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W. B. Bland

 

"Die ungarische Räterepublik von 1919"

(Aus: COMBAT - das theoretische Organ der Communist League of Britain,

Juni 1978).

 

 

 

Inhalt:

 

Einführung

1. Der politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche

Hintergrund

2. Die Ereignisse bis zur Nationaldemokratischen Revolu-

tion (Januar bis Oktober 1918)

3. Das Károlyi-Regime (Oktober 1918 bis März 1919)

4. Die 'Räterepublik' (März bis August 1919)

5. Die Peidl-Regierung (August 1919)

6. Die Friedrich-Regierung (August bis November 1919)

7. Die Huszar-Regierung (November 1919 bis März 1920)

Nachsatz:

Das halbfaschistische Horthy-Regime

 

 

Einführung

 

 

133 Tage lang - vom 21. März bis zum 1. August 1919 - existierte in Ungarn eine 'Räterepublik'. Diese 'Räterepublik' wurde als Staat definiert, in dem 'die Arbeiterklasse die politische Macht' ausübt - als 'Diktatur des Proletariats':

 

"Durch die Errichtung der Räterepublik hat das Proletariat ... die volle Macht ergriffen, um die kapitalistische Ordnung und die Herrschaft der Bourgeoisie zu beseitigen und an ihre Stelle das sozialistische System der Produktion und der Gesellschaft zu setzen. Die Diktatur des Proletariats ist ein ... Instrument zur Vernichtung aller Ausbeutung und Klassenherrschaft."

(Verfassung der Ungarischen Räterepublik, in: H. Gruber, Hrsg., 'Der internationale Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972, S. 123).

 

Der Prozess, durch den die 'Räterepublik' errichtet wurde, wurde als eine 'friedliche sozialistische Revolution' bezeichnet:

 

"Ohne jedes Blutvergießen ging die Macht in die Hände der Arbeiterklasse über."

(M. Rákosi, 'Aussage beim Prozess, 1935, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung

von Mátyás Rákosi', London 1954, S. 139).

 

"In Ungarn wurde zum ersten Mal in der Welt die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats auf friedliche Weise errichtet."

(J. Kende, L. Gecsenyi und A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918 und 1919',

London 1968, S. 22).

 

"Die Machtergreifung wurde friedlich durchgeführt. ... Es gab keinen Widerstand oder Protest, noch nicht einmal von denjenigen Teilen der Gesellschaft, die nicht mit dem innenpolitischen Programm zur sozialistischen Umgestaltung einverstanden waren."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Geschichte Ungarns', London 1975, SS. 434f).

 

"Richter: 'Gab es keinen Widerstand?'

Rákosi: 'Nicht den geringsten Widerstand. ... Niemand leistete Widerstand. Es ist einfach unglaublich."

(Prozess der Ungarischen Gesellschaft, 1935, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung von Mátyás Rákosi', London 1954, SS. 98, 104).

 

Es gehört jedoch zu den fundamentalen Prinzipien des Marxismus-Leninismus, dass eine herrschende Klasse jedes Mittel, das ihr zur Verfügung steht, anwenden wird, um die Ergreifung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse zu verhindern und die damit verbundene Abschaffung der Ausbeutung:

 

"Die historische Wahrheit besteht darin, dass bei jeder tiefgreifenden Revolution der nachhaltige, hartnäckige, erbitterte Widerstand der Ausbeuter ... die Regel ist. Niemals, außer in den sentimentalen Fantasien des sentimalen Einfallspinsels Kautsky, werden die Ausbeuter sich dem Beschluss der ausgebeuteten Mehrheit fügen, ohne von ihren Möglichkeiten in einer letzten, verzweifelten Schlacht oder Serie von Schlachten Gebrauch zu machen."

(W. I. Lenin, 'Die Proletarische Revolution und der Renegat Kautsky', in: 'Ausgewählte Werke', Band 7, London 1946, S. 140).

 

Marxisten-Leninisten erkennen an, dass es für die Arbeiterklasse möglich ist, die politische Macht friedlich und ohne Widerstand auf Seiten der kapitalistischen Klasse unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen zu ergreifen, nämlich dann, wenn die kapitalistische Klasse über keinen funktionierenden staatlichen Gewaltapparat, mit dem sie Widerstand ausüben könnte, verfügt. Es wird hin und wieder argumentiert, dass dies die Situation in Ungarn im März 1919 war, dass die ungarische nationalkapitalistische Klasse, die gerade erst ihre eigene Freiheit im Juli 1918 von der österreichischen Herrschaft errungen hatte, nicht die Zeit hatte, um einen funktionierenden staatlichen Gewaltapparat aus

eigener Kraft im folgenden März aufzubauen.

 

Was jedoch nicht mit dieser Theorie erklärt werden kann, ist die Tatsache, dass die herrschende kapitalistische Klasse sogar die Führer der Kommunistischen Partei Ungarns freiließ, um sie anschließend einzuladen, zusammen mit den Führern der Sozialdemokratischen Partei eine 'Räterepublik' zu errichten:

 

"Ich schlug deshalb vor, dass ... ich die Sozialdemokraten zusammen mit den Kommunisten beauftragen würde, eine neue Regierung zu bilden. Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen."

(M. Károlyi, 'Erinnerungen. Vertrauen ohne Illusionen', London 1956, S. 154).

 

Diese merkwürdige Tatsache wird manchmal mit der Theorie 'erklärt', dass der Kapitalismus in Ungarn im März 1919 - nur acht Monate, nachdem die ungarische nationalkapitalistische Klasse die Macht errungen hatte - bereits 'bankrott' war und dass die herrschende Klasse sich in einem Zustand des 'Zusammenbruchs' befand:

 

"In dieser Situation tritt das Proletariat auf den Plan, von Graf Károlyi und der ungarischen Bourgeoisie selbst dazu aufgefordert. ... Die neue Revolution in Ungarn, die die bürgerliche Demokratie 'durch die Räteregierung ersetzt, ... ist nicht das Ergebnis eines Kampfes zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie, in dessen Verlauf letztere besiegt wurde, sondern ist einfach das Ergebnis der Tatsache, dass die ungarische Bourgeoisie ... den Löffel abgegeben hat. ... Das Proletariat erringt die Macht, weil die Bourgeoisie zusammengebrochen ist."

(P. Levi, Artikel in: 'Freiheit', 24. März 1919, zitiert nach: H. Gruber, Hrsg., ebd. SS. 144f).

Obwohl diese Theorie luxemburgistisch ist und nicht marxistisch-leninistisch, sah sich sogar Lenin trotz seiner Vorbehalte über den Charakter der ungarischen 'sozialistischen Revolution' - Vorbehalte, die in dem folgenden Text dokumentiert sind - durch die Tatsachen veranlasst, dieser Theorie zu folgen:

 

"Eine äußerst radikale, demokratische und zu Kompromissen bereite Bourgeoisie erkannte, dass im Augenblick der größten Krise ... die Räteregierung eine historische Notwendigkeit war, dass es in einem solchen Land keine andere als eine Räteregierung geben konnte: die Diktatur des Proletariats."

(W. I. Lenin: Abschlussrede auf dem 8. Parteitag der RKP, 23. März 1919, in: 'Gesammelte Werke', Band 29, Moskau 1974, S. 224).

 

"Die Bourgeoisie hat freiwillig die Macht an die Kommunisten Ungarns abgetreten. Die Bourgeoisie zeigte der ganzen Welt, dass wenn eine ernste Krise hinzutritt, ... die Bourgeoisie nicht mehr in der Lage ist zu regieren." (W. I. Lenin, Verhandlungen mit Bela Kun, März 1919, in: Ebenda, S. 243).

 

"In Ungarn nahm die Revolution eine denkbar außergewöhnliche Form an. Der ungarische Kerenski, der dort Károlyi genannt wird, trat freiwillig zurück und die ungarischen Kompromissler, die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, erkannten, dass sie zu dem Gefängnis ziehen mussten, wo unser Genosse Bela Kun ... inhaftiert war. Sie gingen zu ihm und sagten: 'Du musst die Macht übernehmen!'

Die bürgerliche Regierung trat zurück. ... Dies ist eine Revolution von welthistori scher Bedeutung. ... Die ungarische Bourgeoisie musste vor aller Welt eingestehen, dass sie aus freien Stücken zurückgetreten war und dass die einzige Macht der Welt, die in der Lage war, die Nation im Augenblick der Krise zu führen, die Rätemacht war." (W. I. Lenin: 'Bericht zur innen- und außenpolitischen Lage der Sowjetrepublik, Sondersitzung des Moskauer Sowjet, 3. April 1919, in: Ebenda, SS. 269f).

 

Daraus folgt, dass die Art und Weise, wie die ungarische 'Räterepublik' im März 1919 errichtet wurde, nur auf der Grundlage einer der folgenden Theorien erklärt werden kann:

Entweder: Das marxistisch-leninistische Prinzip, dass die kapitalistische Klasse jedes Mittel, das ihr zur Verfügung steht, anwenden wird, um die Machtergreifung der Arbeiterklasse zu verhindern - ein Prinzip, das für alle Zeiten und überall für gültig befunden wird - besaß im März 1919 in Ungarn keine Gültigkeit;

 

oder: Die Errichtung der ungarischen 'Räterepublik' war keine echte Machtergreifung durch die Arbeiterklasse, d.h., dass die ungarische 'Räterepublik' nicht eine wahrhafte Diktatur der Arbeiterklasse war, sondern eine falsche Fassade, die von der ungarischen nationalen kapitalistischen Klasse errichtet wurde, um ihr einen bestimmten Dienst zu erweisen.

 

Die folgende Analyse zeigt, dass die zweite Theorie zutrifft.

 

Am 20. März 1919 stand die ungarische nationale kapitalistische Klasse und ihre Regierung mit Präsident Mihály Károlyi vor einem schwierigen Dilemma: An diesem Tage ging in Budapest ein Ultimatum seitens der siegreichen Alliierten Mächte ein, das darauf hinauslief, dass nicht nur das Territorium des ehemaligen mulitnationalen Königreichs Ungarn, sondern auch das ethnisch ungarische Gebiet zerstückelt werden sollte.

 

Man hatte nicht vor, dieses Ultimatum anzunehmen. Vielmehr:

 

" ... Es gab nicht einen einzigen ungarischen Politiker, der bereit gewesen wäre,

dieser Forderung der Großmächte nachzukommen."

(Z.L. Nagy: 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pámlenyi, Hrsg., 'Eine Ge-

schichte Ungarns', London 1975, S. 433).

 

Andererseits war man auch nicht bereit, es abzulehnen, weil dies aller Wahrscheinlich-

keit nach Krieg und Besetzung durch die Streitkräfte der Alliierten Mächte bedeutet hätte,

mit der Folge, dass vermutlich noch weitere Teile des ethnisch ungarischen Territoriums

verloren gegangen wären.

 

Man einigte sich deshalb auf einen listigen Plan, ein Plan, der dazu gedacht war, die

Alliierten Mächte mit dem 'Gespenst des Bolschewismus' zu verschrecken. Am 21. März

1919 trafen sie Anstalten, eine 'Räterepublik' in Ungarn zu errichten, mit dem erklärten

Ziel, eine militärische Allianz mit Sowjetrussland einzugehen.

 

Schon am 19.März hatte Károlyi

 

" ... sein Kabinet darüber informiert, dass nach Ansicht der Militärexperten der

Regierung es nur eine Frage von Wochen sei, bis die russische Armee die rumä-

nischen Linien durchbrochen habe und die östliche Grenze Ungarns erreichen

würde."

(R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Sowjetrepublik', New York 1967,

S. 132).

 

Die Vertreter der 'gestürzten' ungarischen nationalen kapitalistischen Klasse, deren

Hauptpartei die Sozialdemokratische Partei war, verwiesen dann darauf, dass die 'sozia-

listische Revolution' von dem 'Ultimatum der Alliierten ausgelöst' worden sei.

 

Dazu Oszkar Jászi, Minister für Nationalitäten in der ungarischen Regierung:

 

"Die kommunistische Revolution war die unmittelbare Folge des Ultimatums. ...

Es ist unmöglich, den unmittelbaren Zusammenhang von Ursache und Wirkung

zwischen der Note der Alliierten und dieser Diktatur zu bestreiten."

(O. Jászi, 'Revolution und Konterrevolution in Ungarn', New York 1969, SS. 97,

98).

 

- eine Ansicht, die auch vom Vorsitzenden des Revolutionären Regierungsrats, Sandor

Garbai, geteilt wurde:

 

"Was jetzt passiert, geschieht deshalb, weil die Entente (gemeint das Bündnis

der Alliierten - Übers.) die Ereignisse in diese Richtung gelenkt hat."

(S. Garbai, zitiert nach: O. Jászi, S. 98).

 

... sowie vom Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten (der Ungarischen 'Räte-

republik' - Übers.) Bela Kun:

 

"Die Antwort des ungarischen Volkes auf das Ultimatum der Entente, die die

sofortige und endgültige Abtretung ungarischen Territoriums an die rumänische

Oligarchie verlangt, ist die Ausrufung der Diktatur des Proletariats."

(B. Kun: Radioansprache an die Arbeiter der Welt, 23.März 1919, in: O. Jászi,

ebenda, S. 98).

 

Die Vertreter der kapitalistischen Klasse fügten hinzu, dass die öffentliche Meinung

gegen die Forderungen der Alliierten 'so überwältigend feindselig' sei, dass sie Ungarn

nur vor 'der Diktatur des Proletariats' bewahren könnten, wenn diese Forderungen 'weit-

gehend zu Ungarns Vorteil' abgeändert werden würden.

 

Die politische Atmosphäre in Ungarn zur damaligen Zeit - als Arbeiter Räte nach dem

Muster der Sowjets in Russland gründeten und wo in vielen Regionen landlose Bauern

willkürlich die großen Güter ansichrissen - spielten für die Herstellung der falschen Fas-

sade einer 'Räterepublik' eine wichtige Rolle.

 

Dass aber die Vertreter des nationalen kapitalistischen Regimes die 'Räterepublik'

nicht ernst nahmen, wird durch die Aussage von Mátyás Rákosi bezeugt, der 1955 bei

seinem Prozess die Ereignisse, die auf seine Freilassung aus dem Gefängnis am 21.

März 1919 folgten, so schilderte:

 

"Ich wurde zum Staatssekretär geführt ..., der sich mir wie folgt vorstellte: 'Mein

Name ist Genosse Mehely.' (Gelächter im Gerichtssaal). Ich wusste, dass er Ge-

schäftsführer des Nationalverbandes der Industriellen war und wunderte mich,

dass er jetzt auch Genosse war. Aber sofort danach eilten alle Staatssekretäre

und Berater zu mir und sie alle stellten sich mir als 'Genossen' vor."

(M. Rákosi, Aussage vor Gericht, 1955, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 105).

Aber während die politischen Vertreter der nationalen kapitalistischen Klasse sich be-

mühten, den trügerischen Schein einer 'Räterepublik' zu wahren, sahen die politischen

Repräsentanten der Grundbesitzerklasse sie ganz eindeutig als ein bloßes Scheinmanö-

ver an, um die Alliierten Mächte dazu zu bewegen, ihre Forderungen nach einer Zerstü-

ckelung des ungarischen Staates zurückzunehmen. Rákosi zitiert aus einem Buch mit

dem Titel 'Fakten zur Szeged-Konterrevolution' von Bela Keleman, dem Innenminister der

konterrevolutionären 'Nationalen Regierung', die in Szeged zur Zeit des Bestehens der Räte-

republik' errichtet worden war:

 

"Die Ansicht war ziemlich weit verbreitet, dass die Ausrufung der Räterepublik

nur ein Druckmittel war, um die Entente dazu zu zwingen, von der Zerstückelung

Ungarns Abstand zu nehmen."

(B. Keleman, 'Fakten zur Szeged-Konterrevolution', in: M. Rákosi, Aussage vor

Gericht, 1935, in: Ebenda, S. 159).

 

Der Plan war keineswegs so riskant wie er sich anhören mag, denn er beruhte auf der

Voraussetzung, dass die inhaftierten Führer der Kommunistischen Partei der Auflösung

ihrer Partei und dem Zusammenschluss mit der Sozialdemokratischen Partei zu einer 'So-

zialistischen Partei Ungarns' zustimmen würden, was faktisch bedeutete, die Kommunis-

tische Partei in einer Partei verschwinden zu lassen, die mehr als hundertmal so groß wie

die eigene war. Tatsächlich wurde die ungarische 'Räterepublik' von der 'ehemaligen' So-

zialdemokratischen Partei, deren Mitglieder die wichtigsten staatlichen Positionen im gan-

zen Land bekleideten, kontrolliert:

 

"Der größte ... Fehler, der von der ungarischen Arbeiterrevolution von 1919 ... be-

gangen wurde, war der, dass die wichtigsten Posten der revolutionären Regierung

von sozialdemokratischen Führern, die unsere Sache sabotierten und verrieten,

eingenommen wurden."

(M. Rákosi, Aussage vor Gericht, Juli 1926, in: Ebenda, S. 42).

 

"Aufgrund der Tatsache, dass die gesamte Sozialdemokratische Partei das Ab-

kommen mit der Kommunistischen Partei akzepiert hatte und weil als Folge da-

von sie (die Sozialdemokraten - Verf.) sich in einer Position befanden, von der

aus sie sich ihren Anhängern gegenüber als Verfechter der proletarischen Revo-

lution präsentieren konnten, war es möglich, sie zu beseitigen. Deshalb hatte die

Verkündung der Diktatur des Proletariats diese Leute in ihren Positionen gestärkt.

Sie erlaubte ihnen, ihre Positionen zu halten und ihren Kampf gegen die Diktatur

des Proletariats zu führen, in der gleichen Weise, wie sie es vor der Verkündung

getan hatten. ... Der Bourgeoisie ... gelang es, sämtliche Schlüsselpositionen (der

'Räterepublik' - Verf.) zu besetzen."

(M. Rákosi, Aussage vor Gericht, 1935, S. 141f).

 

Der führende Sozialdemokrat Vilmos Bohm meinte später:

 

"Wir blieben auf der Kommandobrücke des Schiffes, das vom Sturm zugerichtet

war, um mit einer großen Anstrengung alles, was noch zu retten war, zu retten."

(W. Bohm, 'Ket forradalom tuzeben' - im Kreuzfeuer zweier Revolutionen - Wien

1923, S. 261).

 

Jedes weitere Risiko, das sich die falsche 'Räterepublik' zu einer echten entwickeln kön-

nte, wurde durch die Tatsache zunichte gemacht, dass die Programme sowohl der Sozial-

demokratischen als auch der Kommunistischen Partei jede Art von Aufteilung der großen

Domänen unter die Bauernschaft ablehnten, womit die 'Räterepublik' dazu verurteilt war, die

landhungrigen armen Bauern zu entfremden:

 

"Ein weiterer großer Fehler bestand darin, dass wir es leider unterließen, die gro-

ßen Güter auf die landlosen Bauern aufzuteilen. ... Die Kommunistische Partei

Ungarns muss erkennen, dass sie einen großen Fehler beging, als sie es wäh-

rend der Diktatur unterließ, das Land aufzuteilen."

(M. Rákosi, Aussage vor Gericht, Juli 1926, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung

von Mátyás Rákosi', London 1954, SS. 42, 53).

 

"Wehe der Regierung, die die Bauernschaft gegen sich hat! Sie führt nur ein

Schattendasein."

(B. Szanto, 'Die wahren Gründe für den Zusammenbruch der ungarischen Räte-

republik', in: 'Die Internationale', Band 1, Nr. 15/16, 1. November 1919, in: H. Gru-

ber, Hrsg., 'Der internationale Kommunismus in der Zeit Lenins', New York 1972,

S. 135).

 

Wenn es durch das Manöver gelänge, zufriedenstellend geänderte Waffenstillstandsbe-

dingungen bei den Allliierten durchzusetzen, war man bereit, später die 'Räterepublik' im

geeigneten Moment wieder aufzulösen.

 

Aus der Sicht seiner Urheber, der ungarischen nationalen kapitalistischen Klasse, er-

wies sich der Plan als sehr erfolgreich. Innerhalb einer Woche nach der 'sozialistischen

Revolution' entsandte die Friedenskonferenz in Versailles nach Budapest eine Abordnung,

um die die Károlyi-Regierung bis dahin vergeblich nachgesucht hatte und überbrachte

neue Bedingungen, die Károlyi selbst als 'erstaunlich günstig' beschrieb.

 

Die Vertreter der nationalen kapitalistischen Klasse in der Sowjetregierung, die ehema-

ligen Führer der Sozialdemokratischen Partei, wandten sich dann sowohl gegen die Kom-

munisten als auch gegen die Regierung und veranlassten den Rücktritt des 'Revolutionä-

ren Regierungsrats' sowie das Ende der 'Räterepublik' am 1. August 1919.

 

Einige der Lehren, die Marxisten-Leninisten aus dem Zusammenbruch der 'Räterepu-

blik' in Ungarn zogen, fanden im folgenden Jahr Eingang in die 'Beitrittsbedingungen der

Kommunistischen Internationale', die von Lenin entworfen und vom Zweiten Kongress der

Kommunistischen Internationale angenommen wurden:

 

"Nicht ein einziger Kommunist darf die Lehren der ungarischen Räterepublik

vergessen. Das ungarische Proletariat musste teuer für den Zusammenschluss

der ungarischen Kommunisten mit den Reformisten bezahlen. ... Jede Organisa-

tion, die den Wunsch hat, sich der Kommunistischen Internationale anzuschlie-

ßen, muss aus allen irgendwie verantwortlichen Positionen in der Arbeiterbewe- gung ... Reformisten und Anhänger des 'Zentrums' entfernen und zuverlässige

Kommunisten an ihre Stelle setzen. ... Die Arbeiterklasse kann ihren Sieg nicht

sichern, ohne dass sie zumindest einen Teil der Landarbeiter und der armen

Bauern hinter sich hat und ohne dass sie durch ihre Politik einen Teil des Rests

der ländlichen Bevölkerung neutralisiert hat. In der gegenwärtigen Epoche gewinnt

die kommunistische Arbeit in den ländlichen Kreisen erstrangige Bedeutung. ...

Parteien, die den Wunsch haben, der Kommunistischen Internationale beizutre-

ten, müssen die Notwendigkeit anerkennen, vollständig und absolut mit dem Re-

formismus und der Politik des 'Zentrums' zu brechen. ... Ohne dies ist es unmög-

lich, eine konsequente kommunistische Politik zu verfolgen. Die Kommunistische

Internationale verlangt kategorisch und ultimativ, dass dieser Bruch so schnell wie

möglich vollzogen wird. ...

 

Die Parteien, die immer noch an das alte sozialdemokratische Parteiprogramm ge- bunden sind, müssen diese Programme so schnell wie möglich revidieren und im

Geist der Beschlüsse der Kommunistischen Internationale ein neues kommunisti-

sches Programm erarbeiten, das auf die besonderen Bedingungen in ihren jeweili-

gen Ländern zugeschnitten ist. ... Alle Parteien, die der Kommunistischen Interna-

tionale beitreten wollen, müssen ihren Namen ändern. Alle Parteien, die sich der

Kommunistischen Internationale anschließen wollen, müssen den Namen 'Kom-

munistische Partei' dieses ohne jenes Landes tragen. ... Die Frage des Namens

ist nicht bloß eine formale Frage, sondern eine Frage von politischer Tragweite.

Die Kommunistische Internationale hat der gesamten bürgerlichen Welt den Krieg

erklärt und allen gelben, sozialdemokratischen Parteien. Der Unterschied zwi-

schen den kommunistischen Parteien und den alten, offiziellen 'sozialdemokrati-

schen' oder 'sozialistischen' Parteien, die das Banner der Arbeiterklasse verraten

haben, muss jedem einfachen Werktätigen absolut klar werden."

(W. I. Lenin, 'Die Aufnahmebedingungen in die Kommunistische Internationale', in:

'Ausgewählte Werke', Band 10, London 1946, SS. 201ff, 205f).

 

In seiner Rede vor dem Ersten Kongress der Stoßarbeiter der Kollektivfarmen im Februar

1933 kam Stalin zu der unausweichlichen Schlussfolgerung, dass die ungarische 'Sozialis-

tische Revolution' vom März 1919 und die ungarische 'Räterepublik' vom März/August

1919 nicht echt waren:

 

"Nur die Oktoberrevolution setzte sich das Ziel, jede Art von Ausbeutung abzu-

schaffen und alle Ausbeuter und Unterdrücker zu beseitigen. ... Ihr besitzt ... die

sowjetische Arbeiter- und Bauernregierung. ... Weder gibt es ein anderes Land

wie dieses auf der ganzen Welt, noch hat es ein solches Land vorher gegeben."

(J. W. Stalin, Rede an den Ersten Kongress der Stoßarbeiter der Kollektivfarmen,

in: 'Werke', Band 13, Moskau 1955, SS. 245, 251).

 

 

1. Der politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Hintergrund

 

 

Die ungarische nationaldemokratische Revolution von 1848/9

 

In den 40iger Jahren des 19. Jahrhunderts war Ungarn eine Halbkolonie des österreichi-

schen Kaiserreiches und dreimal so groß wie heute. Zu seinen Einwohnern zählten nicht

nur die Magyaren (ethnische Ungarn), sondern auch nationale Minderheiten wie Tschechen,

Deutsche, Italiener, Polen, Rumänen, Serben, Slowaken, Slowenen und Ukrainer.

 

Das gesellschaftliche System Ungarns war in erster Linie feudaler und agrarischer Na-

tur, wobei eine Handvoll von aristokratischen Magyarenfamilien, die sich mit ihrem Status

als Juniorpartner ihrer österreichischen Kollegen zufriedengaben, den größten Teil des Bo-

dens kontrollierten.

 

In dem Maße wie sich das kapitalistische ökonomische System innerhalb des öster-

reichischen Feudalismus entwickelte - langsam und unter Schwierigkeiten - wurde die

auftrebende Bourgeoisie der Nationen und Teilnationen, die im Kaiserreich geknebelt wa-

ren, zur führenden Kraft der demokratisch revolutionären Bewegung, die sich gegen das

Zentrum der Selbstherrschaft in Wien richtete.

 

Am 13. März 1848 führte eine revolutionäre Erhebung in der Hauptstadt des Kaiserrei-

ches zum Rücktritt und zur Flucht des österreichischen Außenministers Prinz Klemens

von Metternich, zur Annahme einer Verfassung durch Kaiser Ferdinand dem Ersten am

25. April 1848 sowie zur Abdankung des Kaisers am 2. Dezember 1848 zugunsten sei-

nes Neffen, Franz Josef dem Ersten.

 

Gleichzeitig führte eine nationaldemokratische Revolution in Ungarn zur Unabhänigig-

keitserklärung vom 14. April 1849, wodurch Ungarn zur unabhängigen Republik mit Lajos

Kossuth als Gouverneur erklärt wurde.

 

Nach der 'Wiederherstellung der Ordnung' in Wien durch kaiserliche Truppen, die von

Prinz Alfred zu Windisch-Graetz geführt wurden, wurde die unabhängige Regierung in

Ungarn durch eine Allianz aus der österreichischen kaiserlichen Armee unter dem Kom-

mando von General Baron Julius von Haynau und russischen Truppen unter dem Befehl

von Feldmarschall Iwan Paskewitsch gestürzt. Dem Sturz folgte ein blutiges Terrorregime

unter Haynau, das fast ein Jahr lang andauerte.

 

Der Kompromiss von 1867

 

Die einzige nachhaltige Errungenschaft der Revolution von 1848/9 bestand in dem Ge-

setz vom 6. September 1846, das die Leibeigenschaft abschaffte und welches auch nach

der erfolgreichen Konterrevolution nicht wieder aufgehoben wurde. Dies trug dazu bei, dass

sich das kapitalistische Wirtschaftssystem in Ungarn entfalten konnte.

 

1859 wurde die österreichische kaiserliche Armee von den Armeen Italiens und Frank-

reich geschlagen, was zur Abtretung der Lombardei an Italien führte. Und im Jahre 1866

führte eine weitere Niederlage durch Preußen dazu, dass Venezien an Italien abgetreten

werden musste und dass an Preußen unfangreiche Wiedergutmachungszahlungen zu

leisten waren.

 

Diese internen und externen Entwicklungen schwächten die österreichische Autokratie

so sehr, dass sie 1867 gezwungen war, ihre Position durch die Anerkennung der ungari-

schen Aristokratie als nominell gleichberechtigten Partner zu festigen. Die Kompromiss-

Akte vom 29. Mai 1867 verwandelte das österreichische Kaiserreich in die Doppelmonar-

chie von Österreich-Ungarn. Dadurch wurde Ungarn zum Königreich in 'unlösbarer Einheit'

mit Österreich unter dem österreichischen Kaiser verbunden, wobei ihm jedoch in innen-

politischen Angelegenheiten - nicht aber in Fragen der Außenpolitik, der Finanzen, der Ver-

teidigung und der diplomatischen Vertretung - die Autonomie zugestanden wurde.

 

Am 6. Juni 1867 wurde Kaiser Franz Josef zum König von Ungarn gekrönt.

 

Die Entwicklung des Kapitalismus

 

Obwohl die Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems in Ungarn weiterhin

durch den herrschenden Landadel gehemmt wurde, ermöglichte der Kompromiss von 1867

diese Entwicklung dennoch bis zu einem bestimmten Grade, wie die folgende Tabelle zeigt:

1867 1913

_______________________________________________________________

 

Kohleproduktion ( in Mill.

Doppelzentnern) 7 102

Eisenerzproduktion (in Mill.

Doppelzentnern) 5 21

Länge des Eisenbahnnetzes

(in Kilometern) 2.200 22.000

Zahl der Fabriken 24 5.000

In Fabriken genutzte Energie

(in tausend Pferdestärken) 9 (1863) 886

Zahl der Industrieunternehmen 170 (1875) 1.000

Kapital der Industrieunterneh-

men (in Millionen Kronen) 200 (1873) 1.512 (1910)

Kapial der Banken (in Mill.

Kronen) 729 13.197

Zahl der Industriearbeiter (in

tausend) 110 (1880) 620

Anteil am Nationaleinkommen

aus Industrie und Bergbau 16% 26%

 

Das ungarische Industriekapital war relativ konzentriert: Im Jahr 1900 produzierten 0,5%

aller Industrieunternehmen 66% der Produktionsmenge und beschäftigten 44% der Arbei-

ter. Diese Konzentration war besonders im Metallwesen ausgeprägt. Drei eisenproduzie-

rende Firmen kontrollierten den größten Teil der Produktion.

 

Mit der Entwicklung der Industrie vergrößerte sich der Anteil der ungarischen nationalen

kapitalistischen Klasse an ihr (die überwiegend jüdisch war) - von einem Drittel der Indus-

trieunternehmen 1880 auf zwei Drittel 1913.

 

Klassenstruktur

 

1913 war der Anteil der Bevölkerung an den verschiedenen Klassen in etwa folgender

(einschließlich Familienangehörige):

 

 

Klassenin Millionen

______________________________________________________________

Grundeigentümer 0,1

Kompradorkapitalisten (Händler,

besonders im Außenhandel - Übers.) 0,2

Nationale kapitalistische Klasse (vom

Ausland unabhängige Nationalbourgeoisie 0,2

- Übers.)

Reiche Bauern 0,3

Mittlere Bauern 6,0

Arme Bauern 8,2

Städtisches Kleinbürgertum 1,9

Städtische Arbeiterschaft 5,9

______________________________________________________________

Gesamt: 20,8

Die Entwicklung der Arbeiterbewegung

 

Die erste politische Organisation, die den Anspruch erhob, die Interessen der Arbeiter-

klasse zu vertreten, war die Allgemeine Arbeitervereinigung, die am 23. Februar 1868 auf

Initiative von Janos Hrabje, einem Mitglied des Generalrats der Ersten Internationale, gebil-

det wurde. Ihr Programm war stark von den Lehren von Ferdinand Lassalle beeinflusst, ent-

hielt Forderungen nach Ausweitung des Wahlrechts, nach Arbeiterbildung sowie für die Er-

richtung von Arbeiterproduktionsgenossenschaften, um den 'Kapitalismus zu überwinden'.

 

Im Frühjahr 1871 organisierte die Allgemeine Arbeitervereinigung eine Streikserie für

verbesserte Arbeitsbedingungen sowie eine Zahl von Demonstrationen für die Pariser Kom-

mune. Nach der Niederschlagung der Kommune, wurde die Allgemeine Arbeitervereinigung

von der Regierung verboten, ihre Führer verhaftet und im April/Mai 1872 wegen Hochverrates

angeklagt. Obwohl sie freigesprochen wurden, führten die Verfolgungen zur Auflösung der

Organisation. Ihr Krankengeld- und Arbeitsunfähigkeitsfonds (der 1870 auf Initiative von Ká-

roly Párkas gegründet wurde) bestand jedoch weiter.

 

1876 kehrte Leo Frankel, der in der Pariser Kommune Arbeitskommissar gewesen war

sowie Mitglied des Generalrats der Ersten Internationale, in seine Heimat Ungarn zurück.

Auf seine Initiative hin wurde erneut am 21./22. April 1878 eine politische Organisation, die

den Anspruch erhob, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, und zwar die 'Nichtwäh-

lerpartei' (der einzige Name, den die Regierung zuließ) gegründet.

 

Auf einer Konferenz vom 16./17. Mai 1880 schloss sich der Krankengeld- und Arbeitsun-

fähigkeitsfonds mit der Nichtwählerpartei zur Allgemeinen Arbeiterpartei Ungarns (AAU) zu-

sammen. Obwohl diese Partei nicht vollständig mit Lassalle brach, kleidete sich ihre Pro-

gramm immerhin in eine marxistische Terminologie und vertrat das öffentliche Eigentum an

den Produktionsmitteln.

 

1881 wurde Frankel wegen 'krimineller Beleidigung' in der Parteipresse verhaftet und zu

achtzehn Monate Haft verurteilt. Nach seiner Freilassung verließ er das Land und die Füh-

rung der Allgemeinen Arbeiterpartei geriet in die Hände der eher rechtsgerichteten Angestel-

lten der Krankenkasse.

 

1889 beteiligte sich die Allgemeine Arbeiterpartei Ungarns an der Gründung der Zweiten

Internationale.

 

Eine Konferenz der AAU wählte im Herbst 1889 Pal Engelmann in die Führung und auf

seine Initiative hin fing die Partei an, der sozialistischen Agitation größeres Gewicht beizu-

messen. 1890 beteiligten sich 60.000 Arbeiter zum ersten Mal an den Feierlichkeiten zum

Ersten Mai.

 

Auf dem Kongress vom 7. Dezember 1890 wurde die Allgemeine Arbeiterpartei Ungarns

in Sozialdemokratische Partei Ungarns (SDP) umbenannt und der Kongress wurde zum

Ersten Parteitag der SDP. Der Parteitag nahm eine 'Grundsatzerklärung' an, derzufolge es

das langfristige Ziel der Partei sei, das öffentliche Eigentum an den Produktionsmitteln

durchzusetzen, ohne jedoch darzulegen, wie dies durchgesetzt werden sollte. Als kurz-

fristigere Ziele wurden das allgemeine Wahlrecht und die 'parlamentarische Demokratie' an-

gestrebt. Von einer Bodenreform war nicht die Rede.

 

Im Sommer 1891 ereigneten sich im ländlichen Süden Ungarns (der 'Stürmischen Ecke')

zwischen der Polizei und den Landarbeitern Demonstrationen für höhere Löhne und besse-

re Arbeitsbedingungen. Danach gelang es den rechtsgerichteten Funktionären der Kranken-

kasse, die den Klassenkampf ablehnten, Ende 1892 auf dem Zweiten Parteitag der SDP

den 'linken' Flügel um Engelmann aus der Partei auszuschließen.

 

Auf dem Dritten Parteitag (Vereinigungsparteitag) der SDP am 13. Mai 1894 wurde der

'linke' Flügel wieder in die Partei aufgenommen und einer ihrer Vertreter, Ignaz Silberberg,

wurde zum Parteiführer gewählt. Dieser Parteitag beschloss zum ersten Mal ein Agrarpro-

gramm, gleichzeitig hieß es darin aber, dass die Arbeiterklasse kein Interesse an der 'Be-

wahrung der Bauernschaft' habe und eine Politik der 'Nationalisierung des Großgrundbesit-

zes ohne Entschädigung' wurde vorgeschlagen.

 

Diese Politik gegenüber der Bauernschaft setzte sich bis ins 20. Jahrhundert fort. Ein

Artikel zur 'Bauernpolitik', der im Juli 1907 in 'Nepszava' (Volksstimme) veröffentlicht wurde,

vertrat folgenden Standpunkt:

 

"Die Bauernschaft ist im wahrsten Sinne des Wortes reaktionär. ... Daraus folgt, ...

dass es unmöglich ist, selbst zeitweilige Bündnisse mit der Bauernschaft einzuge-

hen."

('Bauernpolitik', in 'Nepszava' - Volksstimme - 26. Juli 1907, in: R. L. Tokes, 'Bela

Kun und die ungarische Räterepublik', New York 1967, S. 6).

 

Am 22. April 1894, nach der Verhaftung von János Szánto Kovacs, der in Hodmezdvasar-

hely auf der 'Großen Ebene' die Landarbeiter organisiert hatte, stürmte die örtliche Bevöl-

kerung das Rathaus und lieferte sich heftige Kämpfe mit der Polizei und der Armee. Die

Regierung erklärte den Notstand und sprach ein Verbot für alle 'sozialistischen' Versamm-

lungen aus. Szánto Kovacs und die Rebellen von Hodmezdvasarhely wurden zu langen Ge-

fängnisstrafen verurteilt.

 

Ende 1895 gelang es jedoch der rechten Fraktion, die 'linke' Fraktion mit Silberberg an

der Spitze aus der Führung zu verdrängen.

 

Im Sommer 1897 brachen große Streiks unter den Landarbeitern in 14 Grafschaften Un-

garns aus. Die Bewegung wurde begeistert durch die Führung der SDP in der Person von

Istvan Várkonyi unterstützt, der selbst Landarbeiter gewesen war und der im Sommer 1896

größtenteils aus eigenen Mitteln damit angefangen war, die Zeitung 'Foldmivelo' (der Land-

arbeiter) herauszugeben. Die Führung der SDP war gegen den Klassenkampf auf dem Lan-

de ebenso wie in der Stadt und brachte die Partei auf Distanz zu Várkonyi und seiner Zei-

tung. Danach gründete Várkonyi auf dem Kongress von Cegled am 8. September 1897 eine

neue Partei - die 'Unabhängige Sozialistische Partei' (USP), die eine richtige Agrarpolitik

verfolgte und nicht nur bessere Lebensbedingungen für die Arbeiter verlangte, sondern auch

die Verstaatlichung der kirchlichen Ländereien sowie aller Güter über 60 ha, welche in ei-

ner Größenordnung von 5 ha zu niedrigen Pachten (unter den armen Bauern - Übers.) aufge-

teilt werden sollten.

 

Der Einfluss der USP weitete sich stark in den ländlichen Regionen Ungarns aus und

1898 verhaftete die Regierung Várkonyi, verbat den 'Foldmivelo' und unterdrückte gewaltsam

die Bewegung für die Landreform. Gleichzeitig sprach die Regierung für alle Gewerkschaften

unter militanter Führung (etwa ein Drittel aller Gewerkschaften) das Verbot aus und unter-

sagte sogar den Parteitag der SDP. 1898 verabschiedete die Regierung das so genannte

'Sklavengesetz', das jeden Landarbeiter zwang, mit seinem Arbeitgeber einen schriftlichen

Vertrag abzuschließen, dessen Bruch eine kriminelle Handlung darstellte und sprach harte

Strafen für die Organisierung der Landarbeiter oder die Abhaltung von Streiks aus.

 

1899 waren Gewerkschaften nur auf örtlicher Ebene organisiert, aber in diesem Jahr wur-

de der Erste Gewerkschaftskongress abgehalten, woraufhin die ersten landesweiten Gewerk-

schaften gebildet wurden. Bis 1904 war die Zahl der Gewerkschafter auf über 50.000 ange-

stiegen - fünfmal so hoch wie 1899. Fast alle Gewerkschaften waren eng mit der Sozialde-

mokratischen Partei verbunden.

Am 25. März 1906 wurde die Unabhängige Sozialistische Bauernpartei unter der Führung

von Andras Achim gegründet. Sie gab die Zeitschrift 'Paraszt Ujsag' (das Bauernjournal)

heraus und forderte eine Bodenreform, das allgemeine Wahlrecht, eine progressive Besteu-

erung und Maßnahmen zum Schutze von Kleinbauern und Landarbeitern. Obwohl Achim

sich darum bemühte, eine Allianz zwischen armen und mittleren Bauern auf der einen Seite

und den Industriearbeitern auf der anderen herzustellen, wurde dies vehement von der Füh-

rung der SDP zurückgewiesen. Im Mai 1911 wurde Achim von dem Sohn eines Landbesit-

ers niedergeschossen und seine Partei zerfiel danach.

 

In der Zwischenzeit unternahm die Klasse der Grundbesitzer ebenfalls einen Versuch,

die Mittelbauern durch die Gründung der 'Partei der Nationalen Unabhängigkeit und der 48

Bauern' (auch 'Kleinbauernpartei' genannt) auf ihre Seite zu ziehen. Sie wurde von Istvan Na-

gyatadi Szábo geführt, entwickelte sich jedoch erst nach der Zerstörung der 'Räterepublik'

zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft.

 

1909 gründete auch die national-kapitalistische Klasse Ungarns eine Organisation: den

'Galilei-Kreis' an der Budapester Universität, ein Zentrum progressiver junger Intellektueller

aus Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie.

 

Am 23. Mai 1912 rief die SDP in Budapest zu einem Generalstreik und einer Demonstra-

tion aus Protest gegen die Ernennung des erzreaktionären Grafen Istvan Tisza zum Spre-

cher des Parlaments auf (eine Ernennung, die dazu gedacht war, das Armee-Gesetz ge-

gen die parlamentarische Opposition durchzudrücken). Die Demonstration wurde von berit-

tener Polizei und Armeeeinheiten angegriffen und einen ganzen Tag lang lieferten sich bei-

de Seiten eine offene Schlacht, die unter dem Namen 'Blutiger Donnerstag' bekannt wurde.

 

Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg und nur innerhalb weniger

Tage entwickelte sich der Krieg zum Ersten Weltkrieg, mit Deutschland und Österreich-Un-

garn auf der einen und Großbritannien, Frankreich und Russland auf der anderen Seite.

 

Die Sozialdemokratische Partei unterstützte den Krieg 'gegen die zaristische Barbarei'

voll und ganz, und im Februar 1918 konnte Jakab Weltner, der Herausgeber der Parteizei-

tung 'Nepszava' (Volksstimme), stolz erklären, dass die SDP zu den wenigen Parteien der

Zweiten Internationale gehörte, in der keine linke Oppositionsgruppe gegen den Krieg sich

von der Partei abgespalten hatte:

 

"Jakab Walcher, Herausgeber der Parteizeitung 'Nepszava', konnte im Februar

1918 stolz erklären, dass die ungarische Partei zu den wenigen gehörte, die sich

während des Krieges nicht spaltete."

(P. Kenez, 'Koalitionspolitik in der Ungarischen Räterepublik', in: A. C. Jane und

W. B. Slottman, Hrsg., 'Die Revolution in Aussicht', Berkeley 1917, S. 65).

 

Am 21. November 1916 starb Kaiser Franz Josef. Ihm folgte sein Neffe Karl der Erste

(Karl der Vierte von Ungarn).

 

Am 25. November 1917 nahmen einige hunderttausend Menschen an einer Massende-

monstration vor der Halle der Industrie in Budapest teil, um ihre Unterstützung für die so-

zialistische Revolution in Russland zu bekunden. Die Kundgebung verabschiedete eine Re-

solution, in der zu einem Generalstreik gegen den Krieg und für die Bildung von Arbeiter-

räten auf der Linie der russischen Sowjets aufgerufen wurde.

 

Der erste Arbeiterrat dieser Art wurde am 26. Dezember 1917 einberufen.

 

Bis 1919 war das Wahlrecht auf 6% der männlichen erwachsenen Bevölkerung infolge

von Geschlechterdiskriminierung und Eigentumsbindungen beschränkt, so dass die Unga-

rische Nationalversammlung von politischen Vertretern der Grundbesitzer, Kompradorkapi-

talisten und der nationalen kapitalistischen Klasse beherrscht wurde:

 

"1918 ... hatte die Nationalversammlung 413 Mitglieder. ... 267 von diesen 413

Mitgliedern waren Grundbesitzer. Die Arbeiter aus Industrie und Landwirtschaft

sowie die Kleinbauern stellten nicht einen einzigen Vertreter."

(M. Rákosi, 'Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 116).

 

Die ungarische nationale kapitalistische Klasse wurde in der Nationalversammlung durch

Vertreter der 'Unabhängigen und 48'iger Partei', die im Juli 1916 unter der Führung von Mi-

hály Károlyi gegründet worden war, repräsentiert sowie durch die Nationalbürgerliche Radi-

kale Partei, welche im Juni 1914 auf Initiative von Oszkar Jászi geschaffen worden war.

 

Die andere Partei, die die Interessen der nationalen kapitalistischen Klasse vertrat, die

Sozialdemokratische Partei, besaß nicht ein einziges Mitglied in der Nationalversammlung

oder in irgendeiner kommunalen Vertretung.

 

 

Die Ereignisse bis zur Nationaldemokratischen Revolution (Januar bis Oktober

1918)

 

Der Generalstreik im Januar

 

Am 18. Januar 1918 brach in Wien ein umfangreicher Streik aus Protest gegen die

harten Forderungen der Zentralmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn..- Übers.) gegen

Sowjetrussland bei den Friedensgesprächen von Brest-Litowsk aus. Budapester Arbeiter

schlossen sich dem Streik an, der sich drei Tage lang in den meisten Industriezentren in

Ungarn ausbreitete und an dem sich mehr als eine halbe Million Arbeiter beteiligten.

 

Die Regierung reagierte auf den Streik, indem sie aus Russland heimkehrende Kriegs-

gefangene vorsorglich in Lager zu Überwachungszwecken unterbrachte, indem sie den

Galilei-Kreis verbat, Arbeiterführer, die ihre Sympathie mit Sowjetrussland zum Ausdruck

gebracht hatten, inhaftierte und indem sie ein besonders Hauptquartier für Sicherheit schuf,

um die 'Subversion' zu bekämpfen.

 

Die Entwicklung der nationalen Bewegungen

 

Im Frühjahr 1915 forderten die nationalen Bewegungen der unterdrückten Teilnationen

Ungarns eine radikale Neufestsetzung der Grenzen Südosteuropas auf der Grundlage

ethnischer Kriterien. Die Alliierten Mächte unterstützten viele dieser nationalen Bewegun-

gen, mit dem Ziel, das österreich-ungarische Imperium weiter zu schwächen.

 

Die sozialdemokratischen Parteien in Österreich und in Ungarn wiesen die Forderun-

gen der nationalen Bewegungen im Namen des Erhalts der territorialen Integrität des Im-

periums zurück.

 

Der Generalstreik vom Juni

 

Ab Mitte 1918 wurden in Ungarn Lebensmittel, Treibstoff und Rohstoffe knapp. Die

Reallöhne der Arbeiter waren auf 53% des Vorkriegsniveaus gefallen, die der Tagelöhner

auf 46%, die der Büroarbeiter auf 35%.

 

Am 20. Juni befahl der Stadtkommandant von Budapest, auf die bei den MAVAG-Wer-

ken streikenden Arbeiter, die den Rücktritt der Regierung verlangten, zu schießen. Inner-

halb weniger Stunden wurde in sämtlichen Betrieben der Hauptstadt aus Protest die Ar-

beit niedergelegt und die Arbeiter in den Provinzstädten schlossen sich am nächsten Tag

an. Der Generalstreik dauerte neun Tage. An ihm beteiligten sich eine halbe Million Arbei-

ter, die trotz der Verhängung des Kriegsrechts für eine Beendigung des Krieges und für

den Rücktritt der Regierung demonstrierten.

 

Der Zerfall der österreich-ungarischen Armee

 

Ab 1918 begann die österreich-ungarische Armee sich nach und nach aufzulösen. Im

Februar brach in der Cattaro-Flotte eine Meuterei aus. Im Sommer war die Zahl der Deser-

teure auf über einhunderttausend angestiegen. Am 20. Mai besetzten meuternde Soldaten

in Pecs die Kasernen und den Bahnhof. Sie konnten erst nach einem langen und erbitter-

ten Schlacht entwaffnet werden.

 

Am 30. September 1918 ergab sich Bulgarien den Alliierten Mächten. Die geschwächte

österreich-ungarische Armee war gezwungen, die klaffende Lücke in der Südfront aufzufül-

len.

 

Der Sonderparteitag der SDP

 

Mitte Oktober 1918 verabschiedete ein Sonderparteitag der Sozialdemokratischen Par-

tei Ungarns eine Resolution, in der zur Bildung einer 'Volksregierung' in Ungarn aufgerufen

wurde.

 

Die Ausrufung der föderativen Union

 

Um den Zerfall des Imperiums zu verhindern, verkündete Kaiser Karl am 16. Oktober

1918 seine Umwandlung in eine föderative Union aus vier Staaten: einen deutschen, tsche-

chischen, südslavischen und ukrainischen. 'Die Ländereien der ungarischen Krone' sollten

jedoch von dieser föderativen Maßnahme ausgenommen und so wie bisher verwaltet wer-

den. Die polnischen Einwohner des Imperiums erhielten das Recht, sich dem neuen polni-

schen Staat anzuschließen, dessen Unabhängigkeit am 7. Oktober verkündet worden war.

 

Innerhalb der nächsten zwei Wochen wurden durch die Völker der unterdrückten Natio-

nen und Teilnationen innerhalb des Imperiums Nationalräte durchgesetzt.

 

Der Rücktritt der Wekerle-Regierung

 

Als deutlich wurde, dass sich die militärische Lage des österreich-ungarischen Imperi-

ums hoffnungslos gestaltete, trat am 23. Oktober 1918 die ungarische Regierung unter

Führung von Sándor Wekerle zurück.

 

Die Bildung des Ungarischen Nationalrats

 

Auf Initiative von Graf Mihály Károlyi, dem Führer der Unabhänigkeits- und 48iger Partei,

wurde am 25. Oktober 1918ein ungarischer Nationalrat in Budapest gebildet, der sich aus

Vertretern seiner eigenen Partei, der Nationalbürgerlichen Radikalen Partei und der Sozial-

demokratischen Partei zusammensetzte.

 

Die Schlacht an der Kettenbrücke

 

Am 28. Oktober 1918 marschierte eine riesige Menschenmenge zum Burgberg in Bu-

dapest und verlangte die Ernennung einer Regierung mit Graf Mihály Károlyi an der Spitze.

An der Kettenbrücke feuerte die Polizei in die Demonstration und ermordete drei Men-

schen. 55 wurden verletzt.

 

Die Bildung der Hadik-Regierung

 

Am 29. Oktober 1918 ernannte der Kaiser entgegen dem Willen der Massen einen po-

litischen Vertreter der Grundbesitzer, Graf Janos Hedik, zum Ministerpräsidenten Ungarns.

Seine Regierung hatte kaum zwei Tage Bestand.

 

Waffenstillstandsgesuch

 

Am 29. Oktober 1918 ersuchte die österreich-ungarische Regierung die Alliierten Mächte

um einen Waffenstillstand, der am 3. November in Padua unterzeichnet wurde.

 

Während des Krieges hatte Ungarn 3,6 Millionen Soldaten unter Waffen (was 17% sei-

ner Bevölkerung entsprach). Es hatte Verluste in Höhe von 0,7 Millionen Menschen zu ver-

zeichnen. Ebenfalls 700.000 wurden verwundet und Millionen gerieten in die Kriegsgefangen-

schaft.

 

Die Auflösung des Imperiums

 

Zu diesem Zeitpunkt (Oktober 1918 - Übers.) hatte das österreich-ungarische Imperium

bereits keinen eigentlichen Bestand mehr.

 

Am 21. Oktober 1918 hatten sich die deutschen Mitglieder des Parlaments zu einer

'Nationalversammlung Deutsch-Österreich' zusammengeschlossen und sie am 30. Oktober als unabhängigen Staat ausgerufen.

 

Am 27. Oktober 1918 verkündete der 'Rumänische Nationalrat' in Bukovina seine Lostren-

nung von Österreich-Ungarn, um sich Rumänien anzuschließen.

 

Am 28. Oktober verkündete der Tschechische Nationalrat und am 30. d. M. der Slowaki-

sche Nationalrat die Errichtung eines unabhängigen Staates: der Tschechoslowakei.

 

Am 29. Oktober 1918 stimmte das Parlament von Kroatien dafür, sich von Österreich-

Ungarn loszusagen, um sich dem neuen Staat Jugoslawien anzuschließen, der noch am

gleichen Tag ausgerufen wurde.

 

Am 31. Oktober 1918 verkündete schließlich der Ukrainische Nationalrat in Galizien

seine Entscheidung, sich von Österreich-Ungarn zu trennen, um sich der Ukraine unter

der Skoropadski-Regierung anzuschließen.

 

Die Nationaldemokratische Revolution in Ungarn

 

Am 30. Oktober 1918 demonstrierten Soldaten- und Arbeitermassen vor dem Sitz des

ungarischen Nationalrats in Budapest. Um diese Zeit war die österreich-ungarische Staats-

gewalt praktisch zusammengebrochen und im Morgengrauen des 31. Oktober besetzten

sie widerstandslos das Hauptquartier des Budapester Stadtkommandanten sowie die wich-

tigsten öffentlichen Gebäude in der Hauptstadt.

 

Die ungarische nationaldemokratische Revolution war vollendet worden.

 

 

3. Das Károlyi-Regime (Oktober 1918 bis März 1919)

 

 

Die Bildung der Károlyi-Regierung

 

Am 31. Oktober 1919 wurde der Sieg der nationaldemokratischen Revolution in Buda-

pest gefeiert. Die Regierung mit Graf Janos Hadik an der Spitze trat zurück. Die revolu-

tionären Soldaten verhafteten den Militärkommandanten von Budapest und der König be-

auftragte Graf Mihály Károlyi (dem Vorsitzenden der Unabhängigkeits- und 48'iger Partei)

mit der Bildung einer Regierung.

 

Károlyi bildete seine Regierung noch am gleichen Tage. Die Minister stammten aus

seiner eigenen Partei, der Nationalbürgerlichen Radikalen Partei sowie aus der Sozialde-

mokratischen Partei. In ihrem Programm versprach die Regierung die Verabschiedung von

Gesetzen zur Festschreibung der Unabhängigkeit, der Einführung des allgemeinen Wahl-

rechts, geheimer Wahlen, der Garantie der Bürgerrechte sowie einer Sozial- und Landre-

form.

 

Die Bildung des Budapester Zentralen Arbeiterrats

 

Am 1. November verjagten die Kleinbauern die kommunalen Regierungsbeamten und

entwaffneten die Gendarmerie. In den Städten hatten die Arbeiter bereits damit begonnen,

Räte nach russischem Vorbild zu bilden. Die Soldaten in der Armee taten es ihnen gleich.

Aus Kundgebungen und Demonstrationen im ganzen Land ergingen Forderungen an die

Regierung, sofort mit der Schaffung einer Republik zu beginnen.

 

Um diese spontane Bewegung in friedliche Bahnen zu lenken, bildeten die Führer der

Sozialdemokratischen Partei den zentralen Budapester Arbeiterrat. Rechtsgerichtete So-

zialdemokraten setzten sich an seine Spitze. Im Verein mit der Regierung forderte dieses

Gremium die Bevölkerung dazu auf, 'Recht und Ordnung' einzuhalten, die Anweisungen der

Regierung abzuwarten und sämtliche Waffen abzugeben. Der Rat schuf sofort eine 'Natio-

nalgarde', um die 'Ordnung' aufrechtzuerhalten.

 

Der Waffenstillstand

 

Am 3. November unterzeichneten Vertreter der österreich-ungarischen Monarchie mit

den Vertretern der Alliierten Mächte in Padua einen Waffenstillstand. Er enthielt keine

Festlegungen über die Grenzen Ungarns und das Heer der Alliierten setzte seinen Vor-

marsch auf dem Balkan fort. Eine Delegation der Regierung unter Führung von Károlyi

begann in Belgrad Verhandlungen mit General Franchet d'Esperey, dem Oberkomman-

dierenden der Alliierten auf dem Balkan, wo am 13. November eine gesonderte Waffen-

stillstandsvereinbarung abgeschlossen wurde. Die darin festgelegte Demarkationslinie

schnitt tief in das ehemalige Territorium Ungarns im Süden und Osten, berührte jedoch

nicht die Slowakei im Norden des Landes.

 

Nationale Politik

 

Offiziell verurteilte die Károlyi-Regierung die von der Doppelmonarchie betriebene Poli-

tik der Unterdrückung der nationalen Minderheiten auf dem Gebiet Ungarns. Gleichzeitig

war sie jedoch darum bemüht, im Interesse der kapitalistischen Klasse, die sie vertrat,

die territoriale Integrität des alten Ungarns zu bewahren. Aus diesem Grunde verwehrte

sie den nationalen Minderheiten das Recht auf Lostrennung.

 

Am 13. November 1918 trat der Minister für Nationalitäten, Oszkar Jászi, mit den ver-

schiedenen Nationalräten Ungarns in Verhandlungen ein, um sie davon zu überzeugen,

einer begrenzten politischen und kulturellen Autonomie innerhalb des ungarischen Staa-

tes zuzustimmen. Die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen waren jedoch für die Natio-

nalräte nicht akzeptabel.

 

Die Ausrufung der Volksrepublik

 

Am 16. November 1918 verabschiedete der Nationalrat ein 'Volksdekret', das von einer

Massenveranstaltung vor dem Parlament, an der 300.000 Menschen teilnahmen, gebilligt

wurde. In ihm hieß es:

 

"Ungarn ist eine Volksrepublik, souverän und unabhängig von jedem anderen

Land."

(Nationalrat: Volksdekret vom 16. November 1918, in: J. Kende, L. Gecsenyi und

A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918 und 1919', London 1968, S. 12).

 

Das Dekret verpflichtete die Regierung, Gesetze zu den folgenden Fragen zu verabschie-

den:

 

"(a) zum allgemeinen, geheimen, gleichen und direkten Recht für alle, einschließ-

lich Frauen, sich an Wahlen zum Parlament, zu städtischen und ländlichen Räten

zu beteiligen;

(b) zur Pressefreiheit;

(c) zur Einsetzung von Geschworenen aus dem Volk;

(d) zur Versammlungsfreiheit;

(e) zur Vergabe von Boden an jene, die ihn bearbeiten sowie

(f) zur Einführung eines Verfahrens zur sofortigen Verwirklichung dieser Gesetze.

(Ebenda, S. 12).

 

Die Gründung der Kommunistischen Partei

 

Am 24. März 1918 hatte eine Gruppe von freigelassenen Kriegsgefangenen in Russ-

land mit Bela Kun an der Spitze die 'Ungarische Föderation der Russischen Kommunisti-

schen Partei' gegründet. Sie ging daran, unter den ungarischen Kriegsgefangenen, die

noch in Sowjetrussland interniert waren, Propagandaarbeit zu leisten. Außerdem wurden

zwei Schulen - eine in Moskau und eine in Omsk - unterhalten, in denen schon im Novem-

ber 1918 ungefähr 500 Kader als Funktionäre für eine künftige Ungarischen Kommunisti-

sche Partei ausgebildet worden waren.

 

Bela Kun war am 20. Februar 1886 in einem Dorf namens Lele in der Grafschaft Szilagy

in Transylvanien geboren worden. Mit 16 Jahren schloss er sich 1902 der Sozialdemokra-

tischen Partei an.

 

Im Herbst 1904 schrieb er sich an der juristischen Akademie von Koloszvar ein. Gleich-

zeitig übte er einen Teilzeitjob an der örtlichen Arbeiterversicherung aus und schrieb Arti-

kel für die radikale Zeitung 'Or' (Wächter).

 

1905 ging er nach Nagyvarad, um sich der Redaktion einer anderen radikalen Zeitung

namens 'Szabadsag' (Freiheit) anzuschließen. Im Februar 1907 wechselte er erneut: dies-

mal in die Hauptstadt, wo er Redaktionsmitglied der einflussreichen 'Budapest Naplo' (Bu-

dapester Post) wurde.

 

1915 heiratete er Iren Gal.

 

Bei Ausbruch des Krieges 1914 wurde er zur Armee eingezogen. Im Januar 1915 kam

er an die russische Front. Im Frühjahr 1916 geriet er in Gefangenenschaft und wurde in

der Nähe von Tomsk/Siberien interniert.

 

Im Frühjahr 1917 schrieb er an den Stadtrat von Tomsk, der von der Russischen Sozial-

demokratischen Partei kontrolliert wurde und konnte erreichen, dass man ihm und einer

Reihe von anderen Kriegsgefangenen, die Mitglieder der SDP waren, erlaubte, außerhalb

des Kriegsgefangenenlagers zu wohnen.

 

Am 23. April schrieb er an die Parteigruppe der Tomsker Russischen Sozialdemokrati-

schen Partei und bot seine Dienste für 'die sozialistische Sache' an. Ende des Monats wur-

de er in die Parteigruppe aufgenommen und wurde Mitglied ihres Geschäftsführenden Aus-

schusses.

 

Anfang Dezember 1917, nach der Russischen Revolution, ging er auf Einladung des Zen-

tralkomitees der RKP nach Petrograd. Hier traf er Lenin und schloss sich dem Stab der

Propagandaabteilung des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten an. Er wur-

de Herausgeber ihrer in ungarischer Sprache erscheinenden Zeitung 'Jemzetkosi Szo-

cialista' (Internationale Sozialisten). Später war er Herausgeber der deutschsprachigen Zei-

tung 'Fackel'.

 

Er rechnete sich zur Fraktion der 'linken Kommunisten', die von Nikolai Bucharin ge-

führt wurde.

 

Am 23. Februar 1918 wurde die Propagandaabteilung des Volkskommissariats für Aus-

wärtige Angelegenheiten in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Vertrages von

Brest-Litowsk aufgelöst.

 

Am 24. März 1918 wurde er Vorsitzender der Ungarischen Föderation der Russischen

Kommunistischen Partei und im April auch Vorsitzender der Konföderation der Ausländi-

schen Gruppen der RKP.

 

Am 4. November 1918, als die Nachrichten von der nationaldemokratischen Revolution

in Ungarn die Sowjetrepublik erreicht hatten, berief die Ungarische Föderation der RKP in

Moskau eine Konferenz ein, die beschloss, dass die Mitglieder sofort in die Heimat zu-

rückkehren sollten, um dort so schnell wie möglich die Kommunistische Partei zu grün-

den.

 

Bela Kun und andere führende Mitglieder der Föderation kamen am 17. November (1918-

Übers.) in Budapest an. Mátyás Rákosi war bereits im Mai zurückgekehrt. Andere folgten

in den nächsten Tagen.

 

Am 24. November 1918 hielten die zurückgekehrten Mitglieder der Ungarischen Födera-

tion der RKP, zusammen mit linksgerichteten Leuten, die die SDP verlassen hatten sowie

mit den anarcho-syndikalistischen Revolutionären Sozialisten, die sich im Herbst 1917

konstituiert hatten, unter dem Vorsitz von Károlyi Vántus den Gründungskongress der Kom-

munistischen Partei Ungarns ab.

 

Das vorläufige Statut der Partei, das auf dem Parteitag angenommen wurde, enthielt die

'linke' Bestimmung, dass

 

"nur Handarbeiter und landlose Bauern Mitglied der Partei werden können."

(Vorläufiges Statut der Ungarischen Kommunistischen Partei, in: R. L. Tokes,

'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S. 102).

 

Der Parteitag wählte ein Komitee aus 13 Mitgliedern mit Bela Kun als Vorsitzenden

sowie ein zweites Zentralkomitee mit Tibor Szamuely an der Spitze, das für den Fall,

dass das eigentliche Zentralkomitee nicht in der Lage sein würde, legal zu arbeiten, die

Arbeit übernehmen sollte. Dieses 'Ersatz- ZK' übernahm dann auch tatsächlich vom 21.

Februar bis zum 21. März die Führung der Partei, als Mitglieder des legalen ZK sich im

Gefängnis befanden.

 

Die wichtigsten Punkte des auf dem Gründungsparteitag verabschiedeten Parteipro-

gramms waren:

 

(1) Beendigung des Klassenzusammenarbeit mit der kapitalistischen Klasse;

(2) Entlarvung der rechten Führung der Sozialdemokratischen Partei;

(3) effektive Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit;

(4) Unterstützung für aus dem Militärdienst entlassene Soldaten und für Kriegs-

versehrte, die aus Kriegsgewinnen zu finanzieren sind;

(5) sofortige Einführung der 'Arbeiterkontrolle' in den Fabriken;

(6) Verstaatlichung des Großgrundbesitzes und seine Umwandlung in staatliche

oder kollektivwirtschaftliche Großfarmen;

(7) die Ersetzung einer Außenpolitik der Liebedienerei gegenüber den Alliierten

Mächten zugunsten eines Bündnisses mit Sowjetrussland;

(8) die Ausweitung der Rolle der Arbeiter- Soldaten- und Bauernräte und

(9) schließlich die Ergreifung der politischen Macht durch diese Räte und den

Aufbau des Sozialismus.

 

Am 7. Dezember 1919 begann die Partei mit der Herausgabe von 'Voros Ujsag' (Rote

Zeitung) und im Januar 1919 mit der 'Internationale', einem monatlich erscheinenden theo-

retischen Journal.

 

Obwohl die Partei in den Fabriken Agitation betrieb, gelang es ihr in den ersten Monaten

ihrer Existenz nicht, sich die Unterstützung der organisierten Arbeiter zu sichern, die im

Großen und Ganzen der Sozialdemokratischen Partei treu blieben. Unter den Arbeitslosen

jedoch erhielt sie breite Unterstützung, weil diese von der SDP vernachlässigt worden wa-

ren.

 

Dennoch trat eine von der Partei in Budapest organisierte Massenversammlung in der

zweiten Dezemberhälfte 1918 für die Parole 'Alle Macht den Arbeiterräten!' ein und diese

Losung wurde in den nächsten Wochen von einer ganzen Reihe von Räten übernommen.

 

Die Bildung des Ungarischen Nationalen Verteidigungsverbands

 

Am 30. November 1918 formierte sich eine faschistoide konterrevolutionäre Organisa-

tion, die die Interessen der Grundbesitzerklasse vertrat: der Ungarische Nationale Vertei-

digungsverband (Magyar Orszagos Vedero Egyesulet oder 'MOVE'), unter der Führung

von Gyula Gombos.

 

Die Revision der Waffenstillstandsvereinbarung

 

Im Dezember 1918 revidierten die Alliierten Mächte einseitig das Waffenstillstandsab-

kommen, das mit der ungarischen Regierung am 13. November in Belgrad geschlossen

worden war. Diese Revision gestattete es den tschechoslowakischen und rumänischen

bewaffneten Streitkräften, die Demarkationslinie, die in der Waffenstillstandsvereinbarung

festgelegt worden war, in Richtung Slowakei bzw. nach Transylvanien zu überschreiten.

Die Gesetzgebung der Regierung

 

Im Dezember 1918 und im Januar 1919 verabschiedete die Károlyi-Regierung folgende

Gesetze:

 

(1) Ein Wahlgesetz, das Männern ab 21 und bei sechsjähriger ungarischer Staats-

bürgerschaft sowie Frauen auf eingeschränkterer Basis das Wahlrecht bei ge-

heimer Wahl zubilligte;

(2) ein Gesetz, das die 'Rede-, Presse- und Versammlungfreiheit' garantierte;

(3) ein Gesetz, das die 'Lords-Beauftragten' des alten Regimes abschaffte und sie

durch von der Regierung ernannte Beauftragte ersetzte;

(4) ein Gesetz, das den Achtstundentag einführte;

(5) ein Gesetz, das der ruthenischen Minderheit in Ungarn eine 'autonome Region'

zuerkannte sowie

(6) ein Gesetz für die 'Verteidigung der Republik', das der Regierung Vollmachten

verlieh, Personen 'im Interesse der Sicherheit des Staates' zu internieren.

 

Januarstreik und Besetzung

 

Am 2. Januar 1919 brach in Salgotarjan, einem der größten Gruben des Landes, ein

Streik aus. Die Bergleute besetzten die Grube, das örtliche Verwaltungsgebäude und den

Bahnhof. Die Regierung ging mit Waffengewalt gegen die Aktion vor und ermordete am 10.

Januar (1919 - Übers.) zehn Streikführer.

 

In den nächsten Tagen konnten jedoch eine ganze Reihe von Fabriken in der Hauptstadt

sowie in den Provinzstädten durch die Arbeiterräte besetzt werden. Die Betriebsleiter wur-

den verjagt und die Räte begannen, die Betriebe zu führen.

 

Die Wahl des Präsidenten

 

Am 11. Januar 1919 wählte der Nationalrat Mihály Károlyi zum Präsidenten der Re-

publik.

 

Die Coolidge-Mission

 

Am 15. Januar 1919 traf eine Abordnung der Alliierten Mächte, mit dem US-Historiker

Archibald Coolidge an der Spitze, in Budapest ein. Die Regierung versuchte, die Abord-

nung davon zu überzeugen, dass es wichtig sei, Ungarn über das 'Amerikanische Hilfs-

Programm', das von Herbert Hoover geleitet wurde, wirtschaftliche 'Hilfe' zu gewähren,

um das bürgerlich-demokratische Regime zu stabilisieren und die 'bolschewistische Be-

drohung' abzuwenden.

 

Die Abordnung gab eine Empfehlung in dieser Richtung, die jedoch nicht verwirklicht

wurde.

 

Die Bildung der Berinkey-Regierung

 

Am 18. Januar 1919 ernannte Präsident Károlyi Denes Berinkey, einen Rechtsanwalt,

der bereits Justizminister im Károlyi-Kabinet gewesen war, zum Ministerpräsidenten. Er

bildete eine neue Koalitionsregierung mit vier Ministerien: Erziehung, Öffentliche Wohl-

fahrt, Handel und Verteidigung. Sämtliche Minister kamen aus der Sozialdemokratischen

Partei.

 

Die Offensive gegen die Kommunistische Partei

 

Ein paar Tage, nachdem die Coolidge-Mission Ungarn wieder verlassen hatte - ein Mit-

glied, Philip Brown, blieb noch in Budapest - führte der Chef der britischen Militärmission

in Wien, Oberst Sir Thomas Cunningham, Gespräche mit der ungarischen Regierung.

Er teilte ihr mit, dass die Gewährung der 'Hilfe' von einer 'Verringerung des kommunisti-

schen Einflusses' in Ungarn abhängen würde.

 

Daraufhin schloss der Zentrale Budapester Arbeiterrat auf Initiative der rechten sozial-

demokratischen Führung die Mitglieder der Kommunistischen Partei aus dem Arbeiter-

rat und den Gewerkschaften aus - im Interesse des 'Erhalts der Demokratie', wie es hieß.

 

Ein paar Tage später überfiel auf Anweisung des Innenministeriums die Polizei den

Sitz der Kommunistischen Partei und die Redaktion ihrer Zeitung ('Voros Usjag') und zer-

störte die Druckmaschinen.

 

Das Bodenreformgesetz

 

Am 16. Februar 1919 erließ die Regierung das Bodenreformgesetz. Es sah vor, dass

der Großgrundbesitz von über 700 Acre (engl. Flächenmaß: etwa 4047 Quadratmeter - Üb.)

- in einigen Fällen über 300 Acre - vom Staat beschlagnahmt werden sollte, wobei den be-

troffenen Landbesitzern eine Entschädigung auszuzahlen war. Dieser verstaatlichte Boden

sollte dann entweder an Einzelpersonen oder Kooperativen verpachtet oder verkauft werden.

 

Am 23. März 1919 ließ Präsident Mihály Károlyi überschüssiges Land aus seinem

eigenen riesigen Landbesitz bei Kalkapolna den Bestimmungen des Gesetzes entspre-

chend verteilen.

 

Das Gesetz konnte nicht die Hoffnungen der landhungrigen armen Bauern erfüllen.

Sie sahen nicht nur die Grenze, ab der der Großgrundbesitz zu verstaatlichen war, als un-

angemessen hoch an, sondern waren auch der Meinung, dass die Landverteilung an derart

viele formale Voraussetzungen gebunden war, von denen die Beamten, die in den meis-

ten Fällen die Bodenreform ablehnten, vollen Gebrauch machten, so dass im Endeffekt nur

sehr wenig Land in der Zeit des Károlyi-Regimes verteilt wurde.

 

Die ungeduldigen Kleinbauern überschwemmten zunächst die Regierung mit Forderun-

gen, die Bodenreform zu beschleunigen. Aber schon bald begannen sie, willkürlich die

großen Güter zu besetzen und das besetzte Land unter einzelnen Bauernfamilien bzw.

insoweit, als sie unter dem Einfluss der Sozialdemokraten standen, die gegen Einzelver-

teilungen waren, auf Kooperativen aufzuteilen.

 

Die Demonstration der Arbeitslosen

 

Die Auflösung des österreich-ungarischen Imperiums hatte schwerwiegende Folgen

für die ungarische Wirtschaft, die schon durch die vier Kriegsjahre auf katastrophale Wei-

se geschwächt war. Dies, zusammen mit der Besetzung der südlichen, südöstlichen und

nördlichen Gebiete des ehemaligen ungarischen Territoriums, zersplitterte die ökonomi-

sche Einheit Ungarns noch weiter, die bis dahin als ein wirtschaftliches Ganzes funktio-

niert hatte. Ernster Treibstoff und Roffstoffmangel führte zur Stilllegung der meisten Fabri-

ken.

 

Die Folge dieser wirtschaftlichen Lage bestand darin, dass zu Beginn des Jahres 1919

die Arbeitslosigkeit in den Städten größte Ausmaße erreichte, wobei die Reihen der Ar-

beitslosen noch durch über eine Million entlassener Soldaten und Flüchtlinge aus den be-

setzten Gebieten aufgefüllt wurden.

 

Am 20. Februar 1919 fand eine Massendemonstration von Arbeitslosen vor den Büros

der sozialdemokratischen Parteizeitung 'Nepszava' (Volksstimme) in Budapest statt. Zwi-

schen Demonstranten und Polizei kam es zu Zusammenstößen. Einige Demonstranten

wurden verletzt; einige Polizisten erlagen ihren Verletzungen.

 

Die Verhaftung der Führer der Kommunistischen Partei

 

Einige Wochen lang hatten sich die sozialdemokratischen Minister in der Regierung

geweigert, den Empfehlungen des Innenministers und des Polizeibeauftragten nachzu-

kommen, die Führer der Kommunistischen Partei zu verhaften. Die gewalttätigen Ausein-

andersetzungen vom 20. Februar gaben ihnen den Vorwand, ihre Haltung zu ändern und

am 21. Februar wurden 68 führende Mitglieder der Kommunistischen Partei verhaftet. Sie

wurden allerdings als politische Gefangene behandelt, was bedeutete, dass sie Besucher

empfangen und in gewissem Maße vom Gefängnis aus die Führung der Partei fortsetzen

konnten.

 

 

 

 

 

Die Bildung der Direktorien

 

Im März 1919 nahm die Besetzung von großen Landgütern landesweite Ausmaße an.

An zahlreichen Orten - sowohl in den Kleinstädten als auch auf dem Lande - weigerten

sich die Arbeiter- und Bauernräte, den von der Regierung ernannten Beauftragten zu ge-

statten, ihr Amt anzutreten und setzten stattdessen ihre eigenen Ortsverwalter ein.

 

Das Ultimatum der Alliierten

 

Am 26. Februar 1919 beschloss die Friedenskonferenz von Versailles, in Ungarn au-

ßerhalb des Zuständigkeitsbereichs der ungarischen Regierung eine 'neutrale Zone' ein-

zurichten, die im Südosten des Landes von den Alliierten besetzt gehalten werden sollte.

Der Zweck dieser Maßnahme bestand darin, zwischen den rumänischen und ungarischen

Streitkräften eine Pufferzone einzurichten, um das rumänische Militär für den Interventions-

krieg gegen die Sowjetrepublik verwenden zu können, ohne befürchten zu müssen, dass

dieses von den ungarischen Streitkräften angegriffen werden konnte.

 

Die Forderung der Alliierten wurde Präsident Károlyi am 20. März 1919 durch den Ver-

treter der Alliierten Mächte in Budapest, den französischen Generalleutnant Vix, in Form

einer Note übergeben.

 

Vix ließ der ungarischen Regierung gegenüber durchblicken, dass die Demarkations-

linie 'der neutralen Zone' die neue Grenze Ungarns bilden würde:

 

"Vix fügte mündlich hinzu, dass die neue Linie nicht nur als eine Waffenstillstands-

linie, sondern als reguläre politische Grenze zu betrachten sei."

(O. Jaszi, 'Revolution und Konterrevolution in Ungarn', New York 1969, S. 92).

 

Falls die Regierung das Ultimatum nicht bis zum nächsten Tag, den 21. März um 6Uhr

abends, akzeptieren würde, würden die Alliierten Ungarn gegenüber die Feindseligkeiten

wieder aufnehmen:

 

"Falls eine vorbehaltlose positive Antwort am folgenden Tag, den 21. März, um

6Uhr abends, nicht eingegangen sein würde, drohte uns die Entente mit der Wie-

dereinführung des Kriegszustands."

(M. Károlyi, Erklärung gegenüber dem Kabinett, 20. März 1919, in: O. Jászi, ebd.,

S. 94).

 

Der Rücktritt der Berinkey-Regierung

 

Da die 'neutrale Zone' Gebiete einschloss, die ausschließlich von Magyaren bewohnt

waren, kam für die Regierung eine Annahme des Ultimatums nicht in Betracht. Auf der an-

deren Seite war sie der Ansicht, dass die Streitkräfte, die sie zur Verfügung hatte, vollkom-

men unzureichend waren, um das Ultimatum zurückweisen zu können. Sie trat deshalb

noch am gleichen Tag, an dem das Ultimatum einging, am 20. März 1919, zurück.

 

Der Zusammenschluss von Kommunistischer und Sozialdemokratischer Partei

 

Am Nachmittag des 21. März 1919 besuchte eine Delegation der Sozialdemokratischen

Partei mit Jakab Weltner an der Spitze die Führer der Kommunistischen Partei im Gefäng-

nis und informierte sie darüber, dass sie sofort aus dem Gefängnis entlassen werden wür-

den, wenn sie folgenden Punkten zustimmen würden:

 

Erstens dem sofortigen 'Zusammenschluss' mit der SDP, um eine einheitliche

Partei zu schaffen und

zweitens, dass die neue Partei sofort eine 'Räterepublik' ausrufen und die Re-

gierungsgewalt übernehmen solle.

 

Die eingekerkerten Führer der Kommunistischen Partei stimmten den Vorschlägen zu

und wurden sofort aus dem Gefängnis entlassen.

 

Am folgenden Tag, den 21. März 1919, traf sich die Spitze beider Parteien und einigte

sich offiziell auf den 'Zusammenschluss' der beiden Parteien zur 'Sozialistischen Partei

Ungarns' (ohne dass die Parteien auch nur den Versuch unternahmen, einen Parteitag,

der normalerweise über eine so grundsätzliche Frage zu entscheiden hatte, einzuberufen).

 

"Die Ungarische Sozialdemokratische Partei und die Kommunistische Partei

Ungarns hielten eine gemeinsame Sitzung ihrer Exekutivkomitees ab und be-

schlossen den vollständigen Zusammenschluss der beiden Parteien.

Der Name der vereinigten Partei soll 'Ungarische Sozialistische Partei' sein,

solange die revolutionäre Internationale noch keine Entscheidung über den end-

gültigen Namen gefasst hat. ... Die beiden Parteien werden zusammen an der

Führung der neuen Partei beteiligt."

(Exekutivkomitees der Ungarischen Sozialdemokratischen Partei und der Kom-

munistischen Partei Ungarns: Gemeinsame Erklärung vom 21. März 1919, in:

J. Weltner, Hrsg., 'Az Egyseg Okmayni' (Dokumente der Einheit), Budapest 1919,

SS. 5f).

 

Ein paar Mitglieder vom rechten Flügel der SDP weigerten sich, sich an der 'Fusion' zu

beteiligen:

 

"Ein Teil der rechten Führung trat zurück."

(K. Radek, 'Die Lehren der Ungarischen Revolution', in: 'Die Internationale', Band 2,

Nr. 21, 25. Februar 1920, in: H. Gruber, Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in

der Ära Lenin', New York 1972, S. 141).

 

Aber dies änderte nichts an der eigentlichen Tatsache, dass die 'Fusion' natürlich nicht

deswegen zustandekam, weil die Führer der Sozialdemokratischen Partei über Nacht auf

wundersame Weise die Prinzipien des Marxismus-Leninismus akzeptiert hatten. Vielmehr

war die

 

"die ungarische Sozialdemokratie, die den politisch korruptesten Kreaturen der

Zweiten Internationale zuzurechnen ist, bankrott. Die Realität bestand darin, dass

die Sozialdemokratie bankrott war, nicht darin, dass sie zum Kommunismus über-

trat."

(K. Radek, ebenda, SS. 141f).

 

"Die Ungarische Sozialdemokratische Partei war die rückgratloseste Partei der

Zweiten Internationale."

(M. Rákosi: Erklärung vor Gericht, Juli 1926, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung

von Mátyás Rákosi', London 1954, S. 39).

 

"Bis zum letzten Moment war uns die Károlyi-Regierung und mit ihr die Sozial-

demokraten feindlich gesonnen."

(M. Rákosi: Erklärung vor Gericht, 1935, in: Ebenda, S. 177).

 

Der wahre Charakter der 'Fusion' wird deutlich anhand der Größenverhältnisse der an

ihr beteiligten beiden Parteien.

 

Wegen der eigenartigen Methode der Organisation der Sozialdemokratischen Partei,

wonach jedes Mitglied einer Gewerkschaft automatisch auch Mitglied der Partei wurde,

belief sich ihre Gesamtmitgliedschaft im Frühjahr 1919 auf etwa 700.000, die in Tausen-

den von Parteigruppen organisiert war:

 

"Die Mitglieder der Gewerkschaften waren gleichzeitig Mitglieder der sozialde-

mokratischen Partei und die Zahl der organisierten Arbeiter in Ungarn erreichte

Ende 1918 700.000."

(Z. Nagy, 'Die Oktoberrevolution von 1918. 50 Jahre danach', in: 'Ungarische Vier-

teljahreszeitschrift', Band 9, Nr. 31, Herbst 1968, S. 7).

 

"Die sozialdemokratische Partei war eine Organisation von Gewerkschaften, in

der die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft automatisch Mitgliedschaft in der Par-

tei bedeutete."

(P. Kenez, 'Koalitionspolitik in der Ungarischen Räterepublik', in: A. C. Janos und

W. B. Slottman, Hsrg., 'Revolution in der Perspektive', Berkeley 1971, SS. 64f).

 

"Die sozialdemokratische Partei hatte bereits 700.000 Mitglieder. ... Die Sozial-

demokraten bildeten eine intakte Partei mit Tausenden von Parteigruppen."

(M. Rákosi: Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 143).

 

Die gesamte Mitgliederzahl der kommunistischen Partei, die nur vier Monate vorher ge-

gründet worden war, machte natürlich nur einen kleinen Bruchteil davon aus. Jeno Varga

ging im Frühjahr 1919 davon aus, dass die Partei

 

"nur sehr wenige Mitglieder" hatte.

(J. Varga, 'Vengriya' - Ungarn - in: 'Bolshaya Sovetskaya Entsiklopediya' - Große

Sowjetenzyklopädie - Band 10, Moskau 1928, S. 85).

 

Vilmos Bohm schätzt die Mitgliederzahl der kommunistischen Partei damals auf

"etwa 1.000."

(V. Blohm, zitiert nach: M. Károlyi, 'Erinnerungen: Glaube ohne Illusionen',

London 1956, S. 576).

 

Und Oskar Jászi schätzt sie auf

 

"5.000."

(O. Jászi, 'Revolution und Konterrevolution in Ungarn', ohne Ort, 1967, S. 118).

 

Selbst wenn man Jászis höhere Schätzung zugrundelegt, machte die gesamte Mit-

gliederzahl der kommunistischen Partei im Frühjahr 1919 nicht mehr als 0,7% der so-

zialdemokratischen Partei aus.

 

Die 'Fusion' zwischen der kommunistischen Partei und der sozialdemokratischen

Partei bedeutete also nichts anderes als die Liquidierung der Partei der Arbeiterklasse

und das tatsächliche Aufgehen ihrer Mitglieder in der sozialdemokratischen Partei.

 

Aufseiten der kommunistischen Partei wurde der Zusammenschluss von einer Mehr-

heit des Vorstands gebilligt, die die Rolle der Partei in der sozialistischen Revolution

auf luxemburgistische Weise unterschätzte:

 

"Die Leichtigkeit, mit der sie (die Kommunisten - Verf.) ihre Organisation opfer-

ten, ergab sich aus den Vorstellungen der ungarischen Kommunisten über die

Rolle der Partei, die luxemburgistisch und nicht leninistisch waren. ... Es wä-

re Nostalgie zu denken, dass die ungarische Partei damals eine bolschewisti-

sche Partei war. Bela Kun verstand von leninistischer Ideologie recht wenig und

die Theoretiker hatten sich noch nicht von ihrem westeuropäischen, ... sozialis-

tischen Erbe freigemacht. Georgy Lukacs, ... den man auf dem rechten Flügel

der Partei ansiedelte sowie Lászlo Rudas, der Führer des linken Flügels, stimm-

ten mit Luxemburgs Ideen von Spontaneität überein. ... In einer Fußnote zu Lux-

emburgs Schrift 'Massenstreiks' schrieb er (Rudas - Verf.), dass die Parteien in

Revolutionen nur eine untergeordnete Rolle spielten."

(P. Kenez, ebenda, SS. 70f).

 

Die 'Fusion' wurde jedoch von einigen führenden Mitgliedern der kommunistischen Par-

tei, besonders aber von Bela Ozanto, Tibor Szamuely, Mátyás Rákosi, Jeno Lászlo und

Lászlo Rudas abgelehnt, die wegen ihrer Opposition von Bela Kun und jenen, die den Zu-

sammenschluss befürworteten, als 'Linksradikale' bezeichnet wurden.

 

"Einige von uns sahen bereits zum damaligen Zeitpunkt das Verhängnisvolle

dieser Vereinigung voraus. Die meisten Genossen - auch Bela Kun - nannten

uns entweder 'über vorsichtig' oder 'ultraradikal'. Aber der Gang der Ereignisse

offenbarte mit gespenstischer Klarheit, wie sehr ich mit meinen Einwänden ge-

gen diese Vereinigung Recht behalten sollte."

(B. Szanto, 'Die wahren Gründe für den Zusammenbruch der Ungarischen Räte-

republik', in: 'Die Internationale', Band 1, Nr. 15/16, 1. November 1919; Helmut

Gruber, Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972,

S. 133).

 

"Der größte Fehler, der von der ungarischen Arbeiterrevolution von 1919 ... be-

gangen wurde, bestand darin zu gestatten, die revolutionäre Partei der ungari-

schen Arbeiter, die kommunistische Partei, in der sozialdemokratischen Partei

aufgehen zu lassen."

(M. Rákosi: Erklärung vor Gericht, Juli 1926, in: 'Die Inhaftierung und Verteidi-

gung von Mátyás Rákosi', London 1954, S. 42).

 

Die neue Partei fuhr mit der Herausgabe der Zeitungen der ehemaligen SDP-Organe

'Nepszava' (Volksstimme) als Morgenzeitung sowie mit der von 'Voros Ujsac' (Rote Zeit-

schrift) als Abendzeitung fort.

 

4. Die 'Räterepublik' (März bis August 1919)

 

 

Die Bildung des Revolutionären Regierungsrates

 

Das 'Fusions'-Abkommen zwischen den Exekutivkomitees der sozialdemokratischen

Partei und der kommunistischen Partei sah vor, dass die beiden ehemaligen Parteien 'ge-

meinsam' an der Bildung einer Regierung beteiligt sein sollten:

 

"Die beiden Parteien werden sich gemeinsam an ... der Regierung beteiligen."

(Exekutivkomitees von Ungarischer Sozialdemokratischer Partei und Kommunis-

tischer Partei Ungarns: Gemeinsame Erklärung vom 21. März 1919, in: J. Welt-

ner, Hrsg., 'Az Egyseg Okmanyai' - Dokumente der Einheit - Budapest 1919, SS.

5f).

 

Es sah außerdem vor, dass die neue, durch die 'Fusion' gebildete Partei umgehend

'vollständige Autorität' erhalten sollte:

 

"Im Namen des Proletariats übernimmt die Partei sofort die vollständige Autori-

tät."

(Ebenda).

 

Am 21. März 1919 bildeten deshalb die Vorsitzenden der Ungarischen Sozialistischen

Partei eine neue Regierung: den Revolutionären Regierungsrat, mit Sandor Garbai (einem

ehemaligen Führer der SDP) als Präsident. Die Mitglieder der Regierung, 'Volkskommis-

sare genannt, die an der Spitze der verschiedenen Ressorts standen, rekrutierten sich in

Übereinstimmung mit der eigentlichen Absicht für die Bildung des Revolutionären Regie-

rungsrats vollständig aus der ehemaligen SDP - mit einer Ausnahme: Bela Kun, dem ehe-

maligen Vorsitzenden der Ungarischen Kommunistischen Partei. Er erhielt das Volkskom-

missariat für Auswärtige Angelegenheiten:

 

"Bela Kun war der einzige kommunistische Kommissar von 12 in der Regierung,

die am 21. März 1919 gebildet wurde. ... Die neue Regierung besaß eine fast

ausschließlich sozialistische (will sagen 'sozialdemokratische' - Verf.) Führung.

Mit Ausnahme von Bela Kun waren sämtliche Kommissare Sozialisten ... Das

einzige Kommissariat, das von einem Kommunisten geleitet wurde, war das für

Auswärtige Angelegenheiten."

(P. Kenez, 'Koalitionspolitik in der Ungarischen Räterepublik', in: A. C. János

und W. B. Slottman, Hrsg., 'Revolution in der Perspektive', Berkeley 1971, SS.

62, 68, 80).

 

Um den Anschein einer 'sozialistischen Revolution' aufrechtzuerhalten, wurde die neue

Regierung nicht formell von Präsident Mihály Károlyi ernannt. Er zog sich schlicht und ein-

fach aus dem politischen Leben zurück.

 

Der linke Flügel der ehemaligen kommunistischen Partei, geführt von Tibor Szamuely,

der sich gegen die Auflösung der Partei ausgesprochen hatte, sprach sich auch dagegen

aus, dass sich die ehemalige kommunistische Partei mit weniger als 50% der Sitze im

Revolutionären Regierungsrat zufriedengab:

 

"Der größte Fehler, der von der ungarischen Arbeiterrevolution von 1919 ... be-

gangen wurde, ... bestand in der Tatsache, dass die wichtigsten Posten in der

revolutionären Regierung von sozialdemokratischen Führern, die unsere Sache

sabotierten und verrieten, besetzt wurden."

(M. Rákosi: Erklärung vor Gericht, Juli 1926, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung

von M. Rákosi', London 1954, S. 42).

 

Bela Kun war sich tatsächlich mit den ehemaligen Führern der SDP darin einig, dass

es besser sei, verantwortliche Positionen eher von ehemaligen SDP-Führern besetzen

zu lassen als von Mitgliedern des linken Flügels der alten KP und diesen nur untergeord-

nete Positionen zuzuweisen:

 

"Im Zusammenspiel mit Landler, Garbai und Bohm (alles Sozialdemokraten - Üb.)

schloss Kun die Linken von den entscheidenden Positionen im Revolutionären

Regierungsrat aus und ... verbannte sie an den Rand der Macht."

(K. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S.

155).

 

Im 'Fusions'abkommen zwischen der SDP und der KP hieß es recht vage, dass es

das Ziel der neuen Partei sei,

 

" ... die Bourgeoisie vollständig zu entwaffnen."

(Exekutivkomitees von Ungarischer Sozialdemokratischer Partei und Kommunis-

tischer Partei Ungarns vom 21. März 1919, in: J. Weltner, Hrsg., 'Az Egyseg Ok-

manyai' - Die Dokumente der Einheit - Budapest 1919, SS. 5f).

 

Der Revolutionäre Regierungsrat machte jedoch keine Anstalten, die bestehenden Be-

amten und Offiziere (in der Verwaltung, den Streitkräften, der Polizei, der Gendarmerie

usw.) zu entfernen:

 

"Niemand verlor seine Position, obwohl das Abkommen vorsah, die Bourgeoisie

zu entwaffnen."

(M. Rákosi: Erklärung von Gericht, 1954, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung

von Mátyás Rákosi', London 1954, S. 145).

 

Die Ausrufung der 'Räterepublik'

 

Die erste Amtshandlung der neuen Regierung am 21. März 1919 bestand darin, die

Ungarische 'Räterepublik' auszurufen.

 

Kriegsrecht.

 

In der Nacht vom 21. auf den 22. März 1919 verhängte der Revolutionäre Regierungsrat

das Kriegsrecht über das Land. Die Überwachung des Kriegsrechts wurde in die Hände

einer besonderen politischen Abteilung beim Volkskommissariat für Innere Angelegen-

heiten, mit Otto Korvin an der Spitze, gelegt, die sich daran machte, eine Sicherheitspolizei

nach dem Vorbild der Tscheka in der der russischen Sowjetrepublik zu schaffen.

 

Obwohl Gegner des Regimes viel Aufhebens von dem 'barbarischen' Charakter des 'roten

Terrors' machten, der angeblich in der 'Räterepublik' geherrscht haben soll, musste selbst

der ehemalige Präsident Miháliy Károlyi zugeben, dass dieser in Wirklichkeit eher 'harmlos'

war:

 

"Der 'Terror' war milder Natur. ... Die Kriegsgerichte, die sich aus Arbeitern zu-

sammensetzten, verhängten in Budapest vier Todesurteile und 24 im ganzen Lan-

de."

(Mihály Károlyi, 'Glaube ohne Illusionen', London 1956, S. 175).

 

Der Appell des Revolutionären Regierungsrates

 

Das 'Fusions'abkommen zwischen der SDP und der KP hatte betont:

 

"Um die vollständige Autorität des Proletariats zu gewährleisten und um dem

Entente-Imperialismus Paroli zu bieten, ist es notwendig, das umfassendste

und engste militärische und geistige Bündnis mit der Russischen Sowjetregie-

rung zu schließen."

(Exekutivkomitees von USDP und KPU: Gemeinsame Erklärung vom 21. März

1919, in: J. Weltner, Hrsg., 'Az Egyseg Okmanyai' - Die Dokumente der Einheit -

Budapest 1919, SS. 5f)

 

Am 22. März 1919, einen Tag nach der Bildung, brachte der Revolutionäre Regierungs-

rat einen Aufruf heraus, im dem unter der Überschrift 'An alle' betont wird, dass die Schwie-

rigkeiten des Landes nur durch eine 'sozialistische' Regierung gelöst werden könnten, die

eine militärische Allianz mit Sowjetrussland anstrebe.

 

Die Abschaffung von Dienstgraden und Titel

 

Am 22. März 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret, wonach sämtliche

Titel und Dienstgrade ab sofort abgeschafft seien.

 

Lenins Vorbehalte gegenüber der 'Räterepublik'

 

Am 23. März 1919 schickte Lenin eine Funkmeldung an Bela Kun, in der er schwerwie-

gende Vorbehalte gegenüber der Ungarischen 'Räterepublik' geltend machte:

 

"Bitte teile mir mit, welche Garantien du geben kannst, dass die neue ungarische

Regierung tatsächlich eine kommunistische und nicht nur eine sozialistische Re-

gierung, d.h. eine von Verräter-Sozialisten, sein wird.

Besitzen die Kommunisten eine Mehrheit in der Regierung? Wann wird der Räte-

kongress einberufen? Worauf läuft die Anerkennung der Diktatur des Proletariats

durch die Sozialisten tatsächlich hinaus?

Ich möchte gerne wissen, wo du echte Garantien siehst."

(Wladimir I. Lenin: Funknachricht an Bela Kun, 23. März 1919, in: 'Gesam-

melte Werke', Band 29, Moskau 1974, S. 227).

 

Kuns Antwort beinhaltete eine völlig irreführende Darstellung:

 

"Das Zentrum der sozialdemokratischen Partei und ihr linker Flügel haben mei-

ne Plattform akzeptiert. Diese Plattform hält sich streng an die Prinzipien der

proletarischen Diktatur und das sowjetische System. ... Der rechte sozialistische

Flügel - Erno Garami, ... Gyula Pedil ... und (Mano - Verf.) Buchinger ... brach mit

der Partei, ohne dass ihnen irgendwelche Anhänger gefolgt wären. Die besten Krä-

fte, die es je in der ungarischen Arbeiterbewegung gegeben hat, beteiligen sich

jetzt an der Regierung, welche in Abwesenheit echter Arbeiter- und Bauernsowjets,

an der Macht ist. ... Mein persönlicher Einfluss im Revolutionären Regierungsrat

ist dergestalt, dass eine feste Diktatur des Proletariats ausgeübt werden kann.

Auch die Massen stehen hinter mir."

(B. Kun: Nachricht per Funk an W. I. Lenin, 26. März 1919, in: 'Prawda' vom 26.

März 1919, in: R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York

1967, SS. 147f).

 

Auf der Grundlage dieser Information von Kun kam Lenin zu dem unzutreffenden Schluss,

dass die Ungarische 'Räte'republik eine echte Sowjetrepublik sei:

 

"Genosse Kuns Antwort war recht befriedigend und zerstreute unsere Zweifel. Es

gab da nur diese linken Sozialisten, die mit den Kommunisten sympathisierten

und auch noch Leute aus dem Zentrum, die die neue Regierung bildeten, während

die rechten Sozialisten, die Verräter-Sozialisten, ... die Partei verließen und nicht

ein einziger Arbeiter war ihnen gefolgt. ... Die Bourgeoisie hatte freiwillig die Macht

an die Kommunisten Ungarns abgegeben."

(W. I. Lenin: Mitteilung zu den per Funk geführten Unterhaltungen mit Bela Kun,

März 1919, in: 'Gesammelte Werke', Band 29, Moskau 1974, SS. 242f).

 

Bela Kuns Note an Versailles

 

Am 24. März 1919 schickte der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Bela

Kun, im Namen des Revolutionären Regierungsrats eine Note an die Versailler Friedens-

konferenz. Darin wurden die friedliebenden Absichten der ungarischen Regierung gegenüber

allen Staaten bekundet und darum gebeten, eine diplomatische Mission nach Budapest zu

entsenden, um direkte Verhandlungen aufzunehmen.

Die Schließung der Einzelhandelsgeschäfte

 

Am 24. März 1919 erließ der Volkskommissar für Sozialisierung, Gyula Hevesi, das ab-

surdeste Dekret in der kurzen Existenz der 'Räterepublik', wonach sämtliche Einzelhandels-

läden, mit Ausnahme der Lebensmittelgeschäfte, der Apotheken und Tabakwarenläden, zu

schließen seien und auf alle Einzelhandelstransaktionen, die außerhalb dieser Ausnahme-

fälle abgewickelt würden, stand die Todesstrafe.

 

Das Dekret richtete ein solches Chaos an, was dazu führte, dass es vernünftigerweise

noch am gleichen Tage wieder aufgehoben wurde.

 

Die Trennung von Staat und Kirche

 

Am 25. März 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret über die Trennung

von Kirche und Staat, wobei die Freiheit der Religionsausübung formell garantiert wurde.

 

In der Praxis wurde jedoch dieser Teil des Dekrets teilweise wieder dadurch zunichte-

gemacht, dass der Revolutionäre Regierungsrat einer 'antireligiösen Kampagne' seine Un-

terstützung zusagte, die von dem ehemaligen Priester Oszkar Faber geführt wurde und bei

der auch die Schändung von Kirchen und die Beleidigung von Priester zugelassen war.

 

Die Bildung der Roten Armee

 

In dem 'Fusions'abkommen zwischen der SDP und der KPU hieß es:

 

"Sofort muss die Klassenarmee des Proletariats geschaffen werden."

(Exekutivkomitees von Ungarischer Sozialdemokratischer Partei und der Kom-

munistischen Partei Ungarns: Gemeinsame Erklärung vom 21. März 1919, in:

J. Weltner, Hrsg., 'Az Egyseg Okmanyai' - Dokumente der Einheit - Budapest

1919, SS. 5f).

 

Am 25. März 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret, wonach die be-

stehende Armee in eine Rote Armee umorganisiert werden sollte. Sämtliche Offiziere und

Mannschaftten, die den Wunsch hatten, weiterhin zu dienen, konnten dies tun, aber da fast

alle Offiziere aus der Grundbesitzerklasse kamen, empfanden sie gegenüber der 'Räterepub-

lik' keinerlei Loyalität:

 

"Die Rote Armee hatte den Offizieren der alten Armee, ohne irgendwelche Bedin-

gungen zu stellen, gestattet, in die Rote Armee einzutreten, so dass die Offiziere

und ihre politische Haltung die gleichen geblieben waren."

(M. Rakosi: Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, SS. 154f).

 

Um dazu ein Gegengewicht zu bilden, wurden allen Einheiten Politkommissare beigege-

ben, um die 'Loyalität' dieser Offiziere zu gewährleisten. Aber wie wir weiter unten sehen

werden, waren diese Politkommissare selbst weder fähig noch politisch zuverlässig. Die

Folge war, dass das Offizierskorps der Roten Armee ständig die Interessen der 'Räte're-

publik verriet:

 

"Der Kern der Roten Armee war im Wesentlichen konterrevolutionär. ... Jedesmal,

wenn die Rote Armee einen Rückschlag erlitt, sprach die zentrale Organisation

(der Roten Armee - Übers.) davon, dass alles sich zum Besseren wenden würde."

(M. Rákosi, ebenda, 'Die Verhaftung und Verteidigung von M. Rákosi', London

1954, S. 154).

 

Das Dekret (zur Reorganisation der alten Armee - Übers.) stellte auch Arbeiterbataillo-

ne und -regimenter auf, die in jedem Betrieb ihre Basis haben sollten und in denen die Aus-

bildung an in den Betrieben deponierten Waffen nach Arbeitsschluss zu erfolgen hatte. Sie

sollten als Reserve der Roten Armee dienen.

 

Die Schaffung von Revolutionstribunalen

 

Am 25. März 1919 brachte der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret heraus, wonach

die bestehenden Gerichte abgeschafft und durch Revolutionstribunale ersetzt werden sollten.

In ihnen sollten außer ausgebildeten Richtern auch Laienrichter aus der Arbeiterklasse ver-

treten sein.

 

Die Aufstellung der Roten Garden

 

Am 26. März 1919 erging ein Dekret, wonach die Polizei und die Gendarmerie zu einer

einheitlichen Einheit, Rote Garde genannt, zusammengeschlossen werden sollten, aber

ohne dass am Personal irgendwelche grundsätzlichen Änderungen vorgenommen wurden.

 

Die Verstaatlichung von Banken, Versicherungsunternehmen und größeren Indus-

triebetrieben

 

Am 26. März 1919 brachte der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret heraus, wonach

alle Banken, Versicherungsunternehmen sowie alle Industrie-, Bergbau- und Transportunter-

nehmen mit mehr als 20 Arbeitern zu verstaatlichen waren. Ungefähr 100.000 Arbeiter wa-

ren in diesen verstaatlichten Industriezweigen beschäftigt.

 

Von der Regierung wurden Produktionskommissare zur Leitung eines jeden staatlichen

Betriebs ernannt. Arbeiterräte sollten in jedem Betrieb gewählt werden, um den Produk-

tionskommissaren zur Seite zu stehen.

 

Auch wurden durch das Dekret Bankeinlagen dadurch eingefroren, dass der Umfang der

Abhebungen begrenzt wurde.

 

Die Verstaatlichung der Industriebetriebe war jedoch verfrüht: Weder die durch den Staat

ernannten Produktionskommissare noch die Arbeiterräte besaßen die nötige Erfahrung

in der Betriebsführung, was dazu führte, dass nach dem Dekret die Industrieproduktion

abrupt zurückging:

 

"Im Allgemeinen ist die Arbeitsproduktivität stark zurückgegangen. In der Land-

wirtschaft etwas weniger als in der Industrie; in einigen Branchen jedoch ganz er-

heblich."

(J. Varga: Rede vom 16. Juni 1919, in: O. Jaszi, 'Revolution und Konterrevolution

in Ungarn', New York 1969, S. 138).

 

"Die Folge der Verstaatlichung bestand in einem starken Produktionsrückgang,

wodurch eine Warenverknappung eintrat, die dann dazu führte, dass sich sowohl

die Arbeiter als auch die Bauern gegen die Regierung stellten."

(H. Gruber, 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972,

S. 121).

 

Die neuen Banknoten

Nach der Verstaatlichung der Banken vom 26. März 1919 begann der Revolutionäre

Regierungsrat mit der Ausgabe neuer Banknoten, welche tatsächlich nur Reproduktionen

auf weißem Papier von den 'blauen' Banknoten darstellten, die von den österreich-ungari-

schen Banken herausgegeben worden waren. Diese Banknoten wurden von der Wiener

Bank als 'Fälschungen' bezeichnet. Da die Masse der Bauernschaft nicht bereit war, sie

anzunehmen, entstanden große Probleme beim Lebensmittelkauf auf dem Lande:

 

"Anstatt von Anfang an eindeutig identifizierbare eigene Banknoten herauszuge-

ben, begann das Kommissariat für Finanzen damit, Reproduktionen von 1, 2, 25

und 200 Kronenscheinen der österreich-ungarischen Bank herzustellen. Diese

Neudrucke waren von sehr schlechter Qualität und wurden sofort von der Wiener

Bank als Falschgeld bezeichnet. Insbesondere die Bauern weigerten sich, das

so genannte 'weiße Geld' anzunehmen. ... Ansonsten erhielt jeder seinen Lohn

in weißem Geld, konnte damit jedoch auf dem Lande nichts kaufen."

(B. Szanto, 'Die wahren Gründe für den Zusammenbruch der Ungarischen Räte-

republik', in: 'Die Internationale', Band 1, Nr. 15/16, 1. November 1919, in: H. Gru-

ber, Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972,

S. 155).

 

Das Wohnungsdekret

 

Am 27. März 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret zur Verstaatlichung

des Wohnraums, was bedeutete, dass Wohnraum mit mehr als drei Zimmern pro Familie

für die Unterbringung von obdachlosen Familien und jene, die in schlechten Wohnverhält-

nissen gelebt hatten, beschlagnahmt wurde. Die Mieten wurden um 20% gekürzt und Miet-

rückstände gestrichen.

Durch dieses Dekret wurden alleine in Budapest 51.410 Arbeiterfamilien (also mehr als

100.000 Personen) in beschlagnahmten Wohnungen untergebracht.

 

Die alliierte Blockade

 

Am 26. März 1919 verkündeten die Alliierten Mächte, dass sie ihre während des Welt-

krieges verhängte Wirtschaftsblockade aufrechterhalten wollten.

 

Das Erziehungsdekret

 

Am 29. März 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret zur Verstaatlichung

sämtlicher Erziehungsstätten (etwa 80% der Grundschulen und 65% der weiterführenden

Schulen befanden sich davor im Besitz der Kirchen) und führte die allgemeine Schulpflicht

bis zum 14. Lebensjahr ein.

 

Dem Analphabetentum wurde zu Leibe gerückt: Für Erwachsene wurden kostenlose

Abendkurse in Lesen und Schreiben eingeführt.

 

Andere soziale Maßnahmen

 

Zu den anderen vom Revolutionären Regierungsrat im März/April 1919 eingeführten Maß-

nahmen zählten:

 

1. Die Ausführung des noch unter dem Károlyi-Regime beschlossenen Gesetz

zur Einführung des Achtstundentags;

2. die Einführung des Prinzips von 'gleicher Lohn für gleiche Arbeit';

 

3. die Einführung eines 6-wöchigen Mutterschaftsurlaubs bei vollem Lohnausgleich

für weibliche Arbeitskräfte;

 

4. die allgemeine Anhebung der Löhne um 40%, die Anhebung der Überstunden-

tarife um das Anderthalbfache für die ersten beiden Stunden und auf das Zwei-

fache für jede folgende Stunde. Außerdem wurde ein Zuschlag auf Nacharbeit

in Höhe von 20% eingeführt;

 

5. die Erhöhung des traditionell in Form von Naturalien an Landarbeiter ausge-

zahlten Lohnteils um im Durchschnitt 100%;

 

6. die (verfehlte - Verf.) Abschaffung des Akkordsystems in der Industrie;

 

7. die Einführung von Arbeitslosengeld;

 

8. die Einführung einer gesetzlichen Unfall- und Krankenversicherung (verpflichtend

für beschäftigte Arbeiter und auf freiwilliger Basis für Bauern). In den ersten vier

Wochen der Arbeitsunfähigkeit sollte sich die Unterstützung auf 60% des vorher

bezogenen Lohns belaufen, danach auf 70%.

 

Kulturelle Maßnahmen

 

In der Zeit des Bestehens der 'Räterepublik' organisierte die Regierung eine ganze Reihe

von Theateraufführungen, Konzerten, Kunstausstellungen und Filmvorführungen für die ar-

beitenden Menschen in Stadt und Land.

 

Zu den führenden Künstlern, die sich an dieser kulturellen Arbeit beteiligten, gehörten:

 

- die Dichter Gyula Juhász und Arpad Toth;

- die Schriftsteller Mihály Bábiti, Bela Bálázs, Gyula Krudy und Zsigmond Moricz;

- der Philosoph Georg Lukacs;

- die Maler Robert Bereny und Bortalan Por;

- die Bildhauer Beni Ferenczy und Ferenc Medgyessy sowie die

- Komponisten Bela Bartok, Erno Dohnanyi und Zoltan Kodaly.

 

Die Verfassung

 

Am 2. April 1919 wurde der Verfassungsentwurf für die Ungarische 'Räterepublik' ver-

öffentlicht. Er orientierte sich eng an dem für Sowjetrussland.

 

Der Verfassungsentwurf beschrieb den Staat als 'eine Republik der Arbeiter-, Bauern-

und Soldatenräte', in der 'die Arbeiterklasse die volle politische Macht ausübt' und 'als Dik-

tatur des Proletariats' und er stellt fest, dass es sein Ziel sei, 'die sozialistische Gesell-

schaft aufzubauen':

 

"Durch die Errichtung der Räterepublik hat das Prolerariat ... die volle Macht an-

sichgerissen, mit dem Ziel, mit der kapitalistischen Ordnung und ihrer Herrschaft

Schluss zu machen und das sozialistische Produktions- und Gesellschaftssystem

an seine Stelle zu setzen. Die Diktatur des Proletariats ist jedoch nur ein Instru-

ment, um jedwede Ausbeutung und Klassenherrschaft abzuschaffen."

(Verfassung der Ungarischen Räterepublik, in: T. Pongracz, 'A Forradalmi Kor-

manzyzotanacs es a Nepbiztossagok Rendeletei' - Der Revolutionäre Regierungs-

rat und die Befehle der Kommissariats - Band 2, Budapest 1919, in: H. Gruber,

Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972, S. 123).

 

In Verfolgung dieses Ziels übernimmt der Staat alle großen und mittleren Industrie-, Berg-

bau- und Transportgesellschaften, zusammen mit allen Finanz- und Versicherungsgesell-

schaften.

 

Er bewaffnet die Arbeiter, schafft eine Rote Armee als 'Armee des Proletariats' und 'ent-

waffnet die ausbeutende Klasse'.

 

Die lokalen Organe des Sowjetstaates sind die Dorf- und Stadträte, die von den arbei-

tenden Menschen in jeder Kommune zu wählen sind. Diese Räte wählen Delegierte, um

Kreisräte zu bilden. Diese wählen wiederum Delegierte für einen nationalen Rätekongress,

der das höchste Staatsorgan bildet.

 

Der Nationale Rätekongress wählt sodann einen Zentralen Regierungsausschuss, der

das höchste Staatsorgan zwischen den Sitzungen des Kongress darstellt und diesem ver-

antwortlich ist.

 

Der Zentrale Regierungsausschuss wählt die Regierung: den Revolutionären Regierungs-

rat, der zwischen den Sitzungen des Zentralen Regierungsausschusses das höchste

Staatsorgan bildet. Diese Regierung ist sowohl dem Zentralen Regierungsausschuss als

auch dem Nationalen Rätekongress gegenüber verantwortlich.

 

Die Mitglieder des Revolutionären Regierungsrats werden Volkskommissare genannt

und jedes Mitglied steht an der Spitze einer staatlichen Abteilung: einem Volkskommis-

sariat.

 

Der Revolutionäre Regierungsrat, der Zentrale Regierungsausschuss und der Nationale

Rätekongress haben alle gleichermaßen das Recht, Dekrete zu erlassen.

 

Das Wahlrecht ist auf die arbeitenden Menschen beider Geschlechter über einem Alter

von achtzehn Jahren, einschließlich Rentner, Soldaten und im Haushalt Tätige, beschränkt.

 

Allen Staatsbürgern wird das Recht auf Arbeit garantiert (bzw. das Recht auf staatliche

Unterstützung im Falle von Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit).

 

Den arbeitenden Menschen wird das Recht auf kostenlose Ausbildung, das Recht der

freien Rede, der Presse-, Vereinigungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ga-

rantiert.

 

Rassische Diskriminierung und nationale Unterdrückung sind verboten. Nationalen Min-

derheiten wird das Recht auf den Gebrauch ihrer eigenen Sprache garantiert. Sie haben

das Recht, Räte zur Förderung ihrer nationalen Kultur zu bilden. Ein autonomes National-

gebiet liegt dann vor, wenn in einem Gebiet über einen längeren Zeitraum hinweg eine Mehr-

der Bevölkerung deutscher oder russischer Nationalität war.

 

Die Ernennung von Bohm zum Kriegskommissar

 

Am 3. April 1919 sah sich der ehemalige SDP-Chef Joszef Pogany nach Protestdemon-

strationen vor dem Büro des Volkskommissariats für Verteidigung seitens linksgerichteter

Soldaten gezwungen, als Kriegskommissar zurückzutreten. Ihm folgte Vilmos Bohm, ein

anderer ehemaliger SDP-Führer, der gleichzeitig zum Oberkommandierenden der Roten

Armee ernannt wurde.

Die Landreform

 

Am 3. April 1919 verfügte der Revolutionäre Regierungsrat die Verstaatlichung des Bo-

dens, ab einer Größe von mehr als 140 Acres (1 a. = 4097 Quadratmeter).

 

Vor ihrer 'Fusion' hatten sich sowohl die sozialdemokratische als auch die kommunis-

tische Partei gegen eine Landverteilung an die arme Bauernschaft ausgesprochen, mit dem

Argument, dass die großen Güter erhalten bleiben und kollektiv bewirtschaftet werden soll-

ten.

 

Schon zur Zeit seiner Bildung hatte der Revolutionäre Regierungrat die Neuzuteilung

des Bodens, die unter der Károlyi-Regierung eingesetzt hatte, gestoppt. Nach der Verab-

schiedung des neuen Landdekrets des Revolutionären Regierungsrates wurde das verstaat-

lichte Land nicht mehr neu zugeteilt, sondern nur noch zur kollektiven Bewirtschaftung frei-

gegeben.

 

Dies rief bittere Enttäuschung unter den armen Bauern hervor:

 

"Der Revolutionäre Regierungsrat machte einen großen Fehler, als er nicht einen

Teil des bereitgestellten Bodens an die Kleinbauern und an jene verteilte, die kein

Land besaßen."

(J. Kende, L. Geosenyl und A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', Lon-

don 1968, S. 35).

 

"Die Tatsache, dass das neue Bodengesetz es den landlosen Bauern nicht er-

möglichte, Land zu bekommen, rief auf dem Lande Unzufriedenheit hervor."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine

Geschichte Ungarns', London 1975, S. 437).

 

"Ein weiterer schwerer Fehler bestand in der Tatsache, dass wir es leider unter-

ließen, die großen Güter an die landlosen Bauern zu verteilten. Wir fingen damit

an, landwirtschaftliche Genossenschaften zu einem Zeitpunkt zu organisieren, als

die Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren. ... Die Kommunistische Partei

Ungarns erkennt, dass sie einen großen Fehler beging, als sie zur Zeit der Dikta-

tur des Proletariats den Boden nicht aufteilen ließ."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, Juli 1926, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung

von Mátyás Rákosi', London 1954, SS. 42, 53).

 

Die Unzufriedenheit der armen Bauernschaft wurde noch dadurch gesteigert, dass die

'Kollektivfarmen', die auf diese Weise gebildet wurden, keine echten Genossenschaften

waren, da der Staat Produktionskommissare für die Leitung jeder Kooperative ernannte,

und bei diesem handelte es sich in den meisten Fällen entweder um einen ehemaligen

Gutsbesitzer oder um seinen Verwalter, weil es einen Mangel an Bauern gab, die über Er-

fahrung in der Verwaltung von Großfarmen verfügten:

 

"Das Regime benötigte Fachleute, um die Produktion weiterzuführen und die neu-

en Betriebsleiter waren die alten Landbesitzer und Verwalter. Die Bauernschaft war

bitter enttäuscht."

(P. Kenez, 'Koalitionspolitik in der Ungarischen Räterepublik', in: A. C. Janos

und W. B. Slottman, Hrsg., 'Revolution in der Perspektive', Berkeley 1971, S. 79).

 

"Es wurden Produktionskommissare für die Leitung der landwirtschaftlichen Ko-

operativen ernannt, die auf diese Weise gebildet wurden. Da aber der Staat nicht

über die nötige Anzahl an qualifizierten Leuten verfügte, ernannte man diese Leu-

te überwiegend aus den Reihen der ehemaligen Eigentümer oder der Verwalter,

die früher die großen Güter bewirtschaftet hatten."

(Z. L. Nagy, ebenda, S. 436).

 

"Die Verstaatlichung der großen Güter, die in Genossenschaften verwandelt wur-

den, welche meist von den örtlichen Gutsbesitzern und ihren Beauftragten gelei-

tet wurden, die zu den erfahrensten Verwaltern zählten, führte automatisch dazu,

dass sich viele Bauern zu Gegnern der Regierung entwickelten."

(H. Gruber, 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972,

S. 121).

 

Die nationale Frage

 

Wie ihr Vorgängerregime war der Revolutionäre Regierungsrat der 'Räterepublik' bereit,

"den nationalen Gruppen eine örtliche wirtschaftliche Autonomie zuzugestehen,

jedoch nicht das Recht auf Lostrennung von Ungarn."

(R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S.

144).

 

Diese Politik entfremdete die unterdrückten Teilnationen innerhalb des ungarischen

Staates vom Revolutionären Regierungsrat.

 

Die Smuts-Mission

 

Unter den Alliierten Mächten gab es darüber Meinungsverschiedenheiten, wie man auf

die Note der ungarischen Regierung vom 24. März reagieren sollte.

 

Die britische und US-amerikanische Delegation unter Führung von David Lloyd George

bzw. Präsident Woodrow Wilson war dafür, eine diplomatische Vertretung nach Ungarn

zu entsenden, die den Auftrag hatte, der 'Räte'regierung Zugeständnisse zu machen.

Sie akzeptierten unbesehen die Propaganda der ungarischen nationalen kapitalistischen

Klasse dahingehend, dass die 'sozialistische Revolution' in Ungarn durch die Verletzung

des ungarischen Nationalstolzes infolge der Forderungen, die in der Vix-Note (Forderung

nach Abtrennung von Teilen Ungarns, um Pufferzone für den Interventionskrieg gegen Sow-

jetrussland zu errichten - Übers.) formuliert wurden, provoziert worden sei. Die Alliierten

befürchteten nun, dass ein Weiterbestehen der 'Räte'regierung in Budapest die Ausbrei-

tung des Bolschewismus in Zentraleuropa bewirken könnte:

 

"Die angloamerikanischen Politiker, Präsident Wilson und Premierminister Lloyd

George, machten in erster Linie die ehrgeizigen Pläne des französischen Militär-

chefs Marschall Foch und seinen Kreis für das, was in Ungarn passierte, verant-

wortlich. Sie waren der Meinung, dass die Errichtung der Räterepublik ausschließ-

auf eine Verletzung der nationalen Interessen sowie auf die übertriebenen und

ungerechtfertigten französischen Forderungen zurückzuführen gewesen sei.

Wilson, Lloyd George und Clemenceau waren gleichermaßen und zutiefst darüber

besorgt, dass in Zentraleuropa eine Regierung nach sowjetischem Muster entstan-

den war und sie befürchteten, dass sich in Österreich, Deutschland und woanders

möglicherweise ähnliche politische Entwicklungen ereignen könnten."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine

Geschichte Ungarns', London 1975, SS. 438f).

 

Die französische Delegation war dagegen für eine negative Reaktion auf die Note vom

24. Juni und sprach sich für eine sofortige Invasion Ungarns durch rumänische und tsche-

chische Truppen aus.

 

Die britische und US-amerikanische Delegation bekräftigte dagegen ihre Ansicht auf

der Friedenskonferenz und der südafrikanische General Jan Smuts wurde nach Budapest

geschickt, wo er den 4. und 5. April 1919 zubrachte. Die bloße Entsendung dieser Mission,

die das Károlyi-Regime nicht erreichen konnte, wurde als ein Erfolg für Ungarn gewertet:

 

"Innerhalb einer Woche (nach der Bildung der 'Sowjet'regierung - Hrsg.) hatte sich

die Haltung in Paris gegenüber Ungarn geändert. ... Die Friedenskonferenz ent-

sandte General Smuts zu Verhandlungen.

Das, was meine Regierung nicht in der Lage war, in fünf Monaten zu erreichen,

wurde den Kommunisten innerhalb einer Woche zugestanden."

(M. Károlyi, 'Erinnerungen. Glaube ohne Illusionen', London 1956, S. 158).

 

Darüberhinaus war die Smuts-Mission durch die Friedenskonferenz ermächtigt, wesent-

liche Abstriche an der Vix-Note zu machen. Sie bot Bedingungen an, die von Károlyi, der

den Standpunkt der nationalen ungarischen Kapitalisten vertrat, als 'erstaunlich vorteilhaft'

bezeichnet wurden, die 'sofort hätten angenommen werden sollen':

 

"Die Bedingungen, die General Smuts anbot, stellten eine deutliche Verbesserung

gegenüber denen in der Vix-Note dar. Die Linie, auf die sich die ungarischen Trup-

pen zurückziehen sollten, wurde zu unseren Gunsten korrigiert und es wurde aus-

drücklich erklärt, dass es sich nur um eine militärische Linie handeln würde, die

keine Auswirkungen auf die Entscheidungen des Friedensvertrages hätte. Die neu-

trale Zone zwischen den beiden Linien sollte sofort aufgehoben werden. Auch soll-

te ein umfangreiches Darlehen gewährt werden. Der General würde der Entente vor-

schlagen, die ungarischen Vertreter zur Pariser Konferenz einzuladen, was sie in

die Lage versetzen würde, ihren eigenen Standpunkt darzulegen. ...

Diese erstaunlich günstigen Bedingungen hätten sofort angenommen werden sol-

len."

(Ebenda, S. 158f).

 

Aber Bela Kun gehörte zur Fraktion der 'linken Kommunisten' innerhalb der Russischen

Kommunistischen Partei, die von Nikolai Bucharin angeführt wurde. Sie hatte sich gegen

die Annahme der von den deutschen Imperialisten angeboten Friedensbedingungen auf der

Konferenz von Brest-Litowsk zugunsten eines 'revolutionären Krieges' ausgesprochen, den

die in den Kinderschuhen steckende junge Sowjetrepublik physisch nicht in der Lage war

zu führen. Diese 'linke' Linie (im Grunde 'rechte' Linie - Übers.) in Ungarn fortführend, wies

Kun die von der Smuts-Mission angebotenen Bedingungen zurück:

 

"Diese erstaunlich günstigen Bedingungen wurden von Bela Kun abgelehnt, der

die Meinung vertrat, dass dies ein 'zweites BrestLitowsk' bedeuten würde."

(Ebenda, S. 159).

 

Kun gründete seine Ablehnung auf eine übertriebene Sicht der Widersprüche zwischen

den alliierten imperialistischen Mächten, welche, so Kun vor dem Nationalen Rätekongress

im Juni, seiner Ansicht nach Ungarn vor der militärischen Intervention durch die Alliierten

Mächte bewahrt hätten:

 

"Wir müssen auf die Existenz von Interessengegensätzen unter den Staaten der

Entente hinweisen. ... Aufgrund der dem Imperialismus innewohnenden Gesetze

sind diese Staaten gezwungen, sich untereinander zu bekämpfen. ..

Da Ungarn sich ausgezeichnet für Kolonisierungszwecke eignet, ... ist dies ge-

wiss ein Anreiz, der jedes Abkommen zwischen den Entente-Imperialisten aus-

schließt."

(B. Kun, Rede vor dem Nationalen Rätekongress, in: 'A Tanacsok Orszagos Gyu-

lesenek Naploja' - Sitzungsbericht des Nationalen Rätekongress - Budapest 1919,

in: R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S.

189).

 

Dennoch: Auf der Sitzung des Revolutionären Regierungsrats am 26. April 1919

 

" ...sah sich Kun gezwungen, seinen Fehler, nicht ernsthaft mit der Entente ver-

handelt zu haben, einzugestehen. ... Er bot seinen Rücktritt an."

(Ebenda, S. 162).

 

Die Rätewahlen

 

Vom 7. bis zum 10. April wurden landesweit in den Städten und auf dem Lande Räte-

wahlen durchgeführt. Sie wurden auf der Grundlage einer einheitlichen Kandidatenliste, die

von der Sozialistischen Partei Ungarns bestimmt wurde, durchgeführt.

 

Die Dorf- und Stadträte wählten dann Delegierte für die Kreisräte und diese wiederum

Vertreter für den Nationalen Rätekongress.

 

Auf allen Ebenen dominierten in den Räten Mitglieder der ehemaligen sozialdemokra-

tischen Partei:

 

"Die örtlichen Räte ... wählten ein Direktorium aus ihren Reihen, das die Auf-

gaben der Verwaltung, des Bürgermeisteramts, der Rechtssprechung sowie des

vorsitzenden Richters versah. Da es an anderen qualifizierten Kandidaten man-

gelte, wurden die gleichen Führer und Sekretäre der alten Partei und der Gewerk-

schaften häufig in den geschäftsführenden Aussschuss des Direktoriums gewählt.

Jeder muss zugeben, dass die Verwaltungsarbeit, die von diesen Räten geleis-

tet wurde, nicht kommunistischer Natur war."

(B. Szanto, 'Die wahren Gründe für den Zusammenbruch der Ungarischen Räte-

republik', in: 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972,

SS. 133f).

 

Um die Arbeit dieser Ortsräte zu kontrollieren, ernannte das Volkskommissariat für Inne-

re Angelegenheiten Politkommissare, die jedem Ortsrat an die Seite gestellt wurden:

 

"Jedem geschäftsführenden Ausschuss wurde ein politischer Kommissar, der

vom Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten ernannt wurde, beigegeben.

... Die Aufgabe dieser politischen Kommissare bestand darin, die zuverlässige

Durchführung der Dekrete, die von der Räteregierung erlassen wurden, zu beauf-

sichtigen."

(Ebenda, S. 134).

 

Allerdings waren diese Politkommissare häufig nicht qualifiziert genug, um ihren Aufga-

ben gerecht zu werden. Jeder, der in Russland in Kriegsgefangenenschaft gewesen war,

kam schon allein deshalb für eine solche Aufgabe in Frage:

 

"Das Kommissariat für Inneres machte unzählige grobe Fehler, indem es schein-

bar jeden, der nachweisen konnte, dass er ein russischer Kriegsgefangener ge-

wesen war, für politisch zuverlässig und für die Arbeit in der politischen Abteilung

geeignet ansah. Aufgrund dieses Systems wurden häufig völlig unfähige und poli-

tisch unreife Leute zu politischen Kommissaren ernannt."

(Ebenda).

 

Die Bildung des Wiener Konterrevolutionären Komitees

 

Mit Unterstützung der britischen Imperialisten gründeten im Ausland lebende Aristokra-

ten in Wien am 17. April 1918 das Wiener Konterrevolutionäre Komitee, mit Graf Istvan

Bethlen an der Spitze.

 

Am 2. Mai brach eine Gruppe von Armeeoffizieren, die diesem Komitee angehörten, in

die ungarische Gesandtschaft in Wien ein und stahl eine beträchtliche Summe ungari-

schen Geldes.

 

Die Invasion

 

Nach der Zurückweisung der neuen Waffenstillstandsbedingungen, die von den Alliierten

Mächten durch die Smuts-Mission angeboten worden waren, akzeptierten die britischen

und US-amerikanischen Imperialisten die Linie ihrer französichen Kollegen und beschlos-

sen, der Invasion Ungarns durch rumänische und tschechoslowakische Truppen zuzustim-

men.

 

Die rumänische und tschechoslowakische Regierung billigten am 10. April die neuen

alliierten Pläne, dem französischen Oberbefehlshaber für den Balkan, General Franchet

d'Esperey, gelang es jedoch nicht, die jugoslawische Regierung davon zu überzeugen, sich

der Invasion anzuschließen.

Am 16. April 1919 überquerten deshalb rumänische Streitkräfte mit Billigung der Entente

die südöstliche Grenze nach Ungarn, und da die ungarische Rote Armee sich noch im Auf-

bau befand, kam ihr Vormarsch rasch voran.

 

Der Revolutionäre Regierungsrat begann sofort damit, Männer im wehrfähigen Alter zur

Roten Armee einzuziehen und errichtete ein Östliches Oberkommando, dem Kriegskom-

missar und Oberbefehlshaber Vilmos Bohm als Kommandeur vorstand und Aurel Strom-

feld als Stabschef.

 

Am 23. April 1919 trat der Kommandeur der Szekeler (der transylvanischen) Division, die

den Kern der Roten Armee an der Ostfront bildete, mit dem rumänischen Oberkommando

in Verhandlungen ein und befahl seiner Division, die Waffen zu strecken. Dies schuf für die

Rote Armee an diesem Frontabschnitt eine ernste Situation. Sie war gezwungen, sich bis

zum Tisza-Fluss zurückzuziehen, den die rumänischen Truppen am 2. Mai erreicht hatten.

 

"Die Szekeler-Division hatte mehr als die Hälfte der Front gehalten. Als sie kapi-

tuliert hatte, konnte von ernsthaftem Widerstand keine Rede mehr sein."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 145).

 

In der Zwischenzeit waren am 23. April tschechoslowakische Einheiten von Norden her

nach Ungarn eingedrungen, und es gelang ihnen sehr schnell, sich mit den rumänischen

Streitkräften im Nordosten Ungarns zu vereinen.

 

Das Dekret über das Gesundheitswesen

 

Am 1. Mai 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret, wonach alle privaten

Krankenhäuser, Kliniken, Sanatorien und Bäder zu verstaatlichen waren. Ein staatliches Ge-

sundheitswesen mit kostenloser medizinischer und Krankenhausbetreuung wurde für alle

Bürger eingeführt.

 

Das Dekret sah auch einen medizinischen Dienst für die Schulen vor sowie ein Ferien-

system für Arbeiterfamilien und Schulkinder. Während des Sommers 1919 verbrachten

mehr als 1.000 Arbeiterkinder Ferien am Balatoner See.

 

Die Mobilisierungskampagne der Gewerkschaften

 

Am 2. Mai 1919, als rumänische Truppen den Tisza-Fluss erreicht hatten, appellierte

der 500 Mitglieder umfassende Budapester Arbeiter- und Soldatenrat an die Gewerk-

schaften, jeden verfügbaren Arbeiter für die Rote Armee zu mobilisieren. Innerhalb von

zehn Tagen gelang es, 500.000 Arbeiter in neuen Einheiten zusammenzufassen. Der

rumänische Vormarsch wurde gestoppt.

 

Die Ernennung Stromfelds zum Generalstabschef

 

Am 5. Mai 1919 wurde Aurel Stromfeld, Stabschef der Östlichen Roten Armee, zum

Generalstabschef der gesamten Roten Armee ernannt.

 

Die Bildung der 'Nationalen Regierung'

 

Am 5. Mai 1919 schuf eine Anzahl aristokratischer Gutsbesitzer und Händlerkapita-

listen in Arad - Südungarn, ein Gebiet unter französischer Besatzung - eine 'Nationale

Regierung' mit Graf Gyula Károlyi (einem Cousin von Mihály Károlyi) als 'Ministerpräsi-

dent'. Die 'Regierung' wurde von den französischen Imperialisten als Rivalin zum Wiener

konterrevolutionären Komitee, das in Wien am 15. April mit Unterstützung der britischen

Imperialisten entstanden war, unterstützt.

 

Der 'Kriegsminister' in der 'Nationalen Regierung', Miklos Horthy, ehemaliger Komman-

deur der österreich-ungarischen Marine, ergriff die Initiative zum Aufbau einer 'nationalen

Armee' aus Offizieren der alten Armee und Mannschaften, die größtenteils aus der Bau-

ernschaft stammten.

 

Am 2. Juni 1919 verlegte die 'Nationale Regierung' ihr Hauptquartier 100 km weiter

nach Osten, in die Stadt Szeged, die sich ebenfalls unter französischer militärischer Kon-

trolle befand.

 

Die Offensive der Roten Armee im Norden

 

Nachdem sie den rumänischen Vormarsch zum Stillstand gebracht hatte, begann die

Rote Armee, verstärkt durch die von den Gewerkschaften rekrutierten Arbeitereinheiten,

am 20. Mai 1919 eine umfassende Offensive gegen die im Norden in das Land eingefalle-

nen tschechoslowakischen Truppen, deren Organisation und Moral schwächer war als die

der rumänischen im Südosten.

 

Ende Mai war es der Roten Armee gelungen, zwischen den tschechoslowakischen und

rumänischen Truppen einen Keil zu treiben, die tschechoslowakischen Truppen von unga-

rischen Boden zu vertreiben und zügig in die Slowakei einzumarschieren, wo sie von der

Bevölkerung begeistert empfangen wurde.

 

Der Kongress der Vereinigung der Landarbeiter

 

Die Zahl der Mitglieder in der Vereinigung der Landarbeiter war seit Ende des Krieges

spektakulär von 1.300 im Jahre 1917 auf 40.000 Ende 1918 und auf 580.000 im Frühjahr

1919 angestiegen.

 

Am 1. und 2. Juni 1919 hielt die Vereinigung ihren Kongress ab und verurteilte den

Revolutionären Regierungsrat wegen seiner Unterlassung, Land an die Bauern zu vertei-

len.

 

Der Streik der Eisenbahner und Aufstände auf dem Land

 

Am 1. Juni 1919 war es dem Wiener konterrevolutionären Komitee gelungen, an der

südlichen Bahnlinie einen Streik der Eisenbahner zu provozieren sowie eine Zahl von be-

waffneten Aufständen im Donau-Tisza-Raum und in Süd-Transdanubien. Das Komitee

beabsichtigte mit diesen Aktionen, die Bahnverbindungen der Roten Armee lahmzulegen

und einen Teil ungarischen Territoriums zu besetzen, von wo aus weitere Operationen un-

ternommen werden sollten.

 

Dem Revolutionären Regierungsrat gelang es, den Streik der Eisenbahner durch die

Gewährung einer beträchtlicher Lohnerhöhung für alle Transportarbeiter zu beenden. Die

Aufstände wurden nach die Entsendung von Einheiten der Roten Armee niedergeschla-

gen.

 

Die Clemenceau-Note vom 7. Juni

 

Wie in den ersten Junitagen 1919 rückte die Rote Armee in die Slowakei ein und die

tschechoslowakische Regierung wandte sich auf der Friedenskonferenz von Versailles an

die Alliierten Mächte mit der Bitte um dringende Unterstützung:

 

"Die Befehlshaber der tschechoslowakischen Armee und die tschechische Re-

gierung drangen auf eine sofortige Intervention der Friedenskonferenz gegen die

erfolgreich vorwärtsmarschierende Rote Armee. Sie wiesen darauf hin, dass falls

sie keine Verstärkung erhielten, mit revolutionären Auftständen sowohl in der Slo-

wakei als auch in Böhmen gerechnet werden müsse.

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine

Geschichte Ungarns', London 1975, S. 444).

 

Die Alliierten Mächte beschlossen, auf diese Anfrage mit einer diplomatischen Interven-

tion zu antworten:

 

"Die Alliierten Mächte ... beschlossen, mit diplomatischen Mitteln einzugreifen,

um der tschechoslowakischen Bourgeoisie zu helfen, die sich infolge des sieg-

reichen Feldzugs der Roten Armee in einer kritischen Lage befand."

(J. Kende, L. Gecsenyl und A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', Lon-

don 1968, S. 47).

 

Am 7. Juni schickte deshalb die Friedenskonferenz eine Note an den Revolutionären

Regierungsrat, die vom französischen Ministerpräsidenten George Clemenceau unterzeich-

net war, in der

 

"die Regierung dazu aufgefordert wurde, ihren Vormarsch zu stoppen. Gleichzei-

tig stellte man in Aussicht, ihre Vertreter nach Paris zu Verhandlungen einzula-

den."

(Z. L. Nagy, ebenda, S. 445).

 

Der Revolutionäre Regierungsrat wies die Forderungen der Note zurück, und die Rote Ar-

mee setzte ihren Vormarsch in die Slowakei fort.

 

Der Erste Parteitag der Ungarischen Sozialistischen Partei

 

Vom 12. bis zum 13. Juni 1919 wurde in Budapest der Erste Parteitag der Ungarischen

Sozialistischen Partei abgehalten, an dem 327 Delegierte teilnahmen.

 

Jetzt da das 'Räteregime' seine Aufgabe, die ihr von der ungarischen nationalen kapita-

listischen Klasse aufgetragen worden war (die Alliierten Mächte dazu zu bewegen, ihre im

Vix-Ultimatum enthaltenen Bedingungen weitgehend zu Ungarns Vorteil abzuändern), er-

füllt hatte, begannen ihre politischen Vertreter innerhalb der Ungarischen Sozialistischen

Partei - die ehemaligen Führer der SDP - zunächst klammheimlich sich sowohl gegen das

'Sowjetregime' als auch gegen die Mitglieder der ehemaligen KP zu wenden:

 

"Viele der Sekretäre, Führer und Funktionäre der ehemaligen sozialdemokrati-

schen Partei und der Gewerkschaften fingen plötzlich an, uns insgeheim zu be-

kämpfen."

(B. Szanto, 'Die wahren Gründe für den Zusammenbruch der Ungarischen Räte-

republik', in: 'Die Internationale', Band 1, Nr. 15/16, 1. November 1919, in: H. Gru-

ber, Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972, S.

133).

 

"Der rechte Flügel und das Zentrum der Sozialdemokratischen Partei hatten die

fixe Idee, dass wenn sie ihre Karten geschickt ausspielen würden, dass sie dann

die Diktatur des Proletariats liquidieren könnten. ...

Die sozialdemokratische Partei selbst dachte sich Mittel und Wege aus, um die

Diktatur des Proletariats zu liquidieren. ... An zwei Stellen in seinem Buch er-

wähnt Bohm, dass er die Führer der sozialdemokratischen Partei zusammenrief,

um darüber zu diskutieren, wie man der Diktatur des Proletariats ein Ende ma-

chen und die Kommunisten mit Gewalt von der Macht verdrängen könne."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, SS. 146, 157).

 

Auf dem Parteitag wandten sich die ehemaligen Führer der SDP offen gegen das 'Räte-

regime' und die ehemaligen Mitglieder der KP, die

 

"nur mit 60-90 Delegierten von 327 vertreten waren."

(P. Kenez, 'Koalitionspolitik in der Ungarischen Räterepublik', in: A. C. Janos und

W. B. Slottman, Hrsg., 'Revolution in der Perspektive', Berkeley 1971, S. 85).

 

"Der Parteitag der Vereinigten Arbeiterpartei vom 12. bis 15. Juni wurde von einer

Debatte über politische Methoden beherrscht. Die Unterschiede zwischen den Kom-

munisten und den Sozialdemokraten, die durch ihren Zusammenschluss lediglich

vertagt, aber nicht überwunden worden waren, wurden zunehmend deutlicher ...

und führten zu heftigen Debatten und Zusammenstößen im Verlauf der Diskussio-

nen auf dem Parteitag. Eine Gruppe von sozialdemokratischen Führern verurteilte

die radikalen Maßnahmen und verlangte, dass diese abgeschwächt würden."

(Z. L. Nagy, ebenda, in: Z. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Geschichte Ungarns', London

1975, S. 445).

 

"Auf dem Parteitag im Juni versuchte die sozialdemokratische Opposition, geführt

von Zsigimond Kunfi, ... die Kommunisten in den Hintergrund zu drängen."

(Z. L. Nagy, '133 Tage', in: 'The New Hungarian Quarterly' - Neue Ungarische Vier-

teljahreszeitschrift - Band 10, Nr. 33, Frühjahr 1969, S. 14).

 

Eine heftige Diskussion entbrannte auf dem Parteitag über den Namen der Partei. Im

April hatte das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale an das Exekutivkomi-

tee der Ungarischen Sozialistischen Partei einen Brief geschrieben, in dem es hieß:

 

"Das Exekutivkomitee der Komintern erwartet von Eurem Parteitag den Beschluss,

dass Eure Partei den Namen Kommunistische Partei annimmt."

(ECCI: Brief an den Parteitag der ungarischen Kommunisten, in: 'Kommunistische

Internationale', Band 1, Nr.1, Mai 1919, in: R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungari-

sche Räterepublik', New York 1967, S. 181).

 

In einem Telegramm vom 12. Juni an den Parteitag hieß es dazu noch:

 

"Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale ... schlägt den Na-

men 'Vereinigte Ungarische Kommunistische Partei' zur Beratung vor."

(ECCI: Telegramm an den Ersten Parteitag der USP, 15. Juni 1919, in: R. L. Tokes,

ebenda, S. 181).

 

Die Delegierten jedoch, die einst zur SDP gehört hatten,

 

"kämpften für den Namen 'Partei der Ungarischen Sozialisten'."

(P. Kenez, ebenda, S. 75).

 

Schließlich erzielte man einen Kompromiss und die Partei wurde in 'Partei der Ungari-

schen Sozialistisch-Kommunistischen Arbeiter' umbenannt.

 

Bei den Wahlen zum Exekutivkomitee der Partei weigerte sich die Mehrheit aus ehema-

ligen SDP-Mitgliedern die empfohlene Kandidatenliste, die insgesamt vier ehemalige KP-Mitglieder von 13 Mitgliedern enthielt, zu akzeptieren. Erst als die Gruppe der ehemaligen

Kommunisten damit drohte, die Partei zu verlassen (was die ungarische nationale kapitalis-

tische Klasse zu diesem Zeitpunkt noch nicht wünschte), billigte der Parteitag zögernd die

ursprüngliche Liste:

 

"Sie (die ehemaligen Mitglieder der KP - Verf.) erlitten bei den Wahlen zum Exe-

kutivkomitee eine vernichtende Niederlage. Der Parteitag weigerte sich, Kommu-

nisten (mit Ausnahme Kuns) zu wählen, und erst als Kun und seine alten Kame-

raden damit drohten, die Partei zu spalten, waren die sozialistischen Führer bereit,

die Delegierten dazu zu überreden, die ursprüngliche Liste mit vier Kommunisten

von 13 Mitgliedern zu billigen."

(P. Kenez, ebenda, S. 83).

 

"Als die Wahlergebnisse den Führern der vereinigten Partei mitgeteilt wurden,

schien es, dass infolge einer massiven antikommunistischen Kampagne es den

Kommunisten mit Ausnahme Kuns nicht gelungen war, genügend Stimmen für

die Wahl in das Exekutivkomitee auf sich zu vereinen. Dies war mehr, als was

die Kommunisten bereit waren hinzunehmen. Sie erklärten, dass sie die Partei

verlassen würden, es sei denn, dass die Wahlergebnisse rückgängig gemacht

werden würden und dass eine gemeinsame Kandidatenliste aufgestellt würde. ...

Die ursprünglich vorgeschlagene Liste wurde wieder hervorgeholt und die Kandida-

ten wurden widerstrebend per Akklamation gewählt."

(R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S. 183f).

Die Clemenceau-Note vom 13. Juni

 

Nach der Ablehnung ihrer Note vom 7. Juni am 15. Juni schickte die Friedenskonferenz

eine weitere Note an den Revolutionären Regierungsrat, die von Clemenceau selbst unter-

schrieben war. Darin hieß es, dass falls sich die Rote Armee aus der Slowakei zurückzö-

ge,

 

"die rumänischen Truppen die von ihnen besetzten Gebiete östlich des Tisza-

Flusses räumen würden."

(Z. L. Nagy, ebenda, in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Geschichte Ungarns', London

1975, S. 445).

 

Nach einem Treffen des Exekutivkomitees der Partei der Ungarischen Sozialistisch-

Kommunistischen Arbeiter beschloss der Revolutionäre Regierungsrat, die Bedingungen

der Note zu akzeptieren und teilte dies mit Wirkung vom 14. Juni der Friedenskonferenz

mit.

 

Die Militärführer der Roten Armee stellten sich mit Recht gegen diese Entscheidung, mit

der Begründung, dass die Note keinerlei Garantien enthielt, dass sich die rumänischen Trup-

pen auch wirklich aus Ostungarn zurückziehen würden:

 

"Der Beschluss wurde gefasst, bevor irgendwelche Garantien seitens der Alliierten

Mächte abgegeben worden waren, dass die in der Note gemachten Versprechen

auch eingehalten würden. ...

Die Führer der Diktatur des Proletariats begingen einen großen Fehler, als sie

einen einseitigen Rückzug anordneten."

(J. Kende, L. Gecsenyi und A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', Lon-

don 1968, S. 48).

 

Aus Protest gegen die Entscheidung trat Vilmas Bohm als Oberbefehlshaber der Roten

Armee zurück. Ihm folgte Jeno Landler. Auch Aurel Stromfeld trat als Stabschef zurück.

Er wurde von Ferenc Julier abgelöst.

 

Der Nationale Rätekongress

 

Vom 14.-23. Juni 1919 tagte der Nationale Rätekongress in Budapest, der indirekt am

7. April gewählt worden war. An ihm nahmen 348 Delegierte teil sowie Gäste aus Öster-

reich, der Tschechoslowakei, Deutschland und Sowjetrussland.

 

Die stärkste Opposition auf dem Kongress bildeten Delegierte aus den ländlichen Ge-

bieten, die den Revolutionären Regierungsrat auf einer anitsemitischen Grundlage angrif-

fen (eine Mehrheit seiner Mitglieder war jüdischer Abstammung). Dazu Bela Kun entrüstet

auf dem Kongress:

 

"Was im Hintergrund abläuft, ja hier auf diesem Kongress, ist eine offene Hetze

zu Progrom und Konterrevolution. Es geschah gestern hier an diesem Ort, dass

ein handgeschriebenes Pogrom-Flugblatt verteilt wurde. ...

Wie kann denn die Rote Armee kämpfen und ihre Moral behalten, wenn auf die-

sem Nationalen Rätekongress und selbst beim Parteitag Leute gegen Juden

hetzen und zu Pogromen anstiften?"

(B. Kun, Rede vor dem Nationalen Rätekongress, in: 'A Tanacsok Orszagos

Gyulesenek Naploja' - Protokolle des Nationalen Rätekongress - 21. Juni 1919,

Nr. 8, Budapest 1919, S. 22, in: A. C. Janos und W. B. Slottman, 'Revolution in

der Perspekive', Berkeley 1971, SS. 96f).

 

Auf dem Kongress wurden Berichte zur wirtschaftlichen, militärischen und außenpoli-

tischen Lage vorgetragen und diskutiert, der Verfassungsentwurf vom 2. April angenom-

men, ein Zentralkomitee aus 150 Mitgliedern gewählt und nach einer hitzigen Debatte die

Anweisung des Revolutionären Regierungsrat an die Rote Armee, sich aus der Slowakei

zurückzuziehen, gebilligt.

 

Der Putschversuch in Österreich

 

Angesichts der Tatsache, dass kurzfristig keine Aussicht auf Militärhilfe seitens Sow-

jetrusslands bestand, schickte Bela Kun Mitte Mai 1919 Erno Bettelheim nach Wien, mit

dem Auftrag, in Österreich 'eine sozialistische Revolution zu organisieren und eine Rätere-

publik zu errichten'.

 

Später beschrieb Bettelheim selbst seine Mission wie folgt:

 

"Das Gebiet von Sowjetungarn war sehr klein und belief sich nur auf einen Ra-

dius von 50 bis 250km um Budapest herum. Die Kämpfe im April hatten bereits

gezeigt, dass selbst kleinere Erfolge des Gegners Budapest in große Gefahr brin-

gen konnten. Der Verlust von Budapest hätte die Weiterführung des Krieges un-

möglich gemacht, da die Waffen- und Munitionsfabriken in und um Budapest her-

um konzentriert waren. Diese strategische Lage machte es für die Ungarische Rä-

terepublik zwingend, sich einen Rückzugsraum zu sichern für den Fall, dass Bu-

dapest verloren gehen sollte. Angesichts der damaligen Situation wurde nur von

Österreich ein solches Gebiet angeboten. Dort lagerte die gesamte militärische

Ausrüstung der ehemaligen Monarchie. Mit Wien und seinen mächtigen Waffen-

und Munitionsfabriken in der Hand, wären die ungarischen Truppen in der Lage

gewesen, sich hinter die Donau und noch weiter jenseits davon selbst nach einem

Verlust von Budapest zurückzuziehen. ...

 

Die Notenbank der alten Monarchie befand sich mit ihrer gesamten technischen

Ausstattung in Österreich. Der konterrevolutionäre Fluch des 'Weißen Geldes'

wäre mit einem Streich beiseitigt worden und die ungarische Bauernschaft wäre

untrennbar mit der Diktatur durch österreichische Industriewaren verbunden ge-

wesen. ...

 

Österreich war nicht nur der Schlüssel für die Rettung der ungarischen Diktatur,

sondern auch die Verbindung zur Weltrevolution. Wenn die ungarischen roten

Truppen die Grenze zur Tschechoslowakei überquert und gleichzeitig die Dikta-

tur in Österreich ausgerufen hätten, wäre auch die tschechische Revolution mit

an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen."

(E. Bettelheim, 'Die Bettelheimerei - ein Beitrag zur Geschichte der österreichi-

schen KP', in: 'Kommunismus', Band 2, Nr. 29/30, 15. August 1921, in: H. Gru-

ber, Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972,

S. 1967).

 

Nach den Februarwahlen hatte eine Koalitionsregierung aus der Sozialdemokratischen

Partei und der Christlich Sozialistischen Partei mit Karl Renner (SDP) als Kanzler am 15.

März ihr Amt in Österreich angetreten.

 

Die Kommunistische Partei Österreichs, die sich am 19. Februar 1919 unter der Füh-

rung von Elfriede Friedländer (die später als Ruth Fischer bekannt wurde) und Franz Korit-

schoner gebildet hatte, besaß hauptsächlich unter den Arbeitslosen und heimkehrenden

Soldaten Einfluss. Das Gros der organisierten Arbeiter, einschließlich der in den Gewerk-

schaften, Arbeiterräten und der paramilitärischen Volksmiliz Organisierten, blieb fest unter

der Kontrolle der SDP-Führer.

 

Die politische Haltung der SDP-geführten Arbeiterrätebewegung kam deutlich in der Ant-

wort, die das Exekutivkomitee der österreichischen Arbeiterrätebewegung am 23. März

1919 auf den Appell des Ungarischen Revolutionären Regierungsrats vom Tag davor gab,

zum Ausdruck:

 

"Ihr habt an uns appelliert, Eurem Beispiel zu folgen. Wir würden dies von ganzem

Herzen aus tun, können es aber zur Zeit nicht. Es gibt in unserem Land keine Le-

bensmittel mehr. Selbst unsere kärglichen Brotrationen hängen vollständig von

den Lebensmittelzügen ab, die uns die Entente schickt. Aus diesem Grunde sind

wir zu Sklaven der Entente geworden. Wenn wir Eurem Beispiel heute folgen wür-

den, dann würden die Entente-Kapitalisten mit grausamer Erbarmungslosigkeit uns

unsere letzten Vorräte entziehen und uns dem Hundertod aussetzen. ... Wir sind

voll und ganz von der Entente abhängig. ...

Lang lebe die internationale Arbeitersolidarität!"

(Erklärung des Exekutivkomitees der Arbeiterräte von Deutsch-Österreich, 23. März

1919, in: H. Gruber, Hrsg., ebenda, SS. 181f).

 

Die Führung der Kommunistischen Partei Österreichs hatte klar erkannt, dass eine so-

zialistische Revolution ohne die Eroberung der Mehrheit der Arbeiter-, Bauern- und Solda-

tenräte durch geduldige, kontinuierliche Parteiarbeit innerhalb dieser Räte unmöglich war.

Auf einer Nationalkonferenz der KP-Mitglieder der Arbeiterräte, die am 4./5. Mai 1919 abge-

halten wurde, hieß es dazu:

 

"Das Proletariat muss ... den bürgerlichen Parlamentarismus ablehnen, um den

Übergang von der kapitalistischen hin zur sozialistischen Ökonomie vollziehen

zu können und es muss sich eine Organisation schaffen, um die gesamte wirt-

schaftliche und politische Macht in seinen Händen zu konzentrieren. Die einzig

geeignete Form, um dies zu gewährleisten, besteht in den Arbeiter- und Soldaten-

räten sowie in den Räten der Kleinbauern und Kleineigentümer.

Deshalb ist es Pflicht eines jeden Kommunisten, ... diese außergewöhnlich geeig-

nete Einrichtung durch eine unermüdliche, systematische Arbeit und zähe Aus-

dauer vollständig weiterzuentwickeln. ...

Für uns Kommunisten bleibt das einzig richtige Prinzip: 'Die Befreiung der Arbei-

terklasse kann nur das Werk der Arbeiter sein'. ...

Die Arbeiterräte sind der einzige Weg zur Diktatur des Proletariats."

(Beschluss der Ersten Delegiertenkonferenz der Kommunistischen Arbeiterräte

Deutsch-Österreichs, Wien 1919, in: H. Gruber, Hrsg., ebenda, S. 183).

 

Jedoch hatte Bettelheim keine Zeit für diese 'geduldige, beharrliche Organisationsarbeit'

in der Arbeiterbewegung. Er erkor sich zum 'offiziellen Botschafter der Kommunistischen

Internationale' aus, damit beauftragt, 'in Österreich die sozialistische Revolution auf dem

schnellsten Wege herbeizuführen':

 

"Mitten im Mai erschien Dr. Bettelheim als ungarischer Abgesandter in Wien. Er

gab sich als Allgewaltiger der Dritten Internationale aus, angeblich damit beauf-

tragt, die Sowjetrepublik so schnell wie möglich auszurufen. In Wirklichkeit wus-

ste das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale von Dr. Bettelheim -

jemand, der völlig neu in der Bewegung war - genauso wenig wie Dr. Bettelheim

von der Kommunistischen Internationale, d.h. gar nichts. ...

Dr. Bettelheims 'Moskauer Mandat' ist entweder das Fantasieprodukt eines jungen

Genossen, der mit dem Kommunismus wenig vertraut ist oder der Betrug eines

Abenteurers. ... Die Weltrevolution kann sich nur als Bewegung weiterentwickeln,

wenn sie vom Proletariat eines jeden Landes ausgeht, nicht von 'Gesandten'."

(K. Radek, 'Die Lehren aus einem Putschversuch. Die Krise in der Deutsch-Öster-

reichischen Kommunistischen Partei', in: 'Briefe kommunistischer Räte'. Band 1,

20. November 1919, in: H. Gruber, Hrsg., ebenda, SS. 189, 190).

 

Er ging dann dazu über, im Namen der 'Kommunistischen Internationale', die umfangrei-

chen Geldmittel, mit denen er aus Budapest ausgestattet worden war, dazu zu benutzen,

um die gewählte Führung der Kommunistischen Partei Österreichs durch ein 'Direktorium'

oder 'Viererkomitee', das von ihm selbst angeführt wurde, zu ersetzen, das von allen Mitglie-

dern der Partei die loyale Mitarbeit forderte, welches dann eine ganze Reihe von 'Aktionsko-

mitees' für die Arbeitslosen, für zurückkehrende Soldaten usw. organisierte, die wiederum

verlangten, dass alle Arbeiter gehorsam ihre Befehle auf dem jeweiligen Gebiet ausführten,

um 'die sozialistische Revolution durchzuführen':

 

"Anstatt die Partei aufzubauen, desorganisierte er (Bettelheim - Hrsg.) sie durch

die Untergrabung der Führung und ihre Ersetzung durch ein 'Direktorium'. ... Dr.

Bettelheim ließ auf Wien einen Schwarm von Agitatoren los, die 1000-Kronen-

Scheine recht ungeniert ausgaben."

(K. Radek, ebenda, S. 192).

 

"Bettelheim benutzte seine umfangreichen finanziellen Mittel dazu, die Führung

der Kommunistischen Partei Österreichs zu umgehen und um anonyme Aktions-

komitees zu gründen."

(H. Gruber, ebenda, SS. 178f).

 

Am 6. Juni 1919 ordneten die Alliierten Mächte an, die paramilitärischen Arbeiterorga-

nisationen - die Volksmilizen - um 25% zu verringern und dem 'Viererkomitee' gelang es, ei-

ne Reihe von Demonstrationen zu organisieren, die gegen diese Forderung gerichtet waren.

Obwohl die alarmierte österreichische Regierung die Entente davon überzeugen konnte,

die Anweisung rückgängig zu machen, entschied das 'Viererkomitee' am 12. Juni, dass sein

relativer Erfolg, die Arbeiter und Soldaten in dieser Angelegenheit zu mobilisieren, seine Ent-

scheidung, die 'sozialistische Revolution' auf den 15. Juni festzulegen, gerechtfertigt sei:

 

"In den frühen Morgenstunden nahm dieses Treffen einstimmig die folgende Re-

solution an:

'Die konterrevolutionäre Regierung muss mit Gewalt vertrieben und die Diktatur

des Proletariats von der KP im Namen des Proletariats ausgerufen werden. Zu

diesem Zweck wird zu einer bewaffneten Demonstration des Proletariats und des

Militärs am 15. Juni aufgerufen. Das Direktorium und die revolutionären Soldaten-

räte erklären, dass sie permanente Sitzungen durchführen werden."

(E. Bettelheim, ebenda, S. 198).

 

Die detaillierten Pläne, die vom 'Viererkomitee' angenommen wurden, sahen einen Auf-

stand in den Industriegebieten von Neunkirchen am 14. Juni vor:

 

"Genosse Koritschonor reiste am Morgen des 13. Juni in das Industriegebiet

von Neunkirchen, ... in der Absicht, dass dort die Arbeiter am 14. Juni die Macht

ergriffen. ... Die Verkündung der proletarischen Diktatur in diesem Industriegebiet

wäre von entscheidender Bedeutung gewesen. Für den Fall, dass die Diktatur

ausgerufen werden würde, war ein ausgedehntes Netzwerk für ihre Ausrufung in

ganz Wien vorbereitet worden."

(E. Bettelheim, ebenda, S. 199).

 

Dieser Ausrufung sollte am folgenden Tag, dem 15. Juni, ein Aufstand in der Hauptstadt

folgen.

 

Dementsprechend wurde Wien mit Flugblättern und Plakaten, die vom 'Viererkomitee' so-

wie den 'Aktionskomitees', die er kontrollierte, herausgegeben wurden, überschwemmt, wo-

rin zur 'sozialistischen Revolution', die am 15. Juni stattfinden sollte, aufgerufen wurde:

 

"Die Stunde der Befreiung des Proletariats ist gekommen! ...

Am Sonntag, den 15. Juni um 10Uhr werden die revolutionären Arbeiter für die

Errichtung einer Rätediktatur demonstrieren, gegen Hunger und Ausbeutung, für

die soziale Revolution!

Jedes Mitglied der Volksmiliz hat die Pflicht, an dieser Demonstration mit der

Waffen in der Hand teilzunehmen. ...

Lang lebe die Räterepublik von Deutsch-Österreich!'."

(Flugblatt vom 14. Juni 1919, in: H. Gruber, Hrsg., ebenda, SS. 183f).

 

Der von der sozialdemokratischen Partei kontrollierte Wiener Arbeiterrat reagierte am

14. Juni darauf mit einer Direktive an die Arbeiter und Soldaten der Hauptstadt, den wie

er sich ausdrückte, 'Putschversuch' zu boykottieren:

 

"Es ist ein Akt der Gewalt, der von diesem 'Komitee der Vier', mit dem ungari-

schen Leutnant Bettelheim (oder Bernstein) an der Spitze geplant wird - ein Mann,

der den Wiener Arbeitern vollständig unbekannt ist.

Und aus diesem Grunde werden wir dieses 'Komitee der Vier' und seine Agenten

von vorneherein für jeden Schaden, der heute angerichtet wird, verantwortlich ma-

chen. ....

Lasst Euch nicht für einen versuchten Putsch missbrauchen! ...

Haltet Euch von den undurchsichtigen Demonstrationen der Kommunisten fern!

Befolgt nur die Weisungen des Arbeiterrats!"

(Geschäftsführender Nationalrat der Arbeiterräte: Erklärung vom 14. Juni 1919,

in: H. Gruber, Hrsg., ebenda, SS. 185f).

Ein Teil der Führung der Kommunistischen Partei, einschließlich Elfriede Friedländer

oder 'Ruth Fischer', widersetzte sich ebenfalls dem versuchten Putsch. Bettelheim be-

schreibt wie:

 

"Melcher, ein ehemaliges Mitglied des Direktoriums, der das Treffen vom 12. Ju-

ni demonstrativ verlassen hatte, erschien in den Kasernen in der Selzerstrasse

und verlangte, dass ich die Aktion absagte, andernfalls würde er am frühen Mor-

gen im Namen der KP verkünden, dass die Demonstration vom 15. Juni abgesagt

worden sei. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass nur die existierenden Organe

berechtigt seien, eine Entscheidung in dieser Frage zu treffen. In der Zwischen-

zeit wurde bekannt, dass die Gründerin der Partei (Elfriede Friedländer - Verf.),

zusammen mit einigen ausmanövrierten Karrieristen, unten auf eine Antwort war-

tete. Melcher war zu ihrem Sprecher geworden. ...

Am Nachmittag (den 14. Juni - Verf.) erklärte jemand in der größten Abendzei-

tung von Wien, 'Der Abend', im Namen der KP, dass die Demonstration vom

15. Juni nicht stattfinden würde. Sämtliche Karrieristen der Partei machten in

den Kasernen die Runde, um die Menge gegen die Demonstration zu beeinflus-

sen."

(E. Bettelheim, ebenda, SS. 200, 201).

 

"Wäre die Deutsch-Österreichische Kommunistische Partei ... durch einen Putsch

... ohne Unterstützung der Mehrheit des Proletariats an die 'Macht' gekommen,

dann hätte dieser 'Sieg' die Ungarische Räterepublik nur geschwächt. Eine

deutsch-österreichische Räterepublik à la Bettelheim wäre überhaupt keine Rä-

terepublik gewesen. Die Räte hätten sich schließlich gegen ihre Ausrufung ent-

schieden. Die Gewerkschaften waren dagegen. Auf wen hätten sie sich stützen

können? Auf eingezogene Rote Garden, die verpflichtet gewesen wären, Gewalt

gegen die Mehrheit der Arbeiterklasse anzuwenden? ... Diese einfachen Überle-

gungen hätten den Bettelheim-Leuten die Verrücktheit der putschistischen Tak-

tik vor Augen führen müssen. ... Aber Folgendes ist das Kernproblem:

Der Messias des Budapester Propagandabüros hatte nicht einen Schimmer von

der Bedeutung des Kommunismus; jedes seiner Anklageworte gegen die Deutsch-

Österreichische Kommunistische Partei beweist dies..Die Avangarde des deutsch-

österreichischen Proletariats, die Kommunisten, durchkreuzte in den Junitagen

die putschistische Taktik der Bettelheims. Sie stürzte sich nicht in das Aben-

teuer der Räterepublik ohne Räte."

(K. Radek, ebenda, SS. 191, 194).

 

Am 13. Juni verbot die Regierung bis auf weiteres alle öffentlichen Versammlungen und

Demonstrationen in der Hauptstadt.

 

Am Abend des 14. Juni verhaftete die Polizei die Mitglieder des 'Viererkomitees', außer

Bettelheim, der fliehen konnte, sowie mehr als einhundert Mitglieder der 'Aktionskomitees'.

 

Am Morgen des 15. Juni demonstrierten etwa 7.000 Menschen in Wien. Die Demonstran-

ten waren überwiegend arbeitslose Arbeiter und kriegsversehrte heimkehrende Soldaten.

Die Mitglieder der Volksmiliz sowie die meisten organisierten Arbeiter gehorchten den An-

weisungen ihrer Führer, sich nicht zu beteiligen. Die Demonstranten unternahmen den Ver-

such, ihre inhaftierten Führer zu befreien, wurden aber von der Polizei auseinandergetrie-

ben, wobei zwanzig Demonstranten getötet wurden.

 

"Die Juni-Aktion der Wiener Arbeiterklasse war niedergeschlagen worden."

(J. Kende, L. Gecsenyl und A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', Lon-

don 1968, S. 50).

 

Die Gründung der Slowakischen 'Räterepublik'

 

Nachdem es der ungarischen Armee gelungen war, weite Teile der Slowakei zu be-

setzen, wurde am 16. Juni 1919 in Eperjes eine slowakische 'Räterepublik' nach dem Vor-

bild der ungarischen Räterepublik errichtet.

 

An der Spitze des Revolutionären Regierungsrats stand hier Antonin Janousek, der Vor-

sitzende der tschechoslowakischen Sektion der Ungarischen Sozialistischen Partei.

Auch eine ganze Reihe von Volkskommissaren wie Erno Por, der Volkskommissar für

Auswärtige Angelegenheiten oder Tibor Szamuely, Volkskommissar für Gesellschaftliche

Produktion, wurden vom Revolutionären Regierungsrat in Budapest unterstützt.

 

In einer Erklärung des Revolutionären Regierungsrats der slowakischen 'Räterepublik'

hieß es, dass beabsichtigt sei, sich mit einer künftigen tschechischen 'Räterepublik' zu-

sammenzuschließen.

 

Die Bildung des Volkswirtschaftsrats

 

Am 21. Juni 1919 schuf der Revolutionäre Regierungsrat einen Volkswirtschaftsrat mit

Jeno Varga als Vorsitzenden, der die Aufgabe hatte, die Wirtschaft des Landes zu leiten.

 

Am 9. Juli führte der Volkswirtschaftsrat den Akkordlohn wieder ein, um die Industrie-

produktion zu steigern.

 

Der Putschversuch vom 24. Juni

 

Am 24. Juni 1919 wurde in Budapest ein Putschversuch unternommen, um den Revo-

lutionären Regierungsrat zu stürzen. Einheiten der Donauflotte und Soldaten einer Kaser-

ne der Hauptstadt beteiligten sich an einem versuchten Putsch, der von Joszef Haubrich,

einem ehemaligen SDP-Politiker geplant worden war. Er war vorher zum Kommandanten

der Roten Garde im April in Budapest ernannt worden.

 

Dem Komplott zufolge sollten sich die Arbeiter in der Hauptstadt dem Putsch anschlie-

ßen, wonach die Rote Garde dann auf 'ihrer Seite' eingreifen sollte. Der Plan scheiterte,

weil er in der Arbeiterschaft keinen Rückhalt hatte:

 

"Die Rebellen hatten damit gerechnet, dass sie von den Arbeitern der Budapes-

ter Betriebe unterstützt würden, was jedoch nicht der Fall war."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Ge-

schichte Ungarns', London 1975, S. 447).

 

"Der gesamte Plan scheiterte aufgrund der Tatsache, dass die Industriearbeiter

... nie bereit waren, sich um die Konterrevolution zu scharen."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 189).

 

Unter diesen Umständen verzichtete Haubrich auf die Ausführung und befahl der Roten

Garde, den Aufstand abzubrechen, was innerhalb weniger Stunden geschah.

Die Wiener Verhandlungen

 

Am 24. Juni erschien Vilmos Bohm in Wien zu Verhandlungen mit Vertretern der Alliier-

ten. Ein paar Tage später schlossen sich ihm weitere Mitglieder der ehemaligen sozialde-

mokratischen Partei an.

 

Bei diesen Verhandlungen einigte man sich darauf, die ungarische 'Räterepublik' so

schnell wie möglich zu liquidieren. Die Entente sollte

 

"den Rücktritt des Regierungsrats, die Einsetzung einer neuen provisorischen

Regierung aus Gewerkschaftern und Labour-Führern verlangen. ... Bohm und ei-

ne Reihe seiner sozialdemokratischen Kollegen empfahlen die Annahme dieser

Bedingungen."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Ge-

schichte Ungarns', London 1975, S. 448).

 

"Die Entente wiederholte unablässig ihre Haltung, dass wenn die Diktatur des

Proletariats beendet würde, sie bereit sei, jede demokratischen Regierung, die

an ihre Stelle treten würde, zu unterstützen."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 159).

 

Der Rückzug aus der Slowakei

 

Am 30. Juni 1919 begann die Rote Armee ihren Rückzug aus der Slowakei. Die Folge

war, dass die 'Räterepublik' unmittelbar darauf von Truppen der tschechischen Regierung gestürzt wurde.

 

Der Rückzug beeinträchtigte stark die Moral der arbeitenden Menschen, aber besonders

die der Soldaten der Roten Armee:

 

"Der militärische Rückzug aus der nördlichen Region führte sowohl in der Armee

als auch in der Bevölkerung zu einem Schwinden der Kampfmoral. ... Viele Sol-

daten begaben sich nicht zu den neuen Sammelplätzen, sondern gingen einfach

nach Hause."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Ge-

schichte Ungarns', London 1975, S. 447).

 

"Mitte Juli war schmerzhaft deutlich geworden, dass die Entscheidung, sich aus

der Slowakei zurückzuziehen eine verhängnisvolle Strategie und ein taktischer

Fehler gewesen war. Der Rückzug hatte irreparabel den nationalen Stolz der Ge-

werkschaftsbataillone verletzt, hatte Massendesertionen aus der Roten Armee

zur Folge und die tschechische Armee in die Lage versetzt, ... die demoralisier-

ten ungarischen Einheiten zu verfolgen."

(R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S. 200).

 

Danach, am 2. Juli, teilte die rumänische Regierung offiziell

 

"der Friedenskonferenz (in Versailles bei Paris - Übers.) mit, dass sie sich nur

dannn aus dem Gebiet östlich der Tisza zurückziehe, wenn die Rote Armee ent-

waffnet werden würde."

(Z. L. Nagy, ebenda, S. 447).

 

"Der Rückzug der ungarischen Armee und die Erklärung der rumänischen Re-

gierung führten zu einer erbitterteten Enttäuschung in der Bevölkerung des Lan-

des und vor allem bei den Soldaten der Armee der Arbeiterklasse. Dieser nega-

tive Effekt verminderte zweifelsohne die Massenbasis für die Unterstützung der

Diktatur des Proletariats."

(J. Kendes, L. Gecsenyi und A. Steinbach, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919',

London 1968, S. 48).

 

Die Offensive gegen die rumänischen Streitkräfte

 

Am 5. Juli 1919 billigte der Revolutionäre Regierungsrat einen von den neuen Komman-

deuren der Roten Armee vorgelegten Plan für eine Offensive gegen die rumänischen Trup-

pen, mit dem Ziel, sie aus dem Gebiet östlich des Tisza-Flusses zu vertreiben.

 

Am 11. Juli 1919 erließ der Revolutionäre Regierungsrat ein Dekret, wonach die allge-

meine Wehrpflicht für die Rote Armee eingeführt wurde.

 

Am 20. Juli 1919 begann die Rote Armee ihre Offensive, die schon, bevor sie in Gang

kam, zum Scheitern verurteilt war:

 

"Ich betrachte dies (die Offensive gegen die rumänischen Streitkräfte - Verf.)

als einen sehr schweren Fehler, weil dieselben Gründe, die uns dazu veranlasst

hatten, Oberungarn zu räumen, es auch nicht angebracht erscheinen ließen an-

zugreifen."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Verhaftung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 159).

 

Tatsächlich waren die Pläne für die Offensive von konterrevolutionären Offizieren mit Ge-

neralstabschef Ferenc Julier an der Spitze an das rumänische Oberkommando weiterge-

geben worden:

 

"Der gesamte Schlachtplan der Roten Armee war an die Rumänen weitergegeben

worden."

(M. Rákosi, ebenda, S. 159).

 

Die Anfangsoffensive der Roten Armee kam schon am 24. Juli zum Stehen und die ru-

mänische Armee begann unverzüglich mit einer Gegenoffensive, die den Zerfall der Roten

Armee zur Folge hatte. Die rumänischen Streitkräfte waren in der Lage, den Tisza-Fluss

zu überqueren.

 

"Den Rumänen ... gelang es mühelos, uns eine Niederlage zuzufügen."

(M. Rákosi, ebenda, S. 159).

 

Das Scheitern des internationalen Streiks

 

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale rief die Arbeiter in den Län-

dern der Alliierten dazu auf, am 21. Juli 1919 einen politischen Streik aus Solidarität mit

der russischen Sowjetrepublik und der ungarischen Räterepublik und aus Protest gegen

die ausländische militärische Intervention gegen diese Staaten zu beginnen.

 

Die sozialdemokratischen Parteien der Zweiten Internationale wandten sich jedoch ge-

gen den Streikaufruf, der nur auf wenig Resonanz stieß:

 

"Die Führer der Zweiten Internationale, die das imperialistische Gemetzel unter-

stützt hatten, brachen den internationalen Proteststreik."

(Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale: Erklärung zum Fall der

Ungarischen Räterepublik, 5. August 1919, ebenda, J. Degras, Hrsg., 'Die Kom-

munistische Internationale, 1919-1945', Band 1, London 1971, S. 64).

 

Das Scheitern des internationalen Streiks führte zu einer weiteren Verschlechterung der

Moral der ungarischen Arbeiter und Soldaten:

 

"Dem 21. Juli sah man in Ungarn mit großen Erwartungen entgegen. ... Angesichts

der großen Hoffnungen, war die Enttäuschung umso größer, als sich herausstellte,

dass, obwohl die Arbeiter in zahlreichen Ländern ihre Solidarität zum Ausdruck

brachten, der Streik in Westeuropa und besonders in den führenden Ententestaa-

ten (gemeint Frankreich und Großbritannien - Übers.) sich als ineffektiv erwies."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', London 1975, S. 448).

 

"Das Scheitern des erwarteten Streiks war der letzte Schlag, der die Moral des

Proletariats völlig zunichte machte."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 159).

 

Das Ausbleiben der Militärhilfe vonseiten Sowjetrusslands

 

In den ersten drei Monaten des Jahres 1919 erzielte die sowjetrussische Armee an

der ukrainischen Front unter dem Kommando von Wladimir Antonow-Owseenko einen

durchschlagenden Erfolg und erreichte Mitte März die Ostgrenze Polens. Am 19. März

informierte Präsident Mihály Károlyi sein Kabinett, dass

 

"es nach Ansicht der Militärexperten der Regierung nur eine Frage von Wochen

sei, bevor die Rote Armee die rumänischen Linien durchbrochen und die Ostgren-

ze Ungarns erreicht haben würde."

(R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967, S. 152).

 

Tatsächlich war die Gefahr einer Militärallianz zwischen einem 'Räteungarn' und Sowjet-

russland, wie bereits oben erwähnt, einer der Gründe für die Bildung der ungarischen Pseu-

do-Räterepublik durch die ungarische nationale kapitalistische Klasse.

 

Sobald diese errichtet worden war, versuchte die Regierung Sowjetrusslands, ihr militäri-

sche Hilfe zu gewähren. Am 25. März 1919 - vier Tage nach der Bildung des Revolutionären

Regierungsrats in Ungarn - beauftragte die russische Sowjetregierung Christian Rakowski,

der am 25. Januar 1919 zum Vorsitzenden des Rates der Ukrainischen Sowjetrepublik er-

nannt worden war, zu veranlassen, dass die ukrainische Rote Armee ihren Vormarsch in

Richtung Schwarzes Meer einstellen sollte, um

 

"dafür in Richtung Westen, zur Grenze von Südost-Galizien und Bessarabien vor-

zustoßen. Dies war wichtig, um mit den Truppen der Ungarischen Räterepublik

sofortige Verbindungen herstellen zu können."

(W. Antonow-Owseenko, 'Zapiski o Grzhdanskoi Woinje' - Anmerkungen zum Bürger-

krieg, Band 3, Moskau 1933, S. 524).

 

Dieses Anliegen wurde von Rakowski in den Wind geschlagen.

 

Am 22. April telegrafierte Lenin persönlich an den sowjetrussischen Oberkommandieren-

den Joachim Watzetis und schrieb:

 

"Ein Vorstoß in einen Teil von Galizien und die Bukowina ist von entscheidender

Bedeutung, um mit Räte-Ungarn Verbindung herzustellen."

(W. I. Lenin, Telegramm an J. Watzetis, 22. April 1919, in: J. M. Meijer, Hrsg.,

'Die Trotzki-Dokumente, 1917-1922', Band 1, Den Haag 1964, S. 375).

 

Am 25. April 1919 gab das Politbüro des Zentralkomitees der Russischen Kommunisti-

schen Partei direkt Anweisung an Antonow-Owseenko, dem Kommandeur der ukrainischen

Front, um

 

"direkte Verbindung mit Räte-Ungarn herzustellen."

(M. Gorki u.a., 'Istoria Grazhdanakoi Woina' - Geschichte des Bürgerkrieges -

Band 4, Moskau 1959, S. 71).

 

Am 9. Mai wechselten die Partisanen-Einheiten, die sich am 1. Februar noch der Sow-

jetischen Roten Armee angeschlossen hatten, unter dem Kommando von Ataman Grigo-

rijew die Seite und begannen, die Ukrainische Rote Armee zu bekämpfen.

 

Unter Ausnutzung der verworrenen Lage, die sich dadurch ergab, eröffnete die weiße

'Freiwilligenarmee' unter General Anton Denikin vom Süden her eine Offensive gegen die

Ukrainische Rote Armee und nahm am 24. Juni Charkow ein. Ende Juni waren die Streit-

kräfte Sowjetrusslands bis Kiew zurückgedrängt worden.

 

Zu dieser Zeit war Bela Kun davon überzeugt, dass das Ausbleiben militärischer Hilfe

für die ungarische Rote Armee durch die sowjetrussische Rote Armee auf den Verrat von

Christian Rakowski, dem Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der Ukrainischen

Sowjetrepublik, sowie auf den von Georgi Tschitscherin, dem allrussischen Volkskommis-

sar für Auswärtige Angelegenheiten zurückzuführen sei und telegrafierte seinen Verdacht

an Lenin. Lenin antwortete Ende Juni:

 

"Bitte mache Dir nicht zu große Sorgen und verzweifle nicht. Deine Vorwürfe oder

Verdachtsmomente gegen Tschitscherin und Rakowski sind völlig unbegründet."

(W. I. Lenin, Brief an Bela Kun, Juni 1919, in: 'Leninski Sbornik' - Sammelband

zu Lenin - Band 36, Moskau 1959, S. 79).

 

Am 28. Juli, nur drei Tage vor dem Ende der 'Ungarischen Räterepublik', telegrafierte

Kun an Endre Rudnyanszki, den Vertreter der Partei der Ungarischen Sozialistisch-Kom-

munistischen Arbeiter in Moskau, zur Weiterleitung an Lenin:

 

"Meine Geduld ist erschöpft, unabhängig davon, ob Tsch(itscherin) und R(akows-

ki) angeblich harmonisch mit dem Zentralkomitee der Partei zusammenarbeiten.

Dass wir von rumänischen Truppen an der bessarabischen Front geschlagen wur-

den, führe ich auf den völligen Mangel an Zusammenarbeit zurück."

(B. Kun, Telegramm an E. Rudnyanszki, 28. Juli 1919, Institut für Parteigeschich-

te, Zentralkomitee der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei, 'A Magyar Mun-

kasmozgalom Tortenetenek Valogatott Dokumentumai' - Ausgewählte Dokumen-

te der Geschichte der ungarischen Arbeiterbewegung, Band 6, Teil 2, Budapest

1960, SS. 545f).

 

Lenin antwortete am 31. Juli:

 

"Ich versichere Bela Kun, dass Rakowski vom gesamten Zentralkomitee ernannt

wurde und wir mit ihm zufrieden sind. Wir unternehmen alles nur Erdenkliche, um

unseren ungarischen Freunden zu helfen, jedoch sind unsere Kräfte begrenzt.

Unser Sieg im Ural hat die ungarischen Kriegsgefangenen befreit, die wir schnell-

stens an die ukrainische und rumänische Front verlegen werden."

(W. I. Lenin, Telegramm an Bela Kun, 31. Juli 1919, in: ebenda, S. 552).

 

Aber schon am nächsten Tag trat der Revolutionäre Regierungsrat zurück und die Unga-

rische 'Räterepublik' hörte auf zu existieren.

 

Dass Kuns Verdacht, Antonow-Owseenko, Tschitscherin und Rakowski hätten auf ver-

räterische Weise die sowjetrussische Hilfe für die 'Räterepublik' Ungarns sabotiert, nicht

ganz grundlos war, wird durch ihre Biografie belegt. All drei kamen aus aristorkratischen

Familien, waren bis zur sozialistischen Revolution 1917 Menschewiki, waren während des

Ersten Weltkriegs eng mit Trotzki und seiner Pariser Zeitschrift 'Nasche Slowo' - Unsere

Sache - verbunden und gehörten in den zwanziger Jahren der Opposition unter Führung

Trotzkis an. (Rakowski wurde im März 1938 wegen seiner Beteiligung an den terroristi-

schen Aktivitäten des antisowjetischen 'Blocks der Rechten und Trotzkisten' vom Obers-

ten Gericht der Sowjetunion zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Er gestand

seine Schuld ein. - Übers.)

 

Die Clemenceau-Note vom 26. Juli

 

Am 26. Juli schickten die Alliierten - auf der Grundlage der Gespräche, die sie in Wien

mit Bohm und seinen sozialdemokratischen Kollegen geführt hatten - eine Note an den

Revolutionären Regierungsrat in Budapest, die von dem französischen Ministerpräsidenten

Georges Clemenceau unterschrieben war und in der es hieß,

 

" ..dass sie sich weigerten, über irgendeine Frage mit dem Regierungsrat zu ver-

handeln."

(Z. L. Nagy, 'Revolution in Ungarn, 1918-1919', in: E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Ge-

schichte Ungarns', London 1975, S. 448).

 

In Ungarn forderten die Führer der (ehemaligen - Übers.) sozialdemokratischen Partei

jetzt ganz offen den Rücktritt des Revolutionären Regierungsrats, und Ende Juli gelang es

ihnen, bestärkt durch die Auflösungserscheinungen in der ungarischen Roten Armee an

der rumänischen Front, eine Mehrheit der Arbeiterklasse von dieser Linie zu überzeugen:

 

"Den Sozialdemokraten, die sich die Versprechen der Entente zunutze machten,

... gelang es, die Arbeiter davon zu überzeugen, dass falls die Räterepublik fried-

lich aufgelöst werden würde, dies die Demokratie und das Ende der Blockade be-

deuten würde. Eine Konterrevolution würde seitens der Alliierten Mächte nicht zu-

gelassen werden."

(M. Rákosi, Erklärung vor Gericht, 1935, in: 'Die Inhaftierung und Verteidigung von

Mátyás Rákosi', London 1954, S. 171).

 

Der Rücktritt des Revolutionären Regierungsrats

 

Ende Juli 1919 war es den rumänischen Truppen gelungen, den Tisza-Fluss zu über-

queren und sie befanden sich nur noch 100 km von Budapest entfernt.

 

Am 1. August wurde eine gemeinsame Sitzung des Revolutionären Regierungsrates und

des Zentralkomitees der Sozialistisch-Kommunistischen Partei Ungarns abgehalten.

 

Bela Kun berichtete, dass sich die Lage der 'Räte-Republik' inzwischen hoffnungslos ge-

staltet habe:

 

"Ich bin gezwungen, zu dieser kühlen und nüchternen Schlussfolgerung zu ge-

langen: Die Diktatur des Proletariats ist besiegt worden - ökonomisch, militärisch

und politisch."

(B. Kun, 'Ket Forradalom Tuzuben' - Im Kreuzfeuer zweier Revolutionen - , Wien

1923, in: R. L. Tokes, 'Bela Kun und die Ungarische Räterepublik', New York 1967,

S. 203).

 

Auf typisch 'linke' Weise gab Kun der ungarischen Arbeiterklasse die Schuld an der Nie-

derlage der 'Räterepublik':

 

"Das Proletariat Ungarns hat nicht seine Führer verraten, sondern sich selbst. ...

Wenn es ein klassenbewusstes Proletariat gegeben hätte, wäre die Diktatur des

Proletariats nicht auf diese Weise besiegt worden."

(Ebenda).

 

Kun forderte eine ordentliche Dosis von weißem, faschistischen Terror, um sein 'politi-

sches Bewusstsein zu heben':

 

"Dieses Proletariat braucht die unmenschlichste und grausamste Diktatur der

Bourgeoisie, um revolutionär werden zu können."

(Ebenda, S. 204).

 

Es wurde dann eine Resolution angenommen, wonach sich der Revolutionäre Regierungs-

rat unverzüglich auflösen und der Zentrale Budapester Arbeiterrat - der weiter von ehemali-

gen Führern der SDP beherrscht wurde - aufgefordert werden sollte, eine neue Regierung zu

bilden.

 

Die österreichische sozialdemokratische Regierung gewährte Kun diplomatische Immu-

nität und dieser fuhr noch am gleichen Tage in einem Sonderzug mit seiner Familie und eini-

gen Freunden nach Wien:

 

"Kun ... ergriff die Gelegenheit, die ihm die österreichische Regierung von Otto

Bauer bot, beim Schopf und stieg mit seiner Familie und seinen Freunden in einen

Sonderzug nach Wien. ... Diejenigen seiner Freunde, die in dem Zug keinen Platz

mehr fanden, mussten zurückbleiben und waren auf Gedeih und Verderb der Gna-

de der Rumänen und Weißen Armeen ausgesetzt."

(M. Károlyi, 'Erinnerungen. Glaube ohne Illusionen', London 1956, S. 172).

 

Unter jenen, die nicht mehr fliehen konnten, befand sich Tibor Szamuely, der Selbstmord

beging.

 

 

5. Die Peidl-Regierung (August 1919)

 

 

Die Bildung der Peidl-Regierung

 

Die ungarische kapitalistische Klasse war der Ansicht, dass die Rückgängigmachung

der wichtigsten von der 'Räteregierung' eingeleiteten Maßnahmen von einer Regierung so-

zialdemokratischer Politiker und Gewerkschaftsführer auf weniger Widerstand seitens der

Arbeiterklasse stoßen würde als bei einer Regierung aus offen bürgerlichen Politikern.

 

Deshalb gestattete man am 1. August 1919 nach dem Rücktritt des Revolutionären Re-

gierungsrats dem Zentralen Budapester Arbeiterrat, der von Sozialdemokraten beherrscht

war, eine neue Regierung mit dem früheren Vorsitzender der rechten Fraktion der SDP

Gyula Peidl an der Spitze zu 'ernennen' - eine Regierung, die sich fast ausschließlich aus

Gewerkschaftsführern zusammensetzte.

 

Die Aufhebung der alliierten Blockade

 

Am 2. August 1919 hoben die Alliierten ihre Blockade über Ungarn auf.

 

Die Aufhebung der Maßnahmen der 'Räteregierung'

 

Am 2. August 1919 entließ die neue Regierung sämtliche unter der 'Räteregierung' in-

haftierten Gefangenen, hob die Revolutionstribunale auf und setzte die alten Gerichte wie-

der in ihre Rechte ein.

 

Am 3. August 1919 löste die Regierung die Roten Garden auf und stellte die alten Polizei-

einheiten wieder her.

 

Am 4. August 1919 wurden die Wohnblocks, die von der 'Räteregierung' verstaatlicht wor-

den waren, wieder an die ehemaligen Eigentümer zurückgegeben und die Dekrete jener Re-

gierung zur Senkung der Renten aufgehoben.

 

Am 6. August 1919 wurden sämtliche von der 'Räteregierung' verstaatlichten Industriebe-

triebe, Handels- und Finanzeinrichtungen (sprich Banken - Übers.) wieder an ihre einstigen

Besitzer zurückgegeben.

 

Die rumänische Besetzung von Budapest

 

In der Zwischenzeit hatten rumänische Truppen die Hauptstadt Budapest erreicht und

besetzten sie.

 

 

6. Die Friedrich-Regierung (August bis November 1919)

 

 

Der Sturz der Peidl-Regierung

 

Am 7. August 1919 wurde die Peidl-Regierung durch einen Militärputsch von einer Grup-

pe von Armeeoffizieren, die die Interessen eines Teils der Grundbesitzerklasse vertrat und

eng mit der ehemaligen kaiserlichen Familie verbunden war, gestürzt.

 

Die Offiziere beriefen Erzherzog Josef zum Staatspräsidenten von Ungarn und er seiner-

seits ernannte eine Regierung mit Istvan Friedrich als Ministerpräsidenten.

 

Die Auflösung der 'Szeged-Regierung'

 

Eine Mehrheit der Mitglieder der 'Regierung' von Szeged war bereit, die Friedrich-Regie-

rung anzuerkennen und löste sich anschließend selbst auf.

 

Die weitsichtigeren Mitglieder der 'Szeged-Regierung' erkannte jedoch, dass eine Regie-

ung, die mit der ehemaligen Kaiserfamilie verbunden war, für die Alliierten Mächte nicht ak-

zeptabel war. Diese Mitglieder scharten sich um Admiral Miklos Horthy, der in der 'Szeged-

Regierung' den Posten des Kriegsministers bekleidet hatte.

 

Die Bildung eines 'unabhängigen' Oberkommandos

 

Am 9. August 1919 verkündete Horthy, dass die von der Szeged-'Regierung' unter sei-

nem Kommando gebildete 'Nationale Armee' - eine Truppe aus schätzungsweise 25.000

Soldaten, die hauptsächlich aus der mittleren Bauernschaft kamen und Offizieren aus der

Grundbesitzerklasse - eine Streitmacht unabhängig von der Friedrich-Regierung in Buda-

pest darstelle.

 

Baron Oberst Antal Lehar, der eine ähnliche Armee im Westen des Landes, die auf Ini-

tiative des Wiener konterrevolutionären Komitees unter Führung von Graf Istvan Bethlen ge-

bildet worden war, kommandierte, unterstellte seinerseits seine Truppe dem Oberkomman-

do Horthys.

 

Horthy wurde außerdem von zwei paramilitärischen faschistischen Organisationen, die

sich unter der Károlyi-Regierung formiert hatten, unterstützt. Dabei handelte es sich um

die Nationale Ungarische Verteidigungsvereinigung (Magyar Orszagos Vedero Egyesulet

oder MOVE) sowie um die Vereinigung Wachsamer Ungarn (Ebredo Magyarok Egyesu-

lete oder EME), die beide von Hauptmann Gyula Gombos kommandiert wurden, der in der

Szeged-'Regierung' das Amt des stellvertretenden Kriegsministers innegehabt hatte.

 

Die Neugründung der Sozialdemokratischen Partei

 

Am 24. August wurde die Sozialdemokratische Partei unter der Führung von Károly

Peyer, einem Gewerkschaftsführer, der in der Peidl-Regierung Innenminister gewesen war,

neu gegründet.

 

Der Rücktritt von Erzherzog Josef

 

Am 24. August 1919 trat Erzherzog Josef unter massivem Druck der Alliierten Mächte

als Staatspräsident zurück.

 

Der Abzug der rumänischen Truppen

 

Die französischen Imperialisten, die der Meinung waren, dass sie Rumänien in einen

von Frankreich abhängigen Staat verwandeln könnten, waren dafür, dass die rumänischen

Truppen so viel ungarischen Territoriums wie möglich weiter besetzt hielten.

 

Die britischen und US-amerikanischen Imperialisten jedoch, die kein Interesse daran

hatten, dass der Einfluss ihres französischen Rivalen auf diese Weise gestärkt wurde,

setzten sich für die 'Unabhängigkeit Ungarns' ein und dank der Tatsache, dass sie den

Obersten Alliierten Rat kontrollierten, gelang es ihnen, den Rückzug der rumänischen

Truppen durchzusetzen, welcher im November abgeschlossen war. Anschließend gaben

sie den konterrevolutionären Kräften um Horthy ihre volle Unterstützung.

 

Der Weiße Terror

 

Am 11. August 1919 begann Horthys 'Nationale Armee' von Szeged aus ihren Vormarsch,

marschierte durch den Norden des Landes, der nicht von rumänischen Truppen besetzt war,

um sich mit Lehars Armee im Westen zusammenzuschließen, wo Horthy sein militärisches

Hauptquartier aufgeschlagen hatte.

 

Von hier aus gelang es der geeinten konterrevolutionären Streitmacht, das gesamte

Land nach dem Rückzug der rumänischen Truppen zu besetzen und Budapest am 16. No-

vember einzunehmen.

 

Der Weg der Streitmacht war markiert von wildem Weißem Terror und antisemitischen

Massenpogromen. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden 5.000 Menschen brutal er-

mordet und 75.000 pferchte man in notdürftig errichtete Konzentrationslager. Mehr als ein-

hunderttausend flohen aus dem Land, um dem Weißen Terror zu entkommen.

 

Die Peidl-Regierung hatte alle lokalen Behörden und Beamten der 'Räterepublik' ange-

wiesen, bis auf weiteres im Amt zu bleiben. Jene, die diesen Anweisungen Folge leiste-

ten, fielen dem Weißen Terror zum Opfer.

 

"Auf Anweisung der Peidl-Regierung hatten alle Ortsräte und politischen Kommis-

sare ihre Ämter bis auf weiteres auszuüben. Im Interesse der allgemeinen Wohl-

fahrt wurde diese Anordnung im Allgemeinen, wenn auch zögernd, befolgt. Diese

gewissenhaften Genossen wurden ein paar Tage später Opfer von schrecklichen

Gräueltaten und Ausschreitungen, wurden von der Kamarilla der Offiziere verhaf-

tet oder zu Tode gefoltert."

(B. Szanto, 'Die wahren Gründe für den Zusammenbruch der Ungarischen Rätere-

publik, in: 'Die Internationale', Band 1, Nr. 15/16, 1. November 1919, in: H. Gruber,

Hrsg., 'Internationaler Kommunismus in der Ära Lenins', New York 1972, S. 136).

 

Umfassende Lohnsenkungen

 

Am 17. August 1919 verfügte der Nationale Verband der Ungarischen Fabrikanten eine

50prozentige Lohnsenkung für alle Industriearbeiter.

 

 

Die Huszar-Regierung (November 1919 bis März 1920)

 

 

Die Bildung der Huszar-Regierung

 

Nach der Besetzung Budapests durch konterrevolutionäre Horthy-Einheiten wurde am

24. November 1919 eine neue Regierung von diesen Kräften installiert, die von Károly Hus-

zar geführt wurde.

 

Der britische Diplomat Sir George Clark, der am 23. Oktober in Ungarn eingetroffen war,

drängte Horthy, in Ungarn die Fassade einer 'Demokratie' einzuführen, da die Gräueltaten,

die von seinen Truppen begangen worden waren, den britischen Imperialisten Unannehm-

lichkeiten bereitet hatten.

 

Nach dieser Intervention setzte sich die neue Regierung nicht nur aus den beiden neu

geschaffenen Parteien, die die Interessen der Grundbesitzerklasse vertraten, aus der Christ-

lich Nationalen Einheitspartei und der Nationalen Unabhängigkeits- und '48-Bauern'-Partei

(sog. 'Kleinbauernpartei'), an deren Spitze Istvan Nagyatdi Szabo stand, zusammen, sondern

auch die Sozialdemokratische Partei, die die Interessen der nationalen kapitalistischen Klas-

se repräsentierte, durfte sich an der Regierung beteiligen. Ihr Vorsitzender, Károlyi Peyer,

erhielt das Arbeits- und Wohlfahrtsministerium.

 

Am 26. November 1919 wurde die Huszar-Regierung vom Obersten Alliierten Rat als

legitime Regierung Ungarns anerkannt.

 

Die Wahlen

 

Vom 25.-27. Januar 1920 wurden Parlamentswahlen abgehalten. Der Weiße Terror hielt

jedoch auch während des Wahlkampfes an, was dazu führte, dass selbst die Kandidaten

der Sozialdemokratischen Partei darin gehindert wurden, sich an den Wahlen zu beteiligen.

Die Folge war, dass sich die Partei aus dem Wahlkampf und aus der Regierung zurückzog.

 

Die 150 Sitze des neuen Parlaments wurden infolgedessen unter den beiden die Interes-

sen der Grundbesitzer- und die Handelsbourgeoisie repräsentierenden Parteien aufgeteilt:

 

Nationale Unabhängigkeits- und '48-Bauern'-Partei: ... 91 Sitze

Christlich Nationale Einheitspartei: .......................... 59 Sitze

 

Die Wiederherstellung der Monarchie

 

Am 29. Februar 1920 erließ das neue Parlament ein Gesetz, das die Monarchie wieder-

einführte. Das Amt des Monarchen blieb jedoch unbesetzt.

 

Die 'Wahl' Horthy als Präsident

 

Am 1. März 1920 umzingelten Einheiten von Horthys 'Nationaler Armee' die Parlaments-

gebäude und besetzten sie und forderten, dass die Abgeordneten Horthy zum Staatsprä-

sidenten Ungarns wählten, was sie pflichtgemäß taten.

 

Die Bildung der Simonyi-Semadan-Regierung

 

Am 14. März 1920 wurde eine neue Koalitionsregierung aus den beiden wichtigsten po-

litischen Parteien gebildet, mit Sandor Simonyi-Semadan als Ministerpräsident.

 

Der Vertrag von Trianon

 

Am 4. Juni 1920 unterzeichnete die Simonyi-Semadan-Regierung zusammen mit den

Alliierten den Friedensvertrag von Trianon. Danach wurden die neuen Grenzen so festge-

legt, dass dem neuen 'Köngreich' ein Gebiet von 35,9 tausend Quadratmeilen (im Vergleich

zu den 125,6 tausend Quadratmeilen des alten Königreichs) verblieben und eine Bevölke-

rung von 7,6 Millionen (von den 20,9 Millionen des alten Königreichs). Der Vertrag sah die

Zahlung einer unbestimmten Summe von Reparationen vor und begrenzte die Streitkräfte

des neuen Staates auf 35.000 Soldaten.

 

 

Nachsatz:

Das halbfaschistische Horthy-Regime

 

 

Das halbfaschistische Horthy-Regime hielt sich bis Oktober 1944. Sein Wesen wird

durch revisionistische Historiker zutreffend so beschrieben:

 

"Es wurde ein System autoritärer Diktatur errichtet, in dem die Bestandteile des

Faschismus sich mit der Rechtsstaatlichkeit konservativer und reaktionärer An-

sichten verbanden. Es gab einen gewissen Parlamentarismus, in dem jedoch die

Mehrheit der politischen Vertreter Werkzeuge in den Händen der Führer des

Staatsapparates waren. Es existierte ein Mehrparteiensystem, die Vorherrschaft

der Regierungspartei wurde aber durch ruchlose Methoden sichergestellt, was in

der Praxis auf eine Einparteien-Herrschaft hinauslief. Gewisse Bürgerrechte wie

ein eingeschränktes Wahlrecht oder die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

waren auf dem Papier garantiert, ihre Wahrnehmung und Nutzung hing jedoch fast

vollständig von den Launen der Polizei ab. ...

 

Der Terror der Polizei und Gendarmerie erinnerte immer noch an die Mentalität der

konterrevolutionären bewaffneten Banden. Das gefestigte Regime blieb chauvinis-

tisch und aggressiv nationalistisch. Die offizielle Ideologie war die so genannte 'Sze-

ged-Idee' (Ideologie der konterrevolutionären Bewegung, die in der Stadt Szeged

ihren Ausgangspunkt hatte), eine Ideologie, die sich mit hochtrabenden Eigen-

schaftswörtern wie 'christlich' und 'national' schmückte und von Geist ungarischer

Überlegenheit durchdrungen war. Die Ideologie der kulturellen Überlegenheit und

die Idee von der ungarischen politischen Vorherrschaft im Donautal, gepaart mit

einer wilden Verurteilung von Liberalismus, Demokratie und Kommunismus als et-

was dem 'ungarischen Volk Fremden', durchdrang das gesamte Bildungssystem,

die Presse und das politische Leben. ...

 

Viele Bürger wurden ... aus zahlreichen Bereichen des öffentlichen Lebens wegen

ihres jüdischen Glaubens ausgeschlossen und die wenigen jüdischen Studenten,

die noch Zugang zu den Universitäten gefunden hatten, wurden durch die organi-

sierten Hetzkampagnen physisch drangsaliert."

(E. Pamlenyi, Hrsg., 'Eine Geschichte Ungarns', London 1975, SS. 472f).

 

Mit diesem halbfaschistischen Staat unterschrieben die Führer der Sozialdemokratischen

Partei am 22. Dezember ein Abkommen, den Pethlen-Peyer-Pakt, der von Ministerpräsi-

dent Graf Istvan Bethlen und dem Führer der SDP Károlyi Peyer unterzeichnet wurde.

Nach dieser Vereinbarung erhielt die SDP begrenzte Rechte, um als 'Oppositionspartei'

im Gegenzug für das Versprechen, das Regime im In- und Ausland zu unterstützen, existieren zu können.