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Der staatliche Charakter der UdSSR

 

Die Sowjetunion, insbesondere während ihrer sozialistischen Periode 1917 bis 1953, wird nicht allzu selten als „ (militärische) Diktatur“ angesehen. „Bekräftigt“ wird dieses Vorurteil, dass es sich hierbei um eine „Diktatur des Proletariats“ handle, der Sozialismus/Kommunismus mit „Demokratie“ nichts zu tun hat, ohne aber wirklich zu wissen, was hinter diesem Begriff steht.

Das Problem besteht hierbei, dass man dazu neigt, die Begriffe Diktatur und Demokratie als völlig entgegengesetzt zu halten, obwohl sie häufig zwei Aspekte eines selben Systems darstellen.

„ So steht in der Encycolpedia Britannica in dem Artikel, welches den Begriff Demokratie beschreibt, folgendes:

“Demokratie ist die Herrschaftsform, in der das Volk selbst Regiert, entweder direkt, wie in den antiken griechischen Stadtstaaten, oder durch Repräsentanten. “

Aber der selbe Autor geht weiter und schreibt: “Alle Menschen des Stadtstaates haben nicht das Recht an der Regierung teilzunehmen, sondern nur jene, die Bürger waren, im legalen und ursprünglichen Sinn. Außerhalb dieses Zirkels der Privilegierten waren die Sklaven, die keine Rechte hatten, am Staat mitzuwirken. Sie hatten keine politischen und kaum bürgerliche Rechte; sie waren keine ‘Menschen’. somit war die Demokratie des griechischen Stadtstaates genau genommen keine Demokratie.

Der griechische Stadtstaat wurde von Historikern immer wieder als Geburtsort der Demokratie bezeichnet. Und nun, wenn man die Encycolpedia Britannica liest, stellt man fest, dass dies nur eine Demokratie für eine kleine privilegierte Schicht war, während die Sklaven, die die eigentliche Arbeit verrichteten, rechtlos waren.

Die klassische Demokratie war also, eine Demokratie für eine bestimmte Schicht von Menschen. Für die anderen, die die harte gesellschaftliche Arbeit verrichteten, war es eine Diktatur. Selbst im Geburtsort der Demokratie müssen wir feststellen, dass Demokratie und Diktatur im selben System Hand in Hand gingen, und dass jede einzelne Hand nur einen Aspekt des Systems darstellte.

Über die ‘Demokratie’ im griechischen Stadtstaat zu reden, ohne darauf einzugehen, für wen die Demokratie bestimmt ist, geht einen falschen Weg und hat was missverstanden.

Um die Demokratie des griechischen Stadtstaates zu beschreiben, ohne hervorzuheben, dass die Demokratie des griechischen Stadtstaates nur mit der Mühe der Sklaven, die keine politischen und kaum bürgerliche Rechte hatten, entstehen konnte, verfälscht die wahre Geschichte des Ursprungs der Demokratie.

Somit schließt die Existents einer Demokratie eine Diktatur im selben Staat nicht aus“ (Pat Sloan, Soviet Democracy, S. 11f)

Dennoch werden kapitalistische Staaten als demokratisch bezeichnet, die sozialistischen Staaten als „kommunistische Diktatur“ (ein Widerspruch in sich).

Um den Charakter eines sozialistischen Staates, um die Diktatur des Proletariats zu definieren, ist Lenins Schrift „Staat und Revolution“, die er 1918, kurz nach der Gründung der Sowjetrepublik, geschrieben hat, von großer Bedeutung. Nachdem dort die wichtigsten Prinzipien herausgearbeitet wurden, wird kurz geschildert, wie Stalin zur Diktatur des Proletariats stand und wie weit diese auch verwirklicht wurde.

 

1. einige Grundprinzipien, die in „Staat und Revolution“ von Lenin betont wurden:

 

Lenins Werk ist für jene, die den Charakter der Diktatur des Proletariats und der sozialistischen Demokratie erfahren möchten von großer Bedeutung.

Hier soll verdeutlicht werden, wie demokratisch die Diktatur des Proletariats ist im Vergleich zur bürgerlichen Demokratie.

Bevor dies aber geschieht, soll erst mal verdeutlicht werden was unter Staat zu verstehen ist:

Lenin startete dabei mit der Definition von Friedrich Engels:

„Wir beginnen mit dem verbreitetsten Werk von Friedrich Engels: "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", das 1894 in Stuttgart bereits in sechster Auflage erschienen ist. Wir sind gezwungen, die Zitate selber aus dem deutschen Original zu übersetzen, da die russischen Übersetzungen, so zahlreich sie sind, zum größten Teil entweder unvollständig oder äußerst unbefriedigend sind.

"Der Staat", sagt Engels bei der Zusammenfassung seiner geschichtlichen Analyse, "ist also keineswegs eine der Gesellschaft von außen aufgezwungenen Macht; ebensowenig ist er 'die Wirklichkeit der sittlichen Idee', 'das Bild und die Wirklichkeit der Vernunft', wie Hegel behauptet. Er ist vielmehr ein Produkt der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe; er ist das Eingeständnis, daß diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohnmächtig ist. Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der 'Ordnung' halten soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangene, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat." (S. 177/ 178 der sechsten deutschen Auflage.) [Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates; Barbarei und Zivilisation (Marx/Engels Werke, Band 21, S. 165.)]

Hier ist mit voller Klarheit der Grundgedanke des Marxismus über die historische Rolle und die Bedeutung des Staates zum Ausdruck gebracht. Der Staat ist das Produkt und die Äußerung der UNVERSÖHNLICHKEIT der Klassengegensätze. Der Staat entsteht dort, dann und insofern, wo, wann und inwiefern die Klassengegensätze objektiv NICHT versöhnt werden KÖNNEN. Und umgekehrt: Das Bestehen des Staates beweist, daß die Klassengegensätze unversöhnlich sind.“ (http://www.marxistische-bibliothek.de/leninstaat.html)

 

Der Hauptteil von Lenins Artikel zielt darauf ab, in welche Richtung der sozialistische Staat, konkret unter den Umständen, die der Machtergreifung der Bolschewiki 1917 folgten, sich entwickeln soll. Lenin befasste sich mit den Einwänden der Anarchisten und Menschewiki, dass der neue Staat „staatenlos“ oder „absterben“ soll.

Die Gegner der Bolschewiki waren für die Auflösung des Staates. Sie rechtfertigten ihre Meinung, indem sie Engels zitierten, der den Ausdruck „absterben des Staates“ benutzte.

Lenin erwähnte dies wie folgt:

„Die Worte Engels' über das "Absterben" des Staates sind weit und breit so bekannt, sie werden so oft zitiert, zeigen so plastisch, worin die Quintessenz der landläufigen Verfälschung des Marxismus zum Opportunismus besteht, daß es geboten erscheint, eingehend bei ihnen zu verweilen. Wir zitieren die ganze Betrachtung, der sie entnommen sind: ‚Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußeren Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft -, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht 'abgeschafft', ER STIRBT AB. Hieran ist die Phrase vom 'freien Volksstaat' zu messen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agitatorischen Berechtigung wie nach ihrer endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglichkeit; hieran ebenfalls die Forderung der sogenannten Anarchisten, der Staat solle von heute auf morgen abgeschafft werden.’" ("Anti-Dühring", "Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft", dritte deutsche Ausgabe, S. 301 - 303., zitiert nach Lenin, ebenda)

 

Lenin zitiert Marx Brief an Weydemeyer um das klare Merkmal eines Marxisten – die Erkenntnis der Notwendigkeit der Diktatur des Proletaritas – hervorhebt:
“Im Jahre 1907 veröffentlichte Mehring in der "Neuen Zeit" (XXV, 2, 164) Auszüge aus einem Brief von Marx an Weydemeyer vom 5. März 1852. In diesem Brief befindet sich unter anderem folgende bemerkenswerte Betrachtung:

‚Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt. Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet.’" (Lenin, ebenda)

 

Lenin endet bei der Betonung, dass es für einen Marxisten wichtig ist, die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats zu erkennen:

„Denn die Lehre vom Klassenkampf ist NICHT von Marx, SONDERN VOR ihm von der Bourgeoisie geschaffen worden und ist, allgemein gesprochen, für die Bourgeoisie ANNEHMBAR. Wer NUR den Klassenkampf anerkennt, ist noch kein Marxist, er kann noch in den Grenzen bürgerlichen Denkens und bürgerlicher Politik geblieben sein. Den Marxismus auf die Lehre vom Klassenkampf beschränken heißt den Marxismus stutzen, ihn entstellen, ihn auf das reduzieren, was für die Bourgeoisie annehmbar ist. Ein Marxist ist nur, wer die Anerkennung des Klassenkampfes auf die Anerkennung der DIKTATUR DES PROLETARIATS ERSTRECKT. Hierin besteht der tiefste Unterschied des Marxisten vom durchschnittlichen Klein- (und auch Groß-) Bourgeois.“ (ebenda)

 

Aber was für eine Form hat diese Diktatur des Proletariats?

Lenin betont, dass Marx und Engels keine konkreten Antworten darauf hatten, wie die Diktatur des Proletariats genau durchzuführen ist. Aber sie hatten wenigstens 5 Grundregeln der Regierungsform, die sie aus der Analyse des Sieges und des Falls der Pariser Kommune hatten.

Das erste Prinzip war die Notwendigkeit der Unterdrückung der Armee der Bourgeoisie durch die Bewaffnung des Proletariats.

"Das erste Dekret der Kommune war ... die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk." (Zitiert nach Lenin, ebenda)

 

Das zweite Prinzip war die Abwählbarkeit gewählter Beamter:

„Die uneingeschränkte Wählbarkeit und die JEDERZEITIGE Absetzbarkeit ausnahmslos aller beamteten Personen, die Reduzierung ihrer Gehälter auf den gewöhnlichen "Arbeiterlohn", diese einfachen und "selbstverständlichen" demokratischen Maßnahmen, bei denen sich die Interessen der Arbeiter völlig mit denen der Mehrheit der Bauern decken, dienen gleichzeitig als Brücke, die vom Kapitalismus zum Sozialismus führt. Diese Maßnahmen betreffen die staatliche, rein politische Umgestaltung der Gesellschaft, aber sie bekommen vollen Sinn und Bedeutung selbstverständlich erst im Zusammenhang mit der in Verwirklichung oder Vorbereitung begriffenen "Expropriation der Expropriateure", d.h. mit dem Übergang des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum.

"Die Kommune", schrieb Marx, "machte das Stichwort aller Bourgeoisrevolutionen - wohlfeile Regierung - zur Wahrheit, indem sie die beiden größten Ausgabequellen, die Armee und das Beamtentum, aufhob."

"Die Kommune", schrieb Marx, "sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit ...

Statt einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll, sollte das allgemeine Stimmrecht dem in Kommunen konstituierten Volk dienen, wie das individuelle Stimmrecht jedem andern Arbeitgeber dazu dient, Arbeiter, Aufseher und Buchhalter in seinem Geschäft auszusuchen."

(zitiert nach Lenin, ebenda).

 

Drittens war es notwendig, einen ‘unfreien Staat’ in der Übergangsphase aufrechtzuerhalten.

„Eine der bemerkenswertesten, wenn nicht die bemerkenswerteste Betrachtung in den Werken von Marx und Engels über den Staat ist folgende Stelle in einem Brief von Engels an Bebel vom 18./28. März 1875. Dieser Brief ist, nebenbei bemerkt, unseres Wissens zum ersten Male von Bebel im Zweiten Teil seiner Memoiren ("Aus meinem Leben") veröffentlicht worden, der 1911, also 36 Jahre nach Niederschrift und Absendung des Briefes, erschienen ist.

Engels kritisierte in seinem Brief an Bebel denselben Entwurf des Gothaer Programms, an dem auch Marx in seinem berühmten Brief an Bracke Kritik übte. Speziell zur Frage des Staates schrieb Engels folgendes:

"Der freie Volksstaat ist in den freien Staat verwandelt. Grammatikalisch genommen ist ein freier Staat ein solcher, wo der Staat frei gegenüber seinen Bürgern ist, also ein Staat mit despotischer Regierung. Man sollte das ganze Gerede vom Staat fallenlassen, besonders seit der Kommune, die schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr war. Der 'Volksstaat' ist uns von den Anarchisten bis zum Überdruß in die Zähne geworfen worden, obwohl schon die Schrift Marx' gegen Proudhon und nachher das 'Kommunistische Manifest' direkt sagen, daß mit Einführung der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Staat sich von selbst auflöst und verschwindet. Da nun der Staat doch nur eine vorübergehende Einrichtung ist, deren man sich im Kampf, in der Revolution bedient, um seine Gegner gewaltsam niederzuhalten, so ist es purer Unsinn, von freiem Volksstaat zu sprechen: solange das Proletariat den Staat noch GEBRAUCHT, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner, und sobald von Freiheit die Rede sein kann, hört der Staat als solcher auf zu bestehen. Wir würden daher vorschlagen, überall statt Staat 'Gemeinwesen' zu setzen, ein gutes altes deutsches Wort, das das französische 'Kommune' sehr gut vertreten kann." (S. 321/322 des deutschen Originals., zitiert nach Lenin, ebenda).

 

Wie Lenin herausstellt, benutzt Marx für diese Übergangsperiode die Bezeichnung „Diktatur des Proletariats“:

"Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft", fährt Marx fort, "liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als DIE REVOLUTIONÄRE DIKTATUR DES PROLETARIATS." (zitiert nach Lenin, ebenda)

 

Natürlich stellte Lenin diese Diktatur des Proletariats in Verhältnis zur Demokratie:

„In welchem Verhältnis steht nun diese Diktatur zur Demokratie? …

In der kapitalistischen Gesellschaft, ihre günstigste Entwicklung vorausgesetzt, haben wir in der demokratischen Republik einen mehr oder weniger vollständigen Demokratismus. Dieser Demokratismus ist jedoch durch den engen Rahmen der kapitalistischen Ausbeutung stets eingeengt und bleibt daher im Grunde genommen stets ein Demokratismus für die Minderheit, nur für die besitzenden Klassen, nur für die Reichen. Die Freiheit der kapitalistischen Gesellschaft bleibt immer ungefähr die gleiche, die sie in den antiken griechischen Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter. Die modernen Lohnsklaven bleiben infolge der Bedingungen der kapitalistischen Ausbeutung so von Not und Elend bedrückt, daß ihnen "nicht nach Demokratie", "nicht nach Politik" der Sinn steht, so daß bei dem gewöhnlichen, friedlichen Gang der Ereignisse die Mehrheit der Bevölkerung von der Teilnahme am öffentlichen und politischen Leben ausgeschlossen ist.“ …Demokratie für eine verschwindende Minderheit, Demokratie für die Reichen - so sieht der Demokratismus der kapitalistischen Gesellschaft aus. Sieht man sich den Mechanismus der kapitalistischen Demokratie genauer an, so findet man überall, sowohl in den "geringfügigen", angeblich geringfügigen, Einzelheiten des Wahlrechts (Ansässigkeitsklausel, Ausschließung der Frauen usw.) als auch in der Technik der Vertretungskörperschaften, in den tatsächlichen Behinderungen des Versammlungsrechts (die öffentlichen Gebäude sind nicht für "Habenichtse" da!) oder in der rein kapitalistischen Organisation der Tagespresse und so weiter und so fort - überall, wo man hinblickt, Beschränkungen auf Beschränkungen des Demokratismus. Diese Beschränkungen, Ausnahmen, Ausschließungen und Behinderungen für die Armen erscheinen gering, besonders demjenigen, der selbst nie Not gekannt hat und mit dem Leben der unterdrückten Klassen in ihrer Masse nicht in Berührung gekommen ist (und das trifft für neun Zehntel, wenn nicht gar für neunundneunzig Hundertstel der bürgerlichen Publizisten und Politiker zu) - aber zusammengenommen bewirken diese Beschränkungen, daß die arme Bevölkerung von der Politik, von der aktiven Teilnahme an der Demokratie ausgeschlossen, verdrängt wird. Marx hat dieses WESEN der kapitalistischen Demokratie glänzend erfaßt, als er in seiner Analyse der Erfahrungen der Kommune sagte: den Unterdrückten wird in mehreren Jahren einmal gestattet, darüber zu entscheiden, welcher Vertreter der unterdrückenden Klasse sie im Parlament ver- und zertreten soll!

Doch von dieser kapitalistischen Demokratie - die unvermeidlich eng ist, die die Armen im stillen beiseite schiebt und daher durch und durch heuchlerisch und verlogen ist - führt die weitere Entwicklung nicht einfach, geradeswegs und glatt, "zu immer größerer Demokratie", wie die liberalen Professoren und kleinbürgerlichen Opportunisten die Sache darzustellen pflegen. Nein. Die weitere Entwicklung, d.h. die Entwicklung zum Kommunismus, geht über die Diktatur des Proletariats und kann auch gar nicht anders gehen, denn außer dem Proletariat ist niemand imstande, den WIDERSTAND der kapitalistischen Ausbeuter ZU BRECHEN, und auf anderem Wege ist er nicht zu brechen.

Die Diktatur des Proletariats aber, d.h. die Organisierung der Avantgarde der Unterdrückten zur herrschenden Klasse, um die Unterdrücker niederzuhalten, kann nicht einfach nur eine Erweiterung der Demokratie ergeben. ZUGLEICH mit der gewaltigen Erweiterung des Demokratismus, der ZUM ERSTENMAL ein Demokratismus für die Armen, für das Volk wird und nicht ein Demokratismus für die Reichen, bringt die Diktatur des Proletariats eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten. Diese müssen wir niederhalten, um die Menschheit von der Lohnsklaverei zu befreien, ihr Widerstand muß mit Gewalt gebrochen werden, und es ist klar, daß es dort, wo es Unterdrückung, wo es Gewalt gibt, keine Freiheit, keine Demokratie gibt.

Demokratie für die riesige Mehrheit des Volkes und gewaltsame Niederhaltung der Ausbeuter, der Unterdrücker des Volkes, d.h. ihr Ausschluß von der Demokratie - diese Modifizierung erfährt die Demokratie beim ÜBERGANG vom Kapitalismus zum Kommunismus.

Der Ausdruck "der Staat stirbt ab" ist sehr treffend gewählt, denn er deutet sowohl auf das Allmähliche als auch auf das Elementare des Prozesses hin. Nur die Gewöhnung kann und wird zweifellos eine solche Wirkung ausüben, denn wir beobachten rings um uns millionenfach, wie leicht sich Menschen an die Einhaltung der für sie notwendigen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewöhnen, wenn die Ausbeutung fehlt, wenn nichts vorhanden ist, was sie empört, sie zu Protest und Auflehnung herausfordert, was die Notwendigkeit der NIEDERHALTUNG schafft. Also: In der kapitalistischen Gesellschaft haben wir eine gestutzte, dürftige, falsche Demokratie, eine Demokratie nur für die Reichen, für eine Minderheit. Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum erstenmal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten. Einzig und allein der Kommunismus ist imstande, eine wahrhaft vollständige Demokratie zu bieten, und je vollständiger diese sein wird, um so schneller wird sie entbehrlich werden, wird sie von selbst absterben.“ (Lenin, ebenda)


Lenin unterstreicht, dass Marx ausdrücklich die Wirkung des Kapitalismus auf die Psyche des Menschen gezeigt hatte:

„In der "Kritik des Gothaer Programms" widerlegt Marx eingehend die Lassallesche Idee, der Arbeiter werde im Sozialismus den "unverkürzten" oder "vollen Arbeitsertrag" erhalten. Marx zeigt, daß von dem gesellschaftlichen Gesamtprodukt ein Reservefonds abzuziehen ist, ein Fonds für die Ausdehnung der Produktion, ferner für den Ersatz der "verbrauchten" Maschinen u. dgl. m., sodann aus den Konsumtionsmitteln ein Fonds für Verwaltungskosten, für Schulen, Krankenhäuser, Altersheime usw.

An Stelle der nebelhaften, unklaren, allgemeinen Phrase Lassalles ("dem Arbeiter den vollen Arbeitsertrag") gibt Marx eine nüchterne Berechnung, wie die sozialistische Gesellschaft zu wirtschaften gezwungen sein wird. Marx analysiert KONKRET die Lebensbedingungen einer solchen Gesellschaft, in der es keinen Kapitalismus geben wird, und sagt:

"Womit wir es hier zu tun haben" (bei der Erörterung des Programms der Arbeiterpartei) "ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage ENTWICKELT hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft HERVORGEHT; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt."

"Gleiches Recht", sagt Marx, haben wir hier allerdings, es ist aber NOCH das "bürgerliche Recht", das, wie alles Recht, UNGLEICHHEIT VORAUSSETZT. Jedes Recht besteht in Anwendung von GLEICHEM Maßstab auf UNGLEICHE Individuen, die in Wirklichkeit verschieden, untereinander ungleich sind; das "gleiche Recht" ist daher eine Verletzung der Gleichheit und eine Ungerechtigkeit. In der Tat erhält jeder, der den gleichen Teil gesellschaftlicher Arbeit geleistet hat wie die anderen, den gleichen Teil am gesellschaftlichen Produkt (nach den erwähnten Abzügen).

Indes sind die einzelnen Menschen nicht gleich: Der eine ist stärker, der andere schwächer; der eine ist verheiratet, der andere nicht; der eine hat mehr Kinder als der andere usw.

"Bei gleicher Arbeitsleistung", folgert Marx, "und daher gleichem Anteil an dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds erhält also der eine faktisch mehr als der andre, ist der eine reicher als der andre etc. Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, ungleich sein."

Gerechtigkeit und Gleichheit kann also die erste Phase des Kommunismus noch nicht bringen: Unterschiede im Reichtum, und zwar ungerechte Unterschiede bleiben bestehen, unmöglich aber wird die AUSBEUTUNG des Menschen durch den Menschen sein, denn es wird nicht mehr möglich sein, die PRODUKTIONSMITTEL, die Fabriken, Maschinen, den Grund und Boden usw., als Privateigentum an sich zu reißen. Marx zerschlägt die kleinbürgerliche, unklare Phrase Lassalles von "Gleichheit" und "Gerechtigkeit" SCHLECHTHIN und zeigt dabei den ENTWICKLUNGSGANG der kommunistischen Gesellschaft, die GEZWUNGEN ist, zunächst NUR die "Ungerechtigkeit" zu beseitigen, daß die Produktionsmittel von einzelnen Personen angeeignet sind, und vorerst NICHT IMSTANDE ist, mit einem Schlag auch die weitere Ungerechtigkeit zu beseitigen, die in der Verteilung der Konsumtionsmittel "nach der Arbeitsleistung" (und nicht nach den Bedürfnissen) besteht.

"Aber diese Mißstände", fährt Marx fort, "sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft."

Das ist ein "Mißstand", sagt Marx, aber er ist in der ersten Phase des Kommunismus unvermeidbar, denn will man nicht in Utopien verfallen, so darf man nicht annehmen, daß die Menschen sofort nach dem Sturz des Kapitalismus lernen werden, OHNE ALLE RECHTSNORMEN für die Allgemeinheit zu arbeiten, sind doch die ökonomischen Voraussetzungen für eine SOLCHE Änderung durch die Abschaffung des Kapitalismus NICHT SOFORT GEGEBEN.“

 

Viertens, nach der Übergangsperiode, kann eine höhere Phase eingeführt werde, in der der Staat nicht länger von Nöten ist und ‚abstirbt’:

„Marx fährt fort: "In einer höhern Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"

Erst jetzt können wir die ganze Richtigkeit der Bemerkungen von Engels einschätzen, in denen er unerbittlich die Verbindung der Wörter "Freiheit" und "Staat" als unsinnig verspottete. Solange es einen Staat gibt, gibt es keine Freiheit. Wenn es Freiheit geben wird, wird es keinen Staat geben.

Die ökonomische Grundlage für das vollständige Absterben des Staates ist eine so hohe Entwicklung des Kommunismus, daß der Gegensatz von geistiger und körperlicher Arbeit verschwindet, folglich eine der wichtigsten Quellen der heutigen GESELLSCHAFTLICHEN Ungleichheit beseitigt wird, und zwar eine Quelle, die durch den bloßen Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum, durch die bloße Expropriation der Kapitalisten keinesfalls mit einem Schlag aus der Welt geschafft werden kann. Diese Expropriation wird eine enorme Entwicklung der Produktivkräfte ERMÖGLICHEN. Und wenn wir sehen, wie schon jetzt der Kapitalismus in unglaublicher Weise diese Entwicklung AUFHÄLT, wie vieles auf Grund der heutigen, bereits erreichten Technik vorwärtsgebracht werden könnte, so sind wir berechtigt, mit voller Überzeugung zu sagen, daß die Expropriation der Kapitalisten unausbleiblich eine gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte der menschlichen Gesellschaft zur Folge haben wird. Wie rasch aber diese Entwicklung weitergehen wird, wie schnell sie zur Aufhebung der Arbeitsteilung, zur Beseitigung des Gegensatzes von geistiger und körperlicher Arbeit, zur Verwandlung der Arbeit in "das erste Lebensbedürfnis" führen wird, das wissen wir nicht und KÖNNEN WIR NICHT wissen.“ (Lenin, ebenda)

 

Natürlich muss eine Kontrolle des Staates durch die Arbeiter durchgeführt werden, solange diese höhere Stufe noch nicht erreicht ist. Und dies wird durch einen „Staat der bewaffneten Arbeiter“ ausgeübt:
Bis die "höhere" Phase des Kommunismus eingetreten sein wird, fordern die Sozialisten die STRENGSTE Kontrolle seitens der Gesellschaft UND SEITENS DES STAATES über das Maß der Arbeit und das Maß der Konsumtion, aber diese Kontrolle muß mit der Expropriation der Kapitalisten BEGINNEN, mit der Kontrolle der Arbeiter über die Kapitalisten, und darf nicht von einem Beamtenstaat durchgeführt werden, sondern von dem Staat der BEWAFFNETEN ARBEITER.

Doch der wissenschaftliche Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus ist klar. Was gewöhnlich als Sozialismus bezeichnet wird, nannte Marx die "erste" oder niedere Phase der kommunistischen Gesellschaft. Insofern die Produktionsmittel GEMEINeigentum werden, ist das Wort "Kommunismus" auch hier anwendbar, wenn man nicht vergißt, daß es KEIN vollkommener Kommunismus ist. Die große Bedeutung der Erörterungen von Marx besteht darin, daß er auch hier konsequent die materialistische Dialektik, die Entwicklungslehre, anwendet, indem er den Kommunismus als etwas betrachtet, das sich AUS dem Kapitalismus entwickelt. An Stelle scholastisch ausgeklügelter, "erdachter" Definitionen und fruchtloser Wortklaubereien (was Sozialismus, was Kommunismus sei) gibt Marx eine Analyse dessen, was man als Stufen der ökonomischen Reife des Kommunismus bezeichnen könnte.

In seiner ersten Phase, auf seiner ersten Stufe kann der Kommunismus ökonomisch noch NICHT völlig reif, völlig frei von Traditionen, von den Spuren des Kapitalismus sein. Daraus erklärt sich eine so interessante Erscheinung wie das Fortbestehen des "engen BÜRGERLICHEN Rechtshorizonts" während der ersten Phase des Kommunismus. Das bürgerliche Recht setzt natürlich in bezug auf die Verteilung der KONSUMTIONSmittel unvermeidlich auch den BÜRGERLICHEN Staat voraus, denn Recht ist nichts ohne einen Apparat, der imstande wäre, die Einhaltung der Rechtsnormen zu ERZWINGEN.

So ergibt sich, daß im Kommunismus nicht nur das bürgerliche Recht eine gewisse Zeit fortbesteht, sondern auch der bürgerliche Staat - ohne Bourgeoisie!“ (Lenin, ebenda)

 

Letztlich führt die Diktatur des Proletariats eine Demokratie ein, die die bürgerliche Demokratie übertrifft:

„Die Demokratie ist im Befreiungskampf der Arbeiterklasse gegen die Kapitalisten von gewaltiger Bedeutung. Die Demokratie ist aber durchaus keine unüberschreitbare Grenze, sondern lediglich eine der Etappen auf dem Wege vom Feudalismus zum Kapitalismus und vom Kapitalismus zum Kommunismus.

Demokratie bedeutet Gleichheit. Es ist begreiflich, welch große Bedeutung der Kampf des Proletariats um die Gleichheit und die Losung der Gleichheit haben, wenn man sie richtig, im Sinne der Aufhebung der KLASSEN auffaßt. Aber Demokratie bedeutet nur FORMALE Gleichheit. Und sofort nach der Verwirklichung der Gleichheit aller Mitglieder der Gesellschaft IN BEZUG auf den Besitz der Produktionsmittel, d.h. der Gleichheit der Arbeit, der Gleichheit des Arbeitslohnes, wird sich vor der Menschheit unvermeidlich die Frage erheben, wie sie von der formalen zur tatsächlichen Gleichheit, d.h. zur Verwirklichung des Satzes "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" weiterschreiten soll. Welche Etappen die Menschheit auf dem Wege zu diesem höheren Ziel durchschreiten wird, welche praktischen Maßnahmen sie hierzu ergreifen wird, wissen wir nicht und können wir nicht wissen. Es ist aber wichtig, daß wir uns darüber klarwerden, wie grenzenlos verlogen die landläufige bürgerliche Vorstellung ist, der Sozialismus sei etwas Totes, Erstarrtes, ein für allemal Gegebenes, während in Wirklichkeit ERST mit dem Sozialismus die rasche, wirkliche, wahrhafte Vorwärtsbewegung der Massen auf allen Gebieten des öffentlichen und persönlichen Lebens, zunächst unter Teilnahme der MEHRHEIT der Bevölkerung und später der gesamten Bevölkerung, einsetzen wird.

Die Demokratie ist eine Staatsform, eine der Spielarten des Staates. Folglich ist sie, wie jeder Staat, eine organisierte, systematische Gewaltanwendung gegenüber Menschen. Das ist die eine Seite. Anderseits bedeutet Demokratie aber die formale Anerkennung der Gleichheit zwischen den Bürgern, des gleichen Rechts aller, die Staatsverfassung zu bestimmen und den Staat zu verwalten. Das wiederum hat zur Folge, daß die Demokratie auf einer bestimmten Entwicklungsstufe erstens die dem Kapitalismus gegenüber revolutionäre Klasse, das Proletariat, zusammenschließt und ihr die Möglichkeit gibt, die bürgerliche, und sei es auch eine bürgerlich-republikanische, Staatsmaschine - stehendes Heer, Polizei, Beamtentum - zu zerbrechen, in Scherben zu schlagen, aus der Welt zu schaffen, sie durch eine DEMOKRATISCHERE Staatsmaschine, aber immerhin noch durch eine Staatsmaschine zu ersetzen, bestehend aus bewaffneten Arbeitermassen, die dazu übergehen, das gesamte Volk zur Beteiligung an der Miliz heranzuziehen.

Hier "schlägt Quantität in Qualität um": Eine SOLCHE Stufe des Demokratismus ist mit der Sprengung des Rahmens der bürgerlichen Gesellschaft, mit dem Beginn ihrer sozialistischen Umgestaltung verbunden. Wenn tatsächlich ALLE an der Verwaltung des Staates teilnehmen, dann kann sich der Kapitalismus nicht länger halten. Die Entwicklung des Kapitalismus schafft ihrerseits die VORAUSSETZUNGEN dafür, daß wirklich "alle" an der Leitung des Staates teilnehmen KÖNNEN. Zu diesen Voraussetzungen gehört die allgemeine Schulbildung, die in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern bereits eingeführt ist, ferner die "Schulung und Disziplinierung" von Millionen Arbeitern durch den umfassenden, komplizierten, vergesellschafteten Apparat der Post, der Eisenbahnen, der Großbetriebe, des Großhandels, des Bankwesens usw. usf.

Unter solchen ÖKONOMISCHEN Voraussetzungen ist es durchaus möglich, unverzüglich, von heute auf morgen, dazu überzugehen, die Kapitalisten und Beamten, nachdem sie gestürzt sind, bei der KONTROLLE über Produktion und Verteilung, bei der REGISTRIERUNG der Arbeit und der Produkte, durch bewaffnete Arbeiter, durch das gesamte bewaffnete Volk zu ersetzen. … Rechnungsführung und Kontrolle - das ist das WICHTIGSTE, was zum "Ingangsetzen", zum richtigen Funktionieren der kommunistischen Gesellschaft in ihrer ERSTEN PHASE erforderlich ist. ALLE Bürger verwandeln sich hier in entlohnte Angestellte des Staates, den die bewaffneten Arbeiter bilden. ALLE Bürger werden Angestellte und Arbeiter EINES das gesamte Volk umfassenden Staats"syndikats". Es handelt sich nur darum, daß sie alle gleichermaßen arbeiten, das Maß der Arbeit richtig einhalten und gleichermaßen Lohn bekommen. Die Rechnungsführung und Kontrolle darüber ist durch den Kapitalismus bis zum äußersten VEREINFACHT, in außergewöhnlich einfache Operationen verwandelt worden, die zu verrichten jeder des Lesens und Schreibens Kundige imstande ist, er braucht nur zu beaufsichtigen und zu notieren, es genügt, daß er die vier Grundrechenarten beherrscht und entsprechende Quittungen ausstellen kann.

Wenn die MEHRHEIT des Volkes anfangen wird, selbständig allerorts eine solche Rechnungsführung, eine solche Kontrolle über die Kapitalisten (die nunmehr Angestellte geworden sind) und über die Herren Intellektuellen, die kapitalistische Allüren beibehalten haben, auszuüben, dann wird diese Kontrolle eine wirklich universelle, allgemeine, eine wirkliche Volkskontrolle werden, dann wird man sich ihr auf keine Weise entziehen können, wird man sich vor ihr "nirgens retten" können.

Von dem Zeitpunkt an, da alle Mitglieder der Gesellschaft oder wenigstens ihr übergroße Mehrheit SELBST gelernt haben, den Staat zu regieren, selbst die Staatsregierung in ihre Hände genommen haben, die Kontrolle "in Gang gebracht" haben über die verschwindend kleine Minderheit der Kapitalisten, über die Herrchen, die die kapitalistischen Allüren gern bewahren möchten, über die Arbeiter, die durch den Kapitalismus tief demoralisiert worden sind - von diesem Zeitpunkt an beginnt die Notwendigkeit jeglichen Regierens überhaupt zu schwinden. Je vollständiger die Demokratie, um so näher der Zeitpunkt, zu dem sie überflüssig wird. Je demokratischer der "Staat", der aus bewaffneten Arbeitern besteht und "schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr" ist, um so rascher beginnt JEDER Staat abzusterben.

Denn wenn ALLE gelernt haben werden, selbständig die gesellschaftliche Produktion zu leiten, und sie in der Tat leiten werden, wenn sie selbständig die Rechnungsführung und die Kontrolle über Müßiggänger, Herrensöhnchen, Gauner und ähnliche "Hüter der Traditionen des Kapitalismus" verwirklichen, dann wird das Umgehen dieser vom ganzen Volk durchgeführten Rechnungsführung und Kontrolle unvermeidlich so ungeheuer schwierig werden, eine so höchst seltene Ausnahme bilden und wahrscheinlich eine so rasche wie ernsthafte Bestrafung nach sich ziehen (denn die bewaffneten Arbeiter sind Menschen des praktischen Lebens, keine sentimentalen Intelligenzler und werden kaum mit sich spaßen lassen), daß die NOTWENDIGKEIT zur Einhaltung der unkomplizierten Grundregeln für jedes Zusammenleben von Menschen sehr bald zur GEWOHNHEIT werden wird.“ (Lenin, ebenda).

 

Zusammenfassung:

a) Die Diktatur des Proletariats ist vereinbar mit den höchsten Formen der Demokratie, ist sogar die höchste Form dieser, weil hier wirklich die Mehrheit – das im Kapitalismus ausgebeutete Proletariat und seine Verbündeten – herrscht.

b) Dass zur Verteidigung der Diktatur des Proletariats der alte Staatsapparat zerschlagen werden und das Proletariat zur Verteidigung ihrer Revolution bewaffnet werden muss.

c) In der Übergangsphase, also im Sozialismus, existieren noch Klassen, es müssen die Ausbeuter und ihre Reste unterdrückt werden, es herrscht also noch keine absolute Gleichheit. Das Erreichen einer klassenlosen Gesellschaft ist aber Ziel des Kommunismus.

 

Wie stand nun Stalin zur Diktatur des Proletariats und wie weit wurde diese verwirklicht?

2. Kurze Darstellung, wie Stalin zur Diktatur des Proletariats stand

 

In diesem Teil möchte ich mich vor allem auf einen Punkt konzentrieren und zwar jenen, in welchem Umfang die Menschen in der Sowjetunion am gesellschaftlichen, demokratischen Leben teilnahmen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die sozialistische Demokratie in der Sowjetunion weit entwickelt war, wie in den folgenden Beispielen gezeigt wird. Eine Ausnahme bildet höchstens die Periode 1937-1938, also in der Zeit, wo Jeschow Chef des NKWD war und es zu vielen Verletzungen des Rechtssystems kam, viele Menschen wegen kleiner Lappalien als Konterrevolutionäre verhaftet oder sogar hingerichtet wurden. Natürlich ist dieser Prozess, dieses dunkle Kapitel der Stalinära, weit komplizierter und wird vor allem in den bürgerlichen Medien stark verfälscht, so dass eine Klärung dieser Umstände den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Erwähnt sei aber, dass es nun mal Fakt ist, dass in diesem 1,5 Jahren sehr viele Rechtsverletzungen gegeben hat, es aber immer wieder zu Aktionen kam gegen diese Anzukämpfen.

Sowohl Lenin als auch Stalin kämpften für die Diktatur des Proletariats und ihrer Verbündeten, insbesondere der Bauern.

Dies ist ein vollkommen anderes Bild, was uns trotzkistische und rechte Ideologen weismachen wollen.

Selbst die objektivsten bourgeoisen Historiker stimmen überein, dass die allgemeine Sichtweise, dass Stalin ein Diktator eines totalitären Staates war, der Bourgeoisie sehr gelegen kommt. Dies wird u. a. von Lewis Siegelbaum, der hervorhebt, dass Wissenschaftler, die als “Revisionisten” bezeichnet wurden erkannten, dass diese herkömmliche Sichtweise falsch ist:

„ Seit mehreren Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg, sahen amerikanische und im Allgemeinen westliche Gesellschaftswissenschaftler die Stalinära durch das Prisma des Totalitarismus. Unter Stalin, so wird argumentiert, entstand in der Sowjetunion eine vollkommen totalitäre Gesellschaft, in der formale Gesetzlichkeit ein bloßes Tarnmanöver für die Diktatur der Kommunistischen Partei und deren Generalsekretär, Stalin, war.“ …

„ Andere Gelehrte forderten die Unbrauchbarkeit dieser totalitären Konzeptualisierung gerade heraus. Aufbauend auf die sowjetische Presse und die Smolensker Parteiarchive, die von den Deutschen 1941 und anschließend von den Amerikanern erbeutet wurden, verwarfen diese „Revisionisten“ … das Bild des monolithischen und allmächtigen stalinistischen Staates.“

(Siegelbaum L., Sokolov A.: "Stalinism as a Way of Life"; New Haven Yale 2000; S.3, 4 Introduction.)

 

Die UdSSR war ein Staat der Briefschreiber:

 

Eine kleine Illustration wie der Staat von den Menschen wahrgenommen wurde, zeigt alleine das bloße Volumen an Briefen, die an die Führer der Partei und des Staates geschrieben wurden.

Allein die Menge der Briefwechsel war verblüffend:

„ Eine der Hauptentdeckungen, die in den geöffneten Archiven zu machen war, war die bloße Menge an Briefen die sowohl die Zeitungen als auch die Partei und Staatsführer und Institutionen kriegten. Wir wissen jetzt, dass in de, nicht untypischen Monat Juli 1935 die Kretinskaja Gazeta (die Bauernzeitung) annähernd 26 000 Briefe erhielt. Mikhail Kalinin, Präsident des Zentralen Exekutivkommitees der Sowjets, gehörte zu jenen, die am häufigsten Briefe erhielten; er erhielt zwischen 1923 und 1935 über 77 000 Briefe pro Jahr. 1936 erhielt Andrej Schdanow, der Leningrader Parteisekretär 130 Briefe am Tag. Der Regional-Parteisekretär Mikhail Khataevich berichtete, vielleicht etwas übertrieben, dass er täglich 250 Briefe am Tag erhielt. Auch andere Zeitungen, kommunale Sowjets, Büros von Sachverwaltern, das Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD), Partei- und Staatkommissionen und die Büros der Politbüromitglieder und Regierungsführer, inklusive Stalin, wurden von Briefen erschüttert.“ (Siegelbaum; ebenda, Introduction, S. 9)

Ungeachtet wie man die Sowjetunion bewertet, es ist unwahrscheinlich, dass ein Diktator, Briefe erhalten würde, die in vertrauten, fast Liebes-Brief ähnlichen, Stil geschrieben wurden, wie Siegelbaum zeigt:

„ Der vertraute, oft sogar innige Stil vieler Briefe lässt auch auf die Verbindung zwischen persönlichem und politischen schließen. … Einer notiert zum Beispiel, dass Briefe die an Mikhail Kalinin … gesendet wurden, mit ‚All-Union-Älterster’ (‚starosta’) … und viel öfter mit ‚lieber Onkel’ und ‚Großvater’ einleiteten. Nadezhda Krupskaja, Lenins Witwe und eine wichtige Funktionärin des RSFR-Kommissariats für Erziehung wird mit ‚Liebe NK’ angeschrieben …“ (Siegelbaum, ebenda, Introduction, S. 22)

Siegelbaum ist einfach ein Akademiker, kein Kommunist. Trotzdem bestreitet er nicht die Echtheit dieser Briefe. Wissenschaftler haben wiederholt die Flut an Briefen sowohl an höhere und niedere Ämter und verschiedenen Zeitungen untersucht. Als die Nazis in die UdSSR einmarschierten, erbeuteten sie verschiedene Sowjetarchive in Smolensk. Diese wurden nach Deutschland verfrachtet, wo die USA diese gegen Ende des Krieges an sich riss.

Viele dieser Briefe wurden dazu gebraucht Untersuchungen nachzugehen. [Merle Fainsod; Smolenks Under Soviet Rule; London 1958; p. 379]. Fainsod gibt zeigt einige Beispiele, wo Fälle von Missbrauch, sowohl in Kolchosen als auch in Fabriken, von Briefschreibern hervorgehoben wurden und die Sowjetautoritäten aufforderten diese Missstände zu beseitigen.

Fainsod bezieht sich auf den Fall von D. V. Gapeshin, einem alten Stallmeister in der ‘Rerelom-Kolchose’, der dem Raikom (Rajonkommissar) über die Trunksucht und die Misswirtschaft ihres Kolchosvorsitzenden berichtet. Abhilfe wurde verschafft, obwohl dies etwas langwierig vorging. [Fainsod, S. 380-383]

Offenbar hörten höhere Parteimitglieder darauf, was die Leute sagten. Sie ermutigten die Leute frei und deutlich zu sagen, was sie meinten.

Hier mal ein Beispiel für unbolschewistisches Verhalten einiger Bürokraten, entnommen aus Stalins Rede: „Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der Trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler“ vom März 1937 (Band 14):

„Zwei Beispiele, die die Richtigkeit dieser These Lenins veranschaulichen.

Es war vor einigen Jahren. Wir Mitglieder des ZK behandelten die Frage der Verbesserung der Lage im Donezbecken. Der vom Volkskommissariat für Schwerindustrie vorgelegte Entwurf von Maßnahmen war offenkundig unbefriedigend. Dreimal wurde der Entwurf in das Volkskommissariat für Schwerindustrie zurückverwiesen. Dreimal erhielten wir aus dem Volkskommissariat für Schwerindustrie jeweils andere Entwürfe. Und dennoch konnte man sie nicht als befriedigend anerkennen. Schließlich beschlossen wir, einige Arbeiter und untere Wirtscharts- und Gewerkschaftsfunktionäre aus dem Donezbecken kommen zu lassen. Drei Tage lang berieten wir uns mit diesen Genossen. Und wir alle, die Mitglieder des ZK, mussten zugeben, dass nur sie, diese einfachen Funktionäre, diese „kleinen Leute“, uns zu einer richtigen Entscheidung zu verhelfen vermochten. Sie erinnern sich sicherlich des bekannten Beschlusses des ZK und des Rates der Volkskommissare über die Maßnahmen zur Verstärkung der Kohlenförderung im Donezbecken. Zu diesem Beschluss des ZK und des Rates der Volkskommissare, der von allen unseren Genossen als richtig und sogar als bedeutsam anerkannt worden ist, verhalfen uns einfache Menschen aus der Masse.

Ein anderes Beispiel. Ich meine das Beispiel mit Genossin Nikolajenko. Wer ist Genossin Nikolajenko? Genossin Nikolajenko ist ein einfaches Parteimitglied. Sie gehört zu den gewöhnlichen „kleinen Leuten“. Ein ganzes Jahr lang gab sie Signale über die schlimme Lage in der Parteiorganisation von Kiew, enthüllte die Sippenwirtschaft, das kleinbürgerlich-spießerhafte Herangehen an die Funktionäre, die Unterdrückung der Selbstkritik, das Überhandnehmen der trotzkistischen Schädlinge. Man suchte sie sich vom Leibe zu halten wie eine zudringliche Fliege. Und um sie schließlich loszuwerden, schloss man sie kurzerhand aus der Partei aus. Weder die Kiewer Organisation noch das ZK der Kommunistischen Partei der Ukraine (Bolschewiki) halfen ihr, die Wahrheit an den Tag zu bringen. Erst das Eingreifen des Zentralkomitees der Partei half, diesen verworrenen Knäuel zu entwirren. Und was stellte sich nach der Untersuchung der Sache heraus? Es stellte sich heraus, dass Genossin Nikolajenko Recht hatte, die Kiewer Organisation aber Unrecht. Nicht mehr und nicht weniger. Aber wer ist Genossin Nikolajenko? Sie ist natürlich nicht Mitglied des ZK, sie ist nicht Volkskommissar, sie ist nicht Sekretär der Kiewer Gebietsorganisation, sie ist nicht einmal Sekretär irgendeiner Zelle, sie ist nur ein schlichtes, einfaches Parteimitglied.

Wie Sie sehen, stehen einfache Menschen der Wahrheit mitunter bedeutend näher als manche hohe Institutionen.

Man könnte noch Dutzende und Hunderte solcher Beispiele anführen.

Es ergibt sich somit, dass zur Führung unserer Sache unsere Erfahrungen allein, die Erfahrungen der Führer, bei weitem nicht ausreichen. Um richtig führen zu können, müssen die Erfahrungen der Führer ergänzt werden durch die Erfahrungen der Mitgliedermassen der Partei, durch die Erfahrungen der Arbeiterklasse, durch die Erfahrungen der Werktätigen, durch die Erfahrungen der so genannten „kleinen Leute“.

Wann aber ist das möglich?

Das ist nur dann möglich, wenn die Führer aufs engste mit den Massen verbunden sind, wenn sie mit den Mitgliedermassen der Partei, mit der Arbeiterklasse, mit der Bauernschaft, mit der werktätigen Intelligenz verbunden sind.

Die Verbindung mit den Massen, die Festigung dieser Verbindung, die Bereitwilligkeit, auf die Stimme der Massen zu lauschen - darin liegt die Stärke und die Unbesiegbarkeit der bolschewistischen Führung.

Man kann es als Regel betrachten, dass die Bolschewiki unbesiegbar bleiben, solange sie die Verbindung mit den breiten Massen des Volkes bewahren. Und umgekehrt, die Bolschewiki brauchen sich nur von den Massen loszulösen, die Verbindung mit ihnen zu verlieren, sich mit bürokratischem Rost zu bedecken, um jegliche Kraft einzubüßen und sich in ein Nichts zu verwandeln.“ (http://stalinwerke.de/band14/b14-009.html)

Man sollte auch Stalins Verteidigung der offenen und vollständigen Kritik über Missstände in seiner Antwort an Gorki wiederholen:

„Lieber Alexej Maximowitsch!

Bitte mich vielmals zu entschuldigen und mich nicht zu schelten wegen der späten (allzu späten!) Antwort. Bin furchtbar überlastet. Außerdem war ich nicht ganz wohlauf. Das kann mich natürlich nicht entschuldigen. Aber es kann einiges erklären.

1. Wir können ohne Selbstkritik nicht auskommen. Das können wir keinesfalls, Alexej Maximowitsch. Ohne sie sind Stagnation, Fäulnis im Apparat, Anwachsen des Bürokratismus, Drosselung der schöpferischen Initiative der Arbeiterklasse nicht zu vermeiden. Natürlich liefert die Selbstkritik den Feinden Material. Darin haben Sie völlig Recht. Aber sie liefert auch Material (und gibt den Anstoß) für unsere Vorwärtsbewegung, für die Entfaltung der Aufbauenergie der Werktätigen, für die Entwicklung des Wettbewerbs, für die Stoßbrigaden usw. Die negative Seite wird durch die positive aufgewogen und mehr als aufgewogen.

Es ist möglich, dass unsere Presse unsere Mängel zu sehr hervorhebt und bisweilen sogar (ungewollt) an die große Glocke hängt. Das ist möglich und sogar wahrscheinlich. Und das ist natürlich schlecht. Sie fordern daher, dass unsere Errungenschaften und unsere Mängel so beleuchtet werden, dass sie sich die Waage halten (ich würde sagen, dass die Errungenschaften schwerer in die Waagschale fallen sollen). Auch darin haben Sie natürlich Recht. Wir werden diesen Mangel unbedingt und unverzüglich beheben. Dessen können Sie gewiss sein.

2. Unsere Jugend ist nicht von ein und derselben Art. Es gibt Jugendliche, die greinen, die von Müdigkeit und Verzweiflung ergriffen sind (wie Senin). Es gibt Jugendliche, die guten Muts, voll Lebensfreude und Willenskraft sind, erfüllt von dem unbändigen Streben, den Sieg zu erringen. Es kann nicht sein, dass jetzt, da wir die alten Beziehungen im Leben zerreißen und neue knüpfen, da die gewohnten Wege und Stege eingeebnet und neue, ungewohnte angelegt werden, da ganze Bevölkerungsgruppen, die im Wohlstand lebten, aus der Bahn geworfen werden und abtreten, den Weg für Millionen früher nieder geduckter und gehetzter Menschen frei machend - es kann nicht sein, dass die Jugend eine gleichartige Masse mit uns Sympathisierender darstelle, dass es in ihr keine Differenzierung, keine Spaltung gäbe. Erstens gibt es unter der Jugend Söhne von reichen Eltern. Zweitens, selbst wenn man die Jugend nimmt, die (ihrer sozialen Lage nach) zu uns gehört, so bringt nicht jeder Nerven, Kraft, Charakter und Verständnis genug auf, um das grandiose Bild der Niederreißung des Alten und des fieberhaften Aufbaus des Neuen als ein Bild dessen zu betrachten, was notwendig und folglich wünschenswert ist, zumal dieses Bild wenig dem paradiesischen Idyll des „allgemeinen Wohlergehens“ gleicht, das die Möglichkeit geben soll, „auszuruhen“ und das „Glück zu genießen“. Begreiflicherweise kann es bei diesem „halsbrecherischen Getriebe“ nicht anders sein, als dass es bei uns Leute gibt, die müde werden, die Nerven verlieren, sich aufreiben, in Verzweiflung geraten, abtreten und schließlich in das Lager der Feinde überlaufen. Unvermeidliche „Spesen“ der Revolution.

Das Wesentlichste ist jetzt, dass unter der Jugend nicht die Greiner den Ton angeben, sondern die kämpferischen Mitglieder unseres Kommunistischen Jugendverbands, der Kern der neuen, zahlenmäßig starken Generation der Bolschewiki - der Zerstörer des Kapitalismus, der Bolschewiki - der Erbauer des Sozialismus, der Bolschewiki - der Befreier aller Unterdrückten und Versklavten. Darin liegt unsere Kraft. Darin liegt das Unterpfand unseres Sieges.

3. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht bemüht sein sollen, die Zahl derer, die da greinen, flennen, zweifeln usw., durch organisierte ideologische (und jegliche andere) Einwirkung auf sie zu verringern. Im Gegenteil, eine der Hauptaufgaben unserer Partei, unserer Kulturorganisationen, unserer Presse, unserer Sowjets besteht darin, diese Einwirkung zu organisieren und ernstliche Ergebnisse zu erzielen …“ (Brief an A. M. Groki, Band 12; http://stalinwerke.de/band12/b12-018.html).

 

Zum anderen, wird deutlich, dass Stalin nur ein Teil einer Führungsschicht war, die unter den Prinzipien des demokratischen Zentralismus arbeiten:

„Ludwig: Um den Tisch, an dem wir sitzen, stehen 16 Stühle. Im Ausland weiß man einerseits, dass die UdSSR ein Land ist, in dem alles kollegial entschieden werden soll, anderseits aber weiß man, dass alles durch eine einzelne Person entschieden wird. Wer entscheidet denn nun?

Stalin: Nein, eine einzelne Person darf nicht entscheiden. Entscheidungen einer einzelnen Person sind immer oder fast immer einseitige Entscheidungen. In jedem Kollegium, in jedem Kollektiv gibt es Menschen, mit deren Meinung man rechnen muss. In jedem Kollegium, in jedem Kollektiv gibt es Menschen, die auch falsche Meinungen zum Ausdruck bringen können. Auf Grund der Erfahrungen von drei Revolutionen wissen wir, dass unter hundert Entscheidungen, die von einzelnen Personen getroffen und nicht kollektiv überprüft und berichtigt wurden, annähernd neunzig Entscheidungen einseitig sind.

Unser führendes Organ, das Zentralkomitee unserer Partei, das alle unsere Sowjet- und Parteiorganisationen leitet, besteht aus etwa siebzig Mitgliedern. Unter diesen siebzig Mitgliedern des ZK befinden sich unsere besten Industriefachleute, unsere besten Genossenschaftler, unsere besten Versorgungsfachleute, unsere besten Militärfachleute, unsere besten Propagandisten, unsere besten Agitatoren, die besten Kenner unserer Sowjetwirtschaften, die besten Kenner unserer Kollektivwirtschaften, die besten Kenner der individuellen Bauernwirtschaft, unsere besten Kenner der Nationen der Sowjetunion und der nationalen Politik. In diesem Areopag ist die Weisheit unserer Partei konzentriert. Jeder hat die Möglichkeit, die Meinung, den Vorschlag eines einzelnen zu berichtigen. Jeder hat die Möglichkeit, seine Erfahrungen beizusteuern. Wäre dem nicht so, würden die Entscheidungen von einzelnen Personen getroffen, dann gäbe es in unserer Arbeit die ernstesten Fehler. Da jedoch jeder die Möglichkeit hat, die Fehler einzelner Personen zu berichtigen, und da wir solche Berichtigungen berücksichtigen, gelangen wir zu mehr oder weniger richtigen Beschlüssen.“ (Unterredung mit dem deutschen Schriftsteller Emil Ludwig http://stalinwerke.de/band13/b13-020.html)

 

Wir wissen, dass Stalin auf die Stimme der Massen hörte und diese es auch wahrnahmen.

Das wohl beste Beispiel dafür waren die ganzen stattfindenden Diskussionen über die Verfassung von 1936:

„ Der Entwurf für die stalinsche Verfassung von 1936, das Thema des dritten Kapitels, verursachte etwas Ähnliches wie eine Volksabstimmung zur stalinschen Version des Sozialismus. Um die Möglichkeit, die die Gründung der Verfassung betraf zu nutzen, stellten Briefschreiber und Teilnehmer an Diskussionen ihre eigenen Ideen, Hoffnungen und Ärger über dieses Dokument vor …“ (Siegelbaum, ebenda, Introduction, S.7)

Dass einige Briefschreiber dem Staat sehr kritisch gegenüberstanden ist selbstverständlich:

„Auf der Basis kürzlich untersuchten Archivdaten konnte ermittelt werden, dass praktisch jede wichtige staatliche Initiative der 30er Jahre von Widerstand begleitet wurde. Besonders hoch war der Widerstand während der Kollektivierung, die Ende 1929 begann. Dieser reichte von Aufständen und anderen Gewalthandlungen, wie der Ermordung von Kollektivbauern und ihren Mitarbeitern, über lautstarken Protesten von Frauen …, häufig im Zusammenhang mit Rajonsowjet-Entscheidungen Kirchen zu schließen und/oder das Eigentum der Kirche zu konfiszieren, über der Verschwendung (‚razbazarivanie’) des Viehbestandes und anderer Besitztümer durch Schlachten und Verkauf, der Zerstörung von Kollektivfarmgebäuden, der Befreiung verhafteter Kulaken, der Neuanschaffung konfiszierter Besitztümer und der Auflösung von Kollektivfarmen“ (Siegelbaum, ebenda; Introduction, S. 12)
Diese Kritik bekräftigt zwei Punkte.

Erstens, dass Stalin die Briefwechsel zur Kenntnis nahm und diese nicht aussachalten wollte. Seine Anerkennung dieser Art des Schriftverkehrs zeigt, dass er diese auch gegen die Gefahren des Bürokratismus wahrnehmen will.

Die Diskussionen über die neue Verfassung waren sehr kennzeichnend:

„Die Diskussion und Annahme einer neuen Verfassung war eines der wichtigsten Volksereignisse der 30er Jahre … die Verfassung wurde entworfen, um die Prinzipien des neuen sozialistischen Staates und sozialen Systems zu festigen“ (Siegelbaum, ebenda; S. 158)

Die neue Verfassung unterschied sich von der ersten sowjetischen Verfassung.

Sie: “reflektierte die die neuen Klassenverhältnisse in der UdSSR – die Beseitigung der Gutsherren, Kulaken und Kapitalisten … - sie proklamierte ein System des geheimen Stimmzettelwahlrechts, ungeachtet der Schirmherrschaft der Kommunistischen Partei … das neue Grundgesetz des Landes spiegelte auch die Änderungen im offiziellen Denken der Rolle der Justiz in einer sozialistischen Gesellschaft … der Hauptsprecher für den neuen Denkansatz war A. Ya. Wyschinsky, dessen Wahl zum Obersten Staatsanwalt der UdSSR 1935 die Überlegenheit dieser Rechtsphilosophie symbolisierte.“ (Siegelbaum, ebenda; S.159).

Ungeachtet der Beharrlichkeit Siegelbaums, dass diese Debatte von oben kontrolliert wurde und das die Zahlen aufgeblasen sind – die Statistiken verblüffen ihn. Es wird klar, dass selbst Siegelbaum erstaunt ist:

„Die Zahl der Teilnehmer der Diskussionen zum Verfassungsentwurf ist erstaunlich. Laut offizieller Daten wurden im ganzen Land 623 334 Sitzungen; diese wurden von 42 372 990 Menschen besucht, die 169 739 Vorschläge und Ergänzungen entwarfen. … die Organisatoren dieser Kampagne widerstanden der Versuchung zu verlangen, dass jeder einzelne sich an der Debatte über die Verfassung beteiligte … zum Beispiel wurde aus Moldawien berichtet, dass ‚die Diskussionen 70,5% der Wähler involvierte“, die Treffen der arbeitenden Menschen in der Woronesh Oblast wurden von 1 130 000 Menschen, oder 71% der Wähler besucht …“ (Sigelbaum, ebenda; S. 162)

Nun werden einige Dokumente von Siegelbaum zitiert, die besagen sollen wie verzerrt dieser Prozess ist. Zum Beispiel ein Brief von I. Wasilew an die Kretinskaja Gazeta wie einer von einigen Funktionären in der Kabardino-Balkarian Oblast entführt wurde [S. 164-165]

Es muss schon aber einleuchtend sein, dass wenn man so offen und sarkastisch an eine Zeitung schreibt, es sich unmöglich um eine Militärdiktatur handeln kann.

Und im starken Kontrast zu dieser Anmerkung stehen Beispiele wie der Brief des Kolchosbauern P. I. Voronov an die selbe Zeitung, in der die Stalinsche Verfassung mit großer Freude entgegen genommen wird indem einige Vorschläge zur Veränderung gemacht werden [S. 168-169].

Wie das demokratische Leben in einer Fabrik aussah, wir unter anderem in Max Seydewitz „Stalin oder Trotzki“ sichtbar:

„Das politische Leben in den Betrieben in der Sowjetunion, die demokratische Mitwirkung der arbeitenden Menschen an der Produktion ihres Werkes und der Gesamtwirtschaft ist in der UdSSR in so starkem Maße gegeben, daß die zur Durchführung der Verwaltungsaufgaben noch notwendige Bürokratie keinerlei Diktatur über die Massen auszuüben vermag. Wo Wirtschaftsleiter sich von der engen Verbindung mit den Massen abkapseln, wo sie versuchen, die Arbeiter nicht mitbestimmen zu lassen, wird das von der Sowjetpresse heftig kritisiert. Den wirklichen Zustand in den Sowjetbetrieben charakterisiert recht lebendig der Privatbrief eines deutschen Arbeiters, der seit 1936 in einem Moskauer Betriebe arbeitet und der seinen Freunden seine Eindrücke folgendermaßen schildert:

Unsere Belegschaft zählt 3000 Köpfe, die Hälfte ungefähr sind Frauen. Wir stellen Meßinstrumente her. Das politische und gesellschaftliche Leben in unserem Betrieb ist nach meiner Ansicht sehr gut, dabei ist er keineswegs einer der besten Betriebe. Durchschnittlich zweimal im Monat finden Betriebsversammlungen statt, Anfang Oktober berichtete unser Direktor über das Ergebnis der Septemberarbeit. 105% des Planes wurden erfüllt. In der Diskussion, die hier immer lang und ausführlich ist, wurden die Lehren aus dem Septemberplan gezogen. Der Oktoberplan war so aufgestellt, daß zur Novemberfeier der gesamte Jahresplan fertiggestellt war. Er wurde schon in den letzten Tagen des Oktober erfüllt. Wir hatten damit einen Wettbewerb mit einem anderen Betrieb unseres Rayons gewonnen. Wettbewerbe, Planerfüllung usw. haben natürlich hier eine ernste Bedeutung, der gesamte Betrieb wird darauf eingestellt. Kommt man durch den Betriebseingang, dann hängt neben den sonstigen Ausschmückungen, die dauernd wechseln, eine Tafel, wo die einzelnen Abteilungen (Zechen) namentlich aufgeführt sind und ihre erfüllten Prozente des Monatsplanes täglich mit Kreide angeschrieben werden. In allen Versammlungen bis zur Beratung der einzelnen Brigade, in den Wandzeitungen der Abteilungen und in unserer gedruckten Betriebszeitung, die alle drei bis fünf Tage erscheint, wird oft genug kritisch dazu Stellung genommen .... Ende November erstattete der Vorsitzende unseres Rayonsowjets einen Bericht über die geleistete Arbeit. Zum Schluß, nach der Diskussion, wie in allen Versammlungen Beantwortung der schriftlich gestellten Fragen, die natürlich hier besonders zahlreich, ungefähr 40 Stück, waren. Über die Verkehrsverhältnisse, Straßenzustände, Beleuchtung, Bauten, Kindergärten, Anlagen usw. Und die Fragesteller waren nicht so einfach zufriedenzustellen. Es kam öfter vor, daß der Referent unterbrochen wurde und sich dann Zwiegespräche entspannen. Zum Schluß wurden die Vorschläge für den zukünftigen Rayonsowjet aus den Reihen der Belegschaft gemacht .... Eine interessante Versammlung hatten wir im Dezember. Sie war vom Komsomol organisiert. Referent ein ZK-Mitglied der Partei. Thema: Spanien. Drei Tage vorher stellte jede einzelne Brigade des Betriebes Fragen zum Referat auf, die vom Komsomol eingesammelt und dem Referenten übermittelt wurden. Er stellte danach sein Referat zusammen ... Nach dem Referat noch weiter Fragebeantwortung und am Schluß rollte der euch ja sicher auch bekannte Spanienfilm. Anfang Januar: Lenin-Feier, Ende Januar sprach unser Direktor über das verflossene Jahr und über den Plan 1937. Diese Versammlung war deshalb interessant, weil hier die Probleme, die für alle Sowjetbetriebe bezeichnend sind, behandelt wurden. Die Kaderabteilung stritt gegen die Direktion und umgekehrt. Die Kaderabteilung, das ist die Personalabteilung, die verantwortlich für die Heranbringung neuer Arbeiter ist und für die politische und technische Qualifikation der Gesamtbelegschaft. Die Stachanowleute ritten eine Attacke gegen die Natschalniks (Leiter der Zechen) und die Natschalniks übten Kritik untereinander ... Betriebsversammlungen sind hier natürlich ganz anders als bei uns. Ich denke oft an unsere rauchgeschwängerten Versammlungsräume, wenn ich mich in unserem Klub befinde, der ein ganzes Haus für sich ist und neben dem Betrieb liegt. In der unteren Etage sind die Betriebsküche, die Speiseräume, Friseurraum und Garderobe. In der ersten Etage ist unser großer Saal mit 800 bis 1000 Sitzplätzen und moderner Kinoeinrichtung. Und zwei kleinere Tanzsäle. Im obersten Stock Bibliothek, Lese-, Spielzimmer und verschiedene Sitzungsräume. Alle Räume modern ausgestattet und mit vielen Blumen und Pflanzen geschmückt. Außer den Betriebsversammlungen haben wir noch jede Woche ein paar Zechenversammlungen. Entweder in der zweiten Hälfte der Mittagspause oder nach Arbeitsschluß, 30 bis 60 Minuten dauernd. Zum Besuch der Versammlungen wird nicht der geringste Druck ausgeübt. Auch die Geldsammlungen für Spanien zum Beispiel sind zwanglos. Bei Beteiligung an Demonstrationen, Aufnahme in die Gewerkschaft ist es ähnlich .... Ich könnte euch noch viel erzählen von den 15 bis 20 verschiedenen Zirkeln unseres Betriebes, von den Sport- und Wehrsportkursen und von der politischen Schulungsarbeit der Partei und des Komsomol. Außerdem ist an jedem Tag vor und an unserem freien Tag selbst bei uns im Klub gratis Kino- oder Theatervorstellung und Tanz. Jetzt im Winter werden jede Woche ein paar Schlittschuh- und Skiexkursionen organisiert. Hinzu kommen Theater-, Konzert- und Museenbesuche, die von den Zechen organisiert werden. Jedenfalls pulsiert hier das Leben in einem Tempo, daß man nicht weiß, wo die Monate bleiben. Ich will Euch noch von dem Beschluß der Komsomol - Gruppe unserer Zeche berichten, der seit Anfang Dezember durchgeführt wird, täglich eine Wandzeitung herauszugeben. Die Sache ist sehr interessant. Für jeden Tag unserer fünftägigen Arbeitswoche ist ein Redakteur bestimmt. Die Zeitungen haben täglich 3 bis 5 Artikel, klein, aber sehr lebendig. Wenn Ihr mich aber fragen solltet, was gefällt Dir am besten im Betrieb, dann werde ich antworten, am besten gefallen mir die Menschen. Ich will euch keine Reklameleute aus dem Betrieb schildern, sondern versuchen, euch ein Bild vom Durchschnitt meiner Zeche zu geben. Zum Beispiel meine Brigade. Wir sind jetzt mit Brigadier fünf Mann. Ich bin der einzige, der politisch organisiert ist. Mein Brigadier Alexander ist 40 Jahre alt. Als Student eingezogen, von 1917 bis 1919 in deutscher Kriegsgefangenschaft. (Er spricht gut deutsch.) Nach Rußland zurückgekehrt kämpfte er in der Roten Armee. Dann war er an vielen Orten der SU am Aufbau tätig, er ist ein theoretisch äußerst geschulter Elektrofachmann. Seit zwei Jahren arbeitet er in unserem Betrieb, weil hier eine Brigade von Elektrofachleuten nötig wurde. Alexander ist wirklich der Idealtyp eines parteilosen Bolschewiki. In seinem Rayon ist er Inspektor von „Ossoaviachim", außerdem macht er noch im Betrieb viel gesellschaftliche Arbeit. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder. Persönlich ist er ein äußerst bescheidener Mensch und sehr gefühlsmäßig eingestellt. Er liest uns Öfters Gedichte vor. Er gehört zum ingenieurtechnischen Personal und verdient 800 Rubel monatlich. Slav, 26 Jahre alt. Er hat Mittelschulbildung und hat zwei Jahre eine elektrotechnische Schule besucht. Seit zwei Jahren ist er in unserem Betrieb und verdient 400 Rubel. Vom Betrieb ist er in den Rayonsowjet delegiert. Er tanzt gern und liest viel Belletristik. Roman, 24 Jahre. Ebenfalls Mittelschule und dann zwei Jahre Elektrotechnik. Seit eineinhalb Jahren im Betrieb und 400 Rubel. Er ist leidenschaftlicher Fußballer und außerdem großer Kunstliebhaber, spielt gut Klavier und besucht viele Konzerte und Kunstausstellungen. Mischa, 24 Jahre. Seine Eltern waren früher Armbauern in einem Dorf, eine Stunde von Moskau entfernt. Er wohnt noch in dem Dorf, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er braucht jeden Tag zweimal ein und eine halbe Stunde Fahrzeit, er macht keinerlei gesellschaftliche Arbeit und besucht nur die wichtigsten Betriebsversammlungen. Geistig und kulturell unterscheidet er sich natürlich von den Genossen meiner Brigade. Beruflich ist er sehr interessiert und für jeden Tip dankbar. Er hat keinerlei theoretische Ausbildung und verdient 300 Rubel. Er macht die einfachsten Arbeiten in unserer Brigade. Ich habe monatlich 450 Rubel fest, hinzu kommen bei mir, ebenso wie bei den anderen noch Prämien, im Oktober habe ich 522, im November 566, im Dezember 538 Rubel verdient. Abzüge betragen monatlich 15 bis 20 Rubel, jetzt gehen noch 45 Rubel Anleihe ab, die ich zeichnete. Ich habe immer noch mein altes Magenleiden: einen unheimlichen Appetit, der noch weiter angeregt wird, wenn ich mit meiner gefüllten Brieftasche durch unsere prachtvollen Magazine gehe. Die kollektive Zusammenarbeit in unserer Brigade ist glänzend. Unsere Arbeit ist auf freiwillige Disziplin aufgebaut und ich muß sagen, unser Brigadier kann sich auf jeden einzelnen von uns verlassen. Ich könnte Euch noch viel von den einzelnen Menschen erzählen .... in meiner Zeche arbeiten 50 bis 60 Menschen, drei Viertel davon sind Mädchen, von denen über die Hälfte im Komsomol ist. Nicht im ganzen Betrieb ist der Komsomol prozentual so stark vertreten, trotzdem ich schätze, daß zwei Drittel unserer Belegschaft unter dreißig Jahre alt sind. Mitglieder der Partei sind in meiner Zeche drei oder vier Genossen. Das politische Leben und viele andere Dinge hatte ich mir ja immerhin so ähnlich vorgestellt. Völlig überrascht bin ich aber von dem geselligen Leben im Betriebe. In unserer Zeche zum Beispiel wird jeden Tag etwas organisiert, in der zweiten Hälfte der Mittagspause. Wenn keine offizielle Versammlung ist, dann beginnt unser Partorg mit einem 10-Minutenreferat über ein aktuelles Thema und es wird diskutiert. Oder es wird aus der Zeitung vorgelesen. Manchmal hat jemand einen Grammophon für mehrere Tage da, dann wird getanzt. Am lustigsten aber geht es zu, wenn unser Kulturarbeiter zu uns kommt, das ist ein Ziehharmonikaspieler, der vom Betrieb für unseren Klub angestellt ist. Mittags kommt er abwechselnd in die Zechen. Jedenfalls sitzen wir jeden Mittag, nachdem wir im Speisesaal gegessen haben, zusammen. Es ist selten, daß sich jemand absondert und allein an seinem Platz sitzt. Denn es ist immer interessant und abwechselnd. Die Sowjetmenschen sind einfacher, unkomplizierter, natürlicher als wir Westeuropäer." ( http://www.offen-siv.com/stal_tro.htm#15 )

Es zeigt sich, dass es auch in den Betrieben ein demokratisches Leben gab. Natürlich gab es auch da Missstände, bürokratische Verhältnisse, ungerechte Behandlung durch die Betriebsdirektoren etc., doch konnten die arbeitenden Menschen ihre demokratischen Rechte nutzen und solche Missstände anklagen.

 

Schlussfolgerung:

 

Die folgenden Beispiele haben gezeigt, dass es nicht zutrifft, dass die Sowjetunion eine Diktatur war, wie es von den bürgerlichen und trotzkistischen Ideologen vertreten wird. Die Diktatur des Proletariats bedeuten, dass die ehemalige herrschende Klasse zur Verteidigung der Revolution unterdrückt werden muss, dass das Proletariat bewaffnet werden muss um sich zu verteidigen. Gleichzeitig bedeutet aber Diktatur des Proletariats, dass die demokratischen rechte der Werktätigen ausgeweitet werden, dass die Diktatur des Proletariats demokratischer ist als die bürgerliche Demokratie. Da aber der Sozialismus nur eine Übergangsphase hin zum Kommunismus ist, wirken noch Elemente der alten Gesellschaft im Sozialismus … sei es die Notwendigkeit des Staatsapparates – zwar wurde der Alte Zerschlagen, dennoch wird es im Sozialismus zu bürokratischen Entartungen kommen – oder die bürgerliche Ideologie in den Köpfen der Menschen.

 

 

Verwendete Literatur:

 

Fainsod, Merle: “Smolenks Under Soviet Rule”; London 1958;

Lenin, Wladimir Iljitsch: „Staat und Revolution“ http://www.marxistische-bibliothek.de/leninstaat.html

Seydewitz, Max: „Stalin oder Trotzki“ http://www.offen-siv.com/stal_tro.htm

Siegelbaum L., Sokolov A.: "Stalinism as a Way of Life"; Yale New Haven, 2000

Sloan, Pat: “Soviet Democracy” Left Book Club Edition; London 1937

Stalin, Jossif Wissarionowitsch: „Brief an A. M. Groki“; Band 12;

http://stalinwerke.de/band12/b12-018.html

Ders.: „Unterredung mit dem deutschen Schriftsteller Emil Ludwig“; Band 13

http://stalinwerke.de/band13/b13-020.html

Ders.:„Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der Trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler“ (Band 14): http://stalinwerke.de/band14/b14-009.html