zurück zu Literatur über die VR China

Cold War International History Project

Virtual Archive

http://wwics.si.edu/index.cfm?fuseaction=library.document&topic_id=1409&id=157

Woodrow Wilson

International Center for Scholars 1300 Pennsylvania, Washington D.C./USA

 

Archivmaterial

Protokoll des Gesprächs, das Mao Tse-tung mit einer Delegation des Kommunistischen Bundes Jugoslawiens in Beijing (Peking) im September 1956 führte (der genaue Tag ist im Protokoll nicht angegeben).

 

Quelle: Mao Zedong waijiao wenxuan (ausgewählte diplomatische Dokumente Mao Tse-tungs, Beijing (Peking), The Central Press of Historical Documents, 1993, S. 251-162. Aus dem Chinesischen von Zhang Shu Guang und Chen Jian übersetzt.

 

Mao Tse-tung: "Wir begrüßen Euch hier in China. Wir sind sehr froh, dass Ihr uns besucht. Wir sind von Euch, aber auch von anderen Bruderparteien unterstützt worden. Wir unterstützen Euch uneingeschränkt, genauso wie wir all die anderen Bruderparteien unterstützen.

In der Welt von heute bleibt die marxistische und kommunistische Front geschlossen, sei es dort, wo Erfolge erzielt wurden oder noch nicht erzielt wurden. Es gab jedoch Zeiten, als wir nicht so vereint waren; es gab Zeiten, als wir Euch im Stich gelassen haben. Wir hörten uns die Meinung des Kominformbüros (Nachfolgeorganisation der Komintern - Übers.) an in der Vergangenheit. Obwohl wir uns nicht an dem Büro beteiligten, hatten wir Schwierigkeiten, es nicht zu unterstützen.

1949 verurteilte das Büro Euch als Schlächter und als Faschisten in der Art der Hitlerfaschisten und wir schwiegen zu der Resolution, die Euch verurteilte, ja wir schrieben 1948 Artikel, die Euch kritisierten.

Aus der Rückschau betrachtet, hätten wir das nicht tun sollen; wir hätten diese Angelegenheit mit Euch diskutieren sollen: Wenn einige Eurer Ansichten unrichtig waren, dann hätten wir Euch die Gelegenheit geben sollen, Selbstkritik zu üben; und es gab überhaupt keinen Grund, sich in die Kontroverse zu begeben, wie wir es getan haben. Das gleiche gilt für uns: Wenn Ihr mit uns nicht einer Meinung seid, dann solltet Ihr das Gleiche tun, das heißt, Ihr solltet eine Methode der Überzeugung und Beratung wählen. Es gab bislang noch nicht so viele Beispiele erfolgreicher Fälle, in denen man ausländische Parteien in Zeitungen kritisiert. Euer Fall liefert eine gründliche historische Lektion für die internationale kommunistische Bewegung. Obwohl Ihr darunter gelitten habt, hat die internationale kommunistische Bewegung aus diesem Fehler ihre Lektion gelernt. Die internationale kommunistische Bewegung muss die Schwere dieses Fehlers voll und ganz verstehen.

Als Ihr angeboten habt, das neue China anzuerkennen, reagierten wir nicht und lehnten das Angebot auch nicht ab. Zweifellos hätten wir das Angebot auch nicht ablehnen sollen, weil es keinen Grund gab, dies zu tun. Als Großbritannien uns anerkannte, sagte wir dazu nicht nein. Wie konnten wir eine Ausrede erfinden, um die Anerkennung durch ein sozialistisches Land abzulehnen?

Es gab da aber noch einen Grund, der uns davon abhielt, auf Euch zu reagieren: Die sowjetischen Freunde wollten nicht, dass wir mit Euch diplomatische Beziehungen aufnahmen. Wenn dem so war, war China dann ein unabhängiger Staat? Ja, natürlich. Wenn wir unabhängig waren, warum haben wir uns dann an ihre Anweisungen gehalten? Meine Genossen - als uns die Sowjetunion bat, ihnen damals zu folgen, war es für uns schwer, dies abzulehnen. Das lag daran, dass es zu der Zeit einige Leute gab, die behaupteten, dass es zwei Titos auf der Welt gab: einen in Jugoslawien, den anderen in China, auch wenn niemand eine Resolution verabschiedete, dass Mao Tse-tung ein Tito war. Ich habe einmal den sowjetischen Genossen gegenüber gesagt, dass sie den Verdacht hegten, dass ich ein halber Tito sei, aber sie wollten das nicht wahrhaben. Wann entfernten sie das Schild von dem halben Tito wieder von meinem Kopf? Das Schild wurde entfernt, als China beschlossen hatte, Amerika in Korea Widerstand zu leisten und Nord-Korea zu Hilfe kam und als wir den US-Imperialisten einen Schlag versetzten.

Die Linie von Wang Ming war in Wirklichkeit Stalins Linie. Sie führte dazu, dass neunzig Prozent unserer Stützpunkte zerstört werden konnte und einhundert Prozent in den weißen Gebieten. Der Genosse Liu Shaoqi wies darauf in seinem Bericht an den Achten Parteitag hin. Warum führte er dann aber nicht offen die Verluste auf die Auswirkungen der Stalin-Linie zurück? Es gibt dafür eine Erklärung. Die sowjetische Partei selbst konnte Stalin kritisieren; aber für uns kam es nicht in Frage, ihn zu kritisieren. Wir mussten gute Beziehungen mit der Sowjetunion behalten. Vielleicht werden wir irgendwann in der Zukunft unsere Kritik publik machen. So ist es in der Welt heutzutage, denn Tatsachen sind Tatsachen. Die Komintern machte unzählige Fehler in der Vergangenheit. Ihre Früh- und Spätphase war ganz in Ordnung, aber die mittlere Phase war nicht so gut: Als Lenin noch lebte, war sie in Ordnung und als Georgi Dimitroff die Verantwortung hatte. Die erste Wang-Ming-Linie beherrschte unsere Partei vier Jahre lang und die Chinesische Revolution erlitt die größten Verluste. Wang Ming ist jetzt in Moskau und macht dort einen Erholungsurlaub, aber wir werden ihn dennoch in das Zentralkomitee wählen. Er ist tatsächlich Instrukteur für unsere Partei. Er ist Professor, ein unbezahlbarer, den man nicht für Geld kaufen kann. Er hat die ganze Partei so unterwiesen, dass sie nicht mehr seiner Linie gefolgt ist.

Das war das erste Mal, dass wir Stalin gegenüber den Kürzeren zogen. Das zweite Mal war während des anti-japanischen Krieges. Da er Russisch konnte und gut darin war, Stalin zu schmeicheln, konnte er sich direkt mit Stalin unterhalten. Als Stalin ihn nach China zurückgeschickt hatte, versuchte er diesmal, uns in eine rechte Abweichung zu bringen, statt die linke Linie, für die er vorher eingetreten war, zu befolgen. Er machte sich stark für die Zusammenarbeit (der KP Chinas) mit der Kuomintang (der nationalistischen Partei). Man kann ihn als jemand beschreiben, der sich 'gerne herausputzt und sich selbst bei der Kuomintang einladen will'. Er wollte, dass wir von ganzem Herzen der KMT gehorchen. Das Programm der sechs Punkte, das er vorschlug, sollte an die Stelle unserer Politik der zehn Punkte treten. Sein Programm war gegen die Errichtung antijapanischer Stützpunkte gerichtet. Er war dafür, dass wir die bewaffneten Streitkräfte unserer Partei aufgaben und predigte, dass, solange Jiang Jieshi (Tschiang Kai-shek - Führer der Kuomintang - Übers.)\ an der Macht sei, es in China Frieden geben könne. Wir berichtigten diese Abweichung. Ironischerweise half uns Jiang Jieshi diesen Fehler zu berichtigen: Während sich Wang Ming 'herausputzte und vor Jiang Jieshi katzbuckelte', 'gab dieser ihm eine Ohrfeige und schmiss ihn raus'. Deshalb war Jiang Jieshi Chinas bester Instrukteur: Er hat die Menschen der ganzen Nation und unsere Parteimitglieder erzogen. Jiang gab seine Lektionen mit seinen Maschinengewehren, während Wang Ming uns mit seinen Worten belehrte.

Das dritte Mal war am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Japans Kapitulation. Stalin traf sich mit Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt und beschloss, ganz China Amerika und Jiang Jieshi zu geben. An materieller und moralischer Hilfe, besonders an moralischer, erhielten wir, die Kommunistische Partei, von Stalin fast gar nichts; dafür unterstützte er Jiang Jieshi. Dies wurde auf der Konferenz von Jalta beschlossen. Später erzählte Stalin Tito von dieser Entscheidung, der in seiner Autobiografie von diesem Gespräch berichtet.

Erst nach der Auflösung der Komintern genossen wir mehr Freiheit. Wir hatten bereits begonnen, den Opportunismus zu kritisieren sowie die Wang-Ming-Linie und begannen mit der Berichtigungskampagne. Die Berichtigung zielte tatsächlich auf die Verurteilung der Fehler, die Stalin und die Komintern bei der Anleitung der Chinesischen Revolution gemacht hatten; wir sagten jedoch über Stalin und die Komintern kein einziges Wort in der Öffentlichkeit. Irgendwann in nächster Zeit werden wir dies vielleicht in der Öffentlichkeit tun. Es gibt zwei Erklärungen, weshalb wir Stalin und die Komintern nicht offen kritisierten: Erstens: Da wir ihre Anweisungen befolgten, müssen wir selbst einen Teil der Verantwortung übernehmen. Niemand zwang uns, ihre Anweisungen zu befolgen! Niemand zwang uns, auf fehlerhafte Weise nach rechts und nach links abzuweichen! Es gibt zwei Arten von Chinesen: Der eine ist ein Dogmatiker, der Stalins Linie voll und ganz akzeptiert; der andere ist gegen Dogmatismus und weigert sich deshalb, Stalins Anweisungen zu befolgen. Zweitens wollen wir nicht die Sowjets verärgern, unsere Beziehungen zur Sowjetunion nicht stören. Die Komintern hat wegen dieser Fehler nie Selbstkritik geübt. Auch hat die Sowjetunion diese Fehler nie erwähnt. Wir hätten es mit ihnen verdorben, wenn wir unsere Kritik angemeldet hätten.

Das vierte Mal war, als Moskau mich als einen halben Tito oder als einen semi-Tito betrachtete. Nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in anderen sozialistischen Staaten und in einigen nicht-sozialistischen Staaten gab es einige Leute, die Zweifel hatten, ob es in China eine echte Revolution gegeben hat.

Ihr könntet fragen, weshalb wir Stalin in China immer noch hochhalten und sein Portrait an die Wand hängen. Genossen aus Moskau haben uns mitgeteilt, dass sie Stalins Bild nicht mehr aufhängen und nur noch Lenins und die der aktuellen Führer bei Paraden vorzeigen. Aber sie haben uns nicht gefragt, es ihnen gleich zu tun. Wir finden es sehr schwierig, dem zu entsprechen. Die vier Fehler Stalins müssen aber noch dem chinesischen Volk und unserer gesamten Partei bekannt gemacht werden. Unsere Lage unterscheidet sich von Eurer: Das, was Stalin Euch angetan hat, weiß das Volk und die ganze Welt. In unserer Partei sind die Fehler der Wang-Ming-Linie gut bekannt. Aber unsere Menschen wissen nicht, dass diese Fehler von Stalin ausgingen. Nur unser Zentralkomitee war sich bewusst, dass Stalin unsere Revolution gestoppt hat und mich als halben Tito betrachtete.

Wir hatten nichts dagegen, dass die Sowjetunion das Zentrum war, das der Weltrevolution, weil es der sozialistischen Bewegung nützt. Vielleicht stimmt ihr mit uns nicht in diesem Punkte überein. Ihr unterstützt vorbehaltlos Chruschtschows Kampagne der Kritik an Stalin, aber wir können das Gleiche nicht tun, weil unsere Menschen etwas dagegen hätten. Bei den letzten Paraden hielten wir Portraits von Marx, Engels, Lenin und Stalin hoch und auch die von ein paar chinesischen Führern, von Mao, Liu (Shaoqi), Zhou (Enlai) und Zhu (De) sowie die anderer Bruderparteien. Jetzt haben wir beschlossen, sie alle zu 'stürzen': es werden keine Portraits mehr gezeigt.

Bei den diesjährigen Maifeiern fiel Botschafter Bobkoveshi (der erste jugoslawische Botschafter in der VR China - Übers.) auf, dass in Peking keine Bilder mehr bei der Parade gezeigt wurden. Aber die Portraits von fünf toten Personen - Marx, Engels, Lenin und Stalin und Sun (Yat-sen) und das einer noch nicht verstorbenen Person, von Mao Tse-tung, hängen immer noch an den Wänden. Lassen wir sie an den Wänden hängen! Ihr Jugoslawen dürft bemerken, dass die Sowjetunion Stalins Portrait nicht mehr aufhängt, aber dass die Chinesen es noch tun.

Bis heute sind einige Leute immer noch im Zweifel, ob unser Sozialismus erfolgreich aufgebaut werden kann und sie wollen nicht von ihrer Behauptung abgehen, dass unsere Kommunistische Partei eine Pseudo-Partei ist. Was sollen wir machen? Diese Leute essen und schlafen jeden Tag und dann posaunen sie aus, dass die Chinesische Kommunistische Partei keine richtige kommunistische Partei ist und dass der Aufbau des Sozialismus in China scheitern muss. Für sie wäre es sehr verwunderlich, wenn der Sozialismus in China aufgebaut werden könnte! Passt auf, warnen sie. China könnte ein imperialistisches Land werden - es könnte Amerika, Großbritannien und Frankreich als viertes imperialistisches Land folgen! Zur Zeit besitzt China zwar wenig Industrie und ist deshalb nicht in der Lage, ein imperialistisches Land zu werden; aber China wird in hundert Jahren furchtbar sein! Tschingis Khan könnte wieder zu neuem Leben erweckt werden; deshalb könnte Europa wieder darunter leiden und Jugoslawien könnte erobert werden! Die 'gelbe Gefahr' muss gebannt werden!

Es gibt überhaupt keinen Grund, so etwas anzunehmen! Die KPC ist eine marxistische Partei. Das chinesische Volk ist ein friedliebendes Volk. Wir sind der Meinung, dass Aggression ein Verbrechen ist; deshalb werden wir nie einen Zentimeter Gebiet oder ein Stück Gras von anderen nehmen. Wir lieben den Frieden und wir sind Marxisten.

Wir sind gegen Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. Obwohl unsere Industrie klein ist, können wir doch, wenn man alles zusammen nimmt, als Großmacht angesehen werden. Deshalb werden schon einige Leute in China hochmütig. Wir warnen sie: 'Senkt Euren Kopf und zieht Euren Schwanz ein." Als ich klein war, lehrte mich meine Mutter oft, mich zu benehmen, den 'Schwanz zwischen die Beine zu klemmen'. Dies ist richtige Erziehung und heute sage ich das oft meinen Genossen.

Wir sind hier bei uns gegen den 'Pan-Hanismus' (chinesischen Nationalismus; Han ist die größte chinesische Nationalität, die etwa 95 % der Bevölkerung ausmacht - Üb.). Denn diese Strömung schadet der Einheit der ethnischen Gruppen. Hegemonismus und Pan-Hanismus sind beide sektiererisch. Jene mit hegemonistischen Neigungen kümmern sich nur um ihre eigenen Interessen und ignorieren die anderer, während jene Pan-Hanisten sich nur um das Volk der Han kümmern und das Han-Volk als anderen gegenüber überlegen ansehen und so schaden sie den Interessen von Minderheiten.

Einige Leute haben in der Vergangenheit behauptet, dass China nicht die Absicht hat, mit anderen Ländern Freundschaft zu schließen, sondern sich von der Sowjetunion lösen will, um so zu einem Störenfried zu werden. Jetzt sind diese Leute auf eine Handvoll in den sozialistischen Ländern zusammengeschrumpft. Ihre Zahl hat sich seit dem Widerstandskrieg gegen Amerika und der Hilfe für Korea verringert. Aber was die Imperialisten angeht, ist das ganz anders: Je stärker China wird, um so mehr werden sie Angst bekommen. Sie wissen auch, dass solange China keine fortgeschrittene Industrie hat, es auch nicht so furchtbar werden kann und solange wie es weiter auf Menschenkraft angewiesen ist. Die Sowjetunion bleibt für die Imperialisten am beängstigsten, während China erst an zweiter Stelle kommt. Wovor sie Angst haben, ist unsere Politik und dass wir in Asien einen großen Einfluss haben könnten. Deshalb verbreiten sie die Worte, dass China außer Kontrolle geraten könnte und andere überfallen könnte usw. usf.

Wir sind sehr vorsichtig geworden und bescheiden, um versuchen nicht arrogant zu sein, halten uns aber an die 'Fünf Prinzipien'. Wir sind in der Vergangenheit herumgestoßen worden, wir wissen, wie es ist, wenn man herumgestoßen wird. Ihr hättet Euch genauso gefühlt, nicht wahr?

Chinas Zukunft hängt vom Sozialismus ab. Es wird fünfzig oder sogar hundert Jahre dauern, um China in ein reiches und mächtiges Land zu verwandeln. Im Moment steht keine furchterregende Macht in Chinas Weg, um das zu verhindern. China ist ein riesiges Land mit einer Bevölkerung, die ein Viertel der Weltbevölkerung ausmacht. Dennoch muss sein Beitrag für die Welt noch mit der Größe seiner Bevölkerung in Übereinstimmung gebracht werden und diese Situation muss sich ändern, obwohl meine Generation und selbst die meines Sohnes diese Veränderungen nicht mehr erleben wird. Wie China sich in der Zukunft verändern wird, hängt davon ab, wie China sich entwickelt. China könnte Fehler machen und korrupt werden. Die jetzige gute Lage kann schlecht werden und danach kann die gute Lage schlecht werden. Es kann aber keinen Zweifel daran geben, dass, selbst wenn sich Chinas Lage verschlechtern sollte, es nicht eine solche dekadente Gesellschaft wird wie die von Jiang Jieshi.

Diese Annahme geht von der Dialektik aus. Affirmation, Negation und dann Negation der Negation. Der künftige Weg wird zwangsläufig ein gewundener sein.

Korruption, Bürokratie, Hegemonismus und Arroganz können allesamt in China wirksam werden. Aber das chinesische Volk neigt dazu, bescheiden zu sein. Es will von anderen lernen. Eine Erklärung dafür ist die, dass wir wenig 'Kapital' zur Verfügung haben: Erstens haben wir den Marxismus nicht erfunden. Wir erlernten ihn von anderen. Zweitens haben wir die Oktoberrevolution nicht miterlebt und unsere Revolution war erst 1949 erfolgreich, etwa 32 Jahre nach der Oktoberrevolution. Drittens waren wir nur eine Unterabteilung, nicht die Hauptkraft während des Zweiten Weltkriegs. Viertens: Da wir nur wenig moderne Industrie haben, bleiben uns nur die Landwirtschaft und einige schäbige, ramponierte Werkstätten. Obwohl es bei uns einige Leute gibt, die hochnäsig zu sein scheinen, haben sie keinen Grund dazu. Sie können höchstens ihren Schwanz einen oder zwei Meter hochhalten. Aber künftig müssen wir so etwas vermeiden: Es könnte in zehn oder in zwanzig Jahren gefährlich für uns werden und in vierzig oder fünfzig Jahren könnte es noch gefährlicher werden.

Meine Genossen - lasst mich Euch raten, bei Euch selbst nach diesem Potenzial Ausschau zu halten. Eure Industrie ist erheblich modernisiert worden und hat ein größeres Wachstum erfahren. Stalin hat Euch leiden lassen und deshalb ist die Gerechtigkeit auf Eurer Seite. All dies kann jedoch für Euch zu einer seelischen Belastung werden.

Die oben genannten vier Fehler Stalins, die er in Bezug auf China begangen hat, können auch für uns zu einer Last werden. Wenn China in späteren Jahren industrialisiert sein wird, wird es wahrscheinlicher, dass wir überheblich werden. Wenn Ihr wieder in Euer Land zurückkehrt, sagt Eurer Jugend, dass wenn China seinen Schwanz in Zukunft in die Höhe reckt, wenn er sogar zehntausend Meter hoch sein wird, dass Ihr dann China dennoch kritisiert. Ihr müsst auf China aufpassen und die ganze Welt muss auf China aufpassen. Ich werde dann ganz bestimmt nicht mehr sein: Ich werde dann bereits mit Marx eine Konferenz abhalten.

Es tut uns leid, dass wir Euch verletzt haben, weswegen wir Euch sehr viel schulden. Das Töten muss durch das Leben ersetzt werden und Schulden müssen bar bezahlt werden. Wir haben Euch kritisiert, aber warum schweigen wir immer noch? Vor Chruschtschows Kritik an Stalin, waren wir nicht in der Lage, uns über einige Dinge so direkt auszulassen wie jetzt. In meinen bisherigen Gesprächen mit Botschafter Bobkoveshi konnte ich immer nur sagen, dass solange die Sowjetunion Stalin nicht kritisiert, wir nicht in der Lage seien, dies zu tun. Solange wie die Sowjetunion mit Jugoslawien keine diplomatischen Beziehungen wieder aufnahm, konnten auch wir keine mit Euch herstellen (China stellte schon im Januar 1955 die diplomatischen Beziehungen mit Jugoslawien wieder her, vier Monate bevor Chruschtschow im Mai 1955 nach Jugoslawien fuhr, um sich mit Tito auszusöhnen - Übers.). Jetzt aber können diese Fragen offen diskutiert werden. Ich habe bereits mit den sowjetischen Genossen über die vier Fehler Stalins gegenüber China gesprochen. Ich sprach mit dem sowjetischen Botschafter Pawel Judin darüber und ich werde mit Chruschtschow darüber sprechen, wenn wir uns das nächste Mal treffen werden. Aber wir können all dies noch nicht in den Zeitungen veröffentlichen, weil die Imperialisten das nicht wissen müssen. Wir können uns bald über ein oder zwei Fehler Stalins offen unterhalten. Unsere Lage unterscheidet sich ziemlich stark von Eurer: Titos Autobiografie erwähnt Stalin, weil Ihr bereits mit der Sowjetunion gebrochen habt.

Stalin trat für den dialektischen Materialismus ein, aber manchmal fehlte ihm der Materialismus und stattdessen praktizierte er die Metaphysik. Er schrieb über den historischen Materialismus, aber litt häufig unter historischem Idealismus. Ein Teil seines Verhaltens wie seine Angewohnheit, Dinge bis zum äußersten zu treiben, sein Nähren eines persönlichen Mythos und das Verhalten, andere in Verlegenheit zu bringen, sind beileibe kein Zeichen von Materialismus.

Bevor ich mich mit Stalin traf, hatte ich nicht viele Sympathien für ihn. Ich wollte seine Bücher nicht lesen und habe nur 'Grundlagen des Leninismus' gelesen, einen langen Artikel, in dem er Trotzki kritisiert und 'Schwindlig von Erfolg' usw. Ich mochte noch weniger seine Artikel über die Chinesische Revolution. Er unterschied sich sehr stark von Lenin: Lenin teilte sein Herz mit anderen und behandelte andere als Gleichberechtigte, aber Stalin wollte über allen stehen und andere herumkommandieren. Diesen Stil kann man aus seinen Büchern herauslesen. Nachdem ich ihn getroffen hatte, nahm meine Abneigung nur noch zu: Ich stritt mich viel mit ihm in Moskau.

Er hatte ein reizbares Temperament. Wenn er sich aufregte, sagte er schlimme Sachen.

Ich habe zusammen drei Sachen geschrieben, in denen Stalin von mir gelobt wird. Die erste Sache schrieb ich in Yanan, anlässlich seines 60igsten Geburtstags (21. Dezember 1939). Die zweite Sache war meine Glückwunschrede, die ich in Moskau (im Dezember 1949) hielt und die dritte war ein Artikel, um den mich die 'Prawda' nach seinem Tod 1953 (März 1953) gebeten hatte. Anderen zu gratulieren, war mir immer zuwider, wie von anderen gratuliert zu werden. Als ich in Moskau war, um seinen Geburtstag zu feiern,.. was hätte ich anderes tun sollen, was, wenn ich mich dazu entschlossen hätte, ihm nicht zu gratulieren? Hätte ich ihn stattdessen verfluchen sollen? Nach seinem Tod brauchte die Sowjetunion unsere Unterstützung und wir wollten die Sowjetunion auch unterstützen.

Also schrieb ich den Artikel, um seine Tugenden und Erfolge anzupreisen. Diese Sache war nicht für Stalin gedacht; sie war für die Sowjetische Kommunistische Partei bestimmt. Was die Sache in Yanan angeht, so musste ich meine privaten Gefühle beiseitelassen und ihn als Führer eines sozialistischen Landes behandeln. Deshalb war diese Artikel ziemlich lebhaft, während die anderen beiden sich aus einer politischen Notwendigkeit heraus ergaben; sie kamen weder aus meinem Herzen noch war es mein Wille. Das menschliche Leben ist nun einmal widersprüchlich: Deine Gefühle sagen dir, diese Stücke nicht zu schreiben, aber deine Vernunft zwingt dich, es doch zu tun.

Jetzt, da Moskau Stalin kritisiert hat, können wir frei über diese Fragen reden. Heute spreche ich zu Euch über die vier Fehler von Stalin, aber weil wir die Beziehungen zur Sowjetunion aufrechterhalten wollen, können wir das nicht in unseren Zeitungen veröffentlichen. Weil Chruschtschows Bericht (gemeint sein Bericht auf dem 20. Parteitag der KPdSU, vom Februar 1956 - Übers.) nur den Konflikt über die Zuckerfabrik erwähnt, als er Stalins Fehler, uns betreffend, diskutierte, sind wir der Meinung, dass es nicht angebracht ist, sie zu veröffentlichen. Es gibt noch andere Fragen, Konflikte und Auseinandersetzungen betreffend.

Allgemein kann man sagen: Die Sowjetunion ist gut. Sie ist gut aus vier Gründen: Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Hauptkraft (das sozialistische Lager) und Industrialisierung. Sie hat ihre negativen Seiten und sie haben Fehler gemacht. Aber ihre Errungenschaften sind das Wichtigste ihrer Vergangenheit, während die Mängel zweitrangiger Natur sind. Jetzt, wo der Gegner sich die Kritik an Stalin zunutze macht und weltweit in die Offensive geht, sollten wir die Sowjetunion unterstützen. Sie werden ganz sicher ihre Fehler korrigieren. Chruschtschow hat bereits den Fehler in Sachen Jugoslawien berichtigt. Ihnen sind bereits die Fehler Wang Mings bewusst geworden, obwohl sie in der Vergangenheit nicht so gerne sahen, wenn wir Wang Ming kritisierten. Sie haben auch das Etikett 'halber Tito' von mir entfernt, womit sie auch die Etiketten von den anderthalb Titos beseitigten. Wir freuen uns auch, dass Titos Etikett beseitigt wurde.

Einige unserer Leute können sich noch nicht mit der Kritik an Stalin anfreunden. Aber eine solche Kritik hat positive Auswirkungen, weil dadurch Mythologien zerstört werden und weil dadurch schwarze Kästen aufgemacht werden. Das hat etwas Befreiendes, das ist ein 'Befreiungskrieg'. Dadurch werden die Leute so mutig, dass sie offen ihre Meinung sagen und auch über Fragen ins Nachdenken kommen.

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind die Parolen der Bourgeoisie, aber jetzt müssen wir für sie kämpfen. Ist unsere Beziehung zu Moskau eine Vater-Sohn-Beziehung oder eine zwischen Brüdern? Es war eine zwischen Vater und Sohn in der Vergangenheit; jetzt ähnelt sie mehr oder weniger einer brüderlichen Beziehung, aber der Schatten der Vater-Sohn-Beziehung ist noch nicht ganz verschwunden. Dies ist ganz verständlich, weil Veränderungen sich nicht an einem einzigen Tag vollziehen. Mit einer gewissen Aufgeschlossenheit sind die Menschen jetzt in der Lage, frei und unabhängig zu denken. Jetzt besteht in gewissem Sinne eine Atmosphäre des Anti-Feudalismus: Eine Vater-Sohn-Beziehung weicht einer brüderlichen Beziehung und ein patriarchaischen System wird gestürzt. Zu Stalins Zeiten wurde der Geist der Menschen so streng kontrolliert, dass dies selbst die feudalistische Gedankenkontrolle übertraf. Während einige aufgeklärte Feudalherrn oder Kaiser Kritik akzeptierten, duldete Stalin gar keine. Es kann sein, dass Jugoslawien in seiner Geschichte einmal einen solchen Herrscher haben wird, der sich nichts daraus macht, selbst wenn ihn die Leute ihm ihre Flüche ins Gesicht schleudern. Die kapitalistische Gesellschaft ist einen Schritt über die feudale Gesellschaft hinausgekommen. Die republikanische und die demokratische Partei in den Vereinigten Staaten haben das Recht sich zu zanken.

Wir sozialistischen Länder müssen bessere Lösungen finden. Gewiss benötigen wir eine Konzentration und eine Gleichartigkeit; sonst kann die Gleichartigkeit nicht weiter bestehen. Die Gleichartigkeit im Denken der Menschen nützt uns; dadurch werden wir in die Lage versetzt, die Industrialisierung in einer kurzen Zeitspanne durchzuführen und mit den Imperialisten klarzukommen. Aber damit sind auch einige Nachteile verbunden, d.h. den Leuten wird Angst gemacht, ihre Meinung zu sagen. Deshalb müssen wir nach Wegen suchen, dass die Leute frei ihre Meinung sagen. Die Genossen unseres Politbüros haben sich kürzlich mit diesen Fragen beschäftigt.

Nur wenige Menschen in China haben mich je offen kritisiert. Die chinesischen Menschen sehen mir meine Mängel und Fehler nach. Das liegt daran, dass wir immer den Menschen dienen wollen und gute Dinge für die Menschen tun wollen. Obwohl wir auch manchmal unter autoritärem Verhalten und Bürokratie leiden, glauben die Menschen, dass wir mehr gute Sachen als schlechte gemacht haben, mit dem Ergebnis, dass sie uns mehr loben als kritisieren. Daraus folgt, dass ein Idol geschaffen wird: Wenn einige Leute mich kritisieren, würden andere dagegen auftreten und sie beschuldigen, dem Führer keine Achtung zu zeigen.

Jeden Tag erhalte ich und die anderen Genossen der zentralen Führung etwa dreihundert Briefe, darunter einige, die uns kritisieren. Diese Briefe sind jedoch dann nicht unterschrieben worden oder mit einem falschen Namen versehen. Die Verfasser haben keine Angst, dass wir sie bestrafen würden, aber sie haben Angst, dass andere aus ihrer Umgebung gegen sie vorgehen könnten.

Ihr erwähntet 'über die zehn Beziehungen' (ein Hauptwerk Mao Tse-tungs aus den 50iger Jahren - Übers.). Das war das Ergebnis einer anderthalb monatigen Diskussion zwischen mir und den 34 Mitgliedern der Regierung. Welche Meinung hätte ich ohne sie vorbringen können? Alles, was ich tat, bestand darin, ihre Vorschläge zusammenzufassen und ich habe überhaupt nichts Neues hinzugefügt. Jedes Produkt erfordert Material und Fabriken. Meine ganze Ausstattung ist veraltet. Ich muss mich verbessern und mich neu ausstaffieren so wie die Fabriken in Großbritannien dies müssen. Ich werde alt und kann nicht mehr die Hauptrolle spielen und muss mich auf eine untergeordnete Rolle beschränken. Wir Ihr gesehen habt, spielte ich auf dem Parteitag (September 1956 - Übers.) nur eine kleine Rolle, während Liu Shaoqi, Zhou Enlai, Deng Xiaoping und andere die Hauptrollen übernahmen."