungen bei der Festigung der Partei eine gewaltige Rolle gespielt haben. Wenn unsere Partei heute eine weitaus organisiertere Kraft darstellt als je zuvor, wenn die Partei wesentlich gestärkt wurde durch die Reinigung ihrer Reihen von allem Unrat, so waren dabei die Massenreinigungen von großer Bedeutung.

Jetzt jedoch, da die kapitalistischen Elemente liquidiert sind, da in der Wirtschaft der Partei bolschewistische Ordnung geschaffen wurde, da sich die Partei bereits der unzuverläs­sigen und zweifelhaften Elemente entledigt hat, entspricht die Methode der Massenreinigungen offenkundig nicht den ver­änderten Verhältnissen, erfüllt sie nicht ihren Zweck.

Die Partei kann ihre Reihen von Leuten, die dem Programm und dem Statut der Partei zuwiderhandeln, auf dem gewöhn­lichen Wege säubern.

Die negative Seite der Massenreinigungen besteht darin, daß durch den kampagnenmäßigen Charakter der Massenreinigun­gen viele Fehler verursacht werden, vor allem im Sinne einer Verletzung des Leninschen Prinzips des individuellen Heran­gehens an die Menschen.

Die Methode der Massenreinigungen, die einen bestimmten Standard aufstellt und bei der die Menschen nach ein und dem­selben bestimmten Maß gemessen werden, fördert das formale Herangehen; sie bietet nicht die Möglichkeit, die Forderung der Partei, daß man sich gegenüber Parteimitgliedern, Mitarbeitern aufmerksam verhalte, vollauf zu verwirklichen und führt in der Praxis häufig zur Schmälerung der Rechte der Parteimitglieder.

Infolgedessen kam es bei den Massenreinigungen zu zahl­reichen unbegründeten Parteiausschlüssen; die feindlichen Elemente, die sich in die Partei eingeschlichen hatten, benutzten die Reinigungen, um gegen ehrliche Parteiarbeiter zu hetzen und ihnen Schläge zu versetzen.

Somit besteht jetzt, nachdem die Partei bereits eine große Reinigungsarbeit durchgeführt hat, für die Methode der Massenreinigung keine Notwendigkeit mehr. Davon zeugt die Tatsache, daß sich die größte Arbeit zur Säuberung der Partei v0na Volksfeinden, Treubrüchigen, Verrätern und Agenten des Faschismus nach den Massenreinigungen entfaltete. Das ist kein Zufall. Die neuen Methoden der Wühlarbeit der feindlichen Elemente, die sich in die Partei eingeschlichen hatten, bestanden in der Doppelzünglerei, darin, daß sie ihre Wühlarbeit durch ein äußerliches Einverständnis mit der Parteilinie bemäntelten, durch die äußerliche Bereitschaft, für die Partei­beschlüsse zu kämpfen. Es ist bekannt, daß sich die feindlichen Elemente in weitem Maße eines geräuschvollen Gebahrens, einer zur Schau getragenen Aktivität, der Speichelleckerei, der Schaffung einer Atmosphäre der Lobhudelei, feierlicher Reden; Begrüßungen usw. bedienten, um manche unserer Funktionäre zu täuschen und ihre Wachsamkeit einzuschläfern.

Folglich war die Methode der Massenreinigungen in bezug auf die feindlichen Elemente, die sich in die Partei einge­schlichen und ihr Feindesantlitz durch Doppelzünglerei und Betrug an der Partei getarnt hatten, wenig wirksam und ver­fehlte ihr Ziel.

Die Methode der Massenreinigungen richtete ihre Spitze, wie sich zeigte, hauptsächlich gegen die sogenannten passiven Parteimitglieder und führte dazu, daß ehrliche und gewissen­hafte Parteimitglieder aus der Partei ausgeschlossen wurden, weil sie angeblich passiv waren.

Während der Reinigung im Jahre 1933 machten die soge­nannten passiven Elemente die größte Gruppe unter den aus den Reihen der Partei Ausgeschlossenen aus. Die meisten Fehler wurden von den Parteiorganisationen gerade gegenüber den sogenannten passiven Elementen begangen. Zu den pas­siven Elementen wurden häufig ehrliche, treue Genossen, füh­rende Betriebsarbeiter gezählt. Zu den passiven Elementen wurden Genossen gezählt, die keine Parteiarbeit ausführten - und als solche galt häufig irgendeine nichtssagende Funktion-, die eine große Familie haben, die einige Male den Zirkel nicht besucht hatten oder solche, die bei den politischen Prüfungen irgendeine spitzfindige oder törichte Frage nicht beantwortet hatten.

Es erübrigt sich, Beispiele für unbegründete Ausschlüsse wegen Passivität anzuführen. In jeder Organisation gibt es ihrer nicht wenige.

Mit der Festigung der Partei fällt somit die Notwendigkeit der Massenreinigungen fort.

Die Partei verurteilte auf dem Februar-März-Plenum des ZK im Jahre 1937 und auf dem Januar-Plenum des ZK im Jahre 1938 die Praxis des formalen und seelenlos-bürokratischen Verhaltens zum Schicksal von Parteimitgliedern, zu den Fra­gen des Ausschlusses aus der Partei und der Wiedereinsetzung der Ausgeschlossenen in die Rechte von Parteimitgliedern. Bekanntlich wurde diese Praxis von karrieristischen Elemen­ten, die in die Partei eingedrungen waren, weidlich ausgenutzt, die danach trachteten, sich durch Parteiausschlüsse hervor­zutun und durch sie emporzukommen, ebenso wie von maskierten Feinden innerhalb der Partei, die bestrebt waren, durch breite Anwendung von Repressionsmaßnahmen ehrliche Parteimitglieder zugrunde zu richten und unnötigen Argwohn in den Reihen der Partei zu säen. Der Feind hatte seine Taktik geändert, er hakte an die Wachsamkeit an und trieb mit ihr Spekulation, indem er, gedeckt durch heuchlerische Reden Über Wachsamkeit, möglichst viele ehrliche Kommunisten zu treffen suchte, in der Absicht, gegenseitiges Mißtrauen zu säen und unsere Reihen zu desorganisieren.

Die Verleumdung ehrlicher Mitarbeiter unter der Flagge der „Wachsamkeit" ist gegenwärtig die verbreitetste Methode zur Tarnung und Maskierung der feindlichen Tätigkeit. Die noch nicht entlarvten Wespennester der Feinde sind vor allem unter den Verleumdern zu suchen.

Das Januar-Plenum des ZK der KPdSU (B) im Jahre 1938 traf eine Reihe von Maßnahmen, die der Praxis von Massen­ausschlüssen aus der Partei ein Ende setzen und ein differen­ziertes Herangehen an die Entscheidung von Fragen des Par­teiausschlusses oder der Wiederaufnahme Ausgeschlossener wirklich sicherstellen.

Das ZK ging von dem bekannten Hinweis aus, den Genosse Stalin auf dem Februar-März-Plenum des ZK im Jahre 1937 gab:

,.. Manche unserer führenden Parteifunktionäre kranken daran, daß sie es den Menschen, den Parteimitgliedern, den Mitarbeitern gegenüber an Aufmerksamkeit fehlen lassen. Mehr noch, sie studieren die Partei­mitglieder nicht, wissen nicht, welcher Art Leute es sind und wie sie sich entwickeln, kennen die Mitarbeiter überhaupt nicht. Darum fehlt es Ihnen an der individuellen Art des Herantretens an die Parteimitglieder, an die Parteifunktionäre. Und gerade deshalb, weil es ihnen an der individuellen Art des Herantretens bei der Beurteilung der Parteimit­glieder und Parteifunktionäre fehlt, gehen sie gewöhnlich aufs Gerate­wohl vor: sie loben sie entweder in Bausch und Bogen, ohne Maß, oder prügeln sie ebenso in Bausch und Bogen, ohne Maß, schließen sie zu Tausenden und Zehntausenden aus der Partei aus. Solche führenden Funk­tionäre sind überhaupt bestrebt, im Maßstab von Zehntausenden zu denken und kümmern sich nicht um den ,Einzelnen`, um die einzelnen Parteimitglieder, um deren Schicksal. Sie halten es für eine Lappalie, Tausende und Zehntausende aus der Partei auszuschließen und trösten sich damit, daß unsere Partei zwei Millionen Mitglieder hat und zehn­tausende Ausgeschlossener an der Lage der Partei nichts zu ändern vermögen. So aber können an Parteimitglieder nur Leute herantreten, die im Grunde genommen zutiefst parteifeindlich eingestellt sind.

Infolge dieser seelenlosen Haltung gegenüber Menschen, gegenüber Parteimitgliedern und Parteifunktionären wird bei einem Teil der Partei künstlich Unzufriedenheit und Erbitterung hervorgerufen, die trotzki­stischen Doppelzüngler aber machen sich geschickt an solche erbitterte Genossen heran und verstehen es, sie mit sich in den Sumpf des trotzki­stischen Schädlingswesens zu zerren."

Genossen! Ihr habt sicherlich beachtet, daß während der Diskussion über die Thesen zu den Abänderungen am Statut der KPdSU (ß) die Frage der Maßnahmen zum Kampfe gegen die Verleumdung ehrlicher Parteimitglieder nicht den letzten Platz einnahm. Im Zentralkomitee und in der Redaktion der „Prawda" ist ebenfalls eine große Anzahl von Briefen zu die­sem Thema eingelaufen.

Ich will einige Beispiele anführen, wie der Feind seine Tä­tigkeit unter der Flagge der „Wachsamkeit" ausübt.

Sekretär des Issaer Rayonkomitees der KPdSU (B) im Ge­biet Tambow war ein gewisser Kaljakajkin. Er schloß in kurzer Zeit von einer Gesamtzahl von 175 Mitgliedern der Partei­organisation 58 aus der Partei aus. Kaljakajkin ging dabei in folgender Weise vor: sobald er jemanden aus der Partei aus­geschlossen hatte, stellte er sofort die Frage, daß gegen alle Kommunisten, die zu dem Ausgeschlossenen in irgendeiner Beziehung standen, ein Parteiverfahren eingeleitet werde. Er arbeitete mit einem eigenartigen „Laufband". Auf Betreiben Kaljakajkins wurde zum Beispiel Nasarow aus der Partei aus­geschlossen, der sodann auf Verlangen des Rayonkomitees verhaftet wurde. Er blieb ungefähr sieben Monate in Haft und wurde dann von den Untersuchungsorganen freigelassen, da die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht bewiesen werden konnten. Während der Zeit aber, da Nasarow in Haft war, wurden seine Frau und 7 Kommunisten aus der Partei, 28 Komsomolzen aus dem Komsomol ausgeschlossen und 10 parteilose Lehrer ihres Postens enthoben, weil sie mit ihm in Ver­bindung gestanden hätten. Kaljakajkin wurde schließlich, wie das auch nicht anders zu erwarten war, als Volksfeind entlarvt, aus der Partei ausgeschlossen und verhaftet.

In der Parteiorganisation von Archangelsk wurde zum Beispiel ein so böswilliger Verleumder wie Prilutschny entlarvt; er hatte 142 Eingaben gegen Kommunisten geschrieben, von denen sich keine einzige bestätigte.

In Leningrad trieb lange Zeit die parteifeindliche Gruppe Napolskaja ihr Unwesen, die eifrig kompromittierendes Ma­terial gegen ehrliche Kommunisten „organisierte", gegen sie Eingaben an das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten schrieb und ehrliche Menschen ins Unglück zu stürzen suchte. Durch diese Gruppe wurden einige Dutzend ehrlicher Menschen verleumdet.

Gladkich, der frühere Sekretär des Rowdinoer Rayonkomitees der KPdSU(B), Gebiet Archangelsk, stellte jedem Kommunisten die Aufgabe, einen Volksfeind ausfindig zu machen und gab im voraus bekannt, daß „dabei keinerlei Überspitzungen herauskommen werden".

Im Rayon Kljutschi im Gebiet Aktjubinsk wurde von dem Volksfeind Peskowskaja der Parteiausschluß von 156 Kom­munisten organisiert, die 64 Prozent der gesamten Organisa­tion ausmachten. In der Kollektivwirtschaft „Progreß" dessel­ben Rayons wurde die gesamte Parteiorganisation, die aus 13 Mitgliedern bestand, aus der Partei ausgeschlossen.

Ihre Hauptanstrengungen richteten die Feinde darauf, die ehrlichen bolschewistischen Kader zu zerschlagen. Der Volks­feind Kudrjawzew, der sich bis zu seiner Entlarvung in einer der ukrainischen Parteiorganisationen auf leitendem Posten befand, erklärte in seinen Aussagen folgendes:

„Wir trachteten danach, eine möglichst große Zahl von Menschen aua der Partei auszuschließen. Wir schlossen auch Leute aus, bei denen es absolut keinen Grund zum Ausschluß gab. Das war einzig und allen) darauf berechnet, die Zahl der erbitterten Menschen zu vergrößern und damit die Zahl unserer Verbündeten zu vermehren."

Die Zerstörung des Parteiapparates gehörte ebenfalls zum Plan der Wühlarbeit der Volksfeinde. Folgendes sagte ein an­derer Volksfeind aus, der sich in der Ukraine durch Betrug in eines der Gebietskomitees der Partei eingeschlichen hatte.

„Im Verlaufe von fünf, sechs Tagen trieb ich den Apparat des Gebiets­komitees auseinander, setzte ich fast alle Abteilungsleiter des Gebiets­komitees ab, jagte 12 bis 15 Instrukteure davon und ersetzte sogar den technischen Apparat des Gebietskomitees durch neue Leute.

All dies tat ich unter der Flagge des Kampfes gegen Feinde und der Säuberung des Gebietskomitees der KP (B) der Ukraine von Leuten, denen es an Wachsamkeit fehlte. Nach der Säuberung` des Apparats des Gebietskomitees ging ich unter der gleichen Flagge daran, die Stadt­komitees und Rayonkomitees auseinander zujagen. In kurzer Zeit setzte ich 15 Sekretäre und eine ganze Reihe anderer Funktionäre ab, gegen die keinerlei kompromittierendes Material vorlag. Ich erweckte damit den Anschein eines Kampfes gegen die Feinde und erreichte gleichzeitig, daß eine Reihe von Kommunisten, die ich völlig grundlos von der Arbeit entließ, gegen die Partei erbittert wurde. Außerdem entließ ich auch eine Reihe von Teilnehmern unserer konterrevolutionären Organisation, ver­setzte sie auf niedrigere Posten und rettete sie so vor dem Auffliegen."

In manchen Organisationen wurden die Verleumder so dreist, daß sie überhaupt keine Hemmungen mehr kannten. In einem Rayon des Kiewer Gebiets wurde zum Beispiel der Verleumder Chanewski entlarvt. Von den zahlreichen Ein­gaben, die Chanewski gegen Kommunisten eingereicht hatte, bestätigte sich keine einzige. Dieser Verleumder ließ sich je­doch nicht aus der Fassung bringen und wendete sich in einer seiner „Enthüllungseingaben" an das Gebietskomitee der KP (B) der Ukraine mit der Bitte: „Ich bin im Kampfe gegen

die Feinde von Kräften gekommen und bitte deshalb, mir einen Platz in einem Kurort anzuweisen. (Lebhafte Heiterkeit.) Charakteristisch ist das Auftreten des Sekretärs des Parteikomitees ­ der Gebiets-Landabteilung, Nefedow, in einer Versammlung des Parteiaktivs von Irkutsk. Er teilt die Parteimit­glieder in drei Gruppen ein: „Die erste Figur", erklärt er, „ist derjenige, der sehr aktiv ist, er muß also überprüft werden, sicherlich führen die Spuren zum Feind. Die zweite Figur ist derjenige, dem ein ,Ballast`, ein schweres Gewicht, anhängt, es ist also klar, daß er zurückbleiben wird, das Gewicht behin­dert ihn; das muß ebenfalls berücksichtigt werden, er ist zu überprüfen, und die Spuren werden offenbar ebenfalls zum Feinde führen. Und die dritte Figur haben wir, wenn wir einen Menschen finden, der nicht um des Gewissens willen, sondern aus Angst arbeitet, da irrt man sicher nicht - es ist ein Feind." (lebhafte Heiterkeit.)

Wie, ihr seht, eine ganze „Theorie".

Die „Tätigkeit" mancher Verleumder nahm so große Aus­maße an, daß sie begannen, eine gewisse „Rationalisierung" einzuführen.

Da ist zum Beispiel Alexejew, Parteimitglied seit 1925, Leiter des Rayon-Parteikabinetts von Irbejskoje (Region Krassno­jarsk). Er arbeitete schlecht, verbrachte seine ganze Zeit mit dem Schreiben verleumderischer Eingaben gegen ehrliche Kommunisten und parteilose Lehrer. Hier gab es bei ihm so viel „Arbeit", daß er sich eine Liste mit speziellen Rubriken anlegte: „großer Feind", „kleiner Feind", „kleinerer Feind", „ganz kleiner Feind". (Allgemeine Heiterkeit.) Es erübrigt sich zu sagen, daß er im Rayon eine völlig unmögliche Situa­tion geschaffen hatte. Schließlich wurde er als Verleumder aus der Partei ausgeschlossen.

Beim Fall Alexejew dachte ich nach, an wen ein solcher Typ erinnert, und mir kam Sobakewitsch aus Gogols Erzählung „Die toten Seelen" in den Sinn. Bekanntlich waren für Sobakewitsch alle Menschen Gauner und Räuber. Als Tschitschikow Sobake­witsch gegenüber gestand, daß ihm in der Gouvernements­stadt der Polizeimeister wegen seiner Geradheit und Treuher­zigkeit am besten gefiel, antwortete ihm Sobakewitsch seelen­ruhig:

„Ein Gauner! Er wird Sie verkaufen und betrügen und sich noch mit Ihnen zu Tisch setzen. Ich kenne sie alle: alle sind sie Gauner, die ganze Stadt ist so: ein Gauner sitzt auf dem anderen und jagt dem dritten nach. Alle sind sie bereit, den Herrgott zu verkaufen. Es gibt dort nur einen einzigen anständigen Menschen - den Staatsanwalt, und auch der ist ein Schwein, wenn man die Wahrheit sagen soll." (Lachen im Saal.)

Offensichtlich leben Urenkel von Sobakewitsch auch in un­serer Zeit noch und haben sich hier und dort sogar in die Par­tei eingeschlichen. Man muß einen guten Besen nehmen und unser Parteihaus von solchem Unrat säubern! (Einmütiger Beifall.)

Das Bestreben, sich den lebendigen Menschen vom Leibe zu. halten, der Widerwille, die gegen ihn erhobenen Beschul­digungen sachlich zu untersuchen, bleibt nach wie vor die Krankheit sehr vieler führender Parteifunktionäre. Noch gibt es in unseren Parteiorganisationen nicht wenig Rückver­sicherer, Leute, die nur darauf bedacht sind, sich gegen aller­lei Eventualitäten zu sichern.

Besonders häufig kam es seinerzeit, und kommt es auch jetzt noch zu Parteiausschlüssen wegen „Beziehungen" zu Feinden.

Mit dieser Begründung wurde eine nicht geringe Zahl von ehrlichen Funktionären in Bausch und Bogen aus der Partei ausgeschlossen; ihre ganze Schuld bestand darin, daß sie sich infolge ihrer Arbeitsbedingungen mit Leuten treffen mußten, die sich später als Volksfeinde erwiesen, mit ihnen sprachen, mit ihnen „durch dieselbe Straße gingen".

Diese landläufige Formel -„Beziehungen zu Volksfeinden" - wurde von parteifeindlichen Elementen weitgehend aus­genutzt, um über ehrliche Kommunisten herzufallen. Diese Formel wurde in so breiter und verschwommener Auslegung

Gebraucht, daß die allerverschiedensten Dinge mit einbezogen wurden -- sowohl einfache Bekanntschaft und die sich aus der Berufstätigkeit ergebende gemeinsame Arbeit mit Feinden als auch wirkliche Verbindung mit Feinden und Teilnahme an konterrevolutionärer Arbeit -, alles ging ohne jeden Grad­unterschied in der allgemeinen Formel unter.

Auf dieser Grundlage wurden, und werden auch jetzt noch, viele Fehler begangen.

Bei einer solchen summarischen Verurteilung von Menschen aus formalen Gründen entgingen die wirklichen, die abgefeim­ten Volksfeinde, die Schurken ersten Ranges, der strafenden Hand des Gerichts.

Die Verleumder treiben dort ihr Unwesen, wo ihnen die „Selbstversicherer" Vorschub leisten.

Hier ein Beispiel einer solchen „Selbstversicherung". Auf einer der Kohlengruben des Trustes „Swerdlow-Ugol" stellten die Grubenleiter und der Chefingenieur einem Abschnittslei­ter eine Charakteristik folgender Art aus:

„Er versteht zu arbeiten. Säuft systematisch. Ist auch imstande, mit Untergebenen zu saufen. Erfüllt in der letzten Zeit das Programm. Besitzt organisatorische Fähigkeiten. Gewährleistet die Arbeit des Abschnitts. Liebt keinen Schwung in der Arbeit. Sehr konservativ und ein Opportunist in der Frage der Förderung. Ist bestrebt, möglichst kleine Aufgaben zu erhalten , möglichst wenig zu arbeiten und möglichst viel zu verdienen." (Heiterkeit.)

Manche Parteimitglieder nahmen zum Zwecke der Rückver­sicherung die Hilfe medizinischer Institutionen in Anspruch. Hier eine Bescheinigung, die einem Bürger ausgestellt wurde.

„Genosse (folgt der Name) kann infolge des Zustandes seiner Gesund­heil und seines Bewußtseins von keinerlei Klassenfeinden für deren Ziele ausgenutzt werden.

Psychiatrische Abteilung des Oktober-Rayons der Stadt Kiew. (Folgt Unterschrift.) (Lebhafte Heiterkeit.)

Ziemlich stark hat sich bei uns die Theorie eines eigenartigen „biologischen“ Herangehens an die Menschen, an die Parteimitglieder eingebürgert: man beurteilt einen Kommunisten nicht nach seinen Handlungen, sondern nach den Hand­lungen seiner nahen und fernen Verwandten. Dabei konnte es vorkommen, daß die ungenügende ideologische Festigkeit und die soziale Stellung irgendeiner Urgroßmutter für eine ganze Reihe von Generationen den Nachkommen die Karriere ver­derben konnte. (Heiterkeit.)

Eine solche Einstellung hat mit dem Marxismus nichts ge­mein. Wir müssen von dem Leitsatz ausgehen, den Genosse Stalin wiederholt entwickelt und hervorgehoben hat: daß der Sohn nicht für den Vater verantwortlich ist, daß man ein Par­teimitglied nach seinen eigenen Taten beurteilen muß. Bei uns ist jedoch leider in der Praxis die Erscheinung verbreitet, daß man die sachliche und politische Physiognomie eines Funk­tionärs nicht nach seiner eigenen Arbeit bestimmt, sondern nach der Physiognomie seiner nahen und fernen Verwandten und Vorfahren.

Man kann nicht sagen, daß die Vertreter dieser „Theorie" offen auftreten. Sie betreiben im stillen und zähe ihre Arbeit und urteilen über einen Menschen nicht nach seiner Arbeit, sondern nach seinem Stammbaum.

Mit diesen „biologischen" Methoden muß Schluß gemacht. werden. (Lauter Beifall.)

Bei uns sind nicht wenige Leute aufgekommen - ich würde sie Pseudomoralisten nennen -, die an den Parteimitgliedern nur die negativen Seiten bemerken, die den ganzen Lebens­weg eines Funktionärs nicht sehen und abschätzen, seine Vorzüge und Mängel nicht kennen wollen. Diese Leute betrachten den Menschen als ein für allemal herausgebildetes, starres und lebloses Schema.

Diese Leute sind Erfinder von „Eichmaßen" und Schemata, die dann den einzelnen Funktionären angelegt werden, um zu beurteilen, ob der Betreffende gut oder schlecht ist, ob er in das Schema paßt oder nicht. (Heiterkeit.)

Diese Leute vergessen, daß unsere gesamte Arbeit am Auf­bau des Sozialismus, daß unsere gesamte Erziehungsarbeit auf die Umgestaltung des Bewußtseins der Menschen gerichtet ist. 1'rmcrc Partei ist doch dazu da, wir haben ja die Siege des So­zialismus dazu errungen und stellen die Aufgabe des kommu­nistischen Aufbaus dazu, um die Menschen, um ihr Bewußtsein umzumodeln. Wenn manche glauben, daß die Ummodelung des Bewußtseins der Menschen die Parteimitglieder nicht angehe daß die Kommunisten von Geburt frei seien von allen Vorurteilen und absolut keinerlei Umerziehung bedürfen, so ist (las nichts anderes als eine idealistische, schematische Auf­fassung vom Menschen. Ein solches Herangehen an den Men­schen, bei dem man über ihn abstrakt, nach vorher festgeleg­tem Maße urteilt, anstatt ihn in allen seinen Verbindungen und Zusammenhängen zu studieren, führt unvermeidlich zu Passi­vität, zu pessimistischer Einschätzung der Menschen. Bei sol­chem pessimistischen Herangehen ist der Blick nur der Ver­gangenheit zugewendet. Eine solche Art der Einschätzung des Menschen hat mit dem Bolschewismus nichts gemein. Ihrer Methodologie nach steht sie dem Bolschewismus zutiefst feind­lich gegenüber.

Mir scheint, daß all das ein Rückfall in den Menschewismus, eine eigenartige Form des Opportunismus gegenüber leben­digen Menschen ist, wo man nicht bestrebt ist, die Menschen vorwärts zuführen, ihre Mängel zu beseitigen und sie umzuer­ziehen, sondern die Mängel der Menschen aufbauscht, sie auf­bläht und in den Menschen nicht das Wertvolle erkennt, das unbedingt entfaltet, auf jede Weise gefördert werden muß. K ratzt man aber diese Pseudomoralisten ein wenig, so kom­men zumeist Scheinheilige und Heuchler zum Vorschein. Mit solcher Art Totengräbern ist natürlich nichts Vernünftiges anzufangen. (Stürmischer Beifall.)

Zugleich muß auch mit der Praxis der halben Rehabilitie­rung von wiederaufgenommenen Parteimitgliedern Schluß gemacht werden. In der Praxis ist bei uns der Typ des Parteifunktionärs ziemlich stark verbreitet, der um der Rückver­sicherung willen auf dem rehabilitierten Mitglied oder Kan­didaten der Partei „für jeden Fall" einen Fleck oder ein Fleckchen sitzen läßt: war der Betreffende ausgeschlossen und muß man ihn jetzt rehabilitieren, so erteilt man ihm eine Rüge, obwohl nicht zu ergründen ist - wofür; hatte er eine Rüge, so erteilt man ihm einen Verweis - um ihn ein wenig einzu­schüchtern. (Heiterkeit.)

Mit dieser Praxis der halben Rehabilitierung muß entschie­den Schluß gemacht werden; wenn der Betreffende volle Re­habilitierung verdient, so müssen ihm alle Strafen restlos ab­genommen werden.

Aus diesen Tatsachen ist zu ersehen, daß in einer Reihe von Organisationen der Beschluß des Januar-Plenums des ZK noch nicht entschieden genug durchgeführt wird, jener Beschluß, in dem auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, die maskier­ten Feinde zu entlarven und restlos auszurotten, die sich in unsere Reihen eingeschlichen haben und durch falsches Ge­schrei über Wachsamkeit ihre Feindseligkeit gegen die Partei zu verhüllen trachten.

Der Methode des individuellen Herangehens an die Partei­mitglieder ist noch nicht volle Geltung verschafft worden. Sum­marische, unbegründete Parteiausschlüsse kommen immer noch vor.

Der Beschluß des Januar-Plenums des ZK bezweckte, ein Höchstmaß an Garantien für den Kampf gegen unbegründete Ausschlüsse zu schaffen, das individuelle Herangehen wieder zur vollen Geltung zu bringen und in Fragen des Schicksals der Parteimitglieder außerordentliche Aufmerksamkeit walten zu lassen.

Angesichts der außerordentlichen Bedeutung dieser Fragen ist es notwendig, das Statut durch eine Reihe von Leitsätzen zu ergänzen, durch die ein aufmerksames Verhalten gegenüber dem Parteimitglied und eine sorgfältige Untersuchung ge­währleistet werden sollen, ob die gegen ein Parteimitglied er­hobenen Beschuldigungen begründet sind; die Rechte der Par­teimitglieder müssen vor jeder Willkür geschützt werden und aus der Praxis die Anwendung der höchsten Parteistrafe, des Parteiausschlusses , gegenüber Parteimitgliedern, die sich geringfügige Vergehen zuschulden kommen ließen, ausgemerzt werden.

Es ist notwendig, des Hinweises des Genossen Stalin ein­gedenk zu sein:

„Die Partei ist für das Parteimitglied eine sehr große und ernste Sache geworden, und die Aufnahme in die Partei oder der Ausschluß aus der Partei stellen im Leben eines Menschen einen sehr wichtigen Wende­punkt dar."

„Für die einfachen Parteimitglieder ist das Verbleiben in der Partei oder der Ausschluß aus der Partei eine Frage von Leben und Tod."

An anderer Stelle hat Genosse Stalin darauf hingewiesen, daß in der Partei die höchste Strafe der Ausschluß aus der Partei ist, so wie in der Armee die höchste Strafe die Erschie­ßung ist. (Siehe J. Stalin, Sammelband „über die Opposition", S. 34, russ.)

Die Beschlüsse des Februar-März-Plenums des ZK der KPdSU (B) vom Jahre 1937 und des Januar-Plenums des ZK der KPdSU (B) vom Jahre 1938 zur Frage des Parteiausschlusses laufen gerade darauf hinaus, daß die Parteiausschlüsse auf ein Minimum beschränkt werden müssen. Kommt der Parteiausschluß dem höchsten Strafmaß in der Armee, d. h. der Erschießung gleich, so darf man ihn nicht wahllos nach links und rechts anwenden.

Es ist notwendig, daß die Rolle der Parteistrafen, die im Parteistatut für die verschiedenen Arten von Vergehen vorge­sehen sind, wieder zu ihrem Rechte kommt. Man darf nicht über alle Vergehen in gleicher Weise urteilen, ohne zu untersuchen, uh das Vergehen ernst oder belanglos ist. Parteiausschlüsse werden eine Zeitlang in der Praxis vieler Parteiorganisationen zum Wechselgeld geworden, und solche Parteistrafen, wie die Erteilung eines Verweises, eines Tadels, Hinweise auf Ver­gehen, die Erteilung einer Rüge, einer strengen Rüge, einer strengen Rüge mit Verwarnung, d. h. die ganze genügend be wegliche Skala von Einwirkungsmaßnahmen der Partei, wie sie in unserem Statut vorgesehen ist und der verschiedenen Art und den verschiedenen Graden von Parteivergehen ent­spricht, gerieten in Vergessenheit.

Es ist notwendig, die Rolle der Erziehungs- und Einwir­kungsmaßnahmen, die im Statut vorgesehen sind, wieder zu ihrem Rechte kommen zu lassen.

Es muß auch über die alten, aufgehobenen Parteistrafen gesprochen werden. Darüber wurde in den Parteiversamm­lungen vor dem Parteitag ebenfalls nicht wenig gesprochen. Hat sich jemand gebessert und ist seine Parteistrafe aufge­hoben, so braucht man nicht ständig an sie zu erinnern, braucht man das Parteimitglied nicht für alte, wiedergutgemachte Feh­ler büßen zu lassen und moralisch zu disqualifizieren.

Es gibt bei uns nicht wenig Fälle, daß sich jemand vor 10 Jah­ren ein Vergehen zuschulden kommen ließ und dafür eine Parteistrafe erhielt. Dann hat er sich gebessert und die Partei­etrafe wurde aufgehoben. An diese Parteistrafe wird jedoch unbedingt erinnert, sobald von diesem Menschen die Rede ist. Das bringt viel Schaden, zum Beispiel im Hinblick auf die Aus­übung des Rechtes, in die Parteiorgane gewählt zu werden. Bekanntlich werden solche Genossen bei der Erörterung der Kandidaturen für die Wahlen zu den Parteiorganen häufig ab­gelehnt. Das ist aber falsch: hat jemand sein Vergehen wieder­gutgemacht, wozu soll ihm dann sein ganzes Leben lang ein moralischer Fleck anhaften? Es ist nicht nötig, für Gewesenes büßen zu lassen. (Zurufe: Sehr richtig!)“

Letztendlich beschloss das Plenum des ZK der KPdSU schon im Januar 1938:

  1. „Die Gebietskomitees, Regionskomitees, die Zentralkomitees der na­tionalen Kommunistischen Parteien und alle Parteiorganisationen werden verpflichtet, endgültig Schluß zumachen mit den massenweisen wahllosen Parteiausschlüssen und eine wirklich individuelle, differen­zierte Behandlung bei der Entscheidung über den Parteiausschluß oder die Wiederaufnahme von Mitgliedern herbeizuführen.
  2. Die Gebietskomitees, Regionskomitees und die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien werden verpflichtet, diejenigen leitenden Parteifunktionäre ihrer Funktionen zu entheben und seitens der Partei zur Verantwortung zu ziehen, die die Direktiven des ZK der KPdSU (B) nicht erfüllen, Mitglieder und Kandidaten der KPdSU (B) ohne sorgfältige Überprüfung aller Materialien aus der Partei aus­schließen und Willkürhandlungen gegenüber den Parteimitgliedern begehen.
  3. Die Gebietskomitees, Regionskomitees, die Zentralkomitees der na­tionalen Kommunistischen Parteien und die Parteikollegien der Kom­mission für Parteikontrolle beim ZK der KPdSU (B) werden beauf­tragt, innerhalb von 3 Monaten die Überprüfung der Berufungen aller aus der Partei Ausgeschlossenen abzuschließen.
  4. Alle Parteikomitees werden verpflichtet, in ihren Beschlüssen über den Ausschluß von Kommunisten aus der Partei klar und genau die Motive darzulegen, die als Begründung für den Ausschluß gedient haben, damit die übergeordneten Parteiorgane die Möglichkeit haben, die Richtigkeit dieser Beschlüsse zu überprüfen. Jeder solcher Beschluß eines Rayon-, Stadt- oder Gebietekomitees bzw. eines Zentralkomi­tees einer nationalen Kommunistischen Partei ist unbedingt in der Presse zu veröffentlichen.
  5. Es wird festgelegt, daß die Parteiorgane bei der Wiederaufnahme von Parteimitgliedern, die von den örtlichen Parteiorganisationen zu Un­recht ausgeschlossen wurden, verpflichtet sind, in ihren Beschlüssen genau anzugeben, welches Rayon- oder Stadtkomitee der KPdSU(B) dem Wieder aufgenommenen die Parteidokumente auszuhändigen hat.
  6. Die Rayon- und Stadtkomitees der Partei werden verpflichtet, den Wiederaufgenommenen unverzüglich die Parteidokumente auszuhändigen, sie zur Teilnahme an der Parteiarbeit heranzuziehen und allen Mitgliedern der Grundorganisationen klarzumachen, daß sie für die bolschewistische Erziehung der in die KPdSU (B) Wiederaufgenom­menen verantwortlich sind.
  7. Die Parteiorganisationen werden verpflichtet, Personen vor der Partei zur Verantwortung zu ziehen, die sich der Verleumdung von Parteimit­gliedern schuldig gemacht haben, diese Parteimitglieder völlig zu rehabilitieren und in den Fällen ihre Beschlüsse in der Presse zu veröffentlichen, in denen vorher diskreditierendes Material über diese Parteimitglieder erschienen war.
  8. Den Parteiorganisationen wird verboten, den Ausschluß eines Kom­munisten aus der Partei vor der Überprüfung der Berufung und vor dem Zustandekommen eines endgültigen Beschlusses über den Ausschluß in die Registrierkarte einzutragen.
  9. Die falsche und schädliche Praxis, die aus der KPdSU (B) Ausge­schlossenen sofort aus ihrer Arbeit zu entlassen, wird verboten. Es wird angeordnet, daß in all den Fällen, in denen es sich im Zusammen­hang mit dem Ausschluß aus der KPdSU (B) als notwendig erweist, den Funktionär seiner Stellung zu entheben, diese Entlassung nur vorgenommen werden kann, nachdem ihm eine andere Arbeit nachge­wiesen wurde.
  10. Die Gebiets- und Regionskomitees sowie die Zentralkomitees der nationalen Kommunistischen Parteien werden verpflichtet, über die entsprechenden Sowjet- und Wirtschaftsorgane dafür zu sorgen, daß die aus der KPdSU (B) Ausgeschlossenen bis spätestens 15. Februar 1938 eine Arbeit aufnehmen, und in Zukunft nicht mehr zu dulden, daß aus der KPdSU (B) Ausgeschlossene ohne Arbeit bleiben. ( „Prawda" Nr. 19, 19. Januar 1938)

 

Hiermit ist die wahre Geschichte des Großen Terrors in der Sowjetunion möglichst kurz geschildert worden, dabei habe ich versucht die gängigsten antikommunistischen Lügen über diese Zeit zu widerlegen.

Michael K.