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Die Konterrevolution in Budapest

 

 

"Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn"

hrsg. vom Informationsbüro des Ministerrats der Ungarischen Volksrepublik, ohne Jahresangabe,

wahrscheinlich Anfang 1957

 

 

Die Untersuchung und die Verhöre sind noch im Gange. Noch liegen keine detaillierten Angaben über den weißen Terror vor, der im Herbst 1956 in Budapest wütete. Aber auch die bereits vorliegenden unvollständigen und spärlichen Berichte werfen schon genügend Licht darauf, welche politischen Kräfte in den Tagen der Anarchie am Werke waren und gegen wen sich die Waffen richteten, über die sie verfügten.

 

 

Aussage eines Zeugen

 

 

László Oravecz, ein Einwohner Budapests, erklärte:

 

'Am 31. Oktober 1956 befand ich mich um 14.30 Uhr an der Ecke der Lenin-Ringstraße und des 7. November-Platzes und wurde dort Zeuge folgenden Vorfalls:

 

Auf dem Bürgersteig der Lenin-Ringstraße gegenüber dem Müvész-Kino ging ein Mann in einer Khaki-Hose und einer Sportjacke des Sportvereins 'Dózsa'. Jemand rief: 'Das ist einer von der AVO! (AVO- ungarische Staatssicherheit). Die Menge stürzte sich auf den Mann und begann ihn zu misshandeln. Im Tumult warf ihm jemand ein Drahtseil um den Hals, und dann wurde er, schon bewusstlos, an einen Baum vor dem Eisenwarengeschäft Ecke Lenin-Ringstraße und Aradi-Straße aufgeknüpft. Dem Ermordeten hängte man eine Tafel um mit der Aufschrift: 'AVO-Hauptmann Tóth. So wird's jedem AVO-Mann ergehen!'

 

Niemand versuchte festzustellen, ob die Festgenommenen tatsächlich Mitarbeiter der Staatssicherheitsverwaltung waren. Die bestialisch Ermordeten waren Opfer der Hetze und der Verleumdungskampagne.

 

 

Aussage eines irregeführten Minderjährigen

 

 

Der 15jährige Csaba Bányai, den man bewaffnet und in eine 'Sonderabteilung' eingereiht hatte, berichtet:

 

'Am 2. und 3. November belegten unsere Zehnergruppen mehrere Wohnungen mit Beschlag. In diese schleppten wir unsere Opfer und töteten sie, indem wir ihnen Gift einspritzten. Dann schossen wir sie, um die Spuren zu verwischen, durch den Kopf.'

 

Wie dieser Minderjährige berichtet, war die 'Sonderabteilung' in Zehnergruppen eingeteilt ...

 

 

Der Tod von Sándor Sziklai

 

 

Schwaben, ehemalige Mitglieder des Volksbundes, an deren Spitze József Eszterle stand, hatten der in Budakeszi ansässigen Familie Sziklai schon zehn Tage vor den Oktobervorfällen mit dem Tode gedroht. Am 25. Oktober überfielen bewaffnete Banditen das Haus. Sie warfen eine Handgranate in die Wohnung und drangen dann ein. Oberst Sándor Sziklai verteidigte sich mit einer Pistole und erschoss einen der Angreifer. Er war aber schon durch die Granate, die die Banditen ins Haus geschleudert hatten, tödlich verwundet. Die Banditen erschlugen seinen Schwiegervater, Lajos Kiss, mit der Axt. Sándor Sziklai war ein alter, bekannter Kämpfer der Arbeiterbewegung, Lajos Kiss ein alter Kommunist, Parteimitglied seit 1919.

 

 

Einige Tatsachen

 

 

Um zu zeigen, wer die Ereignisse vom 23. Oktober ausnutzen wollte und zu welchem Zweck, wollen wir mehrere Tatsachen anführen und mehrere Personen charakterisieren.

 

Anführerin einer bewaffneten Gruppe, die ihr Unwesen im 9. Bezirk trieb, war Vera Laskovics, eine vorbestrafte bekannte Prostituierte, die in der Illatos-Straße 5 wohnte. Ihre Gruppe war gut bewaffnet und trieb ihr Unwesen an der Ferenc-Ringstraße, der Mester- und der Tompa-Straße. Die Laskovics war fast immer betrunken und zwang ihre Komplicen, wahllos zu schießen.

 

(Auf der folgenden Seite sieht man einen zu Tode gequälten ungarischen Polizisten, dem man die Zeitung 'Kommunist' auf die Brust gelegt hat).

 

Der 16jährige János Szilágyi war mehrere Jahre in einem Heim für schwachsinnige Kinder untergebracht. In dem Krankenhaus, in das man ihn nach seiner Verwundung einlieferte, erzählte er lachend:

 

'Ich kam zu einem Hauptmann in Zivil in die Abteilung. Wir gingen zusammen in Wohnungen, die man uns angegeben hatte, und rechneten mit AVH-Leuten und Kommunisten ab. Einmal kamen wir in ein Haus unweit vom Hotel Royal und gingen in den dritten Stock hinauf. Der Hauptmann sagte, wir würden zu einem Mitarbeiter der Staatssicherheitsverwaltung gehen. Wir trafen ihn, seine Frau und seine 6jährige Tochter an. Erst hieb der Hauptmann auf ihn ein, dann riss er ihm die Ohren ab und schnitt ihm mit der Schere die Nase ab. Schließlich legte er ihn mit einem Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole um. Seine Frau wollte sich retten, aber jemand von unserer Abteilung streckte sie mit einem Schuss nieder. Als wir mit den Eltern fertig waren, wussten wir nicht, was wir mit dem Mädchen anfangen sollten. Schließlich haben wir es auch erschossen ... Das haben wir nicht nur in dieser Wohnung gemacht, wir hatten jeden Tag einen neuen Auftrag.'

 

E. Sz., eine aus dem Gefängnis Befreite, die am 8. November beim Versuch eines Grenzübertritts festgenommen wurde, sagte Folgendes aus:

 

'Ich war mit dem Schlosser János Horváth bekannt; er ist etwa 28 Jahre alt. Dieser János Horváth hat in dem Haus, in dem er wohnt, vier oder fünf AVO-Leute, die seine Nachbarn waren, umgebracht. Außerdem hat er andere AVO-Leute in einen Keller geführt, wo sie alle erschossen wurden.'

 

Im 19. Bezirk von Budapest wurde Kálmán Turner, ein alter Schweißer aus einer Spinnerei, nur deswegen erschossen, weil er an der Verteidigung der Bezirksparteileitung teilgenommen hatte.

 

 

(Auf der folgenden Seite sieht man einen jungen Mann, den man aufgehängt hat. Darum versammelt sieht man eine Menschenmenge. Das Foto wurde im 'Der Spiegel', dem deutschen Nachrichtenmagazin, veröffentlicht. Auf Seite 15 sieht man einen ermordeten Soldaten, dem man eine Petöfi-Plakate auf die Brust gelegt hat, sowie einen ermordeten Offizier mit einem Heft der Zeitschrift 'Parteiaufbau' auf der Brust. Auf S. 24 sieht man einen an den Füßen an einem Baum aufgeknüpften Mann. Es handelt sich um einen Wachsoldaten, der auf dem Platz der Republik auf diese Weise ermordet wurde. Auf der folgenden Seite sieht man das Bild eines Obersten, der wegen der Aufstellung einer Miliz nach dem Sturm auf das Stadtparteikomitee der kommunistischen Partei erschlagen wurde. Auf S. 30 der Broschüre sieht man einen bestialisch Ermordeten vor dem Stadtparteikomitee, darum steht eine neugierige Menge. Auf S. 31 sieht man eine ganze Gruppe von Ermordeten, die vor dem Stadtparteikomitee aufgereiht sind. Auf Seite 41 sieht man den Kopf eines Kommunisten, den man mit einem Bajonett am Fußboden festgespießt hat. Man hat ihn ein Lenin-Bild auf die Brust gelegt. Das Foto erschien in einer westdeutschen Zeitung.)

 

 

In Szekaszárd

 

 

Die reaktionären Elemente von Szekszárd bemächtigten sich des Nationalkomitees. Eigenmächtig setzten sie die Leiter des Stadtrats ab und ernannten an ihrer Stelle ehemalige Richter und Oberrichter des alten Regimes sowie andere Beamte des alten Regimes. ...

 

 

In Füzesabony

 

 

In der Nacht vom 3. November zerstörte eine Gruppe unter Führung des Großbauern János Gál und der Stammgäste der Dorfschenken, János Gál Kiss und István Koródi, das Sowjetkrieger-Denkmal und zog dann zum Dorfrat, um mit dessen Leiter abzurechnen. Als sie dort niemanden antrafen, zogen sie zur Wohnung des Dorfbevollmächtigten für das Erfassungswesen, schlugen dort die Fenster ein und schleppten den Bevollmächtigten, einen aus Budapest in den Bezirk entsandten Arbeiter, in den Dorfrat, wo sie ihn misshandelten und in einem Zimmer einsperrten. Eine von den Großbauern gebildete Gruppe 'ernannte' den ehemaligen Horthybeamten Fecske, einst Leiter des Dorfamtes, zum Dorfschulzen.

 

Unter Führung dieses ehemaligen Beamten wurde ein 'Arbeiterrat' gebildet. Das erste, was dieser tat, war, dass er den Leiter der Konsum- und Absatzgenossenschaft, Lajos Kovács, seines Postens enthob, der daraufhin grausam misshandelt wurde. Unter antisemitischen Ausrufen zog man dann zum Textiliengeschäft und vertrieb dessen Leiter. Die Familie des Bevollmächtigten für das Erfassungswesen - seine Frau und sein Kind - warf man aus der Wohnung ...

 

 

Westliche Medien über die Ereignisse in Ungarn damals (gleiche Broschüre):

 

 

1. 'Reynold News', westliche Nachrichtenagentur, vom 31. Oktober:

'Es wird bestätigt, dass in Westungarn mit fieberhafter Eile extremistische Militärorganisationen gebildet werden, die zu politischen Aktionen schreiten sollen, deren Folgen unmöglich abzusehen sind. Diese Organisationen sind bereits in Kontakt getreten mit ehemaligen 'Kreuzrittern' (der französische Korrespondenz nennt die Pfeilkreuzler mit dem Namen der faschistischen französischen Organisation. Der Herausg.) und mit den Ultranationalisten in Österreich. Die Geschehnisse in Ungarn erinnern an den Horthyputsch von 1919.'

 

2. Die österreichische 'Volksstimme' vom 30. Oktober:

'An gewissen Grenzstationen wurden regelrechte Stabsquartiere der Konterrevolution eingerichtet. In großer Zahl sind in den letzten Tagen die Agenten der Konterrevolution aus den Reihen der so genannten Exilungarn über die Grenze gegangen, um sich dort, wie sie sagen, 'den Aufständischen anzuschließen'. Wie der gestrige 'Bildtelegraph' schreibt, besteht eine direkte Verbindung mit dem Hauptquartier des konterrevolutionären Stabs in Salzburg. Sogar aus Bayern und anderen Teilen Westdeutschlands sind in den letzten Tagen über österreichisches Gebiet regelrechte Transporte konterrevolutionärer Gruppen über die Grenze erfolgt.'

 

3. 'L'Express' (Paris) vom 9. November:

'Am 1. November legte die Regierung Nagy unverkennbare Verwirrung an den Tag. Da sie praktisch nicht die Macht hatte, machte sie sowohl den Rechten als auch den Linken Zugeständnisse ... Die zügellose Menge wütete, und Mitglieder der politischen Polizei waren nicht die einzigen, die gelyncht wurden. In der Provinz kamen Rechtselemente an die Oberfläche, und die so genannten Nationalräte steuerten mehr oder minder einen Nazikurs. Neue Parteien begannen sich zu regen.'

 

4. 'The Times' (London) vom 3. November:

'Vorigen Sonnabend, den 27. Oktober, war die Frage, wie weit Mr. Nagy in der Befriedung der Forderungen der Revolution gehen könne. Gestern hat er bereits alle Grenzen überschritten.'

 

5. 'Tidningen' (Stockholm) vom 1. November:

'In einem Dörfchen an der Chausee nach Budapest war ich Zeuge, wie ein führender kommunistischer Funktionär gelyncht wurde. Das geschah im Hause des Dorfrats. Um micht drängte sich sehr viel Volk: Bauern, Soldaten, Aufständische. Ein Mann neben mir schrie plötzlich auf und stürzte im nächsten Augenblick wie ein Raubtier auf einen anderen Mann zu. Dieser kommunistischer Funktionär hatte natürlich unbedacht gehandelt, sich so früh zu zeigen, denn man erkannte ihn. Das Weitere spielte sich mit blitzartiger Geschwindigkeit ab. Es begann das Lynchgericht. Der Kommunist hob die Hände über den Kopf, um sich zu schützen, aber auf Gesicht, Rücken und Leib hagelten Schläge, und trat man ihn mit Nagelstiefeln. Blutüberströmt stürzte er schließlich zu Boden. Das Lynchgericht war zu Ende.'

 

6. 'Daily Express' vom 31. Oktober:

'Jetzt ist der Terror des Mobs an der Tagesordnung ..., haben Lynchmethoden begonnen, zu denen auch die bewaffneten Hilfskräfte greifen.'

 

7. 'Reuter', Nachrichtenagentur, London (ohne Datum):

'Einer authentischen Information zufolge, versuchen ehemalige Miglieder der faschistischen Bewegung, ihre Partei wiederherzustellen. Im Aufstand, der anfangs nur von schwachen Rechtsgruppen unterstützt wurde, ist jetzt eine Situation eingetreten, in der ein Sieg der für die Wiederaufrichtung des Horthyregimes eintretenden Elemente nicht mehr ausgeschlossen erscheint. Seit gestern wird in den Straßen Budapests auf Menschen Jagd gemacht. Mitglieder der staatlichen Sicherheitspolizei werden wie die Hunde niedergemacht oder an Laternenpfählen und Balkons aufgehängt. Im ganzen Lande spielen sich Szenen ab, die an die Rückkehr der 'Weißen' im Jahre 1919 erinnern. Der Rechtsruck in der ungarischen Politik erweckt bei den demokratisch Gesinnten im Lande berechtigte Besorgnis.'