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Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik 1941-1942/43

Teil 3

Von Ulrich Huar

Quelle: offen-siv

 

 

Redaktionsnotiz

Militärtheorie und Militärpolitik Teil 3

1. Zwei Extreme

2. Der Überfall - 22. Juni 1941

3. Das Scheitern der Blitzkriegsstrategie der Faschisten 1941/42

3.1. Kiew

3.2. Moskau

3.2.1. Stalin - Shukow – Rokossowski. Charaktere und Befehle

3.2.2. „Auf Euch blickt die ganze Welt...“

3.2.3. Die Nerven lagen blank und bloß

3.2.4. Die sowjetische Gegenoffensive vom 6. Dezember 1941

3.2.5. „...die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“142)

4. Stalingrad

4.1. Über die Hauptstoßrichtung der deutschen Armeen im Sommer 1942 - Diskussionen im Hauptquartier

4.2. Befehl Nr. 227 vom 28. Juli 1942

4.3. Die „Zweite Front"

4.4. „lend and lease“ - PQ 17188)

4.5. „...den Hitlerstaat vernichten - das kann man und soll man.“

4.6. Ausarbeitung des Planes zur Gegenoffensive

Anlage Dokument 1

A. „Nicht einen Schritt zurück!“ - Stalins berühmter Befehl

Anlage Dokument 2

B. J. W. Stalin an W. Churchill    MEMORANDUM

W. Churchill an J. W. Stalin.   AIDE-MEMOIRE

Anlage Dokument 3

C. Eingegangen am 5. Februar 1943. An Seine Exzellenz Josef W. Stalin, Oberster Befehlshaber der Streitkräfte der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

Eingegangen am 27. Februar 1943, F. Roosevelt an J. W. Stalin

Quellennachweis der Anlagen

Anmerkungen (Quellennachweise)

 

Redaktionsnotiz

Wir setzen die Reihe von Ulrich Huar zur Darstellung der Beiträge Stalins zum Aufbau des Sozialismus und zur marxistisch-leninistischen Theoriebildung hiermit fort.

Zur Erinnerung bzw. zur Information für neue Leserinnen und Leser seien hier noch einmal kurz die Arbeitsmaximen wiederholt, die Ulrich Huar im ersten Heft der Reihe darlegte. Er schrieb:

Für die Darstellung boten sich zwei Herangehensweisen an: Einmal die chronologische, die den Vorteil hat, die Theorie in allen ihren Bestandteilen im Zusammenhang darstellen zu können innerhalb der Zeitperiode, in der sie verfasst wurde. Die zweite Methode war die Theorie nach ihren Bestandteilen - Parteitheorie (Theorie der nationalen Frage, Politische Ökonomie des Sozialismus, Militärtheorie, Staats- und Revolutionstheorie) darzustellen. Der Vorteil dieser Methode bestand darin, die einzelnen Teiltheorien gründlicher darstellen zu können, innerhalb dieser die Kontinuität von Marx/Engels - Lenin - Stalin, sowie die Erkenntnisfortschritte im Denken Stalins selbst deutlicher herausarbeiten zu können. Auch bei dieser Methode war innerhalb der Bestandteile dann chronologisch zu verfahren. Da mir die zweite Methode gegenüber der ersten günstiger erschien, habe ich mich für diese entschieden, wobei ich die Nachteile, den Zusammenhang mit den anderen Bestandteilen der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus vernachlässigen zu müssen, in Kauf genommen habe.

Für die Arbeit der elektronischen Texterfassung und Korrektur danken wir den Genossinnen und Genossen der „Schriftenreihe der KPD“ sehr herzlich. Wie schon die vorherigen Hefte dieser Reihe erscheint auch dieses jetzt vorliegende gleichzeitig hier und bei der KPD.

Die Zeitschrift Offensiv finanziert sich allein durch Spenden.

Spendenkonto Offensiv: Konto Frank Flegel, Nr. 3090180146 bei der Stadtsparkasse Hannover, BLZ 250 501 80, Kennwort „Offensiv“ (Kennwort nicht vergessen!).

                                                                                                                                                                       

                                                                                                                     Redaktion Offensiv, Hannover

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Militärtheorie und Militärpolitik Teil 3

1. Zwei Extreme

Es gibt zwei Extreme in der Beurteilung Stalins als Militär im Zweiten Weltkrieg: Erstens, die von Chruschtschow in seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU verbreitete Mär, daß Stalin den Zweiten Weltkrieg lediglich am Globus verfolgt habe, die später von Revisionisten diverser Couleur dahingehend „präzisiert“ wurde, daß der Sieg der Roten Armee im Großen Vaterländischen Krieg „ohne Stalin“, „gegen Stalin“, „trotz Stalin“ errungen wurde.

Über die „Globus“-Story äußerte K.A. Merezkow, Marschall der Sowjetunion, Oberbefehlshaber der Karelischen Front, nach Mai 1945 Oberbefehlshaber der 1. Fernostfront im Krieg gegen Japan, daß „in einigen Veröffentlichungen die Version vertreten wird, Stalin habe die Operationen sozusagen am Globus geleitet. Das ist nicht wahr. Während des Krieges war ich zur Berichterstattung häufig im Hauptquartier und im Arbeitszimmer Stalins, habe an vielen Besprechungen teilgenommen und der Beratung von Problemen beigewohnt. Selbstverständlich nahm Stalin, wenn es um Fragen entsprechender Größenordnung ging, auch den Globus zu Hilfe. In der Regel arbeitete er jedoch mit der Karte und erörterte künftige Operationen mitunter bis in alle Einzelheiten... Unrichtig ist es, Stalin mangelnden Sinn für das Detail nachzusagen. Selbst in militärstrategischen Fragen orientierte er sich nicht nach dem Globus. Um so absurder ist es, diese Behauptung auf die Taktik auszudehnen, für die er sich ebenfalls aufgeschlossen zeigte...“ 1)

Nach Admiral N.G. Kusnezow, Volkskommissar für die Seekriegsflotte, war Stalin „für uns als Militärs damals eine unbestreitbare Autorität...“ „Völlig falsch ist die boshafte Behauptung, er habe nach dem Globus die Lage eingeschätzt und Entscheidungen getroffen. Ich könnte viele Beispiele dafür anführen, daß Stalin, als er die Lage an den Fronten mit den Heerführern präzisierte, wenn nötig, auch über die Lage eines jeden Regiments informiert war. Er hatte ständig ein Notizbuch bei sich, in das er täglich den Truppenbestand, den Produktionsausstoß in den wichtigen Positionen und die Lebensmittelvorräte des Landes eintrug.“ 1a)

Das zweite Extrem besteht in einer Glorifizierung Stalins als einer Art „Neo-Cäsar“, der „kam, sah und siegte.“ Dieses zweite Extrem der Mystifizierung Stalins ist genauso unsinnig wie das erste, vielleicht sogar noch schädlicher, weil sie genügend Angriffspunkte für die Gegner des Marxismus-Leninismus und Antistalinisten liefert. Stalin hat sich gegen solche primitiven Lobhudeleien seiner Tätigkeit als Oberster Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte mehrfach energisch verwahrt. So äußerte er sich in einem Brief an Oberst Prof. Dr. Rasin vom 23. Februar 1946, daß dessen „Lobeshymnen auf Stalin“ das „Ohr verletzen“; „es ist einfach peinlich, sie zu lesen.“2)

Sowjetische Generäle, die mit Stalin während des Krieges eng zusammengearbeitet haben, bestätigen die zurückweisende Haltung Stalins gegenüber solchen unsinnigen Mytifizierungen seiner Person.

Die Führung des Krieges in seiner militärischen und politischen Gesamtheit übte das Hauptquartier (HQ) in Moskau aus, an dessen Spitze Stalin als Oberster Befehlshaber stand. Die Entscheidungen wurden nach kollektiver Beratung der Mitglieder des HQ, des Generalstabes, des Militärrates unter Hinzuziehung der Oberbefehlshaber der Fronten (FOB), wenn erforderlich auch der Oberbefehlshaber der Armee (AOB) gefällt. Die Arbeit im HQ vollzog sich nach dem Prinzip marxistisch-leninistischer Parteien: Kollektive Beratung und Einzelentscheidung bei persönlicher Verantwortung. Insofern hatte Stalin in der Entscheidungsfindung das letzte Wort, trug damit die Hauptverantwortung für die Kriegsführung, sowohl für die Siege wie auch für die Niederlagen, soweit letztere durch Fehler in der Führung verursacht waren, was nicht immer der Fall war. Um diese Verantwortung hat sich Stalin auch nicht herumgedrückt.

Über die Arbeit im HQ berichtete Armeegeneral Schtemenko, seit 1940 Mitarbeiter der Operativen Verwaltung, des Kernstücks des Generalstabs, ab 1943 Chef der Operativen Verwaltung. Er kam fast täglich mit Stalin zusammen.

„Hervorzuheben ist, daß über alle prinzipiellen Fragen der Führung des Landes und des Krieges das Zentralkomitee der Partei - Politbüro, Organisationsbüro und Sekretariat - entschied. Durchgeführt wurden die Beschlüsse vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR, dem Rat der Volkskommissare, dem Staatlichen Verteidigungskomitee und dem Hauptquartier des Oberkommandos. Zur operativen Lösung militärischer Fragen wurden gemeinsame Beratungen von Mitgliedern des Politbüros und des staatlichen Verteidigungskomitees oder von Mitgliedern des Politbüros und des Hauptquartiers einberufen. Besonders wichtige Fragen wurden vom Politbüro, dem Staatlichen Verteidigungskomitee und dem Hauptquartier gemeinsam erörtert.

Das Prinzip der Einzelleitung, der wichtige Grundsatz in Kriegs- wie in Friedenszeiten beim Aufbau der Streitkräfte und in der Truppenführung, war auch für die Führung der Kampfhandlungen maßgeblich. Die Führung der Operationen lag auf höchster Ebene ausschließlich in den Händen des Hauptquartiers des Oberkommandos. Da jedoch Mitglieder des Politbüros und verantwortliche Militärs dem Hauptquartier angehörten, bildete es ein kollektives Organ.

Die Entschlüsse des Hauptquartiers trugen die Unterschriften von zwei Personen, des Obersten Befehlshabers und des Chefs des Generalstabs, mitunter aber auch die des Stellvertreters des Obersten Befehlshabers. Nur vom Chef des Generalstabs unterzeichnete Dokumente waren gewöhnlich mit dem Zusatz ‘Im Auftrag des Hauptquartiers’ versehen.

In der Regel unterzeichnete der Oberste Befehlshaber operative Dokumente nicht allein, ausgenommen solche, in denen er Vertreter der obersten militärischen Führung scharf kritisierte. Hier wäre eine Gegenzeichnung durch den Generalstab unpassend gewesen, da sie die gegenseitigen Beziehungen verschärft hätte, während die Getadelten die Kritik Stalins getrost übelnehmen konnten. Persönlich unterzeichnet wurden von ihm sonst nur noch Befehle verschiedener Art, vor allem solche administrativen Charakters.

Mit dieser Form der Leitung war die erforderliche Zentralisierung der Führung der Streitkräfte gewährleistet.

Wie seit der Oktoberrevolution verwirklichte die ‘Militärbehörde’ auch im Großen Vaterländischen Krieg strikt und auf jede mögliche Weise die Politik der Kommunistischen Partei.

Stalin entschied im allgemeinen nicht gern allein über wichtige Fragen des Krieges, sondern ging in dieser schwierigen Lage davon aus, daß die kollektive Arbeit dringend notwendig sei. Er erkannte die Meinung von Autoritäten zu militärischen Problemen an und ließ jeden zu Wort kommen. Zum Beispiel referierten im Jahre 1943 nach der Konferenz von Teheran auf gemeinsamer Sitzung des ZK der KPdSU, des Staatlichen Verteidigungskomitees und des Hauptquartiers, auf der die künftigen Pläne festgelegt werden sollten, Antonow und Wassilewski über Verlauf und Perspektiven des Kampfes an den Fronten, Wosnessenski über Fragen der Kriegswirtschaft, und Stalin analysierte die internationalen Probleme.“2a)

Beim Empfang im Kreml zu Ehren der Befehlshaber der Truppen der Roten Armee am 24. Mai 1945 brachte Stalin einen Toast auf das Wohl des russischen Volkes aus, das sich im Kriege die „allgemeine Anerkennung als die führende Kraft der Sowjetunion unter allen Völkern unseres Landes verdient hat,... weil es einen klaren Verstand, einen standhaften Charakter und Geduld besitzt. Unsere Regierung hat nicht wenig Fehler gemacht, wir hatten in den Jahren 1941 - 1942 Augenblicke einer verzweifelten Lage, als unsere Armee zurückwich und die uns lieben und teuren Dörfer und Städte der Ukraine, Belorußlands, der Moldau, des Leningrader Gebiets, der baltischen Länder und der Karelisch-Finnischen Republik aufgab, weil kein anderer Ausweg vorhanden war. Ein anderes Volk hätte zu seiner Regierung sagen können: Ihr habt unsere Erwartungen nicht gerechtfertigt, macht, daß ihr fortkommt, wir werden eine andere Regierung einsetzen, die mit Deutschland Frieden schließt und uns Ruhe sichert. Doch das russische Volk hat nicht so gehandelt, denn es glaubte daran, daß die Politik seiner Regierung richtig war, und brachte Opfer, um die Niederwerfung Deutschlands zu gewährleisten. Und dieses Vertrauen des russischen Volkes zur Sowjetregierung hat sich als der entscheidende Faktor erwiesen, der den historischen Sieg über den Feind der Menschheit, über den Faschismus, gesichert hat.

Dem russischen Volk sei für dieses Vertrauen gedankt!3)

Über die Rolle Stalins als Oberster Befehlshaber und seinen Beitrag in der Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Militärtheorie- und politik im Großen Vaterländischen Krieg geben vor allem die Generäle der Roten Armee in ihren Erinnerungen, Archive und Dokumente Auskunft, die darum ausführlich im vollen Wortlaut dokumentiert werden, des weiteren von führenden Staatsmännern und Militärs der westlichen Alliierten. Aufsätze und Reden Stalins sind während der Zeit des Krieges verständlicher Weise seltener.

Der sich als Militärtheoretiker verstehende Dmitri Wolkogonow der Glasnostperiode kommt um die Aussagen der Generäle des Großen Vaterländischen Krieges nicht herum, denen er bescheinigt. daß deren „Äußerungen auf ihre Art auch richtig sein“ würden. Da diese Aussagen aber nicht in seine Anti-Stalin-Konzeption passen, werden sie zugleich mit der Bemerkung, daß sie nur schreiben „durften, was von der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetarmee und der Seekriegsflotte erlaubt war, als historische Quelle entsorgt. Wolkogonow erklärt, daß alle „negativen und kritischen Bemerkungen an die Adresse des Obersten Befehlshaber (d.h. Stalin, UH) ... als ‘Ehrabschneiderei’ gewertet“ wurden.4)

Wenn solche Einschränkungen nach der berüchtigten Geheimrede Chruschtschows von 1956 bestanden haben sollten, dann spricht dies nicht einmal gegen die Hauptverwaltung. Aber nicht dies ist wichtig. Wer die Erinnerungen der Generäle kennt, hier seien stellvertretend für alle genannt: Shukow, Konew, Merezkow, Rokossowski, Admiral Kusnezow, kennt auch deren Charaktere. Zwischen ihnen und Stalin gab es nicht selten harte Auseinandersetzungen, die zum Teil in sehr grober Form ausgetragen wurden. Es ist unglaubhaft, daß sich Charaktere wie Shukow, Konew, Rokossowski, Merezkow, Tschuikow, Admiral Kusnezow u.a. die sich mit Stalin auseinandergesetzt haben, von einer Hauptverwaltung, vielleicht von Wolkogonow (?), der nach eigener Angabe fast zwei Jahrzehnte in der Hauptverwaltung gearbeitet5) hatte, vorschreiben ließen, was sie schreiben „durften“ und was nicht. Shukow und Konew, die nach dem Tode Stalins den allmächtigen Berija, der die DDR an die BRD verkaufen wollte, verhaften, vor Gericht stellen und erschießen ließen, die dem Kurs Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU offen paroli boten, werden sich von der Hauptverwaltung Vorschriften machen lassen, was sie schreiben durften und was nicht!

In diesem Zusammenhang ist ein Gespräch zwischen Stalin und Shukow im Winter 1941/42 aufschlußreich, an dem Rokossowski teilgenommen hatte. Stalin  hatte  Shukow beauftragt, eine kleinere Operation im Raum der strategisch wichtigen Bahnstation Mga (an der Leningrader Front, UH) durchzuführen, um die Lage der Leningrader zu erleichtern. Shukow erklärte, daß sich dieses Ziel nur durch eine große Operation erreichen ließe. „Einverstanden, Genosse Shukow“, entgegnete Stalin, „aber uns fehlen die Mittel dazu, das muß man berücksichtigen.“ „Dann wird nichts daraus. Der Wunsch genügt nicht zum Erfolg.“ Shukow beharrte auf seinem Standpunkt. Obwohl Stalin sichtlich aufgebracht war, blieb Shukow bei seiner Meinung. „Gehen Sie und überlegen Sie es sich noch einmal, Genosse Shukow“, meinte Stalin schließlich.

Diese Geradlinigkeit Shukows hatte Rokossowski imponiert. Er sagte ihm aber unter vier Augen, daß er „dem Obersten Befehlshaber gegenüber einen so krassen Ton nicht für angebracht hielte.“ „Das ist noch gar nichts. Mitunter geht es ganz anders zwischen uns her“, erwiderte Shukow.6)

General K.W. Krainjukow, Erstes Kriegsratmitglied der 1. Ukrainischen Front, äußerte sich ähnlich wie Rokossowski über Shukow, daß er „mitunter schroff“ war und „unnötige Härte“ zeigte. Shukow habe einmal dazu erklärt: „Ich gestehe, zum Diplomaten bin ich nicht geboren. Zuweilen spreche ich wirklich ziemlich scharf, aber dafür offen. Wenn es um das Schicksal Tausender Menschen geht und um den Erfolg einer Schlacht, hat man nicht immer Zeit und Möglichkeit, nach höflichen Worten zu suchen. So kommt es eben zuweilen zu solchen, die unangenehm in den Ohren klingen.“6a)

Es gab auch Auseinandersetzungen zwischen Stalin und anderen Generalen, wie noch zu zeigen sein wird. Die Sprache war im allgemeinen grob. Es war dies kein spezielles Charakteristikum von Stalin. Diese Auseinandersetzungen beweisen zugleich, daß man Stalin auch widersprechen konnte, ohne dafür gleich erschossen zu werden.

Admiral Kusnezow schrieb: „Häufig wurde ich nach dem Krieg gefragt, ob es stimme, daß Stalin keinen Widerspruch vertragen habe. Diese Frage kann man nicht einfach mit einem kurzen Ja oder Nein beantworten. Manchmal duldete Stalin wirklich keinen Widerspruch. Doch häufig hörte er Einwände geduldig an, und wer eine eigene Meinung hatte, gefiel ihm oft sogar. Das ist nicht nur meine Ansicht. Im April 1968 sprach ich über dieses Thema mit Marschall Rokossowski. Er sagte unumwunden: ‘Wenn es mir gelang, meinen Standpunkt zu begründen, stimmte mir Stalin immer zu.’ Natürlich kam es vor, daß Stalin einen Gesprächspartner unterbrach, sogar sehr scharf. Aber das tat er nur, wenn er meinte, der Kern des Problems sei nicht erfaßt. Er liebte fundierte, überzeugende, durchdachte Vorträge.“6b)

Aber selbst Wolkogonow kommt nicht um eine differenziertere Einschätzung Stalins als Militär herum, wenn er Stalins Denken bescheinigen muß, daß er „in einzelnen Bereichen vielen hohen sowjetischen Militärs einiges voraus“ hatte. Wolkogonow kann auch zugestimmt werden, wenn er meint, daß Stalin „kein Feldherr im eigentlichen Sinne des Wortes“ gewesen wäre, sondern ein „politischer Führer“, der „als erster Mann des Landes einen tieferen Einblick als sie (die Generale, UH) in die Abhängigkeit des bewaffneten Kampfes von einer ganzen Skala von anderen, ‘nichtmilitärischen’ Faktoren besaß (des ökonomischen, sozialen, technischen, politischen, diplomatischen, ideologischen und nationalen Faktors) und die tatsächlichen Möglichkeiten des Landes, seiner Industrie und Landwirtschaft besser kannte als die Mitglieder des Hauptquartiers und die Oberbefehlshaber der Fronten. Stalins Denken war gewissermaßen universeller und eng mit einem großen Kreis von nichtmilitärischen Kenntnissen verbunden. Diesen Vorzug verdankte er ... seiner Stellung als Staatsmann, Politiker und Parteifunktionär. Der Aufgabenbereich eines Feldherrn, eines Militärs, war nur einer von vielen, die ein Staatsmann seines Ranges hatte.“7)

Ein FOB konzentrierte sich auf das Kriegsgeschehen an seiner Front, was er an Armeen, Waffen, Ausrüstungen etc. benötigte, erhielt er vom HQ oder forderte er vom HQ an. Der Oberste Befehlshaber hatte aber alle Fronten, vom Nordmeer bis zum Kaukasus und im Fernen Osten, im Auge zu halten und mußte sich um die Produktion von Waffen, Ausrüstungen, landwirtschaftlichen Produkten, Lazaretten, Transportmitteln, strategischen Reserven und manches mal sogar um solche profanen Dinge wie Stiefel für eine Division an der Front sorgen, die komplizierten Beziehungen zu den Alliierten berücksichtigen. Die FOB hatten vor allem mit taktisch-operativen Fragen an ihrer Front zu tun, in die sich Stalin rasch einarbeitete.

Die Entscheidung über die Verteilung der vorhandenen, begrenzten menschlichen Reserven und materiellen Kampf- und Versorgungsmittel an die einzelnen Fronten sowie außenpolitische Fragen, z.B. Verhinderung eines Kriegseintritts Japans und der Türkei an der Seite des faschistischen Deutschlands, Fragen der Errichtung der zweiten Front, oblagen in letzter Instanz dem Obersten Befehlshaber.

Die in diesem Fall begrenzten Verantwortungsbereiche der FOB und der universelle Verantwortungsbereich Stalins bildeten den Stoff, aus dem zuweilen Auseinandersetzungen zwischen ihnen entstanden, die letztendlich sachlich entschieden wurden, auch wenn der Ton zeitweilig zwischen ihnen rauh war. Shukow, so Rokossowski, war auch nicht gerade ein sehr bequemer Vorgesetzter. „Trotzdem bleibt Shukow in meinen Augen eine Persönlichkeit mit allen Eigenschaften eines großen Heerführers, wie Willensstärke, Entschlossenheit und Genialität.“8)

Abschließend zur Einschätzung der Funktion eines Obersten Befehlshabers im Kriege sei ein Satz von dem in diesen Fragen „unbelasteten“ preußischen Militätheoretikers Clausewitz zitiert: „Um einen ganzen Krieg oder seine größten Akte, die wir Feldzüge nennen, zu einem glänzenden Ziel zu führen, dazu gehört eine große Einsicht in die höheren Staatsverhältnisse. Kriegführung und Politik fallen hier zusammen und aus dem Feldherrn wird zugleich der Staatsmann.“9)

In der Darstellung der Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Militärtheorie ist nicht genau festzustellen, wer was ausgearbeitet hat, Stalin oder dieser oder jener General. Die Beiträge der einzelnen Generale bzw. Stalins lassen sich nicht quantifizieren. Darum wurde von mir auch der Titel „Beiträge“ Stalins zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -poli-tik gewählt, weil sie ihm nicht allein zugeschrieben werden kann. Aber es ist nicht zu leugnen, ohne sich lächerlich zu machen, daß Stalin einen hohen Anteil daran hatte und für ihre Umsetzung in der Praxis des Krieges die Hauptverantwortung trug.

2. Der Überfall - 22. Juni 1941

Über den Beginn des Raub- und Eroberungskrieges des faschistischen deutschen Imperialismus gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 ranken sich bis heute in der bürgerlichen, trotzkistischen und revisionistischen Historiographie bezüglich der Reaktionen Stalins die wunderlichsten Geschichten.

Er sei jämmerlich zusammengebrochen, wäre sprachlos gewesen, die Rote Armee wäre auf einen Angriff nicht vorbereitet gewesen, er habe „Hitler vertraut“, er wäre der „betrogene Betrüger“ gewesen, hätte alle Warnungen mißachtet etc.. Die Anfangserfolge der deutschen Wehrmacht seien auf die „Enthauptung“ der Roten Armee durch Stalin zurückzuführen.9a) Bei Unterschieden in den diversen unsinnigen Darstellungen ist allen gemeinsam: überprüfbare Fakten, Archivmaterialien und die Aussagen der sowjetischen Generale werden ignoriert. Shukow hat der Frage der Vorbereitung der Sowjetunion auf einen Angriff des faschistischen deutschen Imperialismus und der Rolle Stalins bei Ausbruch des Krieges in seinen Erinnerungen zwei Kapitel mit insgesamt 119 Seiten gewidmet.10)

Nach dem Bürger- und Interventionskrieg haben Lenin (bis zu seinen Tode) und Stalin wiederholt darauf hingewiesen, daß der Sowjetunion nur eine Atempause vor einem neuen imperialistischen Angriffskrieg gewährt sei. Stalin hatte bezüglich des faschistischen deutschen Imperialismus und dessen Werkzeug Hitler auch nicht die geringsten Illusionen. Dies ist aktenkundig.11) Wie ihm auch von Wolkogonow bescheinigt wurde, habe Stalin die Verteidigungsindustrie mit größtem Nachdruck gefördert.

Shukow bestätigte, „daß sich Stalin sehr viel um die Verteidigungsindustrie kümmerte; er kannte viele Betriebsdirektoren, Parteiorganisatoren, Chefingenieure, traf oft mit ihnen zusammen und drängte mit der ihm eigenen Beharrlichkeit auf Erfüllung der Betriebspläne.“ Es wäre eine „forcierte Entwicklung der Verteidigungsindustrie in den Vorkriegsjahren zu verzeichnen“ gewesen.12)

Aus der Sicht der Nachkriegszeit ist es natürlich leicht zu sagen, man hätte auf die eine oder andere Art von Waffen größeres Gewicht legen müssen. Shukow räumt ein, daß sie als Militärs in den allerletzten Friedensmonaten von der Industrie mehr verlangten, als die „realen Möglichkeiten des Landes“ zuließen.13)

Mitte März 1941 drängten Marschall Timoschenko, Volkskommissar für Verteidigung, und Shukow Stalin, die militärdienstpflichtigen Reservisten in die Schützendivisionen einzuberufen. Anfangs lehnte Stalin ab, mit dem Hinweis, daß diese Einberufung „die Faschisten zum Krieg herausfordern könnte.“

Aber bereits Ende März wurden 500.000 Soldaten und Sergeanten in die grenznahen Militärbezirke einberufen, einige Tage später folgten weitere 300.000 Reservisten. Somit standen am Vorabend des Krieges etwa 170 Divisionen in den grenznahen Militärbezirken bereit, 19 Divisionen mit 5.000 bis 6.000 Mann, 144 Divisionen mit im Durchschnitt 8.000 bis 9.000 Mann, insgesamt etwa 1.300.000 Mann.14)

Von 1939 bis zum 22. Juni 1941 erhielt die Rote Armee über 7.000 Panzer.15) Die Panzer waren zum Teil veraltet, mit Benzin-Motoren ausgestattet, die unter Beschuß leicht in Brand gerieten. Bei Kriegsbeginn hatten erst 1.861 moderne KW-Panzer und der legendäre T 34 - Panzer die Werke verlassen. Neue Panzer trafen erst seit dem zweiten Halbjahr 1940 in geringer Stückzahl in den grenznahen Militärbezirken ein.16)

Die Absicht des Generalstabes, 1940 in größerem Umfange neue mechanisierte Korps, Panzerdivisionen und motorisierte Divisionen aufzustellen, stießen zunächst auf Vorbehalte Stalins. Erst im März 1941 wurde beschlossen, 20 mechanisierte Korps aufzustellen.17)

Woraus erklärten sich die Vorbehalte Stalins gegenüber den militärisch begründeten Forderungen des Generalstabs?  Shukow erklärt es: „Wir hatten jedoch bei unserer Forderung die objektiven Möglichkeiten unserer Panzerindustrie nicht genügend berücksichtigt. Für die volle Ausstattung der neuen mechanisierten Korps wurden allein 16.600 Panzer neuer Typen benötigt; insgesamt aber rund 32.000 Kampfwagen. Eine derartige Menge konnte beim besten Willen nicht in Laufe eines Jahres hergestellt werden, ganz abgesehen davon, daß für die vorgesehenen Korps auch technisches Personal und Kommandeure fehlten. Bis zum Überfall hatten wir nicht einmal die Hälfte der im Aufbau begriffenen Korps ausrüsten können...“18)

Die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich der Panzerverbände zwischen Generalstab und Stalin erklärten sich also aus dem Verhältnis von Ökonomie und Militär. Die Generale sahen offenbar nur die militärische Notwendigkeit, Stalin nicht nur diese, sondern auch die begrenzte Leistungsfähigkeit der derzeitigen Industrie.

Nach Archivunterlagen erhielt die Rote Armee vom 1. Januar 1939 bis zum 22. Juni 1941 insgesamt 29.637 Feldgeschütze, 52.407 Granatwerfer insgesamt, einschließlich Panzerkanonen; 92.578 Geschütze und Granatwerfer.19) Bis zum Kriegsbeginn hatte die Hauptverwaltung die starke reaktive Waffe wie die BM-B, im  Volksmund später „Katjuscha“ bezeichnet (von deutschen Soldaten „Stalinorgel“ genannt, UH) noch unterschätzt. Jedoch schon die ersten Salven dieser Waffe bei Orscha schlug die deutschen Truppen in die Flucht. Erst im Juni 1941 begann die Serienproduktion dieser Waffe, Stalin hielt nach Shukow die Artillerie für eine der wichtigsten Waffen im Kriege und schenkte daher ihrer Entwicklung große Aufmerksamkeit. Stalin kannte die für die Produktion von Waffen und Munition verantwortlichen Funktionäre, die Chefkonstrukteure für Artilleriesysteme, die Generale I.I. Iwanow und W.G. Grabin persönlich, „kam oft mit ihnen zusammen und vertraute völlig ihrer Sachkenntnis.“20)

Im sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1939/40 zeigten sich ernste Probleme mit der Artillerie. Der Oberbefehlshaber des Leningrader Militärbezirks, General K.A. Merezkow, berichtete, daß die Bunker der finnischen Grenzbefestigungen, der sogenannten „Mannerheimlinie“, der sowjetischen Artillerie standhielten.

„Den größten Kummer aber bereiteten uns die Bunker selbst. Vergeblich bemühten wir uns immer wieder, sie durch Artilleriebeschuß zu zerstören; unsere Granaten vermochten sie nicht zu durchschlagen. Stalin war aufgebracht, die Erfolglosigkeit unserer Handlungen könne sich auf unsere Politik auswirken. Die ganze Welt blicke auf uns. Die Sicherheit der Sowjetunion beruhe auf dem Ansehen der Roten Armee. Wenn wir für längere Zeit vor einem so schwachen Gegner steckenblieben, förderten wir damit die sowjetfeindlichen Absichten der Imperialisten.

Nach der Berichterstattung vor Stalin in Moskau wies man mich an, unmittelbar die gewaltsame Aufklärung zu leiten und das Geheimnis der finnischen Bunker zu ergründen. Ich befahl, die Aufklärung in drei Richtungen durchzuführen. Dabei stellten wir zwar Lage und Anzahl der Bunker fest, kannten aber immer noch nicht ihre Beschaffenheit. Ich stellte deshalb einem Pionierkommandeur mit einer Gruppe Pioniere die Aufgabe, einen der Bunker im rückwärtigen Raum der Finnen zu sprengen, seine Abdeckung zu studieren und einen Betonbrocken als Probe mitzubringen. Ein wissenschaftliches Forschungsinstitut in Moskau überprüfte die Zusammensetzung des Betons. Besonders hochwertiger Zement bewirkte, daß normale Artillerie den Beton nicht durchschlagen konnte. Außerdem waren bei vielen Bunkern die Aufenthaltsräume für die Besatzungen an der Schießschartenseite durch mehrere Lagen Panzerplatten gesichert. Die anderthalb bis zwei Meter starken Eisenbetonwände und -decken waren zusätzlich durch eine zwei bis drei Meter starke Schicht gestampften Bodens geschützt.

Nach einer Beratung mit Woronow entschlossen wir uns, die Bunker unter den gezielten Beschuß überschwerer Geschütze zu nehmen. Zu diesem Zweck führten wir Artillerie der Reserve des Oberkommandos mit einem Kaliber von 203 bis 280 Millimetern möglichst nah an die vorderste Linie heran, eröffneten in direktem Richten das Feuer gegen die Bunker und ihre Schießscharten. Der Erfolg zeigte sich augenblicklich. Jetzt galt es, ein Zusammenwirken der verschiedenen Waffengattungen zu organisieren.“21)

Ein Schwachpunkt der Ausrüstung der Roten Armee war der Mangel an modernen Nachrichtenmitteln. Das Funknetz des Generalstabs war nur sehr unvollkommen mit modernen Funkanlagen ausgestattet. Für die grenznahen Militärbezirke im Westen standen nur 27 Prozent der vorgesehenen Funkgeräte zur Verfügung, dem Kiewer 30 Prozent, dem Baltischen 52 Prozent. Ähnlich verhielt es sich mit dem Fernmeldewesen. Die dafür verantwortlichen Dienststellen waren „nicht auf eine Arbeit unter Kriegsbedingungen vorbereitet.“22) Auf dringende Forderungen des Generalstabs, das Telefon- und Telegrafennetz, das Funk- und Fernschreibnetz in Ordnung zu bringen, gab Timoschenko eine abschlägige Antwort: „Ich bin mit Ihrer Einschätzung einverstanden, glaube aber kaum, daß sich jetzt etwas Ernsthaftes unternehmen läßt, um alle diese Mängel sofort zu beseitigen. Ich war gestern bei Genossen Stalin. Er hat ein Fernschreiben von Pawlow erhalten und angeordnet, ihm zu übermitteln, daß wir, bei aller Berechtigung aller seiner Forderungen augenblicklich keine Möglichkeiten haben, sie zu erfüllen.“23)

Es waren also weder Kurzsichtigkeit noch Unfähigkeit Stalins, daß die erkannten Mängel nicht rechtzeitig beseitigt werden konnten, sondern einfach die fehlenden Arbeitskräfte, um die berechtigten Forderungen der Armee erfüllen zu können. Für die Verbesserungen waren umfangreiche Erdarbeiten erforderlich.

Shukow wies auch darauf hin, daß dieser Sachverhalt in der Ausbildung der Kommandeure zu Versäumnissen führte. „Die Kommandeure mieden den Funkverkehr und bevorzugten die Drahtverbindungen.... Der Fernverkehr in den Kampffliegereinheiten, im  Flugplatznetz, in den Panzereinheiten und Truppenteilen, wo Drahtverbindungen unmöglich sind, bereitete Schwierigkeiten.“24) Welche Rolle Nachrichtenmittel im modernen Krieg spielen, braucht nicht besonders betont zu werden.

Dem Aufbau der Luftstreitkräfte widmeten Partei und Regierung große Aufmerksamkeit.25) Nach Archivunterlagen erhielt die Rote Armee vom 1. Januar 1939 bis 22. Juni 1941 17.745 Kampfflugzeuge, darunter 3.719 Flugzeuge neuer Typen.26)

Shukow erklärte ausdrücklich: „Das ZK der KPdSU (B) und Stalin persönlich widmeten den Flugzeugkonstrukteuren viel Zeit und Aufmerksamkeit. Ich glaube sagen zu können, daß Stalin sogar eine gewisse Vorliebe für die Luftflotte hatte.“27)

Aber auch auf diesem Gebiet zeigte sich, daß die Industrie „den Anforderungen der Zeit nicht gewachsen“ war. Etwa 75 bis 80 Prozent der Gesamtzahl der Maschinen waren flugtechnisch gleichartigen Typen des faschistischen Deutschlands unterlegen. Höchstens 21 Prozent der Fliegertruppenteile konnten mit modernen Maschinen ausgestattet werden. General Schtemenko schrieb über die sowjetischen Luftstreitkräfte:

„Im Jahre 1938 produzierte die UdSSR 5.469 Maschinen, im Jahre 1939 waren es 10.382 und 1940 10.565. Im gleichen Zeitraum baute Deutschland 5.235, 8.295 beziehungsweise 10.826 Flugzeuge aller Typen.

Ab 1939 ergriff die UdSSR außerordentliche Maßnahmen zur Stärkung der Produktionsbasis der Flugzeugindustrie, zur Erweiterung der Konstruktionsorganisationen für die Schaffung neuer Kampfflugzeuge aller Typen sowie zur Aufnahme der Massenproduktion. Jedoch am Vorabend des Krieges ähnelte die Lage bei den Flugzeugen bis zu einem gewissen Grade der bei den Panzern. Die Industrie lieferte zwar große Mengen Flugzeuge, aber ihren taktisch-technischen Daten nach waren sie - nach der realen Analyse des berühmten sowjetischen Flugzeugkonstrukteurs Jakolew - teils veraltet und teils den Erfordernissen des Krieges nicht gewachsen. Unnötigerweise bevorzugte man bei uns langsame Bombenflugzeuge mit geringerem Aktionsradius, die Angriffen von Jagdflugzeugen gegenüber wehrlos waren.

So war die Sowjetunion, die an sich eine für damalige Verhältnisse leistungsfähige Flugzeugindustrie besaß, gezwungen, den Flugzeugpark in kürzester Frist zu erneuern. Leider fehlte uns trotz des erreichten hohen Tempos auch hierfür die Zeit. Im Jahre 1940 konnten nur 64 Jagdflugzeuge Jak 1 und 20 MiG3 produziert werden, Sturzkampfbomber Pe2 gab es nur zwei Maschinen. Im ersten Halbjahr 1941 betrug dagegen die Produktion an modernen Jagdflugzeugen Jak 1, MiG 3 und LaGG 3 insgesamt 1.946, an Bombenflugzeugen Pe 2.458 und an Schlachtflugzeugen II 2 249 Maschinen. Alles in allem waren es also über 2.650 Maschinen.

Am 25. Februar 1941 faßten das Zentralkomitee der Partei und der Rat der Volkskommissare der UdSSR den wichtigen Beschluß ‘Über die Reorganisation der Fliegerkräfte der Roten Armee’. Er legte den Plan für die Umrüstung der Fliegertruppenteile, für die Aufstellung neuer Fliegerregimenter, für Luftverteidigungszonen und Vorschriften für die Ausbildung der Piloten an den neuen technischen Kampfmitteln fest. Dieses Dokument beschleunigte zweifellos die Vorbereitung unserer Luftstreitkräfte auf den Krieg.

Schon lange vor dem Krieg wurden in der Sowjetunion zahlenmäßig starke Luftlandetruppen geschaffen, die es bis dahin noch in keiner anderen Armee der Welt gab. Ausländische Beobachter waren über unsere Errungenschaften auf diesem Gebiet überrascht, die wir erstmalig bei den Manövern des Besonderen Kiewer Militärbezirks im Jahre 1935 und danach in Belorußland demonstrierten. Bis 1940 verdoppelte sich die Stärke unserer Luftlandetruppen.“27a)

Shukows Einschätzungen der Vorbereitung der sowjetischen Kriegsmarine sind sehr kurz gehalten. Wie er schrieb, konnte er sich nach seinem Amtsantritt als Generalstabschef „nicht eingehender mit der Marine vertraut machen.“ Er wies auf kühle Beziehungen zwischen ihm und Admiral N.G. Kusnezow hin, zu denen er sich jedoch nicht weiter äußerte. Bezüglich Stalin äußerte er lediglich, daß er „zur Erörterung von Flottenfragen weder den Volkskommissar für Verteidigung noch den Generalstabschef hinzuzog.“28)

Nach Schtemenko hatte die Seekriegsflotte bedeutende Fortschritte gemacht:

„Einheimische Werften bauten für sie über 500 Schiffe verschiedener Klassen. Besonders schnell wuchs die Gefechtsstärke unserer Flotte vor Ausbruch des Krieges. Beim Überfall des faschistischen Deutschlands standen 3 Schlachtschiffe, 7 Kreuzer, 59 Zerstörer, 218 U-Boote, 269 Torpedoschnellboote und über 2.500 Flugzeuge im Dienst.

Die seit dem 25. Juli 1933 im Norden stationierte Kriegsflottille wurde am 11. Mai 1937 in die Nordflotte umgegliedert. Dank dem beschleunigten Schiffbau verfügte diese jüngste unter unseren Flotten zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges über eine beachtliche Gefechtsstärke an Unter- wie an Überwasserschiffen. Die Küstenverteidigung und die Fliegerkräfte waren gut entwickelt.

Auch unsere traditionellen alten Flotten, vor allem die Baltische Rotbannerflotte, wuchsen und wurden vervollkommnet. Sie erhielten neue Stützpunkte, wie Tallinn, Hanko und andere, die im bewaffneten Kampf auf diesem Seekriegsschauplatz eine positive Rolle spielten.“28a)

Wie Admiral Kusnezow berichtete, fand im Dezember 1938 eine Tagung des Obersten Militärrates der Seekriegsflotte statt. Es ging um Fragen der „Schaffung einer großen Flotte für weite Seeräume“, um Probleme der Küstenverteidigung, um die Ausarbeitung einer neuen Gefechtsvorschrift der Seestreitkräfte und einer Instruktion zur Leitung von Seeoperationen. Die Zuspitzung der internationalen Lage sowie die Kriegsdrohung ließen es riskant erscheinen, langfristige Pläne für den Ausbau der Seekriegsflotte aufzustellen. Für den Aufbau einer großen Flotte, vor allem Großkampfschiffen, sind Zeit und sehr hohe Investitionen erforderlich, die die sowjetische Wirtschaft nicht aufbringen konnte. Die Sicherung der materiell-technischen Ausrüstung der Landstreitkräfte und Luftwaffe hatten Priorität. An der Schlußsitzung der Dezembertagung nahmen auch Stalin, Molotow, Shdanow und Woroschilow teil.

„Stalin hörte sehr aufmerksam zu, stellte viele Fragen und machte im Verlauf der Sitzung Zwischenbemerkungen.

Man spürte, daß er die Meinung der Flottenführer über die verschiedenen Schiffsklassen erfahren wollte. Zum erstenmal tauchten, wenn auch indirekt, Fragen der Marinedoktrin im Zusammenhang mit dem Bau einer großen Flotte und Fragen der Veränderungen auf, die in unseren Direktiven und Dienstvorschriften vorgenommen werden mußten.

Wie ich mich entsinne, kritisierte Stalin die Formulierung von den ‘komplizierten Gefechtsformen’, die im Befehl für die Gefechtsausbildung im Ausbildungsjahr 1939 enthalten war. Sein Gedanke lief darauf hinaus, daß ein kompliziertes Gefecht erst in Zukunft möglich sei, wenn wir Schlachtschiffe, Kreuzer und andere große Schiffe besitzen würden; doch vorläufig wären wir auf See noch schwach, die Aufgaben unserer Flotte seien noch sehr begrenzt. ‘Acht bis zehn Jahre müssen wir noch warten, bis wir auf See stark sind’, sagte er. Konkreter wurden Probleme der Ausbildung von Kadern für die künftigen Schiffe behandelt. Dabei wurde die Frage der Längerdienenden berührt und der Gedanke geäußert, für die Flotte besonders die jungen Männer einzuberufen, die aus den Küstengebieten stammen oder mit der See verbunden sind. Bereits vor ihrer Einberufung zum Militärdienst sollten sie ausgewählt werden.

Im Obersten Militärrat der Seekriegsflotte sprach Stalin den Gedanken aus, daß die Schaffung einer großen Flotte zu neun Zehnteln in der Ausbildung ihrer Kader bestehe. Er riet, der praktischen Ausbildung der künftigen Kommandeure mehr Aufmerksamkeit zu schenken und zu diesem Zweck eventuell einige Schulschiffe im Ausland zu kaufen.

Aufgeworfen wurden auch Fragen des Baues von Flottenstützpunkten, einer Hilfsflotte und von Schiffsreparaturwerften. Diese Worte wurden nicht in den Wind gesprochen. Bald setzte in allen Flotten eine stürmische Bautätigkeit ein. Damals entstand auch der Plan, den Handelshafen von Wladiwostok nach Nachodka zu verlegen. Und im März/April 1939 wurden Shdanow und ich eigens zu diesem Zweck nach dem Fernen Osten geschickt, um alles an Ort und Stelle zu prüfen.

Stalins Warnung, nicht zu warten, bis der Gegner angriffe, sondern schon jetzt dessen Möglichkeiten und seine verwundbaren Stellen aufzuklären, die Wachsamkeit und Gefechtsbereitschaft zu erhöhen, ist mir in Erinnerung geblieben.“28b)

Kritisch äußerte Kusnezow, daß ihnen kleine Flugzeugträger fehlten, „ohne die bereits damals die Zerstörer und Kreuzer auf Dauer nicht mit Erfolg kämpfen konnten.“28c)

Die Seefliegerkräfte unterschieden sich nur wenig von den Fliegerkräften der Armee. Viele Bombenflugzeuge der Armee wurden als Torpedoträger und zum Minenlegen eingesetzt. Mit insgesamt 2.581 Flugzeugen seien die Seefliegerkräfte zahlenmäßig für die ausgedehnten Küsten (40.000 km Seegrenzen, UH) zu schwach. Sie bestanden in der Regel aus veralteten Typen. Schnelle Bomber und Jagdflugzeuge hatten sie nur wenige, Sturzkampfflugzeuge und Schlachtflugzeuge, die für Seeziele „am besten geeignet sind“, fehlten völlig. Mit Artillerie waren sie besser ausgerüstet, aber mit der Luftabwehr haperte es. Funkmeßmittel für Schiffe und Flottenstützpunkte waren nicht ausreichend entwickelt. Während die Torpedos bezüglich ihrer Qualität hervorzuheben waren, blieben die Minenwaffe und Minenabwehr hinter den Erfordernissen zurück.28d)

Anfang 1940 begann der Bau neuer „Befestigter Räume“ an der Westgrenze. Dabei kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Marschall Kulik, Marschall Schaposchnikow und Shdanow, Mitglied des Hauptmilitärrates, einerseits und Marschall Timoschenko und Shukow andererseits über die Artillerie in den alten Anlagen. Die ersteren wollten die Artillerie ausbauen und in den neuen Anlagen einbauen. Die Frage wurde Stalin vorgetragen, der sich der Meinung von Kulikow, Schaposchnikow und Shdanow anschloß und anordnete, einen Teil der Geschütze aus weniger wichtigen Abschnitten auszubauen und in die westliche und südwestliche Richtung zu verlegen.

Die alten Befestigten Räume waren von 1925 bis 1935 angelegt und vor allem mit Maschinengewehren bestückt worden. Von 1938 bis 1939 wurden eine Reihe von den ständigen Feuerpunkten mit Geschützen verstärkt.

Nach einer nochmaligen Meldung an Stalin stimmte er zu, einen Teil der Bewaffnung in den abzubauenden Bereichen zu belassen.29)

Die Befestigten Räume an der alten Staatsgrenze (vor der Befreiung der von Polen 1920 besetzten Gebiete Belorußlands und der Ukraine, UH) wurden nach Shukow nicht geschleift und nicht abgerüstet, wie in einigen Beiträgen fälschlich behauptet werde. Sie sollten noch verstärkt werden, was nach dem Überfall am 22. Juni nicht mehr erfolgen konnte. Die Bauarbeiten an den neuen Befestigten Räumen wurden auf wiederholte Weisungen von Timoschenko und des Generalstabes beschleunigt. Bei diesen Arbeiten waren täglich bis zu 140.000 Mann eingesetzt. „Auch Stalin drängte zur Eile.“30)

Als ein ernstes Problem erwies sich die Versorgung der Artillerie mit Munition. „Es fehlten Granaten für Haubitzen, Flieger- und Panzerabwehrgeschütze. Besonders schlecht stand es um Munition für neueste Artilleriesysteme.“ Anforderungen der Volkskommissariate für Munition  und Verteidigung an die Munitionsversorgung für das Jahr 1941 konnten nach Meinung von  N. A. Wosnessenski31) und anderen für die Munitionsversorgung verantwortlichen Genossen höchstens zu 20 Prozent erfüllt werden. Nach wiederholten Vorstellungen bei Stalin wurde ein Beschluß über die Erzeugung einer „bedeutend höheren Menge Munition im zweiten Halbjahr 1941 und Anfang 1942“ gefaßt.32) Es gab keine Zahlenangaben. Wieweit dieser Beschluß noch realisiert werden konnte, darüber fehlen Angaben.

Timoschenko, der Generalstab und auch Shukow ordneten an, angesichts des drohenden Krieges die materiell-technischen Mittel in größere Nähe der Truppen zu lagern, was sich, wie sich später herausstellten sollte, als Fehler erwies. „Als der Krieg ausbrach, fielen die Bestände der Militärbezirke bald dem Gegner in die Hände, wodurch die Versorgung der Truppen und die Aufstellung von Reserven erschwert wurde.“33)

Den begrenzten materiellen Möglichkeiten der sowjetischen Industrie stellte Shukow das Potential der faschistischen deutschen Wehrmacht gegenüber. Zum Zeitpunkt des Überfalls auf die UdSSR verfügte Deutschland fast über sämtliche ökonomischen und militärstrategischen Ressourcen Europas. Die Wehrmacht konnte mit modernster Kampftechnik und ausreichenden Mengen materieller Mittel ausgestattet werden, im Westen gab es zu diesem Zeitpunkt keine nennenswerte Bedrohung.

Produktion vor 22. Juni 1941 in Millionen Tonnen

                                      Stahl                    Kohle

Deutschland                 31,8                     439 (einschl. besetzte Länder -257,4 Eigenproduktion)

UdSSR                          18,3                     165,9

   Lediglich das Erdöl bildete für die deutsche Kriegswirtschaft einen Engpaß, der durch Importe rumänischen Erdöls, durch Vorräte und Produktion synthetischen Treibstoffs zum Teil ausgeglichen werden konnte. Die Rüstungsproduktion Deutschlands erzeugte 1941 über 11.000 Flugzeuge, 5.200 Panzer und Panzerkraftwagen, 30.000 Geschütze verschiedenen Kalibers, rund 1,7 Millionen Karabiner, Gewehre, Maschinenpistolen. Hinzu kamen die von den unterworfenen Ländern geraubten Waffen sowie die Waffenproduktion der Satelliten.34)

Bis zum Juni 1941 bestand die Gesamtstärke der deutschen Wehrmacht aus 8.500.000 Mann; etwa 208 voll aufgefüllte Divisionen waren einsatzbereit. Nach Angaben der sowjetischen Aufklärung standen bis zum 1. Juni 1941 120 deutsche Divisionen an der Westgrenze der UdSSR. Kurt von Tippelskirch, General der Infanterie der deutschen Wehrmacht, gab exakte Angaben über die Stärke der bereitstehenden deutschen Truppen:

„Bis zum 22. Juni, dem Tag des Angriffsbeginns, waren 81 Inf.-Div., 1 Kav.-Div., 17 Pz.-Div., 15 mot. Div., 9 Polizei- und Sicherungs-Div. in den Aufmarschräumen versammelt. Als Heeresreserven waren 22 Inf.-Div., 2 Pz.-Div., 2 mot. Div. und 1 Polizei-Div. noch im Antransport. Im ganzen verfügte das Heer also, von Sicherung- und Polizei-Divisionen abgesehen, über 140 voll kampffähige Verbände.

Die Luftwaffe hatte etwa 1800 Kampfmaschinen in drei Luftflotten bereitgestellt, die mit den drei Heeresgruppen zusammenwirken sollten. Den Aufträgen der Heeresgruppen entsprechend war die Luftflotte 2 (Feldm. Kesselring), die mit der H.Gr. Mitte zusammenwirkte, am stärksten; sie umfaßte die Hälfte der verfügbaren Kräfte. Die im Süden eingesetzte Luftflotte 4 (Gen.-Oberst Löhr) war etwas stärker als die für den Norden vorgesehene Luftflotte 1 (Gen.-Oberst Keller).“ 34a)

Die Gesamtstärke der Roten Armee betrug zu diesem Zeitpunkt über rund 5.000.000 Mann.35)

Über den Kriegsbeginn sei viel geschrieben worden, meinte Shukow, „wenn auch teilweise tendenziös und ohne genügend Sachkenntnis.“36)  Dem  ist zuzustimmen, wenn dies auch noch sehr gelinde ausgedrückt ist.

Am Vorabend des 22. Juni waren 170 sowjetische Divisionen „auf einem riesigen Territorium mit etwa viereinhalbtausend Kilometern Frontlänge zwischen der Barentsee und dem Schwarzen Meer in 400 km Tiefe verteilt.“ Einbezogen war in diese Frontlänge auch die gesamte Küste, „die lediglich von der Küstenverteidigung und der Seekriegsflotte geschützt wurde. Zwischen Tallinn und Leningrad gab es an der Küste überhaupt keine Truppen. Daher standen unsere 170 Divisionen tatsächlich auf 3.375 Kilometer Frontlänge. Sie waren allerdings entlang der Landesgrenze keineswegs gleich dicht gruppiert.“37)

In den westlichen Grenzmilitärbezirken befanden sich nach Shukow 2,9 Millionen Mann, einschließlich Marine, mehr als 1.500 Flugzeuge neuen Typs und „ziemlich viele Flugzeuge älterer Konstruktion“, etwa 35.000 Geschütze und Granatwerfer, ohne 50 mm Granatwerfer, 1.800 schwere und mittlere Panzer davon zwei Drittel neuer Typen, und eine beträchtliche Anzahl leichter Panzer mit begrenzten Motorstunden.38)

Die KPdSU (B), ihr Generalsekretär Stalin, seit Mai 1941 auch Vorsitzender des Rats der Volkskommissare, der sowjetische Generalstab, der Volkskommissar für Verteidigung, Timoschenko, die sowjetische Industrieverwaltung hatten alles getan, um die Verteidigung der UdSSR gegen einen Angriff des faschistischen deutschen Imperialismus zu gewährleisten. Stalin war genau informiert über die Stärken und noch vorhandenen Schwächen in der materiell-technischen Ausrüstung der Roten Armee, daß zu diesem Zeitpunkt die deutsche Wehrmacht der Roten Armee ökonomisch und materiell-technisch überlegen war. Die Sowjetunion benötigte wenigstens noch ein bis zwei Jahre, um einen materiell-technischen Gleichstand zu den deutschen Rüstungen - und denen andrer imperialistischer Mächte - zu erreichen.

Im Kaukasus stand die Türkei, im Fernen Osten Japan kriegsbereit der Sowjetunion gegenüber. Unter diesen Bedingungen war es richtig, alles zu vermeiden, was den deutschen Faschisten als Vorwand hätte dienen können, einen Krieg gegen die UdSSR vom Zaune zu brechen. Stalin und die Mitglieder des Politbüros der KPdSU (B) sowie des Generalstabs waren sich bewußt, daß der Überfall kommen würde; Stalin - und nicht nur er! - wollte den Zeitpunkt so weit wie möglich hinausschieben. Zeit gewinnen, das war Stalins politisches und militärstrategisches Hauptanliegen im Juni 1941. Und hier lag die Grenze zwischen einer richtigen Politik und einem militärstrategischen Fehler von tragischem Ausmaß.

„Heute dürfte es an der Zeit sein“, schrieb Shukow, „den Hauptfehler von damals zu nennen, aus dem sich viele andere ergaben: die Fehleinschätzung der wahrscheinlichen Termine des Überfalls der faschistischen Truppen.“39)

In Polemik gegen „einige Autoren“, die behaupten, daß es vor dem Kriege „keine Mobilmachungspläne der Streitkräfte und keine strategischen Aufmarschpläne“ gegeben habe, führt Shukow an, daß es natürlich einen Operations- und Mobilmachungsplan der Streitkräfte gab.40) Es gab jedoch einen strategischen Fehler in dem Plan, der auf einer falschen These beruhte. „Stalin war überzeugt, daß der deutsche Faschismus beim Überfall auf die Sowjetunion in erster Linie bestrebt sein würde, die Ukraine mit dem Donezbecken zu besetzen, um der Sowjetunion wichtigste Wirtschaftsgebiete zu rauben und ukrainisches Getreide, Donezkohle und später auch kaukasisches Erdöl in die Hand zu bekommen.

Bei einer Besprechung des Operationsplans im Frühjahr 1941 sagte er: ‘Ohne diese lebenswichtigen Ressourcen wird das faschistische Deutschland keinen langen und großen Krieg führen können’... Die von ihm geäußerte Annahme war sachlich auch nicht unbegründet, sie ließ jedoch die gegnerischen Blitzkriegspläne gegen die UdSSR unbeachtet.“41)

Die Annahme Stalins, die Hauptstoßrichtung der faschistischen Aggressoren würde im Süden erfolgen, war auch nach Meinung von Generalleutnant A.A. Gretschko, (später Marschall der Sowjetunion) nicht unbegründet. Gretschko weist auf eine Weisung des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) vom 21. August 1941 an den Oberbefehlshaber des Heeres hin, in der die Wichtigkeit der „möglichst schnelle(n) Besetzung der Krim und des Donezbeckens durch deutsche Truppen und ihr Vordringen nach Kaukasien“ betont wird.42)

Er zitiert des weiteren aus einer von Hitler gezeichneten Studie vom 22. August 1941 an das Oberkommando des Heeres:

„Endlich ist es auch aus politischen Gründen dringend notwendig, so schnell wie möglich in einen Raum vorzustoßen, der nicht nur für Rußland den weiteren Bezug des Öles verhindert, sondern der vor allem dem Iran die Hoffnung gibt, im Falle eines Widerstandes gegen die russisch-englischen Drohungen in absehbarer Zeit mit praktischer deutscher Hilfe rechnen zu können.

Gegenüber der oben erwähnten nördlichen Aufgabe, die uns auf diesem Kriegsschauplatz gestellt ist, sowohl als auch der südlichen, tritt das Problem Moskau in seiner Bedeutung wesentlich zurück.“43)

Aus der Analyse der vorliegenden Dokumente schlußfolgerte Gretschko, „...daß sich die Tendenz, die Hauptkräfte der deutschen Streitkräfte auf den Südflügel der sowjetisch-deutschen Front zu verlagern, um so stärker geltend machte, je deutlicher es sich abzeichnete, daß der Gedanke des ‘Blitzkrieges’ scheitern würde und mit einem längeren Krieg zu rechnen war...“44)

Wie ersichtlich, wurde die Veränderung der strategischen Richtung der faschistischen Führung erst im August getroffen, nach dem klar war, daß ihr „Blitzkrieg“ in der Sowjetunion nicht aufging.

Tippelskirch kritisierte diese Entscheidung Hitlers, den ursprünglichen Operationsplan - Richtung Moskau - zu ändern und den Hauptstoß Richtung Krim - Donezgebiet - Kaukasus zu führen, wie er ohnehin für alle Niederlagen der deutschen Wehrmacht Hitler allein verantwortlich machte. So habe Hitler am 21. August für die Fortsetzung der Operation nach folgenden Richtlinien befohlen:

„Das wichtigste, noch vor Eintritt des Winters zu erreichende Ziel ist nicht die Einnahme von Moskau, sondern im Süden die Fortnahme der Krim, des Industrie- und Kohlengebiets am Donez sowie die Abschnürung der russischen Ölzufuhr aus dem Kaukasus, im Norden die Eroberung Leningrads und die Vereinigung mit den Finnen.

Die vor dem Nordflügel der HGr. Süd stehenden starken russischen Kräfte sollen vernichtet werden, bevor sie hinter die Desna und den Sula-Abschnitt ausweichen. Nur dadurch wird der HGr. Süd die notwendige Sicherheit in ihrer Nordflanke zur Durchführung der ostwärts des Dnjepr in Richtung auf Rostow und Charkow gerichteten Operationen gegeben werden.

Die HGr. Mitte soll daher ohne Rücksicht auf spätere Operationen so viel Kräfte nach Süden ansetzen, daß die russischen Kräfte vernichtet werden können, dabei aber in der Lage bleiben, Feindangriffe gegen die Mitte ihrer Front abzuwehren.

Die baldige Einnahme der Krim ist von allergrößter Bedeutung für die gesicherte Ölversorgung Deutschlands, die so lange gefährdet ist, als sich starke russische Fliegerverbände auf der Krim befinden.

Erst wenn die russischen Kräfte vor der HGr. Süd vernichtet sind und sich die HGr. Nord mit den Finnen zu einem engen Einschließungsring vor Leningrad vereinigt hat, sind die Voraussetzungen dafür gegeben, mit der Hgr. Mitte die vor ihr stehenden Feindkräfte mit Aussicht auf Erfolg anzugreifen und zu zerschlagen.“ 44a)

Es gab Warnungen an die Sowjetregierung und an Stalin persönlich, daß der Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht unmittelbar bevorstand. Die Frage wird immer wieder gestellt, warum Stalin daraus nicht die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen hat.

Zunächst stimmt es nicht ganz, daß er keine Schlußfolgerungen daraus gezogen hat. Sie waren jedoch aus militärischer Sicht unzureichend. Die Maßnahmen des w.o. genannten Operations- und Mobilmachungsplanes konnten nur mit einem besonderen Regierungsbeschluß eingeleitet werden. „Ein solcher Beschluß wurde erst in der Nacht zum 22. Juni 1941 gefaßt.“45)

Shukow erweiterte die Frage, „warum die Führung mit Stalin an der Spitze“ die im Operationsplan vorgesehenen Maßnahmen nicht früher durchgeführt hat. „Diese Fehler und Irrtümer werden meist Stalin zugeschrieben. Stalin hat ohne Zweifel Fehler gemacht; sie dürfen aber nicht isoliert von den objektiven geschichtlichen Prozessen und Erscheinungen, nicht losgelöst von dem Gesamtkomplex der ökonomischen und politischen Faktoren betrachtet werden. Nichts ist einfacher, als in einer Zeit, da alle Auswirkungen schon bekannt sind, zum Beginn der Ereignisse zurückzukehren und mit allerlei Werturteilen aufzuwarten. Nichts ist aber auch schwieriger, als den gesamten Fragenkomplex zu untersuchen, sich im Widerstreit der Kräfte zurechtzufinden, die verschiedensten Meinungen, Angaben und Fakten gegeneinander abzuwägen.“46)

Auch aus anderen seriösen Publikationen geht eindeutig hervor, daß, wie Shukow schreibt, Stalins „ganzes Sinnen und Trachten beherrscht war von dem einen Wunsch, einen Krieg zu vermeiden, und von der Gewißheit, daß ihm das gelingen würde. Stalin war sich darüber im klaren, welch schweres Unheil ein Krieg gegen einen so starken und erfahrenen Gegner wie das faschistische Deutschland für die Völker der Sowjetunion bedeuten konnte; deshalb war er eins mit unserer ganzen Partei in dem Bestreben, einen Krieg zu verhüten.“47)

Was waren das nun für Warnungen, und von wem kamen sie?

Da ist die Churchill-Regierung zu nennen, unter deren Ministern sich auch Männer eines Schlages wie Lord Simon befanden, die schon in der Chamberlain-Regierung vertreten waren und einen Krieg zwischen der UdSSR und Deutschland mit ihrer Politik auslösen wollten. Und Churchill selbst, der ein konsequenter Kritiker der Chamberlain-Regierung war, ging es um die Erhaltung des britischen Empire, das er vom faschistischen Deutschland bedroht sah und deswegen, trotz seiner von ihm nie geleugneten antisowjetischen Einstellung, an einem Krieg zwischen der Sowjetunion und Deutschland interessiert war. Nach der Kapitulation Frankreichs stand Großbritannien isoliert den starken deutschen Truppenverbänden am Kanal gegenüber, befand sich in einem gefährlichen Seekrieg gegen die deutschen U-Boote, in einer Situation der „splendid Isolation“. Ein Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion, in dem sich beide schwächen würden, war Churchill höchst willkommen. Mit einem deutsch-sowjetischen Krieg wäre die Gefahr einer deutschen Invasion in England erst einmal gebannt. Es sei daran erinnert, daß während der Verhandlungen der UdSSR mit Großbritannien und Frankreich über gemeinsame militärische Maßnahmen gegen den faschistischen Aggressor im Sommer 1939 die britische Regierung Chamberlain Geheimverhandlungen mit dem faschistischen Deutschland in London führte, in der die Einflußsphären in der Welt zwischen den beiden imperialistischen Mächten abgegrenzt werden sollten.48)

Es ist nicht einfach, die Auswirkungen des Fluges von Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter, nach England am 10. Mai 1941, 43 Tage vor dem Überfall auf die UdSSR, auf das Denken und die Entscheidungsfindung Stalins heute zu beurteilen.

Der damalige Botschafter der UdSSR in London, I.M. Maiski, schrieb in seinen Erinnerungen: „Alles Grundlegende und Wesentliche über den Heß-Flug war der sowjetischen Botschaft schon damals, im Frühjahr 1941, bekannt.“49) In der britischen Presse gab es nach Maiski mehrere Phasen in der Behandlung des Heß-Fluges. Unter anderen gab es Sympathien für Heß, der die UdSSR aus tiefster Überzeugung hasse und Hitler verurteile wegen seiner „Beschwichtigung“ des Bolschewismus.

Selbst unter den Ministern der Churchill-Regierung haben sich einige gefunden, daß man „die sich so überraschend bietende Gelegenheit dazu nutzen“ sollte, „Kontakte mit Hitler aufzunehmen oder zumindest die eventuellen Friedensbedingungen zu sondieren.“50)

Diese Vorgänge um Heß wurden von der Botschaft natürlich Stalin und Molotow bekannt gegeben.

Interessant sind die Ausführungen des britischen Publizisten Ted Harrison über den Heß-Flug, die Reaktionen britischer Politiker darüber und wie diese auf die sowjetische Regierung wirken mußten.

„Nicht nur die britische Öffentlichkeit war von der Behandlung des Falles Heß durch die britische Regierung erstaunt und enttäuscht, sondern auch die Sowjetunion war darüber verblüfft und besorgt. Die sowjetische Führung wußte, daß eine deutsch-englische Allianz der Zerstörung der Sowjetunion gleichkäme. Nachdem Frankreich im Juni 1940 besiegt worden war, waren die Sowjets auch über den Verbleib von Appeasementpolitikern wie Lord Simon im Kabinett Churchills besorgt. Im Juli 1940 sprach der sowjetische Botschafter in London, Iwan Maiskij, mit seinen englischen Freunden über seine Befürchtung, daß Großbritannien unter Umständen ‘durch einen Verrat der regierenden Klasse, vergleichbar mit dem von Petain und seiner Gruppe’, besiegt werden könnte. Im darauffolgenden Frühling wurde die Besorgnis der Sowjetunion über eine mögliche deutsch-englische Annäherung durch den britischen Botschafter in Moskau, Sir Stafford Cripps, auf unkluge Weise verstärkt. Am 18. April 1941 warnte Cripps den Außenminister Molotow impulsiv in einem Memorandum: ‘Sollte sich der Krieg über einen längeren Zeitraum hinausziehen ... könnte Großbritannien (und vor allem gewisse Kreise in Großbritannien) in Versuchung geraten, den Krieg durch ein Abkommen zu beenden.’ In diesem Zusammenhang mußte die bald darauf erfolgende Ankunft von Heß in Großbritannien der sowjetischen Regierung mehr als nur zufällig erschienen sein. Über die Bewertung der Situation unsicher, hatte - dem Memorandum von Cripps zufolge - Maiskij aus Moskau den ausdrücklichen Auftrag erhalten, jegliche deutsch-englischen Friedensannäherungen im Auge zu behalten. Maiskij wandte sich prompt an Rab Butler, Unterstaatssekretär für Außenpolitik. Butler teilte Eden mit: ‘Der sowjetische Botschafter vertrat die Ansicht, daß Heß ein großer Exponent von ‘Mein Kampf’, sei. Er sagte ernsthaft, daß Heß der größte Gegner der Russen unter den Naziführern sei und daß ihm dieses nicht entgangen wäre. Er äußerte gleichermaßen, daß Heß an ein Bündnis mit diesem Land und nicht mit Rußland glaubte.’ Butler tat jedoch nichts, um Maiskij zu befriedigen. Er hielt sich an die Politik des Schweigens und weigerte sich, Informationen jeglicher Art freizugeben, was ihm die Anerkennung Edens einbrachte. In Wirklichkeit hatte Butter den Fauxpas der Politik des Schweigens nur noch verschlimmert. Maiskij schloß aus seinem Gespräch, daß das britische Kabinett das Friedensangebot von Heß ernsthaft in Erwägung zöge.“51)

Stalin erwähnte den Heß-Flug kurz in seiner Rede zum 24. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 6. November 1941, also nach dem Überfall. „Der nicht unbekannte Heß wurde eigentlich auch deshalb von den deutschen Faschisten nach England gesandt, damit er die englischen Politiker überrede, sich dem allgemeinen Feldzug gegen die UdSSR anzuschließen.“51a)

Stalin war demnach der Meinung, daß Heß von Hitler mit einem diesbezüglichen Auftrag geschickt worden sei.

Welchen Grund sollte Stalin gehabt haben, den Warnungen aus England zu trauen? Es handelte sich eben nicht um honorige Gentlemen, denen nur das Wohl der Völker der Sowjetunion am Herzen lag und die sich ernsthaft um den Bestand der Sowjetmacht sorgten, sondern um imperialistische Politiker, die die Sowjetunion lieber heute als morgen zerstört hätten.

Es gab Warnungen von deutschen Soldaten und Unteroffizieren, die zur Roten Armee übergelaufen waren. Stimmte, was sie sagten, oder waren es Provokateure? Wir wissen heute, daß sie die Wahrheit sagten, aber wußte Stalin es damals auch?

Sei zum Schluß Richard Sorge genannt, der den Termin des Überfalls aus Tokio nach Moskau funkte. Wir wissen heute, wer Richard Sorge war. Er war auch damals kein Unbekannter, er war in der Komintern bekannt. Aber auch die Komintern war gegen Trotzkisten nicht völlig immun. Woher hatte Richard Sorge seine Informationen? Alles dies waren damals unbekannte Faktoren.

Es hat vor dem Überfall am 22. Juni verschiedentlich Grenzprovokationen gegeben. Sollte sich Stalin dadurch zu einem Krieg auf Leben und Tod provozieren lassen?

In Stalins Entscheidungen gingen nicht nur die Erkenntnisse eines Militärs, sondern primär die des Staatsmannes ein. Er war die höchste Instanz im politischen System der UdSSR. Auf seinen Schultern ruhte letztendlich die Verantwortung für einen Krieg, in dem es um die Existenz der Sowjetunion ging.

Schtemenko meint, „daß im Krieg natürlich nicht alles vorauszusehen ist. ‘Wer im Krieg alles voraussehen will, sollte nicht Krieg führen’, bemerkte Napoleon. Wie gesagt, ist das Wirken eines Heerführers stets von unvorhergesehenen Zufälligkeiten begleitet. Er kann daher erst bei Eintritt dieser Ereignisse seine Maßnahmen treffen, und das ist natürlich eine Quelle für Irrtümer und Fehler.

Ein tragischer Irrtum war die Meinung des sowjetischen Oberkommandos und die Stalins persönlich über den Zeitpunkt des Überfalls auf die Sowjetunion. Man wußte zwar, daß das faschistische Deutschland uns überfallen würde, und bereitete das Land zielstrebig auf die Abwehr der Aggression vor, doch erwarteten wir sie nicht schon im Juni, sondern wesentlich später. Wir bemühten uns vergeblich, den Zeitpunkt des Überfalls hinauszuschieben, doch der Gegner kam uns zuvor.“52)

Shukow schrieb dazu: „Als die gefährliche Situation heranreifte, haben wir Militärs offenbar nicht alles unternommen, um Stalin zu überzeugen, daß ein Krieg mit Deutschland in allernächster Zeit unvermeidlich und daß dringende Maßnahmen im Sinne des Operations- und des Mobilmachungsplans notwendig seien.

Diese Vorkehrungen hatten selbstverständlich auch keinen vollen Abwehrerfolg gegen den Überfall gesichert, da die Kräfte der beiden Seiten alles andere als gleich waren. Unsere Truppen hätten aber organisierter in den Kampf treten und folglich dem Gegner bedeutend höhere Verluste zufügen können. Das beweisen die erfolgreichen Abwehrkämpfe der Truppenteile und Verbände in den Räumen Wladimir-Wolynski, Rawa-Russkaja, Peremyschl (Przemysl) und an den Abschnitten der Südfront.“53)

Allein die Gegenüberstellung der sowjetischen mit den deutschen Kräften widerlegt die von Hitler und Goebbels in die Welt posaunte Präven-tivkriegslüge, „Europa vor dem Bolschewismus zu retten“, die von der revisionistischen Geschichtsschreibung der BRD bis in die Gegenwart kolportiert wird, womit der verbrecherische Aggressionskrieg der deutschen Imperialisten gegen die Sowjetunion noch nachträglich legitimiert wird. Selbst Tippelskirch, der nicht gerade zu den Sympathisanten der Sowjetunion oder gar Stalins gehört, sah sich veranlaßt, diese Präventivkriegslüge zu widerlegen, wenn er in seiner Ausdrucksweise auch bemüht ist, im gängigen Duktus der bürgerlichen BRD-Militärgeschichtsschreibung zu bleiben, alle Schuld - vor allem für die Niederlagen - Hitler anzulasten, die Generale von der Verantwortung für den Aggressionskrieg, den sie selbst geplant und geführt haben so wie für ihre katastrophale Niederlage freizusprechen und damit den deutschen Militarismus in die Nachkriegszeit hinüberzuretten.

„Daß die Sowjetunion binnen kurzem von sich aus einen bewaffneten Konflikt mit Deutschland suchen würde, war aus politischen und militärischen Gründen höchst unwahrscheinlich, so berechtigt die Sorge sein mochte, daß die Sowjetunion später unter günstigeren Verhältnissen ein recht unbequemer, ja gefährlicher Nachbar werden könnte. Einstweilen lag jedoch für die Sowjetunion keine Veranlassung vor, eine Politik aufzugeben, die ihr bisher nahezu kampflos die besten Erfolge gebracht hatte. Sie war in der Umrüstung ihrer veralteten Kampfwagen und Flugzeuge begriffen und dabei, wesentliche Teile ihrer Rüstungsindustrie hinter den Ural zu verlegen. Ein Angriff gegen ein Deutschland, das nur mit unbedeutenden Teilen des Heeres an anderen Fronten gebunden war, seine starke Luftwaffe jederzeit im Osten vereinigen konnte und dem man sich 1941 nicht einmal in der Verteidigung unbedingt gewachsen fühlte, konnte den vorsichtig und kühl abwägenden Politikern des Kreml nicht in den Sinn kommen. Sicher entging der russischen Aufklärung nicht, daß sich das deutsche militärische Schwergewicht zunehmend nach dem Osten verlagerte. Die russische Führung traf ihre Gegenmaßnahmen.

Am 10. April beschloß der russische Kriegsrat unter dem Vorsitz von Timoschenko den Alarmzustand und erhöhte militärische Vorbereitungen für alle Einheiten der Westfront. Am l. Mai wurden weitere vordringliche Kriegsvorbereitungen und Maßnahmen zum Schutz der russischen Westgrenze getroffen. Am 6. Mai wurde Stalin, der bisher nur Generalsekretär der Kommunistischen Partei, wenn auch der mächtigste Mann in der Sowjetunion gewesen war, als Nachfolger Molotows Vorsitzender des Rats der Volkskommissare und trat damit auch offiziell an die Spitze der Regierung. Dieser Schritt bedeutete zum mindesten formell eine Stärkung der Regierungsautorität und eine Zusammenfassung der Kräfte. Eine Änderung der Politik gegen Deutschland war aus dieser Veränderung nicht zu erwarten. Die Sowjetunion war im Gegenteil weiter bemüht, die ihr aus dem Handelsvertrag obliegenden Verpflichtungen peinlich genau zu erfüllen.

Auf einen bewaffneten Konflikt war sie, soweit es in ihren Kräften stand, vorbereitet. Mit einer strategischen Überraschung konnte die deutsche Führung nicht rechnen. Das Höchste, was zu erreichen war, war eine Geheimhaltung des Angriffstermins, so daß die taktische Überraschung den ersten Einbruch in den Feind erleichtern konnte.“54)

Aus diesen Ausführungen geht eindeutig hervor:

1. Von der Sowjetunion drohte keine Gefahr.

2. Die militärtechnische Überlegenheit der deutschen Wehrmacht, der die Rote Armee „nicht einmal in der Verteidigung unbedingt gewachsen“ war.

3. Ein Krieg gegen Deutschland konnte den „vorsichtig und kühl abwägenden Politikern des Kreml“ (also Stalin, UH) „nicht in den Sinn kommen.“

4. Die Sowjetmacht „traf ihre Gegenmaßnahmen“, bereitete sich auf den Verteidigungsfall vor. Sie war „soweit es in ihren Kräften stand“, auf den Krieg vorbereitet.

5. Die deutsche Führung - also auch die Herren Generale - konnten nicht mit einer strategischen Überraschung rechnen.

6. Das Höchste war eine „Geheimhaltung des Angriffstermin“, eine „taktische Überraschung“, die einen „ersten Einbruch“ erleichtern konnten.

Tippelskirch hat damit auf seine Weise die Einschätzung Shukows bestätigt.

Über die Reaktionen Stalins auf den Überfall am 22. Juni 1941 gibt es neben sachlichen Einschätzungen auch höchst merkwürdige Beurteilungen, vor allem von Historikern der Glasnostperiode, denen von Gorbatschow und Jelzin die Archive teilweise geöffnet wurden, aus denen sie sich nach Belieben bedienen - und weglassen! - konnten, um die Persönlichkeit Stalins zu diffamieren.55)

Nach dem Artikel „Stalin und der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion“, 56) zu urteilen, gehört zu diesen Glasnost-Historikern Georgi Kumanjew, der als „Spezialist“ für den Großen Vaterländischen Krieg von 1941 - 1945 auf dem Markt des Geschichtsrevisionismus gehandelt wird. Willi Gerns hat einige Auszüge aus dessen Buch „An der Seite Stalins“, erschienen in Smolensk 2001, übersetzt und ohne Kommentar in den „Marxistischen Blättern“, Heft 2-03, veröffentlicht. Während die dort veröffentlichten Einschätzungen von A.M. Wasilewski (in anderen Publikationen andere Schreibweise: Wassilewski, UH) im wesentlichen mit denen von Shukow, Schtemenko u.a. übereinstimmen, enthält die von A.I. Mikojan (1922 - 1966 Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU) neben Halbwahrheiten einige Behauptungen, die, gelinde gesagt, tendenziös sind. Nun gehörte Mikojan zu den Persönlichkeiten, denen Verdienste um die Wirtschaftsentwicklung in der UdSSR zu Stalins Zeiten nicht abgesprochen werden können. Zugleich erwies er sich als Opportunist, der durchgängig Mitglied des Politbüros war, bis 1953 Stalins, ab 1954 Chruschtschows und ab 1964 wieder Breshnews, was wohl kaum ohne delikate Bewußtseinsmetamorphosen möglich gewesen sein dürfte.

Mikojan gehörte auch zu dem Kreis der ZK-Mitglieder, die auf dem Dezemberplenum des ZK der KPdSU (1957) für den Ausschluß der „parteifeindlichen“ (!) Gruppierung von Molotow, Malenkow und Kaganowitsch aus dem ZK votierten. Die genannten Genossen hatten sich offen gegen den „vom XX. Parteitag der KPdSU gebilligten Kurs der Partei und die Korrektur der durch den Personenkult hervorgebrachten Fehler und Mängel“ ausgesprochen.

Desgleichen wurde auf dem Plenum Shukow aus den leitenden Organen der Partei ausgeschlossen und von der Funktion des Ministers für Verteidigung der UdSSR entbunden.57) Im Klartext: Molotow, Malenkow, Kaganowitsch, Shukow waren gegen die revisionistische und voluntaristische Politik Chruschtschow, gegen die Diffamierung Stalins, gegen die verhängnisvolle klassenindifferente Politik der „friedlichen Koexistenz“, die zur Zerstörung der Kommunistischen Parteien - nicht nur der KPdSU - und letztendlich zur Zerstörung der UdSSR und der RGW-Staaten führen mußte, der Konterrevolution Tür und Tor öffnete.

Auf dem Oktoberplenum des ZK der KPdSU 1964 wurde Chruschtschow unter eifriger Mithilfe von Mikojan, zu dieser Zeit Vorsitzender des Obersten Sowjets, gestürzt. Mikojan sprach sich nunmehr gegen den Voluntarismus in der Wirtschaftspolitik Chruschtschows aus, den er mitgemacht hatte. Mikojan erwies sich als eine sehr wendige Persönlichkeit. In der Sprache der Politik bezeichnet man eine solche Persönlichkeit als Opportunisten.

So sieht denn auch seine historische „Bewertung“ Stalins zur Zeit des Überfalls aus, der Willi Gerns fast fünf Spalten einräumt, gegenüber drei Spalten für Wasilewski und knapp eine Spalte für Timoschenko, Shukow dagegen überhaupt nicht erwähnt.

Nach Mikojan lehnte Stalin nach dem Überfall es „kategorisch“ ab, sich über den Rundfunk an das Volk zu wenden, mit der Erklärung: „Ich habe dem Volk nichts zu sagen. Soll Molotow auftreten.“ Stalin wäre „in einem solch gedrückten Zustand, daß er wirklich nicht wußte, was er dem Volk sagen sollte.“ Nun verhielt sich die Sache ein wenig anders. Stalin war zu dieser Zeit bis zum 3. Juli an einer schweren Bronchitis und Mandelentzündung erkrankt, die ihn daran hinderte, Rundfunkansprachen zu halten.58) Wenn Mikojan bei der genannten Beratung dabei war, muß er das gewußt haben. Entweder war er zur genannten Beratung gar nicht zugegen, oder er hat gelogen. In seiner Tagebucheintragung vom 22. 6. nennt Dimitroff die Anwesenden bei dieser Beratung. Mikojan wird nicht genannt.58a) Die Stalin von Mikojan unterstellten Äußerungen finden sich auch nicht in den Berichten der an der Beratung anwesenden Genossen.

Der ehemalige DDR-Historiker Wolfgang Ruge versichert uns in seinem bemerkenswerten Artikel „Als Lenin nur noch Gemüse züchten wollte“59), daß Stalin nach dem Überfall am 22. Juni in „Apathie“ verfallen sei. Offensichtlich ist Ruge, der zu DDR-Zeiten sehr gute historische Arbeiten über die Weimarer Republik und ihre Politiker wie Brüning, Stresemann, Hindenburg u.a. verfaßt hat, inzwischen wohl stark gealtert.

Eine exakte und detaillierte Darstellung der Verhaltensweise Stalins am 22. Juni bietet Shukow in seinen Erinnerungen.

In der Nacht zum 22. Juni blieben alle Mitarbeiter des Generalstabs und des Volkskommissariats für Verteidigung an ihren Arbeitsplätzen. Um Mitternacht (vom 21. zum 22. Juni) deuteten alle Anzeichen auf ein Vorrücken der faschistischen Truppen zur Grenze. Um 00.30 Uhr wurde Stalin davon in Kenntnis gesetzt. Shukow informierte ihn und ersuchte um Erlaubnis zu militärischen Gegenmaßnahmen.

„Stalin schwieg.

‘Haben Sie mich verstanden?’

Wieder Schweigen.

Endlich fragte Stalin: ‘Wo ist der Volkskommissar?’ (Timoschenko, UH)

‘Er telefoniert mit dem Kiewer Militärbezirk’.

‘Kommen Sie mit Timoschenko in den Kreml. Sagen Sie Poskrebyschew, er soll alle Mitglieder des Politbüros zusammenrufen.’“

Zwischen 04.00 Uhr und 04.30 Uhr trafen Meldungen von deutschen Luftangriffen auf die Schwarzmeerflotte,  über den Beginn von Kampfhandlungen deutscher Truppen an den Grenzen der Westlichen und Baltischen Militärbezirke ein.

Um 04.30 Uhr waren die Mitglieder des Politbüros versammelt. (Shukow nennt keine Namen, UH)

„Stalin saß bleich am Tisch, die gestopfte Pfeife in der Hand. Er sagte: ‘Man muß schnellsten zur deutschen Botschaft Verbindung aufnehmen.’“

Damit wurde Molotow beauftragt, der den deutschen Botschafter Graf von der Schulenburg auf dessen Ersuchen empfing.

„Kurz darauf kam Molotow schnell herein. Er sagte: ‘Die deutsche Regierung hat uns den Krieg erklärt.’

Stalin ließ sich auf den Stuhl sinken und überlegte. Eine lange, beklemmende Pause trat ein.“

Shukow brach das Schweigen und schlug vor, alle in den Grenzbezirken verfügbaren Mittel einzusetzen und den Vormarsch der durchgebrochenen Truppen in ihrem weiteren Vormarsch aufzuhalten.

„‘Nicht aufzuhalten, sondern sie zu vernichten’, präzisierte Timoschenko.

‘Erteilen Sie die Direktive’, sagte Stalin.

Am 22. Juni 07.15 Uhr erging die Direktive Nr. 2 des Volkskommissars für Verteidigung an alle Militärbezirke. Sie entsprach jedoch weder dem Kräfteverhältnis noch der komplizierten Lage und konnte daher nicht durchgeführt werden.“60)

Aus dem einschlägigen Kontext der Erinnerungen Shukows geht klar und deutlich hervor, daß Stalin seine Arbeit am 22. Juni fortsetzte. Um 09.00 Uhr trafen Timoschenko und Shukow bei Stalin im Kreml ein. Er ließ sich über die Lage berichten und sagte: „Um zwölf Uhr spricht Molotow im Rundfunk.“ 61)

Stalin las den Entwurf des Mobilmachungserlasses durch, schränkte den vom Generalstab vorgesehenen Umfang der Mobilmachung ein und übergab den Erlaß Poskrebyschew zur Bestätigung durch das Präsidium des Obersten Sowjets.

Stalin hielt den Entwurf über die Bildung des HQ des Oberkommandos zurück, er wollte ihn noch im Politbüro besprechen. 62)

Gegen 13.00 Uhr rief Stalin bei Shukow an: „’Unsere Frontoberbe-fehlshaber besitzen keine genügende Erfahrung in der Führung von Kampfhandlungen und haben anscheinend den Kopf verloren. Das Politbüro hat beschlossen Sie als Vertreter des Hauptquartiers zur Südwestfront zu schicken. Zur Westfront fahren Marschall Schaposchnikow und Marschall Kulik. Schaposchnikow und Kulik habe ich bereits eingewiesen. Sie müssen sofort nach Kiew fliegen und von dort zusammen mit Chruschtschow zum Stab der Front nach Ternopol fahren.’

‘Wer wird in einer so komplizierten Situation den Generalstab leiten?’ fragte ich. Stalin antwortete: ‘Lassen Sie Watutin an Ihrer Stelle zurück.’

Dann fügte er etwas gereizt hinzu: ‘Verlieren Sie keine Zeit, wir werden hier schon irgendwie zu Rande kommen.’“ 63)

Gegen Abend des 22. Juni traf Shukow in Kiew ein und ließ sich mit Watutin verbinden.

„Nikolai Fjodorowitsch Watutin berichtete mir folgendes:

Der Generalstab hatte am 22. Juni bis zum Abend trotz energischen Drängens von den Stäben der Fronten, der Armeen und der Fliegerkräfte keine genauen Angaben über unsere Truppen und über den Gegner erhalten können. Die Informationen über das Vordringen des Gegners waren widersprüchlich. Exakte Angaben über die Verluste der Land- und Luftstreitkräfte fehlten. Es war nur bekannt, daß die Fliegerkräfte der Westfront sehr große Verluste erlitten hatten. Der Generalstab und der Volkskommissar konnten keine Verbindung mit den Frontoberbefehlshabern Generaloberst Kusnezow und Armeegeneral Pawlow bekommen, die sich zu den Truppen begeben hatten, ohne sich beim Volkskommissar abzumelden. Die Stäbe dieser Fronten wußten nicht, wo sich ihre Oberbefehlshaber zur Zeit befanden.

Nach Meldungen der Luftaufklärung wurde in den Räumen der befestigten Abschnitte und stellenweise 15 bis 20 Kilometer tief in unserem Gebiet gekämpft. Versuche der Frontstäbe, eine unmittelbare Verbindung zu den Truppen herzustellen, blieben erfolglos, da zu den meisten Armeen und selbständigen Korps weder Draht- noch Funkverbindungen vorhanden waren.

Weiter sagte General Watutin, daß Stalin den Entwurf der Direktive Nr. 3. des Volkskommissars gebilligt und angeordnet habe, meine Unterschrift darunterzusetzen.

‘Was ist das für eine Direktive?’ erkundigte ich mich.

‘Die Direktive sieht vor, daß unsere Truppen zur Gegenoffensive übergehen, um den Gegner in den Hauptrichtungen zu zerschlagen und auf sein Territorium vorzustoßen.’

‘Aber wir wissen doch gar nicht genau, wo und mit welchen Kräften der Gegner vorstößt’, wandte ich ein. ‘Wäre es nicht besser, bis morgen früh zu klären, was sich an der Front ereignet hat, und dann erst einen Entschluß zu fassen?’

‘Ich teile Ihren Standpunkt, die Sache ist aber schon entschieden.’

‘Gut’, sagte ich, ‘setzen Sie meine Unterschrift darunter.’“ 64)

Am 23. Juni wurde das HQ gebildet. Nach dem ursprünglichen Entwurf von Shukow und Timoschenko sollte Stalin zum Obersten Befehlshaber ernannt werden. Diesem Entwurf entgegen wurde Timoschenko zum Obersten Befehlshaber ernannt. Shukow hat diese Entscheidung als unzweckmäßig kritisiert, weil Timoschenko ohne Stalin doch keine grundsätzlichen Entscheidungen treffen konnte. „So erhielten wir faktisch zwei Oberste Befehlshaber, den Volkskommissar Timoschenko de jure gemäß dem Erlaß und J.W.  Stalin  de  facto.“65)  Dem HQ gehörten an: Timoschenko, Shukow, Stalin, Molotow, Woroschilow, Budjonny und der Volkskommissar der Seekriegsflotte Admiral N.G. Kusnezow.66)

Dies stimmt mit den Ausführungen von Armeegeneral Schtemenko überein. Nach Schtemenko wurde beim HQ noch eine „Institution ständiger Berater“ geschaffen, zu denen Marschall Schaposchnikow, die Generale Merezkow, Watutin, Woronow sowie die Mitglieder des Politbüros Mikojan, Wosnessenski, Shdanow u.a. gehörten. 67)

Am 30. Juni erfolgte die Bildung des Staatlichen Verteidigungskomitees unter dem Vorsitz von Stalin, das die gesamte Macht in der UdSSR ausübte. Am 8. August wurde das HQ umgebildet. Nunmehr wurde nach dem ursprünglichen Vorschlag von Shukow und Timoschenko Stalin zum Obersten Befehlshaber ernannt. 67a)

Über den Arbeitsstil des HQ schrieb Shukow, er „war in der Regel frei von Nervosität; jeder konnte seine Meinung sagen. Stalin verhielt sich zu allen gleich, streng und ziemlich offiziell. Er verstand es zuzuhören, wenn ihm sachkundig berichtet wurde.

Ich habe mich übrigens in den langen Jahren des Krieges davon überzeugt, daß er keineswegs der Mann war, vor dem keine akuten Fragen angeschnitten werden durften, der nicht mit sich streiten ließ oder dem gegenüber man seinen Standpunkt nicht fest vertreten konnte. Wer das Gegenteil behauptet, dem antworte ich unumwunden: Das ist nicht wahr.“67b)

„Vor dem Krieg ließ sich die Tiefe der Kenntnis und Fähigkeiten Stalins in der Militärwissenschaft, der operativen und strategischen Kunst nur schwer ermessen, da im Politbüro und bei Stalin persönlich damals jedenfalls dann, wenn ich dabeizusein Gelegenheit hatte - vornehmlich organisatorische Fragen, Probleme der Mobilmachung und materiell-technische Angelegenheiten geprüft und entschieden wurden. Ich habe schon berichtet, daß sich Stalin viel mit Fragen der Bewaffnung und der Kampftechnik beschäftigte. Er bestellte oft Chefkonstrukteure für Flugzeugbau, Artillerie und Panzer zu sich und erkundigte sich ausführlich nach Konstruktionsdetails der betreffenden Kampftechnik bei uns und im Ausland. Über die Eigenschaften der wichtigsten Waffentypen wußte er gut Bescheid.

Stalin verlangte von den Chefkonstrukteuren und den Direktoren der Betriebe - viele von ihnen kannte er persönlich -, daß die Muster von Flugzeugen, Panzern und Artillerie sowie von anderen wichtigen technischen Mitteln termingerecht geliefert wurden und dem Weltniveau nicht nur entsprachen, sondern es übertrafen.

Ohne seine Zustimmung konnte kein einziges Modell von Waffen oder sonstiger Kampftechnik bei der Truppe eingeführt oder ausgemustert werden. Das hemmte natürlich die Initiative des Volkskommissars für Verteidigung und seiner für die Bewaffnung zuständigen Stellvertreter.

Vor dem Großen Vaterländischen Krieg und besonders danach wurde Stalin die führende Rolle bei der Schaffung der Streitkräfte, der Ausarbeitung der Grundlagen der sowjetischen Militärwissenschaft, der wichtigsten Leitsätze der Strategie und sogar der operativen Kunst zugeschrieben.

War Stalin wirklich ein solch hervorragender Kopf auf dem Gebiet des Aufbaus der Streitkräfte und ein solcher Kenner der operativ-strategischen Fragen?

Von der militärischen Seite her kenne ich Stalin bestens, habe ich doch den Krieg mit ihm zusammen begonnen und auch mit ihm beendet. Er beherrschte die Organisation von Operationen einzelner Fronten und von Frontgruppen und leitete sie sachkundig, wobei er sich auch in großen strategischen Fragen gut zurechtfand. In dieser Hinsicht bewährte er sich als Oberster Befehlshaber besonders bei Stalingrad.

Bei der Führung des bewaffneten Kampfes kam Stalin seine reiche Intuition zustatten. Er besaß die Fähigkeit, in der strategischen Lage das Hauptkettenglied zu erkennen, um dem Gegner entgegenzuwirken und diese oder jene große Angriffsoperation durchzuführen. Er war zweifellos ein würdiger Oberster Befehlshaber.

Natürlich wußte Stalin nicht, wie vielgestaltig der Komplex der Fragen ist, mit denen sich die Truppen und die Führungsorgane aller Ebenen in peinlicher Kleinarbeit befassen mußten, um diese oder jene Operation einer Front oder einer Gruppe von Fronten gründlich vorzubereiten. Aber das brauchte er auch nicht unbedingt zu wissen. In solchen Fällen beriet er natürlich mit den Mitgliedern des Hauptquartiers, dem Generalstab und der Sachverständigen für die Artillerie, die Panzertruppen, die Luftstreitkräfte, die Seekriegsflotte, für Rückwärtige Dienste und Versorgungswesen.

Stalin wurde eine Reihe von grundsätzlichen Konzeptionen persönlich zugeschrieben, zum Beispiel über die Methoden des Artillerieangriffs, über die Eroberung der Luftherrschaft, über die Methoden zur Einschließung des Gegners, über die Aufspaltung von eingeschlossenen Gruppierungen und deren getrennter Vernichtung und so weiter.

Alle diese wichtigen Probleme der Kriegskunst sind Früchte, die in Kämpfen und Schlachten gegen den Feind gewonnen wurden, sind Ergebnisse tiefer Überlegungen und Verallgemeinerungen von Erfahrungen eines großen Kollektivs von Truppenführern und der Truppe selbst.

Es ist hierbei das Verdienst Stalins, daß er die Ratschläge der angesehenen Militärfachleute richtig erfaßt, ergänzt, entwickelt und in verallgemeinerter Form als Richtlinien, Direktiven und Vorschriften unverzüglich an die Truppen zur praktischen Anleitung weitergegeben hat.

Außerdem bewährte sich Stalin bei der Sicherung der Operationen, der Schaffung strategischer Reserven, der Organisierung der Produktion von Kampftechnik und überhaupt bei der Schaffung alles dessen, was für die Front nötig war, als hervorragender Organisator. Und es wäre ungerecht, wenn man ihm das nicht hoch anrechnete.“  67c)

„Stalin war ein  willensstarker Mensch und kein Feigling. Ich sah ihn nur einmal niedergeschlagen: im Morgengrauen des 22. Juni 1941. Seine Zuversicht, daß ein Krieg vermieden werden könnte, hatte ihn getrogen.

Nach dem 22. Juni 1941 hat Stalin während des ganzen Krieges mit dem Zentralkomitee der Partei und der Sowjetregierung fest und sicher das Land, die militärische Operationen und die internationalen Angelegenheiten geleitet.“68)

Dimitroff notierte über die Ereignisse dieser Tage in seinem Tagebuch:

„21.6.41

- Im Telegramm von Tschou En-lai aus Chongqing nach Yan’an (an Mao Tse-tung) wird unter anderem darauf hingewiesen, daß Tschiang Kai-schek hartnäckig behauptet, Deutschland werde die UdSSR überfallen, und er nennt sogar das Datum - den 21. 6. 41!

- Die Gerüchte über den bevorstehenden Überfall mehren sich von allen Seiten.

- Man muß auf der Hut sein ...

- Am Morgen rief ich Molotow an. Ich bat ihn, mit Joss[if] Wissanonowitsch [Stalin] die Lage und die notwendigen Weisungen für die kommunistischen Parteien zu besprechen.

- Mol[otow]: „Die Lage ist unklar. Es wird ein großes Spiel gespielt. Nicht alles hängt von uns ab. Ich werde mit J[ossif]W[issarionowitsch] reden. Wenn es irgend etwas Besonderes gibt, rufe ich an.“-

22.6.41

- Sonntag.

- Um 7 Uhr morgens wurde ich dringend in den Kreml beordert.

- Deutschland hat die UdSSR überfallen. Der Krieg hat begonnen.

- Im Vorzimmer treffe ich Poskrebyschew, Timoschenko, Kusnezow [d.i. Nikolai Kusnezow], Mechlis (wieder in Uniform), Berija (der telefonisch verschiedene Anweisungen erteilt).

- In Stalins Arbeitszimmer sind Molotow, Woroschilow, Kaganowitsch, Malenkow.

- Stal[in] zu mir: ‘Sie haben uns angegriffen, ohne irgendwelche Forderungen zu stellen, ohne irgendwelche Verhandlungen zu verlangen, haben uns niederträchtig überfallen, wie Räuber. Nach dem Überfall, nach der Bombardierung von Kiew, Sewastopol, Shitomir und anderen Orten erschien Schulenburg mit der Erklärung, daß Deutschland sich durch die Konzentration sowjetischer Truppen an der Ostgrenze bedroht fühlte und Gegenmaßnahmen ergriffen habe. Die Finnen und die Rumänen sind auf Seiten der Deutschen. Bulgarien nimmt die Vertretung der Interessen Deutschlands in der UdSSR wahr.’ - Nur die Kommunisten können die Faschisten besiegen ...

- Erstaunlich sind die Ruhe, Festigkeit und Zuversicht Stalins und aller anderen.

- Die Erklärung der Regierung, die Molotow im Radio verlesen soll, wird redigiert.

- An die Armee und Marine werden Anweisungen erteilt.

- Maßnahmen zur Mobilisierung und zum Kriegszustand.

- Ein unterirdischer Sitz für die Arbeit des ZK und des Stabes ist vorbereitet.

- Die diplomatischen Vertreter, sagt Stalin, müssen aus Moskau weg und an einen anderen Ort gebracht werden, z.B. nach Kasan. - Hier können sie Spionage betreiben.

- Haben uns über unsere Arbeit verständigt. Die Komintern soll vorerst nicht öffentlich auftreten. - Die Parteien vor Ort entfalten eine Bewegung zur Verteidigung der UdSSR. Die Frage der sozialistischen Revolution ist nicht aufzuwerfen. Das sowjetische Volk führt einen vaterländischen Krieg gegen das faschistische Deutschland. Es geht um die Zerschlagung des Faschismus, der eine Reihe von Völkern versklavt hat und danach strebt, auch andere Völker zu versklaven ...

- In der Komintern wurden die Sekretäre und die führenden Mitarbeiter zusammengerufen. Wir erläuterten ihnen unsere Haltung und die Aufgaben zum jetzigen Zeitpunkt.

- Haben Weisungen an die kommunistischen Parteien in Amerika, England, Schweden, Belgien und Frankreich, Holland, Bulgarien, Jugoslawien und China geschickt.

- Eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen beschlossen. Erklärten, alle unsere Kräfte zu mobilisieren.“ 69)

Aus den ausführlich dokumentierten Erinnerungen von Shukow, den Eintragungen Dimitroffs und Schtemenkos geht eindeutig hervor, daß Stalin von den frühen Morgenstunden des 22. Juni an die Führung in der Verteidigung des Landes übernahm. Stalin übernahm auch die Verantwortung dafür, daß die sowjetische Führung sich von den Faschisten überraschen ließ und stellte im Politbüro die Vertrauensfrage.70)

Es gibt keinerlei Beweise dafür, daß Stalin in Apathie verfallen, sich tagelang zurückgezogen habe. Allerdings, in der rosigsten Laune hat er sich nicht befunden.

Am 3. Juli, nachdem seine lästige Krankheit halbwegs überwunden war, wandte sich Stalin in einer Rundfunkrede an die Völker der Sowjetunion.71) Die Rede enthielt vier Komplexe: 1. Sind die faschistischen deutschen Truppen unbesiegbar? 2. War der Abschluß des Nichtangriffspakte mit dem faschistischen Deutschland ein Fehler? 3. Maßnahmen zur Mobilisierung der Völker der Sowjetunion. 4. Der Charakter des Krieges.

1. Wie die Geschichte zeigt, gibt es keine unbesiegbaren Armeen. Stalin verwies auf Napoleon, dessen Armee für unbesiegbar galt, dennoch mehrfach von russischen, englischen und deutschen Truppen geschlagen wurde. Desgleichen galten die deutschen Armeen Wilhelms zur Zeit des ersten imperialistischen Krieges als unbesiegbar und wurden ebenfalls geschlagen. Die faschistischen deutschen Armeen Hitlers fanden auf dem europäischen Festland „keinen ernsthaften Widerstand.“ Dies war erst auf unserem Gebiet der Fall. Die Rote Armee habe „im Ergebnis dieses Widerstandes“ die „besten Divisionen der faschistischen deutschen Armee“ geschlagen, was bedeute, „daß die faschistische Hitlerarmee ebenfalls geschlagen werden kann und geschlagen werden wird, wie die Armeen Napoleons und Wilhelms geschlagen worden sind.“72)

Angesichts der unterbrochenen, sich widersprechenden Nachrichten von den Fronten an das HQ in den ersten Kriegstagen mag die Aussage, wonach die „besten Divisionen“ der faschistischen deutschen Truppen „geschlagen“ worden seien, überzogen klingen. Tatsache bleibt jedoch, daß die faschistischen deutschen Truppen vom ersten Tage an, nachdem das Überraschungsmoment des Überfalls überwunden war, auf einen unerwarteten Widerstand der Roten Armee stießen, wie auch Tippelskirch bestätigen mußte:

„Überraschend war die Härte, mit der der Feind kämpfte, überraschend auch die Menge der bei Gegenangriffen auftretenen Panzer. Man stand einem Feind mit einem stahlharten Willen gegenüber, der mit brutalem Einsatz der Kräfte und operativ nicht ohne Geschick führte. Es lag kein Grund zu ernsten Besorgnissen vor, so viel war aber schon zu erkennen: hier handelte es sich nicht darum, in schnellen Schlägen ein Kartenhaus zum Einsturz zu bringen. So leicht und planmäßig wie die früheren würde dieser Feldzug nicht verlaufen.“73)

2. Der Abschluß des Nichtangriffsvertrages sei kein Fehler gewesen. „Ein Nichtangriffspakt ist ein Friedenspakt zwischen zwei Staaten.“ Einen solchen Pakt habe Deutschland der UdSSR angeboten. Kein „einziger friedliebender Staat kann ein Friedensabkommen mit einem benachbarten Reich ablehnen, selbst wenn an der Spitze dieses Reiches solche Ungeheuer und Kannibalen wie Hitler und Rippentrop“ stehen. Dies natürlich nur, wenn „weder direkte noch indirekt die territoriale Integrität, die Unabhängigkeit und die Ehre des friedliebenden Staates“ berührt werde. Der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der UdSSR wäre „gerade ein solcher Pakt“ gewesen. Die UdSSR habe durch den Pakt für sich „anderthalb Jahre den Frieden“ gesichert und die Möglichkeit erhalten, ihre Kräfte zur Abwehr vorzubereiten. Deutschland habe durch die wortbrüchige Zerreißung des Paktes „für kurze Zeit eine gewisse vorteilhafte Lage für seine Truppen erzielt,... aber in politischer Hinsicht verloren,...“ Deutschland habe sich vor der ganzen Welt als „blutiger Aggressor“ entlarvt. Der „kurzfristige militärische Gewinn“ für Deutschland sei nur „eine Episode.“ Der politische Gewinn der UdSSR wäre „ein ernster Faktor von langer Dauer.“

Die Faschisten hatten demnach kurzfristig wirkende, taktisch-operative Gewinne erzielt, während die langfristig wirkenden politischen Faktoren zugunsten der Sowjetunion wirken würden. Offenbar mit Rücksicht auf den nunmehr britischen Verbündeten, auf Herrn Churchill, verzichtete Stalin darauf, die Hintergründe für den Abschluß des Nichtangriffspaktes mit dem faschistischen Deutschland darzulegen. Den britischen Bündnispartner öffentlich bloßzustellen, wäre eine politische Dummheit gewesen. Das war Geschichte. Die Aufgabe bestand darin, die UdSSR vor der Vernichtung zu bewahren. Churchill stand bezüglich des britischen Empires vor der gleichen Aufgabe. Die Zerschlagung der faschistischen deutschen Aggressoren war im Interesse der Sowjet- und der britischen Regierung.74)

3. Dieser der Sowjetunion auf gezwungene Krieg sei ein „Kampf auf Leben und Tod.“ Dies erfordere die Anspannung aller Kräfte der Völker der Sowjetunion. Folgende Maßnahmen seien zu treffen: a) Die „Männer und Frauen des Sowjetlandes“ müssen „die ganze Größe der Gefahr begreifen, die unserem Lande drohe.“ Es sei Schluß zu machen, „mit der sorglosen Gelassenheit und der Stimmung des friedlichen Aufbaus...“ Die Ziele des Feindes seien, „unseren Boden ... zu okkupieren, unser Getreide, unser Erdöl, die Früchte unserer Arbeit an sich zu reißen.“ Die Macht der Gutsbesitzer solle wieder aufgerichtet, der Zarismus wiederhergestellt werden, die nationale Kultur und nationale Eigenständigkeit der freien Völker der UdSSR solle vernichtet werden. Sie sollen zu Sklaven der deutschen Fürsten und Barone gemacht werden. Die Sowjetmenschen müssen dies verstehen, aufhören, sorglos zu sein, sich selber mobilisieren, ihre ganze Arbeit auf den Krieg umzustellen.

Diese Warnungen Stalins zeugen von Weitsicht. Die Massenmorde der Faschisten an sowjetischen Menschen, der Raub von materiellen Werten bzw. deren Zerstörung im Massenumfang, die Deportationen von Hunderttausenden Männern und Frauen als Arbeitssklaven nach Deutschland, der Genozid an der jüdischen Bevölkerung hatten elf Tage nach dem Überfall noch gar nicht stattgefunden. Das stand den Sowjetmenschen erst noch bevor. Die Warnungen erwiesen sich als völlig gerechtfertigt. Allerdings, den Zarismus zu restaurieren, dafür ließen sich keine Anhaltspunkte bei den Faschisten finden. b) Es dürfe „in unseren Reihen kein(en) Platz für Miesmacher und Feiglinge, für Panikmacher und Deserteure“ geben. Die Sowjetmenschen dürften „keine Furcht im Kampf kennen“ und müssen „opferwillig in unseren Vaterländischen Befreiungskrieg gegen die faschistischen Unterdrücker ziehen.“ c) Die ganze Arbeit müsse auf den Krieg umgestellt, den Interessen der Front untergeordnet werden. „Die Rote Armee, die Rote Flotte und alle Bürger der Sowjetunion ... müssen bis zum letzten Blutstropfen um unsere Städte und Dörfer kämpfen, ...“ d) Die „allseitige Unterstützung der Roten Armee“, die „verstärkte Auffüllung ihrer Reihen“ sei sicherzustellen. Ihre Versorgung mit allem Notwendigen, schnelle Beförderung von Truppen- und Heeresguttransporten, Hilfe für die Verwundeten seien zu gewährleisten, e) Das Hinterland der Roten Armee sei zu festigen. Waffen- und Munitionserzeugung ist in allen Betrieben sicherzustellen. Schutz von Betrieben, Kraftwerken, Nachrichtenverbindungen sei zu organisieren, die örtliche Luftabwehr in Gang zu bringen. f) Schonungsloser Kampf gegen alle Desorganisatoren des Hinterlands, gegen Deserteure, Panikmacher, Verbreiter von Gerüchten sei zu organisieren. Spione, Diversanten und feindliche Fallschirmjäger 75) sind zu vernichten. „Alle die durch ihre Panikmacherei und Feigheit die Landesverteidigung behindern, müssen ohne Ansehen der Person sofort dem Kriegsgericht übergeben werden.“ g) Bei erzwungenem Rückzug von Truppenteilen der Roten Armee sind das gesamte rollende Material der Eisenbahnen, Getreide, Treibstoff, Vieh ins Hinterland zu schaffen. „Alles wertvolle Gut, darunter Buntmetalle, Getreide und Treibstoff, was nicht abtransportiert werden kann, muß unbedingt vernichtet werden. In vom Feind besetzten Gebieten sind Partisanenabteilungen zu Fuß und zu Pferde sowie Diversionsgruppen zu bilden. Der Partisanenkrieg ist überall und allerorts zu entfachen. In den okkupierten Gebieten müssen für den Feind und alle Helfershelfer unerträgliche Verhältnisse geschaffen werden, sie müssen auf Schritt und Tritt verfolgt und vernichtet und alle ihre Maßnahmen müssen vereitelt werden.“76)

4. Der Krieg gegen das faschistische Deutschland dürfe nicht als gewöhnlicher Krieg betrachtet werden. „Er ist nicht nur ein Krieg zwischen zwei Armeen. Er ist zugleich der große Krieg des ganzen Sowjetvolkes gegen die faschistischen deutschen Truppen.“ Stalin definierte diesen Krieg als „Vaterländischen Volkskrieg, der nicht nur geführt werde, um die Gefahr für die Sowjetunion zu beseitigen, „sondern auch allen Völkern Europas zu helfen, die unter dem Joch des deutschen Faschismus stöhnen.“ In diesem Befreiungskrieg „werden wir treue Verbündete an den Völkern Europas und Amerikas haben, darunter auch am deutschen Volk, das von den faschistischen Machthabern versklavt ist. Unser Krieg für die Freiheit unseres Vaterlandes wird verschmelzen mit dem Kampf der Völker Europas und Amerikas für ihre Unabhängigkeit, für die demokratischen Freiheiten.“

Mit dem Hinweis, auch am deutschen Volk „treue Verbündete“ zu finden, differenzierte Stalin explizit zwischen dem deutschen Volk und den Faschisten. Diese wesentliche politische Unterscheidung - elf Tage nach dem Überfall! - hat er mehrfach wiederholt und der Politik des Sowjetstaates zugrunde gelegt. In diesem Zusammenhang sei die „historische Rede des Herrn Churchills“ über die „Hilfe für die Sowjetunion“ sowie die „Deklaration der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über ihre Bereitschaft, unserem Land Hilfe zu erweisen“ zu begreifen.77)

In dieser Rundfunkrede verband Stalin den nationalen mit dem internationalen Inhalt des Krieges, als „vaterländischen“- und als „Befreiungs“krieg. Stalin vermied jeglichen Hinweis auf Verteidigung des Sozialismus oder gar der sozialistischen Revolution, auf den proletarischen Internationalismus.  Der Klassenaspekt mußte unter dem Druck der ungeheuren Gefahr, die vom Faschismus drohte, zurückgestellt werden, wenn er auch in der Definition „Vaterländischer“ Krieg implizit enthalten war, denn das Vaterland war ein sozialistisches. Es muß in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, die deutschen Imperialisten hatten bereits vor 1914 die reichen Rohstoffe Rußlands im Visier. Auch in der Weimarer Republik waren die begehrlichen Blicke der besonders gierigen Teile des deutschen Monopolkapitals auf die Ukraine, das Donezbecken, die Kaukasusregion gerichtet, auf russisches Öl, Getreide, Erze.78) Selbst wenn Rußland ein bürgerliches Land gewesen wäre, hätten die deutschen Imperialisten Krieg gegen Rußland geführt. Das ideologische Moment kam hinzu. Das gegenwärtige Rußland ist wieder ein imperialistisches Land, wenn auch ein zur Zeit schwaches, desgleichen die ehemaligen nichtrussischen Sowjetrepubliken, was die imperialistischen Räuber aus USA, Großbritannien und der BRD nicht im geringsten daran hindert, die dort befindlichen Rohstoffe auszubeuten, wobei sie sich in der Rauferei um die Beute natürlich untereinander in die Haare geraten. Weder während des Interventionskrieges (1918 - 1920) gelang es den Imperialisten, damals den britischen, die Erdölfelder Bakus zu erhalten, noch 1941/42 den deutschen, die Erdölfelder Grosnys und Bakus zu gewinnen. Es bleibt wohl noch abzuwarten, ob es diesmal über die tschetschenischen Separatisten, über die wohlklingenden Phrasen über das Selbstbestimmungsrecht der Völker, der Demokratie, deren Gralshüter die Imperialisten bekanntlich von eh und je waren und sind, gelingt - und wenn, wie lange, denn daß Rußland nicht bleibt, was es gegenwärtig ist, darüber habe ich keine Zweifel.

Der Begriff „Befreiungskrieg“ trug von Anfang an den Charakter eines antifaschistischen Krieges, der klassenübergreifend war. Dennoch spielte die Klassenfrage unter den Verbündeten der Antihitlerkoalition während des ganzen Krieges immer eine Rolle, wie noch zu zeigen sein wird.

Diese Rundfunkrede Stalins hatte eine starke mobilisierende Wirkung auf die Völker der Sowjetunion. Selbst Tippelskirch muß bestätigen, daß Stalins „Ruf“ „ein Ohr“ fand, „das um so williger wurde, je länger der Krieg sich hinzog, je mehr der Nimbus der deutschen Unbesiegbarkeit verblaßte...

Besonders erbost hat Tippelskirch wohl der unter 3g genannte Aufruf Stalins, alles wertvolle Gut zu evakuieren oder zu zerstören, daß „dem Feind .. nicht ein Kilo Korn und nicht ein einziger Liter Brennstoff zurückgelassen werden“ darf.79) Nun, das ist verständlich.

3. Das Scheitern der Blitzkriegsstrategie der Faschisten 1941/42

3.1. Kiew

 

Um es noch einmal zu betonen: Es geht nicht um eine Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges, sondern um Beiträge Stalins zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik. Unter diesem Aspekt des Themas erfolgt Einschränkung auf diejenigen Phasen des Krieges, in denen die Beiträge Stalins besonders deutlich werden, d.h. ich mußte auswählen.

Es gab Auseinandersetzungen im HQ zwischen Stalin, Shukow und dem FOB der Südwestfront, Generaloberst Kirponos über die Rückführung der Truppen der Roten Armee aus dem Brückenkopf im Raum von Kiew auf dem linken Dneprufer Anfang September 1941. Die vom HQ, in letzter Instanz von Stalin als Obersten Befehlshaber, - nach  Diskussion! -  getroffene Entscheidung wird in der sowjetischen Militärliteratur unterschiedlich bewertet.

Die Hauptmacht der deutschen Verbände stieß im Mittelabschnitt in Richtung Wjasma - Moshaisk - Moskau vor. Deren Flanken im Norden und Süden mußten gegen starke Verbände der Roten Armee gesichert werden. Schtemenko schrieb: „Es ist jetzt dokumentarisch belegt, daß die faschistische Führung Moskau erst hätte einnehmen können, wenn zuvor Leningrad erobert und eine gemeinsame Front mit den finnischen Truppen gebildet worden wäre. Eine weitere Voraussetzung war die Zerschlagung unserer Gruppierung im Raum Kiew.“80)

Im Süden standen im Dnepr-Bogen starke Verbände der Roten Armee. Sie hatten auf dem rechten Dnepr-Ufer um Kiew einen stark befestigten Brückenkopf gebildet. Von Norden stieß die deutsche Panzergruppe 2 Richtung Konotop, von Süden die Panzergruppe l in Richtung Lochwiza vor, wo sich beide Panzerarmeen am 15. September vereinigten und ein Drittel der Kräfte der 5./ 37. und 26. sowie Teilkräfte der 21. und 38. Armee der sowjetischen Gruppierung einkesselten.

„Das harte Schicksal der Eingeschlossenen teilte auch die Führung der Südwestfront. In diesem Kampf, der bis zum bitteren Ende geführt wurde, fiel der Oberbefehlshaber der Front, Generaloberst Kirponos. Auch der Chef des Stabes der Front, Generalleutnant Tupikow, und das Mitglied des Kriegsrates, Divisionskommissar Rykow, kamen ums Leben. Der schwerverwundete Armeeoberbefehlshaber Potapow und einige Divisionskommandeure gerieten in Gefangenschaft. Die überlebenden Mitarbeiter des Stabes führte der Leiter der Operativen Abteilung, Generalmajor Bagramjan, aus dem Kessel.“ 81)

Der sowjetische Historiker I.B. Bershin schrieb:

„Das deutsche Oberkommando warf zwei Armeen vom Mittelabschnitt nach dem Süden, in den Rücken der Kiewer Gruppierung der Südwestfront. Gleichzeitig erzwangen Truppen der feindlichen Heeresgruppe Süd bei Krementschug den Übergang über den Dnepr und stießen ebenfalls in das Hinterland der Südwestfront vor mit dem Ziel, sich mit den Armeen des Mittelabschnitts zu vereinigen. Der Feind begann seine Operation, die das Ziel verfolgte, die Kiew verteidigenden Truppen der Südwestfront einzukesseln. In der so entstandenen Situation war es notwendig, die in diesem Raum stehenden sowjetischen Verbände herauszuziehen. Das sowjetische Oberkommando lehnte jedoch diesbezügliche Vorschläge des Oberkommandos der Südwestfront ab. Erst am 17. September wurde die Erlaubnis erteilt, Kiew zu räumen, doch es war jetzt schon zu spät, weil sich Mitte September zwei Panzergruppierungen des Feindes im Rayon Romna vereinigt hatten und hierher auch feindliche Infanterieverbände kamen. Um die Südwestfront zog sich der Einschließungsring zusammen. Rund ein Drittel der eingeschlossenen Truppen geriet in Gefangenschaft.“ 82)

Das Oberkommando im HQ hatte seine Gründe, eine vorzeitige Räumung Kiews nicht zu genehmigen. Schtemenko meinte: „Die Schlacht bei Kiew spielte, wie die standhafte Verteidigung der Leningrader, eine positive Rolle. Die für den Generalangriff auf Moskau bestimmte Panzergruppe 2 erlitt dabei erhebliche Verluste. Darüber hinaus verlangsamte diese Schlacht das Tempo der gerade in der Südwestrichtung lawinenartig vorgehenden faschistischen Truppen und verschaffte uns Zeit für die Vorbereitung der Verteidigung an neuen Abschnitten.“ 83)

Diese Zeit verstand das Hauptquartier zu nutzen. „Unter strengster Geheimhaltung vollzog sich in der Tiefe des Landes die Aufstellung und Ausbildung von Reservearmeen, deren Existenz nur den Mitgliedern des Hauptquartiers und einigen wenigen Offizieren des Generalstabes bekannt war, die sich damit beschäftigten. Gleichzeitig wurden mehrere gut ausgebildete Divisionen aus dem Transbaikalgebiet und dem Fernen Osten zur Verlegung nach dem Westen vorbereitet. In beschleunigtem Tempo ging der Ausbau der befestigten Räume von Wjasma und Moshaisk voran. Man schuf die sogenannte Moskauer Verteidigungszone, deren Abschnitte die Stadt ringförmig umschlossen und die im unmittelbaren Vorfeld, in den Vorstädten und in der Stadt selbst bis zum Boulevardring einschließlich lagen.“ 84)

Tippelskirch ist strategisches Verständnis nicht abzusprechen, wenn er über die Kiewer Schlacht schreibt: „Die Größe des östlichen Erfolges sprach für Hitler. Aber erst der Ausgang des Gesamtfeldzuges konnte beweisen, ob die Größe des taktischen Sieges auf dem Schlachtfelde im richtigen Verhältnis zu dem entstandenen Zeitverlust für die Fortführung der Operationen stand. Wurde das Ziel des Feldzuges nicht erreicht, so hatten die Russen zwar eine Schlacht verloren, den Feldzug jedoch gewonnen.“ 85)

Und so kam es. Das Ziel des Feldzuges, die Einnahme Leningrads und Moskaus noch vor dem Winter und damit die siegreiche Beendigung des Krieges gegen die Sowjetunion konnten Hitler und seine Generale nicht erreichen. Stalin hatte eine Schlacht verloren und einen Feldzug gewonnen. Wie die Entscheidung Stalins zustande kam, darüber gibt Shukow Auskunft.

Es gab „verschiedene Versionen“ über die Einstellung des HQ, des Generalstabs, des Oberkommandos der südwestlichen Richtung und des Kriegsrats der Südwestfront zur Frage der Verteidigung Kiews und über einen Rückzug der Südwestfront angesichts der Einschließungsgefahr auf den Fluß Psjol. Shukow gab auszugsweise das Telefongespräch Stalins mit dem Oberkommando der Südwestfront am 8. August 1941 wieder:

„Stalin: Uns sind Informationen zugegangen, wonach die Front beschlossen hat, Kiew angeblich wegen Mangel an Truppenteilen, die es halten könnten, leichten Herzens dem Gegner auszuliefern. Stimmt das?

Generaloberst Kirponos: Guten Tag, Genosse Stalin. Sie sind nicht richtig informiert worden. Ich und der Kriegssrat der Front lassen nichts unversucht, um Kiew unter keinen Umständen aufzugeben. Der Gegner ist mit drei Infanteriedivisionen gegen die Südseite des Befestigten Raumes zum Angriff übergegangen und hat mit Fliegerunterstützung den Befestigten Raum durchbrochen und einen Keil bis zu vier Kilometer tief vorgetrieben. Im Laufe des gestrigen Tages hat der Gegner etwa viertausend Mann an Toten und Verwundeten verloren. Der Kampf verlief erbittert, einzelne Orte wechselten mehrmals den Besitzer. Zur Verstärkung der Truppenteile des Befestigten Raumes wurden gestern und heute zwei Luftlandebrigaden und außerdem heute dreißig Panzer mit der Aufgabe eingesetzt, die durchgebrochenen Truppenteile in diesem Raum zu vernichten und die alte Lage wiederherzustellen.

Stalin: Können Sie sicher sagen, daß Sie alle Maßnahmen getroffen haben, um die Lage im Südabschnitt des Befestigten Raumes unbedingt wiederherzustellen? Nehmen Sie Truppenteile aus anderen Richtungen, um die Kiewer Verteidigung zu verstärken. Ich denke, daß nach dem Ausscheiden Musytischenkos Ihre Offensive in der Ihnen bekannten Richtung ihre ursprüngliche Bedeutung einbüßt. Also werden bei Ihnen in dieser Richtung auch einige Kräfte frei, vielleicht können mit ihnen die Räume um Kiew verstärkt werden...

Das Verteidigungskomitee und das Hauptquartier bitten Sie sehr alles zu tun um Kiew zu verteidigen. In zwei Wochen wird es etwas leichter werden, weil wir dann die Möglichkeit erhalten, Ihnen mit frischen Kräften zu helfen, im Laufe der zwei Wochen aber müssen Sie Kiew um jeden Preis halten...

Kirponos: Genosse Stalin, unser ganzes Sinnen und Trachten - ich spreche hier auch für den Kriegsrat - ist darauf gerichtet Kiew nicht dem Gegner zu überlassen. Alles, was uns zu Gebote steht wird für die Verteidigung eingesetzt, damit wir die uns gestellte Aufgabe erfüllen...

Stalin: Sehr gut. Ich drücke Ihnen kräftig die Hand. Wünsche Erfolg. Auf Wiedersehen.

Kirponos: Ich danke für die Wünsche.“ 86)

Am 19. August telegrafierte Shukow an Stalin:

„’Dem Gegner ist die starke Konzentration unserer Truppen in der Moskauer Richtung der Zentralfront und unserer Gruppierung Welikije Luki in seinen Flanken nicht entgangen. Er hat deshalb zeitweilig auf einen Vorstoß auf Moskau verzichtet, ist vor der West- und der Reservefront zur aktiven Verteidigung übergegangen und hat seine beweglichen und Panzertruppen der Stoßgruppierung gegen die Zentral-, die Südwest- und die Südfront eingesetzt.

Mögliche Idee des Gegners, die Zentralfront zu zerschlagen, in den Raum Tschernigow-Konotop-Priluki vorzustoßen, dabei den Armeen der Südwestfront in den Rücken zu fallen und sie zu zerschmettern. Anschließend: Hauptstoß auf Moskau unter Umgehung der Brjansker Wälder und Vorstoß in das Donezbecken...’

Ich meldete Stalin, daß ich es für zweckmäßig hielt, zur Durchkreuzung dieser gefährlichen Absicht möglichst schnell eine bedeutende Gruppierung im Raum Gluchow-Tschernigow-Konotop aufzustellen und mit ihr einen Stoß in die Flanke des angreifenden Gegners zu führen. Unsere Gruppierung müßte unbedingt 11 bis 12 Schützendivisionen, 2 bis 3 Kavalleriedivisionen, mindestens 1000 Panzer und 400 bis 500 Flugzeuge umfassen. Diese Kräfte könnten aus der Fernöstlichen Front, der Moskauer Verteidigungs- und Luftverteidigungszone und den inneren Militärbezirken abgezogen werden.

Um das Manöver des Gegners zu verhindern, wurden dem Hauptquartier eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, darunter die Vorbereitung einer starken Gegenoffensive aus dem Raum Brjansk.

Am selben Tag, dem 19. August, erhielt ich ein Telegramm aus dem Hauptquartier:

‘Ihre Erwägungen in bezug auf einen voraussichtlichen Vormarsch der Deutschen in Richtung Tschernigow-Konotop-Priluki halten wir für richtig. Der Vormarsch der Deutschen ... würde die Umgehung unserer Kiewer Gruppen auf dem Ostufer des Dnepr und die Einschließung unserer 3. und 21. Armee bedeuten ... In Voraussicht eines solchen unerwünschten Falles und zu dessen Verhütung ist die Brjansker Front mit Jeremenko an der Spitze gebildet worden. Ferner werden auch andere Maßnahmen getroffen, über die wir Sie speziell informieren werden. Wir hoffen, dem Vormarsch der Deutschen einen Riegel vorzuschieben.

Stalin. Schaposchnikow.’“ 87)

Aus einem Gespräch zwischen Shukow und Schaposchnikow geht hervor, daß Stalin seine Zustimmung gegeben habe, „einen Teil der Truppen des rechten Flügels der Südwestfront auf das Ostufer des Dnepr zurückzunehmen. Die Kiewer Gruppe sollte jedoch weiterhin die Zugänge nach Kiew verteidigen, das man bis zur letzten Möglichkeit halten wollte.“ 88)

Schaposchnikow habe Shukow erklärt, daß eine neu gebildete, die Brjansker Front, unter Generalleutnant Jeremenko, einen Vorstoß der deutschen Truppen an der Zentralfront (Richtung Moskau, UH) nicht abfangen könnte.

„Generalleutnant Jeremenko hat allerdings im Gespräch mit Stalin versprochen, diese Gruppierungen der Zentralfront zu schlagen und ihren Vorstoß in die Flanke und in den Rücken der Südwestfront zu verhindern.“89)

Schaposchnikow und Shukow bezweifelten einen Erfolg von Jeremenko. Shukow hielt es für „dringend notwendig, dem Obersten Befehlshaber noch einmal nahezulegen, daß sämtliche Truppen des rechten Flügels der Südwestfront hinter den Dnepr zurückgenommen werden müßten.“

Stalin erklärte, daß er sich mit Chruschtschow und Kriponos beraten habe; sie hätten ihn überzeugt, „daß Kiew unter keinen Umständen aufgegeben werden dürfe.“ Selbst wenn Jeremenko den Gegner auch nicht zerschlagen könnte, er werde ihn jedenfalls aufhalten.

Aus einem Gespräch Shukows mit Stalin vom 8. September geht hervor, daß er Stalin noch einmal geraten habe, „die gesamte Kiewer Gruppierung auf das Ostufer des Dnepr zurückzunehmen und mit ihren Kräften im Raum Konotop Reserven aufzustellen.“

Nach einem Telefongespräch Stalins mit Schaposchnikow zu urteilen wollte Stalin die Fragen erneut am nächsten Tag beraten. Am 11. September fand das Gespräch mit dem Kriegsrat der Front statt. Teilnehmer waren Kirponos, Burmistenko, Zupilow vom Kriegsrat, Stalin, Schaposchnikow, Timoschenko vom HQ. Chronologischer Ablauf des Gesprächs:

„J.W. Stalin: Ihr Vorschlag, die Truppen auf die Linie des Ihnen bekannten Flusses zurückzuführen, erscheint mir gefährlich.

In der gegenwärtigen Lage am Ostufer des Dnepr würde die von Ihnen vorgeschlagene Zurückführung der Truppen ihre Einschließung bedeuten, da der Gegner Sie nicht nur von Konotop her, das heißt aus dem Norden, angreifen wird, sondern auch aus dem Süden, das heißt von Krementschug, sowie von Westen, weil er bei Zurücknahme unserer Truppen vom Dnepr sofort das Ostufer des Dnepr einnehmen und Angriffe eröffnen könnte. Wenn die Konotop-Gruppierung des Gegners sich mit der Krementschuger vereinigt, sind Sie eingeschlossen.

Wie Sie sehen, sind Ihre Vorschläge, die Truppen unverzüglich zurückzunehmen, bevor Sie noch eine Verteidigung am Psjol vorbereitet haben, sehr gefährlich. Das erstens. Und zweitens: Ohne kühne Angriffe gegen die Konotoper Gruppierung des Gegners im Zusammenwirken mit der Brjansker Front - ich wiederhole: Ohne diese Voraussetzungen sind Ihre Vorschläge zur Zurückführung der Truppen gefährlich und können zu einer Katastrophe führen. Welchen Ausweg gibt es? Der Ausweg könnte folgendermaßen sein: Erstens. Die Kräfte sind sofort umzugruppieren, sei es auch auf Kosten des Kiewer Befestigten Raumes und anderer Truppen, weiter sind Angriffe gegen die Konotoper Gruppierung des Gegners im Zusammenwirken mit Jeremenko zu unternehmen, wobei in diesem Raum neun Zehntel der Fliegerkräfte zu konzentrieren sind. Jeremenko hat bereits entsprechende Anweisungen erhalten. Die Fliegergruppe von Petrow aber haben wir heute durch Sonderbefehl nach Charkow verlegt und dem Südwesten unterstellt. Zweitens. Am Psjol oder auf dieser Linie ist sofort eine Verteidigung zu schaffen, wobei eine große Artilleriegruppe mit der Front nach Norden und Westen einzusetzen ist und fünf bis sechs Divisionen hinter diese Linie zurückzuführen sind. Drittens. Nach der Konzentrierung von Stoßkräften gegen die Konotoper Gruppe des Gegners und dem Aufbau der Verteidigung am Psjol - kurz gesagt, erst nach diesen Maßnahmen ist mit der Räumung von Kiew zu beginnen und sind die Brücken gründlich zur Sprengung vorzubereiten.

Auf dem Dnepr dürfen keine Übersetzmittel zurückgelassen werden, sie müssen zerstört werden; nach der Räumung Kiews haben sich die Truppen auf dem Ostufer festzusetzen und den Gegner nicht übersetzen zu lassen.

Es ist endlich aufzuhören, Auffanglinien für den Rückzug zu suchen, sondern es sind Möglichkeiten zum Widerstand und nur zum Widerstand zu suchen.

Kirponos: Wir dachten nicht an eine Zurückführung der Truppen, bis wir aufgefordert wurden, uns über eine Zurücknahme der Truppen nach Osten zu äußern und entsprechende Linien anzugeben. Wir haben nur die Bitte, unsere Front angesichts ihrer Ausdehnung auf über achthundert Kilometer durch Reserven zu verstärken. Auf Anweisung des Hauptquartiers des Oberkommandos, die wir in der Nacht vom zehnten auf den elften September erhalten haben, werden aus der Armee Kostenkos zwei Schützendivisionen mit Artillerie abgezogen und im Eisenbahnmarsch in Richtung Konotop verlegt. Sie erhalten den Auftrag, gemeinsam mit den Armeen von Podlas und Kusnezow die in Richtung Romny durchgebrochene motorisierte Gruppierung des Gegners zu vernichten. Aus dem Kiewer Befestigten Raum dürfen unseres Erachtens vorläufig keine Truppen mehr abgezogen werden, weil von dort bereits zweieinhalb Schützendivisionen für die Richtung Tschernigow bereitgestellt worden sind. Man kann aus dem Kiewer Befestigten Raum nur noch einen Teil der Artillerie nehmen.

Die soeben per Apparat erhaltenen Anweisungen des Hauptquartiers des Oberkommandos werden sofort durchgeführt.

Stalin: Erstens: Die Vorschläge zur Zurücknahme der Truppen von der Südwestfront kommen von Ihnen und Budjonny, dem Oberbefehlshaber der südwestlichen Richtung. Ich gebe auszugsweise die Meldung Budjonnys vom elften durch.

‘Schaposchnikow wies darauf hin, daß das Hauptquartier des Oberkommandos die Zurückführung der Truppen der Südwestfront nach Osten vorerst für verfrüht hält. Hat das Hauptquartier des Oberkommandos keine Möglichkeit, im gegenwärtigen Augenblick eine starke Gruppe zu konzentrieren, dann ist der Rückzug für die Südwestfront durchaus akut.“

Wie Sie sehen, ist Schaposchnikow gegen die Zurücknahme der Truppen, der Oberbefehlshaber aber ebenso wie die Südwestfront waren für die unverzügliche Zurückführung der Truppen.

Zweitens: Über die Maßnahmen zur Konzentrierung von Kräften gegen die Konotoper Gruppierung des Gegners und zur Vorbereitung von Verteidigungsstellungen auf der bekannten Linie informieren Sie uns laufend.

Drittens: Ohne Erlaubnis des Hauptquartiers darf Kiew nicht aufgegeben und dürfen die Brücken nicht gesprengt werden.

Auf Wiedersehen.

Kirponos: Ihre Anweisungen sind klar. Auf Wiedersehen.“

Shukow konsultierte nach dem Gespräch noch Wassilewski, 1. Stellvertreter des Generalstabschef, der meinte „Ich glaube, die Zurücknahme der Truppen hinter den Dnepr ist schon zu spät erfolgt.“ 90)

Aus den dokumentierten Gesprächen geht eindeutig hervor, daß Stalin nicht selbstherrlich, voluntaristisch Befehle gegeben hat. Er hat sich gründlich konsultiert. Die Meinungen waren aber unterschiedlich und wurden sogar noch nach dem Krieg unterschiedlich bewertet. Stalin war Oberster Befehlshaber, hatte zu entscheiden und trug somit die Verantwortung: für eine vermeidbare Niederlage - oder dafür, daß er „eine Schlacht verloren und einen Feldzug gewonnen“ hatte?

Zweiundsechzig Jahre danach sind wir alle sehr schlau!

3.2. Moskau

3.2.1. Stalin - Shukow – Rokossowski. Charaktere und Befehle

Am 30. September 1941 begannen die faschistischen deutschen Truppen den Generalangriff auf Moskau. Nach etwa vier Wochen kamen sie Ende Oktober östlich der Linie Kalinin - Wolokolamsk - Naro-Fominsk sowie vor Tula zum Stehen. 91)

Die deutschen Armeen hatten schwere Verluste erlitten. Nach erneuter Umgruppierung ihrer Kräfte eröffneten sie Mitte November erneut die Offensive. Truppen der Roten Armee führten Gegenstöße durch. An der Südfront erlitt die 1. Panzerarmee von Kleist eine Niederlage, die zur Befreiung Rostows führte, an der Wolchowfront konnten die sowjetischen Verbände den wichtigen Eisenbahnknotenpunkt Tischwin wieder zurückerobern.

Das HQ leitete direkt die Fronten um Moskau. Stalin war mit den FOB per Telefon ständig verbunden. Trotz einer Erkrankung an Grippe arbeitete er von zu Hause aus weiter.

Shukow berichtet über ein „nicht sehr angenehmes Telefongespräch“ mit Stalin im November. Den stärksten Angriff erwarteten das HQ, auch Shukow, im Raum Wolokolamsk auf Moskau. Guderian werde Tula umgehen und auf Kaschira vorstoßen.

Soweit stimmten die Meinungen überein. Stalin und Schaposchnikow wollten „die in Vorbereitung befindlichen Vorstöße des Gegners durch präventive Gegenstöße vereiteln...“ Ein solcher Stoß sollte im Raum Wolokolamsk, ein anderer im Raum Serpuchow geführt werden, denn, so Stalin: „Offenbar werden dort starke Kräfte konzentriert, um gegen Moskau loszuschlagen.“

Shukow war dagegen: „Die Westfront hat keine freien Kräfte. Wir können uns nur verteidigen.“ Die Westfront sei weit auseinander gezogen, mache mit allen Ausbuchtungen mehr als 600 km aus. Sie hätten auch nur „sehr wenig Reserven im rückwärtigen Gebiet.“

„Die Frage der Gegenstöße ist entschieden. Teilen Sie mir Ihren Plan heute abend mit,“ brach Stalin das Gespräch ab.

Die von Stalin befohlenen Gegenstöße brachten nach Shukow „nicht das Ergebnis, das der Oberste Befehlshaber erwartet hatte. Der Gegner war noch stark genug und sein Offensivgeist noch nicht gebrochen.“ 92)

Shukow zufolge war die Entscheidung Stalins falsch.

Hat Shukow nun keine Fehler gemacht?

Generalleutnant Rokossowski, AOB der 16. Armee, der nordwestlich von Moskau im Kampf gegen starke deutsche Verbände stand, berichtete: Die Kämpfe tobten im Zentrum und am linken Flügel 10 bis 12 km westlich des Istra-Staubeckens. Er wollte die Truppen auf die Linie Istra, Fluß und Staubecken, zurückführen, wo eine starke Verteidigung aufgebaut werden konnte, bevor der Gegner sie „dorthin zurückwarf und nachdrängend Fluß und Staubecken forcierte.“

Die 16. Armee hatte hohe Verluste an Kräften und Mitteln gehabt, die noch einsatzfähigen Menschen waren „völlig erschöpft“. Der FOB Shukow lehnte jedoch den Vorschlag Rokossowskis ab, befahl, „keinen Schritt zurückzugehen und bis zum letzten Mann zu kämpfen“.

Einen solchen Befehl hielt Rokossowski für „gerechtfertigt, wenn man damit die Mehrheit vor dem Untergang bewahren, eine schwierige Lage ändern oder den Gesamterfolg sichern kann. In unserem Fall standen aber hinter der 16. Armee keine weiteren Truppen mehr. Wenn die sich verteidigenden Truppenteile vernichtet würden, stünde der Weg nach Moskau offen, und der Gegner hätte sein Ziel erreicht. Deshalb hielt ich es für unbedingt erforderlich,  auf die Istra-Linie zurückzugehen“.

Rokossowski hielt es als Kommandeur und Kommunist für sein Pflicht, die Entscheidung des FOB Shukow nicht einfach hinzunehmen und wandte sich an den Chef des Generalstabes, Marschall Schaposchnikow, der die Entscheidung Rokossowskis billigte.

Darauf gab Rokossowski den Befehl, die Hauptkräfte auf die Istra-Linie zurückzuführen, an der sich der Gegner die Zähne ausbeißen konnte. Doch kurze Zeit später traf ein Fernschreiben Shukows ein: „Die Truppen der Front befehlige ich! Der Befehl zur Rückführung der Truppen hinter das Istra-Staubecken ist hiermit aufgehoben. Ich befehle, die besetzte Linie zu verteidigen und keinen Schritt zurückzugehen. Shukow. Armeegeneral.“93)

Rokossowski hatte dem Befehl zu gehorchen. Das Ergebnis der Intervention Shukows: „Der Gegner warf, wie voraus gesehen, unsere Truppenteile am linken Flügel nach Osten zurück, forcierte die Istra aus der Bewegung und bildete Brückenköpfe auf ihrem Ostufer. Südlich des Wolga-Staubeckens aber durchbrach er die Verteidigung.... stieß mit Panzer- und motorisierten Verbänden in schnellem Tempo vor und erweiterte den Durchbruch...“ 94)

Die deutschen Truppen waren Moskau einige Kilometer näher gekommen.

Es geht hier nicht um „Aufrechnungen“, sondern nur um die Feststellung, nicht nur Stalin hat Fehler gemacht, sondern andere, darunter Shukow, auch. Fehlentscheidungen im Krieg sind unvermeidlich. Stalin, Shukow, Rokossowski waren starke Persönlichkeiten und befähigte Feldherren. Der Umgang untereinander war zuweilen ziemlich rauh. Sie haben sich gegenseitig nichts geschenkt.

3.2.2. „Auf Euch blickt die ganze Welt...“

In dieser spannungsgeladenen, entscheidungsträchtigen Zeit zwischen der Abwehr der Offensive der faschistischen deutschen Truppen vor Moskau vom 30. September und dem Beginn der zweiten von Mitte November lag der 24. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Wie in jedem Jahr fand am 6. November eine Festveranstaltung statt, allerdings nicht wie üblich im Bolschoi-Theater, sondern auf dem Bahnsteig der Metrostation „Majakowskaja“. Der Bedrohung Moskaus zum Trotz fand am 7. November morgens auf dem Roten Platz die traditionelle Truppenparade statt. Wie Schtemenko schrieb, war sie „unter strengster Geheimhaltung vorbereitet worden. Selbst den Teilnehmern war der Zweck des Trainings unbekannt. Die meisten waren der Meinung, daß es einfach darum ging, die Einheiten zusammenzuschweißen, bevor sie an die Front abrückten. Kommandeur der Parade war Generalleutnant Artemjew, Oberbefehlshaber der Truppen des Moskauer Militärbezirks und der Moskauer Verteidigungszone“. Es war dies zweifellos eine „in der Geschichte beispiellose Parade“.95)

In der Festsitzung des Moskauer Sowjets der Deputierten der Werktätigen gemeinsam mit den Partei- und gesellschaftlichen Organisationen der Stadt Moskau gab Stalin den Bericht über den bisherigen Verlauf des Krieges und die zu lösenden Aufgaben.96)

Auf den Festsitzungen wäre es üblich gewesen Rückschau zu halten über die errungenen Erfolge beim friedlichen Aufbau. Das abgelaufene Jahr sei aber nicht nur ein Jahr des friedlichen Aufbaus, sondern zugleich auch ein Jahr des Krieges gegen die deutschen Eindringlinge gewesen, die unser Land wortbrüchig überfallen haben.

Der Krieg sei somit zu einem Wendepunkt in der Entwicklung unseres Landes geworden. „Die Periode des friedlichen Aufbaus ist zu Ende. Begonnen hat der Befreiungskrieg gegen die deutschen Eindringlinge.“ 97) Nach vier Monaten des Krieges müsse er betonen, daß die mit dem Krieg entstandene „ernste Gefahr“ für unser Land „noch größer geworden“ sei. Der Feind habe den „größten Teil der Ukraine, Belorußland, die Moldau, Litauen, Lettland, Estland und eine Reihe anderer Gebiete besetzt, er ist in das Donezgebiet eingedrungen, wie eine schwarze Gewitterwolke ist er über Leningrad heraufgezogen und bedroht unsere ruhmreiche Hauptstadt Moskau. Die faschistischen deutschen Eindringlinge plündern unser Land,... Die Hitlerhorden morden und vergewaltigen die friedlichen Bewohner unseres Landes... Unsere Brüder in den von den Deutschen besetzten Gebieten unseres Landes stöhnen unter dem Joch der deutschen Unterdrücker.“ 98)

Stalin stellte die Verluste der Roten Armee denen der deutschen Wehrmacht gegenüber. Demnach hatte die Rote Armee an Toten 350.000, an Vermißten 378.000 Mann verloren; die Zahl der Verwundeten betrüge 1.020.000 Mann. In der gleichen Zeit hätten die deutschen Truppen an Toten, Verwundeten und Gefangenen mehr als viereinhalb Millionen Mann eingebüßt. 99)

Mögen die Zahlen, aus den damaligen lückenhaften Informationen, über die Stalin verfügte, auch mit späteren, exakteren Angaben nicht völlig übereinstimmen, wichtig bleibt der Schluß, den Stalin zog, daß die Menschenreserven Deutschlands „schon versiegen“, daß Deutschland „im Ergebnis dieser vier Monate Krieg bedeutend schwächer geworden ist als die Sowjetunion, deren Reserven erst jetzt in vollem Umfang zur Entfaltung kommen.“100) Ausführlich ging Stalin auf die Frage ein, warum der „Blitzkrieg“ im Westen Erfolg hatte und gegen die Sowjetunion gescheitert sei.

Die Faschisten rechneten „ernstlich“ darauf, „eine allgemeine Koalition gegen die UdSSR zustande“ zu bringen. Deren Spiel „mit den Gegensätzen zwischen den Klassen der einzelnen Staaten sowie zwischen diesen Staaten und dem Sowjetland“ habe in Frankreich Resultate gezeitigt, „dessen Machthaber sich durch das Gespenst der Revolution schrecken ließen und in ihrer Angst ihr Heimatland Hitler zu Füßen legten und auf Widerstand verzichteten.“ Das gleiche Spiel der Faschisten habe gegenüber den USA und Großbritannien versagt. Die UdSSR sei nicht nur nicht isoliert worden, sondern sie habe an Großbritannien und den USA sowie an den von den Deutschen okkupierten Ländern neue Bundesgenossen gewonnen. Das „Gespenst der Revolution“ habe „abgewirtschaftet“ und sei für die neue Lage nicht mehr tauglich.101)

Die Deutschen bezweifelten die Festigkeit der Sowjetordnung und des Sowjethinterlandes und glaubten, daß die UdSSR nach dem ersten ernstlichen Schlag zusammenbrechen werde. Sie spekulierten auf Konflikte zwischen den Arbeitern und Bauern, Streitigkeiten zwischen den Völkern der UdSSR, auf Aufstände, auf den Zerfall des Landes.

Die Sowjetordnung habe sich als stabil erwiesen, „die Sowjetordnung“ sei „heute die stabilste aller Ordnungen...“102)

Des weiteren täuschten sich die Deutschen in der Roten Armee und Roten Flotte, während sie ihre Kräfte über-, unsere Armee und Flotte jedoch unterschätzten.

„Natürlich sind unsere Armee und unsere Flotte noch jung, sie führen im ganzen erst vier Monate lang Krieg, sie haben noch nicht zu Kerntruppen werden können, während sie vor sich die Kerntruppen der schon zwei Jahre lang kriegführenden Flotte und Armee der Deutschen haben.“

Weiterhin sei die „moralische Verfassung unserer Armee höher als die der deutschen“, denn sie verteidige ihre Heimat gegen fremde Eindringlinge während die deutsche Armee einen Eroberungskrieg führe.103)

Es folgte der Hinweis auf die Rolle des Hinterlandes. Die deutsche Armee entferne sich durch ihren Vormarsch in die Tiefe unseres Landes immer weiter von ihrem heimatlichen Hinterland, operiere in einer feindlichen Umgebung und sei gezwungen, sich in einem fremden Land ein neues Hinterland zu schaffen, das von unseren Partisanen zerstört wird. Die Rote Armee „operiere in ihrer heimatlichen Umgebung“, erhalte die Unterstützung ihres Hinterlandes, könne sich auf einen „gesicherten Nachschub an Menschen, Munition und Lebensmitteln ... fest verlassen.“

Alle „diese Umstände zusammengenommen“ waren „vorausbestimmend dafür..., daß der ‘Blitzkrieg’ im Osten unvermeidlich scheitern mußte.“ 104)

Neben langfristig wirkenden günstigen Bedingungen für die Rote Armee gab es auch ungünstige. An erster Stelle nannte Stalin das Fehlen einer zweiten Front in Europa. Die Deutschen hielten ihr Hinterland im Westen für gesichert und hatten die Möglichkeit, alle ihre Truppen und die Truppen ihrer Verbündeten in Europa gegen unser Land einzusetzen. Die Folge sei, „daß unser Land den Befreiungskrieg allein, ohne von jemand militärische Hilfe zu erhalten, gegen die vereinigten Kräfte der Deutschen, Finnen, Rumänen, Italiener und Ungarn führt...“ Es sei nicht zu bezweifeln, daß das Fehlen einer zweiten Front in Europa gegen die Deutschen die Lage der deutschen Armee bedeutend erleichtert. Stalin erwartete, daß „eine solche Front ... unbedingt in der nächsten Zeit entstehen“ müßte. 105)

An die Errichtung der zweiten Front hat Stalin seit dieser Rede immer wieder die angloamerikanischen Koalitionspartner gemahnt.

Als eine andere Ursache nannte Stalin die zahlenmäßige Überlegenheit an Panzern bei den deutschen Armeen, obwohl die sowjetischen Panzer den deutschen qualitativ überlegen seien. 106) Das erste traf zu, die qualitative Überlegenheit der sowjetischen Panzer galt jedoch nur für die neuen Typen, darunter den berühmten T 34, mit denen die Rote Armee zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend versorgt werden konnte. So folgte denn auch die Forderung, „die Panzerproduktion in unserem Lande um ein Vielfaches zu steigern,...“ desgleichen auch die Produktion von Flugzeugen zur Panzerabwehr, von Panzerbüchsen und Panzerabwehrgeschützen, -granaten und -granatwerfern. Es seien mehr Panzergräben und andere Panzerhindernisse aller Art anzulegen. 107)

Die Hitlerleute, die bei uns Faschisten genannt werden, bezeichnen sich als „Nationalsozialisten.“ Sie seien in Wirklichkeit keine Nationalisten, sondern Imperialisten. Solange sie die deutschen Länder zusammenfaßten, das Rheingebiet, Österreich usw. wieder anschlössen, konnte man sie „mit einer gewissen Berechtigung“ für Nationalisten halten. Nachdem sie jedoch fremde Gebiete geraubt und europäische Nationen unterjocht hätten, die Weltherrschaft anstrebten, habe die Hitlerpartei „aufgehört, eine nationalistische Partei zu sein,...“ sei sie „zu einer imperialistischen, annexionistischen Unterdrückerpartei geworden.“

Stalin charakterisierte die NSDAP als „eine Partei von Imperialisten, und zwar der gierigsten und räuberischsten Imperialisten unter allen Imperialisten der Welt.“

Desgleichen seien die Hitlerleute keine Sozialisten, sondern „geschworene Feinde des Sozialismus, die schlimmsten Reaktionäre und Pogromhelden, die die Arbeiterklasse und die Völker Europas der elementarsten demokratischen Freiheiten“ beraubt haben. „Die Hitlerpartei ist eine Partei der Feinde der demokratischen Freiheiten, eine Partei mittelalterlicher Reaktion und finsterster Pogrome.“

„Und wenn diese abgefeimten Imperialisten und schlimmsten Reaktionäre immer noch fortfahren, sich in die Toga von ‘Nationalisten’ und ‘Sozialisten’ zu hüllen, so tun sie das zu dem Zweck, das Volk zu betrügen, einfältige Leute zum Narren zu halten und mit der Flagge des ‘Nationalismus’ und des ‘Sozialismus’ ihr imperialistisches Räuberunwesen zu tarnen.

Krähen, die sich mit Pfauenfedern schmücken... Aber wie sehr sich Krähen auch mit Pfauenfedern schmücken mögen, sie hören deshalb nicht auf, Krähen zu sein.

‘Man muß mit allen Mitteln danach streben’, erklärt Hitler, ‘daß die Welt von den Deutschen erobert wird. Wenn wir unser großdeutsches Reich schaffen wollen, so müssen wir vor allem die slawischen Völker - die Russen, Polen, Tschechen, Slowaken, Bulgaren, Ukrainer, Belorussen - verdrängen und ausrotten. Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun.’

‘Der Mensch’, erklärt Hitler, ‘ist von Geburt an sündhaft, man kann ihn nur mit Hilfe von Gewalt lenken. Im Umgang mit ihm sind alle Methoden erlaubt. Wenn die Politik es erfordert, muß man lügen, Verrat üben und sogar morden.’

‘Tötet jeden’, erklärt Göring, ‘der gegen uns ist, tötet, tötet, nicht ihr werdet dafür die Verantwortung tragen, sondern ich, also tötet!’

‘Ich werde die Menschen’, erklärte Hitler, ‘vor dem erniedrigenden Wahn bewahren, der Gewissen heißt. Gewissen und Bildung machen den Menschen zum Krüppel. Ich genieße den Vorzug, daß ich durch keine Erwägungen theoretischer oder moralischer Art gehemmt bin.’

In einem der Befehle eines deutschen Armeekommandos vom 25. September, der an das Infanterieregiment 489 gerichtet ist und bei einem gefallenen deutschen Unteroffizier gefunden wurde, heißt es: ‘Ich befehle, auf jeden Russen zu feuern, sobald er sich in einer Entfernung von 600 Metern zeigt. Der Russe muß wissen, daß er einen entschlossenen Feind vor sich hat. von dem er keine Nachsicht zu erwarten hat.’

In einem der Appelle des deutschen Oberkommandos an die Soldaten, der bei dem gefallenen Leutnant Gustav Ziegel aus Frankfurt am Main gefunden wurde, heißt es: ‘Habe kein Herz und keine Nerven, man braucht sie im Kriege nicht. Vernichte in dir Erbarmen und Mitleid - töte jeden Sowjetrussen, mach nicht halt, auch wenn du einen Greis oder eine Frau, ein kleines Mädchen oder einen Jungen vor dir hast - töte, denn dadurch rettest du dich vorm Untergang, sicherst die Zukunft deiner Familie und erwirbst dir ewigen Ruhm.’

Hier haben wir das Programm und die Befehle der Führer der Hitlerpartei und des Hitlerschen Oberkommandos, das Programm und die Befehle von Menschen, die jedes Menschenantlitz verloren haben und auf das Niveau wilder Tiere herabgesunken sind.

Und diese Leute, die des Gewissens und der Ehre bar sind, Leute mit einer Moral von Bestien, haben die Stirn, zur Vernichtung der großen russischen Nation aufzurufen, der Nation Plechanows und Lenins, Belinskis und Tschernyschewskis, Puschkins und Tolstois, Glinkas und Tschaikowskis, Gorkis und Tschechows, Setschenows und Pawlows, Repins und Surikows, Suworows und Kutusows!...

Die deutschen Landräuber wollen den Vernichtungskrieg gegen die Völker der UdSSR. Nun wohl, wenn die Deutschen einen Vernichtungskrieg wollen, so werden sie ihn bekommen.“ 108)

Die Niederlage (Zerschmetterung) der deutschen Imperialisten und ihrer Armeen sei unvermeidlich. Neben den moralischen Faktoren sei die Niederlage der Hitlerschen Räuber durch „drei grundlegende Faktoren“ bedingt, „deren Bedeutung von Tag zu Tag größer wird...“

Das seien erstens die Unzuverlässigkeit des europäischen Hinterlandes, zweitens die Unzuverlässigkeit des deutschen Hinterlandes, und drittens 109)

Wenn Stalin unter zweitens die Unsicherheit des deutschen Hinterlandes nannte, so traf dies nur sehr bedingt zu. Erscheinungen von Kriegsmüdigkeit waren nach dem Scheitern des Blitzkrieges gegen die UdSSR, den rasant ansteigenden Todesnachrichten von der deutsch-sowjetischen Front in immer mehr Familien zu verzeichnen. Die Widerstandsbewegungen antifaschistischer Kräfte in Deutschland, vor allem der KPD, nahmen zu. Nach Stalingrad gab es auch Umorientierungen innerhalb der Führungsschicht des Monopolkapitals, die erkannt hatten, daß Hitler nicht ihre Ambitionen nach russischem Öl, Getreide, Erzen realisieren konnte und über einen Separatfrieden mit dem Westen nachdachten. Zu diesem Zweck mußte Hitler weg, denn mit ihm konnten auch die Westmächte keinen Frieden schließen. Das Attentat vom 20. Juli 1944, bei Respektierung des persönlichen Mutes der handelnden Personen, namentlich dem Grafen Stauffenberg, sollte den Weg dazu öffnen. Aber das deutsche Hinterland stellte keinen „Vulkan“ dar, wie Stalin im November 1941 noch meinte. Die Verbrechen der faschistischen deutschen Wehrmacht - nicht nur der Waffen-SS - an der sowjetischen Bevölkerung erzeugte unter den deutschen Soldaten Angst vor der Vergeltung. Die antibolschewistische Propaganda Goebbels hatte bis über die Niederlage 1945 hinweg verheerende Auswirkungen auf die Mehrheit des deutschen Volkes und vergiftet heute noch über die antikommunistische Publizistik der Medien das Denken und Fühlen der Mehrheit der Werktätigen in Deutschland. Der Antikommunismus, die „Grundtorheit unserer Epoche“ (Thomas Mann), speziell der Antibolschewismus, seit 1917 das Grundmotiv bürgerlicher und sozialdemokratischer Ideologie und Publizistik ist bis in die Gegenwart noch wirksam.

Unter den Kriegszielen der Sowjetunion nannte Stalin als erstes die Befreiung „unsere(r) Gebiete und unsere(r) Völker vom faschistischen deutschen Joch...“ Zu den Zielen gehörte, den von den Faschisten unterdrückten Völkern „in ihrem Befreiungskampf“ zu helfen „und ihnen dann zu überlassen, sich auf ihrem Boden völlig frei so einzurichten, wie sie das wollten. Keinerlei Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Völker!“110)

Dieser Satz ist wichtig! Stalin beabsichtigte nicht, anderen Völkern den Sozialismus aufzuzwingen. Die sozialistische Revolution ist kein Exportartikel. Stalin als Marxist-Leninist wußte, daß man einem Volk „keine Beglückungen von außen auf zwingen“ kann, wie Engels in einem Brief an Kautsky vom 12. September 1882 schrieb. 111) Der letzte Satz war offenbar - vorbeugend? - gegen Bestrebungen kapitalistischer Koalitionspartner gerichtet. Signalisierte Stalin, daß er eine „Einmischung“ von außen nicht zulassen würde? Er kannte zu mindest die Gelüste des Herrn Churchills, wie er seinen britischen Koalitionspartner höflich nannte. Solche Befürchtungen waren, wie noch zu zeigen sein wird, nicht unbegründet. Der ideologische Aspekt des Krieges war zwar in den Hintergrund getreten, verschwunden war er nicht.

Der Bericht auf der Festsitzung wie auch seine Rede vom 7. November bei der Parade von Truppen der Roten Armee hatten eine starke mobilisierende Wirkung auf die Volksmassen ausgeübt, hatten zugleich starke internationale Auswirkungen gehabt.112) „Stalins Aufruf im Namen der Partei und der Sowjetregierung hallte wie Sturmgeläut durch das ganze Land“, schrieb Schtemenko.113) Stalin schloß seine Rede bei der Parade auf dem Roten Platz mit den in der Welt bekannt gewordenen Sätzen:

„Genossen Rotarmisten und Matrosen der Roten Flotte, Kommandeure und politische Funktionäre, Partisanen und Partisaninnen!

Auf euch blickt die ganze Welt als auf die Macht, die fähig ist, die räuberischen Heerhaufen der deutschen Eindringlinge zu vernichten. Auf euch blicken die geknechteten Völker Europas, die unter das Joch der deutschen Räuber geraten sind, als auf ihre Befreier. Eine große Befreiungsmission ist euch übertragen worden. So seid denn dieser Mission würdig! Der Krieg, den ihr führt, ist ein Befreiungskrieg, ein gerechter Krieg. Möge euch in diesem Krieg das heldenmütige Vorbild eurer großen Vorfahren beseelen - Alexander Newskis, Dmitri Donskois, Kusma Minins, Dmitri Posharskis, Alexander Suworows, Michail Kutusows! Möge euch das siegreiche Banner des großen Lenin Kraft verleihen!

Für die völlige Zerschmetterung der deutschen Eindringlinge!

Tod den deutschen Okkupanten!

Es lebe unsere ruhmreiche Heimat, ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit!

Unter dem Banner Lenins vorwärts zum Sieg!“114)

3.2.3. Die Nerven lagen blank und bloß

Am 15. November eröffneten starke Verbände der faschistischen deutschen Truppen ihre zweite Offensive gegen Moskau unter dem Kodenamen „Taifun“. Wie Shukow schrieb, waren die Gefechte am 16., 17. und 18. November „besonders schwer.115) Es begann die deutsche Offensive an der  Front, an der die von Rokossowski befehligte 16. Armee kämpfte. Es trat ein, was hätte vermieden werden können, wenn die sowjetischen Truppen rechtzeitig auf die Istra-Linie zurückgenommen worden wären, was Shukow durch Befehl verhindert hatte, wie w.o. schon erwähnt.

Am 23. November hatten die deutschen Verbände Schlüsselstellungen der sowjetischen Front bei Solnetschnogorsk und Klin durchbrochen und beide Städte eingenommen. Die Folge war, daß die sowjetischen Verbände nun auch an der ursprünglich von Rokossowski vorgesehenen Istra-Linie zurückgehen mußten. Es zeichnete sich „die akute Gefahr eines gegnerischen Stoßes auf Moskau“ ab.116)

Nur der entschlossene Widerstand der sowjetischen Truppen hat den Vormarsch der deutschen Armeen auf Moskau verhindert. Schtemenko schrieb rückblickend:

„Die Kämpfe zogen sich bis zum Dezember hin, ohne daß der Gegner nennenswerte Erfolge erzielen konnte. Sein rechter Flügel drang nur bis Kaschira vor, der linke erreichte den Moskau-Wolga-Kanal im Raum Jachroma. An einer Stelle gelang es dem Gegner sogar, den Kanal für kurze Zeit zu forcieren....“117)

Rokossowski hat sich mehrfach anerkennend über Shukow als einem „großen Heerführer“ ausgesprochen. Bezüglich ihres Zusammentreffens in den schweren Kämpfen im Vorfeld von Moskau bemerkte er: „Leider wurde unser dienstliches Verhältnis hier von Zeit zu Zeit getrübt, hauptsächlich wohl durch unsere unterschiedliche Auffassung über die Rolle und über die Form, in der die Befehlsgewalt, von der im Krieg soviel abhängt, ausgeübt wird.“118)

In dieser äußerst angespannten Situation waren die Nerven der kommandierenden Befehlshaber, einschließlich des Obersten Befehlshaber, Stalins, bis aufs äußerste gereizt, so daß es zu Mißverständnissen und sehr heftigen Auseinandersetzungen kam, wie Shukow an einer Aktion demonstrierte:

„Der Oberste Befehlshaber erhielt auf irgendeine Weise Nachricht, wir hätten die Stadt Dedowsk nordwestlich von Nachabino aufgegeben. Natürlich beunruhigte das Stalin stark, hatte doch am 28. und am 29. November die 9. Gardeschützendivision unter Generalmajor A.P. Beloborodow die wiederholten erbitterten Angriffe des Gegners im Raum Istra erfolgreich zurückgeschlagen. Doch inzwischen waren 24 Stunden vergangen, und nun hörte er, Dedowsk sei in der Hand der Faschisten.

Stalin rief mich ans Telefon: ‘Wissen Sie, daß Dedowsk besetzt ist?’

‘Nein, Genosse Stalin, das ist mir nicht bekannt.’

Der Oberste Befehlshaber hielt mit seiner Gereiztheit nicht zurück und sagte: ‘Der Oberbefehlshaber einer Front muß wissen, was bei ihm an der Front los ist.’ Ich sollte unverzüglich hinfahren, um ‘den Gegenangriff persönlich zu organisieren und Dedowsk zurückzuerobern’.

Ich versuchte. Einwände zu erheben, und sagte, daß es in einer so angespannten Lage nicht klug wäre, wenn ich den Stab der Front verließe.

‘Macht nichts, wir werden hier schon zurechtkommen. Lassen Sie für diese Zeit Sokolowski an Ihrer Stelle zurück.’

Nach diesem Gespräch setzte ich mich sofort mit Rokossowski in Verbindung und verlangte, er solle mir erklären, warum im Frontstab nichts davon bekannt sei, daß man Dedowsk aufgegeben habe. Dabei stellte sich heraus, daß nicht die Stadt Dedowsk vom Gegner genommen war, sondern daß es sich höchstens um das Dorf Dedowo handeln könne. Im Raum Chowanskoje-Dedowo-Snegiri und südlich davon war die 9. Gardedivision in ein schweres Gefecht verwickelt und hinderte den Gegner, längs der Wolokolamsker Chaussee nach Dedowsk und Nachabino vorzustoßen.

Es lag also ganz offensichtlich ein Fehler vor. Ich wollte im Hauptquartier anrufen und das Mißverständnis klären. Doch da geriet ich an den Falschen. J.W. Stalin wurde endgültig zornig und verlangte, ich solle sofort zu Rokossowski fahren und dafür sorgen, daß diese unglückselige Ortschaft unbedingt zurückerobert werde. Außerdem befahl er, ich solle den Oberbefehlshaber der 5. Armee, L.A. Goworow, mitnehmen. ‘Er ist Artillerist und soll Rokossowski helfen, das Artilleriefeuer im Interesse der sechzehnten Armee zu organisieren.’

Es hatte keinen Sinn, in dieser Situation Einwände zu erheben. Als ich dann General Goworow holte und ihm den Auftrag erklärte, suchte er mit Recht zu beweisen, daß er diese Fahrt nicht für notwendig halte. Die 16. Armee habe ihren eigenen Chef der Artillerie, den Generalmajor Kasakow, auch ihr Oberbefehlshaber wisse selbst, wie er zu handeln habe, wozu solle er, Goworow, in einer so schweren Situation seine Armee im Stich lassen. Um nicht weiter zu diskutieren, eröffnete ich dem General, daß dies ein Befehl Stalins sei.

Wir fuhren zu Rokossowski und dann weiter mit ihm zusammen in die Division zu A.P. Beloborodow. Der Divisionskommandeur war über unser Auftauchen in seiner Truppe wenig erfreut. Er hatte alle Hände voll zu tun, und jetzt sollte er noch erläutern, warum der Gegner einige Häuser im Dorf Dedowo genommen hatte, die auf der anderen Seite der Schlucht lagen.

Beloborodow meldete uns die Lage und legte recht überzeugend dar, daß es taktisch nicht zweckmäßig sei, jetzt die Häuser zurückzuerobern. Leider konnte ich ihm nicht sagen, daß ich mich in diesem Fall durchaus nicht von taktischen Erwägungen leiten ließ. Deshalb befahl ich Beloborodow einfach, er solle eine Schützenkompanie und zwei Panzer vorschicken und die Faschisten aus diesen Häusern herausschlagen. Das wurde, soviel ich weiß, im Morgengrauen des 1. Dezember getan.“119)

3.2.4. Die sowjetische Gegenoffensive vom 6. Dezember 1941

Die faschistischen deutschen Armeen wurden unter empfindlichen Verlusten zum stehen gebracht; aber auch die sowjetischen Truppen erlitten hohe Verluste. Da die Rote Armee im eigenen Land kämpfte und über ein stabiles Hinterland verfügte, konnte sie ihre Verluste ersetzen, was für die deutschen Truppen auf den langen Nachschubwegen durch ausgedehnte Partisanengebiete kurzfristig so gut wie unmöglich war. „Gegen Ende des Jahres 1941 kämpften allein im Raum Moskau über 40 Partisanenabteilungen, die mehr als 10.000 Kämpfer in ihren Reihen zählten.“ Sie töteten innerhalb kurzer Zeit 18.000 deutsche Soldaten, vernichteten 222 Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge, 6 Flugzeuge, 29 Munitions- und Verpflegungs-depots.120)

Tippelskirch nannte ein großes Partisanengebiet „von 170 km Breite und bis zu 70 km Tiefe“ im Abschnitt der deutschen Heeresgruppe Mitte. „Es war das erste einer langen Reihe, die nun hinter der Front der H.Gr. Mitte bis in das Jahr 1944 hinein von der russischen Führung planmäßig gebildet und aufrechterhalten wurden und ständiger Bekämpfung bedurften.“ Wenn sie den deutschen Nachschub auch nicht zum Erliegen gebracht hätten, so hätten sie „aber doch ständig erhebliche deutsche Kräfte gefesselt und damit der Kampfkraft entzogen und einen erheblichen Ausfall an Material verursacht, weite Gebiete der deutschen Beherrschung gänzlich verschlossen und die gutwillige Bevölkerung (?, UH) aufgehetzt und terrorisiert, so daß sie eine unaufhörliche Quelle von Unruhe und Störungen wurden.“ 121) Daß die Partisanen „weite Gebiete der deutschen Beherrschung!!! gänzlich verschlossen“ haben, gehört zweifellos zu den „Verbrechen“ Stalins. Desgleichen „die gutwillige Bevölkerung aufgehetzt!!! und terrorisiert!!!“ zu haben, soll wohl heißen, Kollaborateure unschädlich gemacht zu haben, hat Tippelskirch zweifellos mißfallen. Er kommt natürlich nicht auf die Idee, daß die segensreiche Herrschaft der faschistischen Besatzer die „unaufhörliche Quelle von Unruhe und Störungen“ gewesen sein konnte, daß die Partisanen es gar nicht nötig hatten, die „gutwillige Bevölkerung“ erst gegen die Besatzer „aufzuhetzen.“

Nachdem die deutschen Stoßarmeen in den Abwehrkämpfen genügend geschwächt und erschöpft waren, eröffneten die nördlich und südlich von Moskau - unbemerkt von der deutschen Aufklärung - bereitgestellten sowjetischen Armeen am 6. Dezember ihre Winteroffensive gegen die deutschen Armeen.

Von Norden griffen Truppen unter General Konew in Richtung Nordwest, von Süden unter Marschall Timoschenko in südwestlicher Richtung an. Die Westfront wurde von Armeegeneral Shukow befehligt.

Die sowjetische Offensive hat das faschistische deutsche Oberkommando völlig überrascht. Die deutschen Truppen wurden bis zu 600 Kilometer zurückgeworfen. Bershin beziffert die Verluste der deutschen Wehrmacht nach Abschluß der Winterschlacht mit 50 Divisionen, mehr als eine Million Soldaten und Offiziere an Toten und Verwundeten.122) Tippelskirch resümierte über die Rote Armee:

„Die Russen haben es nicht versäumt, aus ihren relativen Mißerfolgen die richtigen Lehren zu ziehen. Schon im Winter 1942/43 waren ihre Durchbrüche weit gefährlicher und erfolgreicher.“ 122a) Es ist bemerkenswert, daß Tippelskirch von relativen Mißerfolgen“ der Roten Armee spricht.

Vor Moskau war der „Blitzkrieg“ sichtbar für alle Welt endgültig gescheitert. Die Rote Armee hatte den Beweis erbracht, daß die deutschen Armeen nicht unbesiegbar waren. Zum ersten Mal waren deutsche Truppen von Truppen der Roten Armee eingekesselt worden, so 100.000 Mann im Kessel von Demjansk, ein kleineres Kontingent bei Cholm. Wenn es im Winter 1941/42 der faschistischen Führung noch gelang, den Ausbruch aus den Kesseln - unter hohen Verlusten - zu erzwingen so warfen diese Kesselschlachten bereits den Schatten für die Zukunft voraus.

„Für die deutsche Kampfführung hatte das Ergebnis diese Winters jedoch, auf längere Sicht gesehen, die verderblichsten Folgen, die sich für den späteren Zusammenbruch nicht nur der Ostfront entscheidend auswirken sollten.“ 123) Soweit kann man Tippelskirch zustimmen. Wenn er dafür in gewohnter Weise die Verantwortung Hitler allein zuschreibt und den Auswirkungen des russischen Winters, so lenkt er von der Verantwortung der Generale ab. Jedes halbwegs aufgeweckte Schulkind weiß, daß es im Winter in Rußland sehr kalt wird. Dies wußte natürlich auch General Tippelskirch. Woran Hitler und die Herren Generale gescheitert sind, war die Unterschätzung der Roten Armee, die Stabilität der sozialistischen Gesellschaftsordnung, der Widerstandswille der Völker der Sowjetunion unter Führung der KPdSU (B), der sowjetischen Generale und nicht zuletzt Stalins, der über eine hohe Autorität in der Sowjetgesellschaft und militärische Führungsqualitäten verfügte, wenn letzteres auch Fehler nicht ausschloß. Da nicht sein kann,  was nicht  sein darf, nämlich an der sozialistischen Sowjetunion zu scheitern, müssen klimatische Faktoren herhalten und die eigenen Fehlentscheidungen auf Hitler allein abgewälzt werden.

Zum ersten Mal ging die Initiative der Kriegsführung an die Rote Armee über. Die deutsche Kriegsführung meint Tippelskirch, nahm nach Moskau „geradezu pathologische Züge an“.124) Auch dem ist zuzustimmen.

Planung, Organisation und Entscheidungen an den Fronten der Winteroffensive unterlagen dem HQ. Da Stalin Oberster Befehlshaber war, hatte er nach kollektiver Beratung letztendlich zu entscheiden und trug damit die Verantwortung für die Ergebnisse. Stalin war in seinen Entscheidungen abhängig von den Informationen, die er erhielt, von den Leistungen der Industrie, Produktion von Waffen Munition, Versorgungsgütern, von der Transportkapazität bis hin zu Treib- und Schmierstoffen. Zugleich mußte er potentielle Feinde, im Fernen Osten Japan, im Kaukasus die Türkei und, wie Schtemenko betonte, auch den Iran im Auge behalten.

„Im Iran befanden sich drei unserer Armeen: die 53. Selbständige Mittelasiatische, die 47. und 44. Armee. Wir hatten sie bereits Ende August 1941 auf Grund eines im Jahre 1921 zwischen dem Iran und Sowjetrußland geschlossenen Vertrages in das Land einrücken lassen. Der Vertrag sah die Möglichkeit einer solchen Aktion für den Fall einer drohenden, den Interessen der UdSSR zuwiderlaufenden Ausnutzung iranischen Territoriums durch andere Staaten vor. Die faschistische Führung rechnete ernsthaft auf den Iran. Von hier beabsichtigte sie, nach Sowjettranskaukasien vorzustoßen und das Land im weiteren als Sprungbrett für ihre Divisionen auf dem Wege nach Indien zu benutzen. Hier berührten sich unsere Interessen mit denen Großbritanniens, das seine Truppen in die Südgebiete des Irans einrücken ließ. Die in diesem Zusammenhang erforderliche Abstimmung vieler Fragen mit dem Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten machte dem Generalstab zusätzliche Mühe.“125)

Um diese Fragen brauchte sich ein Front- oder Armeeoberbefehlshaber nicht zu kümmern. Stalin hatte dies alles in seinen Entscheidungen, in der Verteilung der Kräfte auf die einzelnen Fronten, zu berücksichtigen. So erschien manche Entscheidung, mancher Befehl Stalins den FOB bzw. AOB unverständlich, sogar fehlerhaft, was manchmal zutraf, aber nicht immer. Hinzu kam, daß auch die FOB bzw. AOB Fehler machten. Um die Zuteilung von Kräften, Armeen, Stoß-, Panzerarmeen, Artillerie, Flugzeuge kam es nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Stalin und Shukow sowie mit andren kommandierenden Generalen.

Am Vorabend der Winteroffensive gab es zwischen Stalin und Shukow ein solches Ringen um die Zuteilung der l. Stoßarmee und die 10. Armee an die Westfront, die Shukow befehligte. Wenn nicht, drohte Shukow, „...dürfte sich unsere Lage ernstlich komplizieren.“ Nach Beratung mit dem Generalstab stimmte Stalin der Zuteilung zu. Shukow hatte vorher noch den Stabschef der Front, W.D. Sokolowski, „gebeten“, seine Forderung zu unterstützen.126)

Zwei Tage vor Beginn der Offensive, am 4. Dezember fragte Stalin bei Shukow noch an: „Womit können wir Ihrer Front noch helfen außer dem, was wir Ihnen schon gegeben haben?“ Shukow forderte „Unterstützung der Flieger aus der Reserve des Oberkommandos“ sowie „mindestens 200 Panzer mit Besatzungen.“ Flieger konnte Shukow erhalten, aber: „Wir haben keine Panzer und können Ihnen keine geben.“ Stalin wies darauf hin, daß auch noch die Kalininer Front und eine operative Gruppe der Südwestfront am 5. bzw. 6. Dezember zur Offensive übergehen.127)

Verständlich, jeder FOB suchte an Kräften soviel wie nur möglich zu erhalten. Nach den Erfolgen der Winteroffensive glaubte Stalin, zur allgemeinen Offensive an der ganzen Front vom Ladogasee bis zum Schwarzen Meer übergehen zu können. Im HQ hatte er diese Frage zur Diskussion gestellt. Aus den Aufzeichnungen Shukows ergibt sich, daß er und Wosnessenski eine solche Offensive für verfrüht hielten, der Gegner noch stark sei, die materiellen Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Timoschenko war für die Offensive, man müsse „die Deutschen schneller aufreiben, damit sie im Frühjahr nicht angreifen können.“ Auf Stalins Frage, wer sich noch äußern möchte, erfolgte keine Antwort, womit die Erörterung beendet war. Nach Shukow habe Schaposchnikow ihm gegenüber geäußert, daß diese Frage vom Oberbefehlshaber schon vor der Diskussion entschieden worden war. Ob es so stimmt, muß ich offen lassen, über solche Entscheidungen haben auch andere Generale berichtet, die aber selbst auch Entscheidungen nach ähnlichen „Erörterungen“ getroffen haben.128)

Die Entscheidung Stalins erwies sich als ein ernster Fehler.

Es war ein „großer Plan - doch war er in mehreren Richtungen nicht durch die notwendigen Kräfte und Mittel gesichert. Das wirkte sich auf das Tempo und die Ergebnisse unserer ersten Winteroffensive aus. Nur die Truppen der Nordwestfront stießen erfolgreich vor, da der Gegner in ihrem Abschnitt keine durchgängige Verteidigung besaß.“ 129) Soweit Shukow.

Rokossowski, AOB der 16. Armee, kritisierte wiederum die Ergebnisse der West- und Kalininer Front, damit indirekt Shukow als deren FOB: „Ich bin bis heute der Ansicht, daß die Winteroperationen der West- und Kalininer Front nicht zu den erwarteten Ergebnissen geführt haben und unvollendet zum Stillstand gekommen sind. Während wir den Gegner zurückdrängten, gerieten wir mitunter selbst in Bedrängnis. Durch die Angriffe wurde die Frontlinie oft unnötig verlängert. Sie erhielt Vorsprünge, die der Gegner häufig abschnitt. Alle militärischen Operationen müssen auf allseitigen und gründlichen Berechnungen der Kräfte, Mittel und Möglichkeiten - sowohl der eigenen wie auch der des Gegners - beruhen.“ 130)

Für das Verständnis des Zustandekommens von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Generalen und zwischen diesen mit Stalin ist die Analyse über die Kampfhandlungen südlich von Wjasma Ende Januar 1942 nützlich.

In diesem Raum wurden hinter der deutschen Front vom 18. bis 22. Januar zwei Bataillone der 201. Luftlandebrigade und das 250. Luftlanderegiment abgesetzt, um dem Gegner die Verbindungswege abzuschneiden. Drei Divisionen der 33. Armee unter Generalleutnant M.G. Jefremow sollte im Zusammenwirken mit dem 1. Kavalleriekorps unter P.A. Below, Fallschirmjägern, Partisanenabteilungen und dem 11. Kavalleriekorps der Kalininer Front die deutsche Verteidigung durchbrechen und Wjasma befreien. 131)

Das HQ hatte befohlen, das 4. Luftlandekorps im Raum Oseretschni abzusetzen. „Da wir keine Transportfliegerkräfte hatten, wurde jedoch lediglich die 8. Luftlandebrigade mit 2.000 Mann abgesetzt.“ 132)

Das faschistische Oberkommando hatte bis Anfang Februar 1942 aus Frankreich und von anderen Fronten bedeutende Reserven nach Wjasma geworfen. Es gelang den deutschen Gruppen, die ganze Gruppierung unter Jefremow und zahlreiche Partisanenabteilungen in einem Waldgebiet einzuschließen.

Nach zwei Monaten heftigen und für die deutschen Gruppen empfindlichen Verlusten wurde die Lage Anfang April im Kessel immer kritischer. Das Frontoberkommando, also Shukow, erlaubte den Generalen Below und Jefremow, die Truppen aus der Einschließung herauszuführen und sich mit den Hauptkräften der Front zu vereinigen. Sie sollten den Kessel im Raum Kirow durchbrechen. Das 1. Kavalleriekorps und die Luftlandetruppen führten „diesen Befehl präzise aus“ und schlugen sich zu den sowjetischen Stellungen durch. 133)

Generalleutnant Jefremow meinte, dieser Weg sei für seine erschöpften Truppen zu weit und ersuchte um Erlaubnis, „auf dem kürzesten Weg zur Ugra durchzubrechen.“

Stalin fragte bei Shukow telefonisch an, ob er damit einverstanden wäre. Doch dieser lehnte „kategorisch ab.“ Stalin meinte, daß Jefremow ein erfahrener AOB sei und daß man ihm zustimmen sollte. Das HQ befahl, an der für den Durchbruch vorgesehenen Stelle mit der Front einen Stoß zu organisieren. Nach Shukow wurde diese Operation „von der 43. Armee vorbereitet und durchgeführt, doch die Gruppe Jefremows erreichte den vorgesehenen Abschnitt nicht.“

Die Gruppe wurde vom Gegner entdeckt und aufgerieben, Jefremow habe sich, schwerverwundet, erschossen, um nicht in die Hände der Faschisten zu fallen. 134)

Wem ist nun die „Schuld“ anzulasten? Wer hat „Fehler“ gemacht? Jefremow? Shukow? Stalin? Wer von den Dreien wußte damals um die Verstärkungen, die die Deutschen aus Frankreich herangeführt hatten? Alle drei hatten nach ihrer Einschätzung der Lage verantwortungsbewußt entschieden und gehandelt.

Hier sollte nur demonstriert werden, daß es nicht so einfach ist, dem einen oder anderen Feldherrn bzw. dem Obersten Befehlshaber „Fehler“ anzukreiden. Im Nachhinein sind die „kritischen Kritiker“ immer sehr weise und hätten natürlich alles „ganz anders“ gemacht. Wenn sie schon früher gelebt hätten, was wäre uns doch alles erspart geblieben!

Noch eine Begebenheit sei angeführt. Die von Rokossowski befehligte 16. Armee hatte im Zuge der Winteroffensive an der Südflügel der Westfront die strategisch wichtige Stadt Suchinitschi eingenommen. Der FOB Shukow befahl, die Stadt festzuhalten, „den Gegner durch Angriffe weiter zu zermürben und ihn daran zu hindern, sich dauerhaft festzusetzen und Kräfte zu sammeln.“ 135)

Dieser Befehl war nach Rokossowski „schwer zu erfüllen.“ Man könne den Gegner durch Verteidigungskämpfe zermürben, um ein Kräftegleichgewicht zu erreichen, aber man kann den Gegner nicht durch Angriffe zermürben und schwächen, „wenn er ein eindeutiges Kräfteübergewicht besitzt, noch dazu im strengen Winter.“ 136)

„Der Gegner war zwar von Moskau zurückgeworfen worden und hatte eine Niederlage erlitten, aber seine Verteidigungsfähigkeit war noch ungebrochen. Er hatte sich letzten  Endes festsetzen können und verlegte frische Truppen aus dem Westen an die sowjetisch-deutsche Front. Dort waren seine Streitkräfte ja durch unsere Alliierten nicht gebunden. Unsere erschöpften Soldaten konnten den Gegner lediglich bald an dieser, bald an jener Stelle zurückwerfen. Das kostete aber Kräfte, ohne daß Entscheidendes erreicht wurde. Unsere Truppen kamen nur mühsam voran. Wiederholte Besuche bei den verschiedenen Truppenteilen und an verschiedenen Abschnitten überzeugten mich davon, daß wir nicht imstande waren, einen entscheidenden Erfolg zu erzielen. Die Regimenter und Divisionen waren gelichtet, es fehlte an Maschinengewehren, Granatwerfern, Artillerie und Munition; Panzer waren nur noch wenige übriggeblieben.

Die Basis der gegnerischen Verteidigung bildeten Stützpunkte in Dörfern oder Gehölzen, die Zwischenräume waren vermint und wurden durch Feuer gedeckt. Unsere Infanterie konnte beim Angriff nur dünne Ketten bilden und mußte unter schwerem Feuer durch den tiefen Schnee waten. Die eigene Artillerieunterstützung war gering, es fehlte an Geschützen, und die Munition war knapp. Ohne den Gegner zu sehen, verausgabte unsere tapfere Infanterie ihre Kräfte lange vor dem Sturmangriff und erlitt dabei Verluste.

Ich hielt es daher für besser, die gewonnene Atempause auszunutzen, zur Verteidigung überzugehen und Kräfte und Mittel für eine mächtige Offensive zu sammeln.

Nach Angaben unseres Stabes war uns der Gegner an Kräften bedeutend überlegen. Es war doch paradox: Der Stärkere verteidigt sich und der erheblich Schwächere greift an! Und noch dazu bis an die Hüften im Schnee.“ 137)

Diese Ausführungen gab Rokossowski mit Berechnungen und Schlußfolgerungen an Shukow als FOB weiter. Er erhielt die lakonische Antwort: „Führen Sie den Befehl durch!“ 138)

Die materiell-technische Ausstattung der sowjetischen Armeen war während der Winteroffensive insgesamt äußerst begrenzt. Shukow bemerkte dazu: „Überhaupt waren die Möglichkeiten unseres Landes in jenen entscheidenden Monaten äußerst begrenzt. Der Bedarf der Armee konnte nicht so gedeckt werden, wie die Lage und unsere Aufgaben es erforderten. Wenn wir im Hauptquartier zu tun hatten, erbettelten wir buchstäblich beim Obersten Befehlshaber Panzerbüchsen, Maschinenpistolen, 10 bis 15 Panzerabwehrkanonen und geringe Mengen Geschosse und Granaten. Was wir auf diese Weise erhielten, wurde sofort auf Autos verladen und den Armeen zugeteilt, die es am nötigsten hatten. Besonders schlecht stand es mit der Munitionsversorgung. So erhielt die Front von den für die ersten zehn Januartage geplanten Munitionsmengen an 82-mm-Wurfgranaten 1 Prozent, an Artilleriegeschossen 20 bis 30 Prozent. Im ganzen erhielt die Front im Januar 1942 an 50 mm-Wurfgranaten - 2,7 Prozent, an 120-mm-Wurfgranaten - 36 Prozent, an 82-mm-Wurfgranaten - 55 Prozent, an Artilleriegeschossen - 44 Prozent. Der Februarplan wurde überhaupt nicht erfüllt. Von den geplanten 316 Waggons traf in der ersten Dekade kein einziger ein. Zum Beispiel verfügten unsere Gardewerfer über kein einziges Geschoß, und wir zogen sie deshalb ins Hinterland zurück.

Heute wird man sich kaum vorstellen können, daß wir pro Geschütz und Tag eine Norm von ein bis zwei Schüssen festlegen mußten. Und das bei einer Offensive!“ 139)

Häufig nach der Rolle Stalins während der Schlacht bei Moskau befragt, gab Shukow eine kurze, prägnante Auskunft:

„Um jene Zeit war Stalin immer in Moskau. Er organisierte die Kräfte und Mittel zur Zerschlagung des Gegners. An der Spitze des Staatlichen Verteidigungskomitees, auf die leitenden Kader der Volkskommissariate gestützt, bewältigte er eine enorme Arbeitslast zur Organisation der notwendigen strategischen Reserven und der materiell-technischen Mittel. Durch seine äußerst harten Ansprüche setzte er, das kann man schon sagen, fast Unmögliches durch.“ 140)

Es war Anfang Juli 1942, daß Rokossowski ins HQ nach Moskau beordert wurde. Er war vorgesehen, die Brjansker Front als Oberbefehlshaber zu übernehmen. „Der Empfang durch den Obersten Befehlshaber im Hauptquartier war herzlich. Stalin informierte mich in großen Zügen über die Lage in der Richtung Woronesh und sagte dann, er wolle mir bei der Komplettierung des Stabes und der Führung der Brjansker Front mit geeigneten Mitarbeitern nach meiner Wahl behilflich sein.“ 141) Stalin hielt auch hier Wort und befahl dem FOB der Westfront (Shukow, UH) sofort, die von Rokossowski genannten Generale und Offiziere abzukommandieren.

3.2.5. „...die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“142)

Es ist bemerkenswert, daß Stalin diesen bekannten Gedanken in seinem Befehl Nr. 55 vom 23. Februar 1942, zum 24. Jahrestag der Roten Armee äußerte, nachdem die unmittelbare Bedrohung von Moskau zwar abgewehrt, aber die Gefahren für die Sowjetunion noch nicht beseitigt waren. Die faschistischen deutschen Armeen hatten eine Niederlage erlitten, waren jedoch noch stark genug, um neue, gefährliche Offensiven gegen die Rote Armee zu eröffnen.

„Der Feind erleidet Niederlagen, ist aber noch nicht zerschlagen und - um so weniger - endgültig erledigt. Der Feind ist noch stark. Er wird seine letzten Kräfte anspannen, um Erfolge zu erzielen. Und je mehr Niederlagen er erleidet, um so bestialischer wird er werden.“ 143)

Die Unterscheidung zwischen dem deutschen Volk und der Hitlerclique durchzieht als Grundmotiv den gesamten Befehl. In der ausländischen Presse werde darüber geschwätzt, die Rote Armee wolle das deutsche Volk ausrotten, den deutschen Staat vernichten. Dies sei „dummes Gefasel und törichte Verleumdung der Roten Armee.“ Solche „idiotischen Ziele“ habe die Rote Armee nicht. Wahrscheinlich werde der Krieg mit der „Vertreibung oder Vernichtung der Hitlerclique“ enden. Einen solchen Ausgang „würden wir begrüßen“. Man dürfe das deutsche Volk nicht mit der Hitlerclique gleichsetzen; es folgt das oben genannte bekannte Zitat. Die Rote Armee kenne keinen Rassenhaß. In der ausländischen Presse werde manchmal darüber geschwätzt, daß die Sowjetmenschen „die Deutschen eben als Deutsche haßten“, die Rote Armee deutsche Soldaten nicht gefangen nehme. Deutsche Soldaten und Offiziere, wenn sie sich ergeben, werden gefangen genommen und ihr Leben geschont. Allerdings, wenn die deutschen Besatzungstruppen, wie die, die vor kurzem in Kalinin, Klin, Suchinitschi, Andreapol und Toropez eingekesselt waren, nach Aufforderung, sich gefangen zu geben unter Zusicherung ihres Lebens, den bewaffneten Kampf fortsetzen, dann werden sie vernichtet. „Krieg ist Krieg“. 144)

Im Befehl Nr. 130 zum l. Mai 1942 145) wiederholte Stalin einige Grund-gedanken, die er schon in seiner Rede vom 6. November 1941 geäußert hatte, fügte jedoch neue Aspekte hinzu. Seine Kritik an den „Nationalsozialisten“, daß sie weder Nationalisten noch Sozialisten seien, fand eine Ergänzung:

„Man sagt, die deutschen Faschisten seien Träger der europäischen Kultur, die Krieg führen, um diese Kultur in die anderen Länder zu tragen.“146)

Die Formulierung, „man sagt“, deutet darauf hin, daß diese „europäische Kultur“-Vision nicht nur von der Goebbelspropaganda verbreitet wurde, sondern auch in anderen Ländern, darunter neutralen, verbreitet wurde. Die von Goebbels verbreitete These, das faschistische Deutschland verteidige Europa gegen den Bolschewismus, fand in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern Akzeptanz. Der Antibolschewismus war seit 1917 nicht nur in Deutschland Kernstück der bürgerlichen Propagandainstitutionen, einschließlich der der II. sozialdemokratischen Internationale. Nach fast sechszig Jahren wird von Geschichtsrevisionisten noch immer - oder schon wieder - die These mehr oder weniger offen vertreten; Hitler habe Europa vor dem Bolschewismus gerettet!

Die „Europa“propaganda wie die These von der Vernichtung des deutschen Volkes durch die Rote Armee wurden besonders nach den Niederlagen der Wehrmacht bei Stalingrad und im Kursker Bogen von Goebbels intensiviert. Stalin meinte, daß im deutschen Volk immer mehr die Erkenntnis heranreife, daß die Niederlage Deutschlands unvermeidlich sei, daß ihm immer klarer werde, daß der einzige Ausweg in der Beseitigung der Abenteuerclique Hitler - Göring sei. 147)

Erste Zweifel in einen „Siegfrieden“ Deutschlands gab es zweifellos nach der Niederlage der deutschen Armeen vor Moskau, aber an die Notwendigkeit eines Sturzes der faschistischen Machthaber dachte erst eine Minderheit.

Der Widerstandswille der von faschistischen Truppen besetzten Länder war sicher nicht gebrochen. „Ganz Jugoslawien und die von den Deutschen besetzten Gebiete sind von den Flammen des Partisanenkrieges erfaßt.“148)

Dies war richtig. Die Widerstandsbewegung in den westeuropäischen Ländern nahm aber erst nach Stalingrad einen gewaltigen Auftrieb. Die Tendenz in der internationalen Widerstandsbewegung, der bewaffneten Resistance, hatte Stalin richtig erkannt.

In der Formulierung, daß die „Völker aller freiheitsliebender Länder“ auf die Sowjetunion schauen, als „die Kraft, die fähig ist, die Welt vor der Hitlerpest zu retten“, fand die wachsende  internationale Autorität der Sowjetunion und ihrer Roten Armee ihre Reflektion. 149)

Sicher hat die Winteroffensive der Roten Armee einen „Umschwung im Kriegsverlauf herbeigeführt.“ Nach dem zeitweiligen Rückzug sei die Rote Armee „von der aktiven Verteidigung zur erfolgreichen Offensive gegen die feindlichen Truppen übergegangen“, 150) war im Mai 1942 noch eine überzogene Formulierung. Die zweifellos „erfolgreiche Offensive“ vor Moskau hatte der „Blitzkriegsstrategie“ der faschistischen Führung ein Ende bereitet; aber die Offensive ließ sich noch nicht in die allgemeine Offensive zur „Befreiung der Sowjetgebiete“ überleiten, wobei Stalin vorsichtshalber auch von einer „Phase“ sprach. Unter militärtheoretischem Aspekt war die Winteroffensive Bestandteil der strategischen Verteidigung, die offensive Degenstöße nicht nur nicht ausschließt, sondern mit einschließt.

Stalin wiederholte, daß sie einen „Vaterländischen Krieg, einen Befreiungskrieg, einen gerechten Krieg“ führen, zur Befreiung des gesamten Landes von den deutschen Okkupanten. 151)

In seinen Schlußsätzen wies er darauf hin, daß die Rote Armee über alles verfüge, was sie braucht. „Es fehlt uns nur an einem - an der Kunst, die erstklassigen technischen Kampfmittel, die unsere Heimat zur Verfügung stellt, restlos gegen den Feind auszunutzen.“ Die Kämpfer der Roten Armee müssen „beharrlich“ lernen, „ihre Waffen bis zur Vollkommenheit zu beherrschen, zu Meistern ihrer Sache zu werden und somit zu lernen, den Feind unfehlbar zu schlagen.“ 152) Es folgt eine Aufzählung vom einfachen Soldaten bis zum Kommandeur der Truppenverbände, was zu lernen sei. Diese im Text letzten Hinweise verdeutlichen ein ernstes Problem in der Roten Armee, die zum Teil unzureichende Qualifikation der Kämpfer. Die Bildungsrückstände aus der Zarenzeit konnten in der kurzen Friedensperiode von 20 Jahren (1920 - 1941) nicht vollständig überwunden werden. Die allgemeine Grundschulpflicht konnte erst ab 1930 durchgängig eingeführt werden. Im gleichen Jahr waren noch 37,4 Prozent der Sowjetbevölkerung Analphabeten.152a) Die Produktion qualitativ hochwertiger moderner Waffen und ihre Auslieferung an die Rote Armee waren das eine, ihre Anwendung, ihre Wartung, und, wenn nötig, Beseitigung von Störungen und Reparaturen, das andere. Stalin wußte, die Rote Armee hatte im Kampf noch viel zu lernen, mußte unter mörderischen Kampfbedingungen lernen, was im Frieden unter den konkreten objektiven Bedingungen noch nicht gelernt werden konnte. Die Jahrhunderte währende Zarenherrschaft hatte einen langen Schatten.

4. Stalingrad

4.1. Über die Hauptstoßrichtung der deutschen Armeen im Sommer 1942 - Diskussionen im Hauptquartier

Über die Stalingrader Schlacht gibt es eine kaum noch überschaubare kriegsgeschichtliche Literatur.153) Im vorliegenden Beitrag geht es nur um den einen Aspekt dieser Schlacht, die Rolle Stalins als Oberster Befehlshaber.

Die Situation an den Fronten wird daher nur insoweit in kurzer, zusammengefaßter Form tangiert, als für die Beurteilung der Tätigkeit Stalins in dieser Kriegsperiode erforderlich ist.

Nach Abschluß der Moskauer Schlacht gab es im HQ, im Generalstab und in den Stäben der Fronten Erwägungen und Diskussionen, an welchen Fronten eine neue Offensive der deutschen Truppen zu erwarten sei. Die Meinungen gingen dabei auseinander. Nach den Erinnerungen Shukows nahm Stalin an, daß der Gegner im Sommer 1942 große Angriffsoperationen in zwei strategischen Richtungen unternehmen werde, gegen Moskau und im Süden.

Die Moskauer Richtung bereitete Stalin die größte Sorge, weil dort über 70 deutsche Divisionen konzentriert waren. Glaubte Stalin unmittelbar nach der Moskauer Operation 1941/42 noch  in einer Offensive an der ganzen Front übergehen zu können, so hatte er sich rasch davon überzeugt, daß die Rote Armee noch nicht über die notwendigen Mittel für große Angriffsoperationen verfügte, die Kräfte des Gegners noch stark waren und sich die Rote Armee folglich auf eine aktive strategische Verteidigung beschränken sollte. Kleinere Angriffsoperationen sollten zugleich auf der Krim, im Raum Charkow, in den Richtungen Lgow - Kursk und Smolensk sowie vor Leningrad und Demjansk erfolgen.154)

Schaposchnikow, Chef des Generalstabs, war „im Prinzip“ der gleichen Meinung wie Stalin. Er wollte jedoch sich auf die strategische Verteidigung beschränken und von kleineren Angriffsoperationen absehen. Bis zum Sommer sollte der Gegner durch die Verteidigung erschöpft und geschwächt werden. Nach Bildung von Reserven sollte dann im Sommer die Rote Armee zu einer groß angelegten Offensive übergehen.

Shukow war der gleichen Meinung wie Schaposchnikow, wollte aber zu Beginn des Sommers die faschistische Gruppierung im Raum Rshew - Wjasma zerschlagen. Dort hätte der Gegner „gewaltige Kräfte konzentriert.“155)

HQ und Generalstab hielten übereinstimmend die Richtung Orjol - Tula und Kursk - Woronesh für besonders gefährdet. Von dort aus konnte ein Vorstoß zur Umgehung Moskaus erfolgen.

Shukow stimmte Stalins Prognose im wesentlichen zu, wollte jedoch - wie auch Schaposchnikow - auf kleinere Angriffsoperationen verzichten, da sie die Reserven verschlingen würden und somit die Vorbereitung zur Generaloffensive erschweren würden. Er habe Stalin vorgeschlagen, „in erster Linie mächtige Stöße in der westlichen strategischen Richtung zu führen, um die Gruppierung des Gegners im Raum Wjasma - Rshew zu zerschlagen.“156) Shukow orientierte also auf die Zerschlagung des Gegners in der westlichen Richtung. Differenzen bestanden demnach zwischen Stalin, Schaposchnikow und Shukow bezüglich der taktischen Erwägungen - kleinere Angriffssoperationen innerhalb der strategischen Verteidigung oder nicht -, nicht bezüglich der strategischen Hauptrichtung. Die Hauptgefahr wurde von allen drei an der Westfront, Wjasma - Rshew, Orjol - Tula, Hauptstoßrichtung Moskau, gesehen.

Da die Frage der Hauptrichtung der deutschen Offensive von strategischer Bedeutung und sehr kompliziert war, ordnete Stalin eine Beratung an, auf der die Gesamtlage und mögliche Varianten zur Diskussion standen.

Diese Beratung fand Ende März im Staatlichen Verteidigungskomitee statt. An ihr nahmen teil: Woroschilow, Timoschenko, Schaposchnikow, Wassilewski, Bagramjan und Shukow.

Wie Generalleutnant Bagramjan (später Marschall der Sowjetunion), Chef der operativen Gruppe der Südwestfront, schrieb, war Timoschenko der Meinung, daß an der Südwestfront eine „günstige Ausgangslage“ bestand, von der aus man Charkow, das vom Gegner besetzt war, von Norden und Süden umfassen und einnehmen könnte. Der Kriegsrat der Südwestfront sei der Meinung, erklärte Timoschenko, „daß das faschistische Oberkommando mit Sommerbeginn seine Hauptanstrengungen auf Moskau richten wird, um unsere Hauptstadt zu erobern. In der Südwestrichtung wird sich der Gegner mit einem Nebenstoß begnügen. Diese Ansicht teilt auch das Hauptquartier. Ausgehend davon“, erläuterte Timoschenko, „könnten wir unter Ausnutzung des Erreichten im Sommer in der Südwestrichtung mehrere zusammenhängende Angriffsoperationen unternehmen, um Charkow und das Donezbecken zu befreien. Dazu müßte die Südwestrichtung aber rechtzeitig und ausreichend mit Menschen, Kampftechnik und Munition sowie Reserven verstärkt werden.“

Timoschenko und Chruschtschow ließen sich dabei nicht nur von rein militärstrategischen Erwägungen leiten, sondern auch von dem Gedanken, durch die Befreiung des Donezbeckens und des wichtigen Industriezentrums Charkow das militärisch-industrielle Potential unseres Landes zu stärken.157)

Der Stab der Südwestfront arbeitete ein Dokument aus, das Stalin unterbreitet wurde. Darin wurden die möglichen Absichten des deutschen Oberkommandos genannt. „Nach Angaben der Agentenaufklärung und Gefangenenaussagen konzentriert der Gegner starke Reserven mit einer erheblichen Anzahl von Panzern ostwärts Gomel und in den Räumen Krementschug, Kirowograd und Dnepropetrowsk offensichtlich mit dem Ziel, im Frühjahr zu aktiven Handlungen überzugehen.

Im Augenblick läßt sich das Ausmaß dieses Angriffs nur schwer vorhersagen. Über die wahrscheinlichen Handlungsrichtungen und die operativ-strategischen Absichten des Gegners lassen sich, nur Vermutungen anstellen.

Wir meinen, daß der Gegner erneut seine Hauptanstrengungen auf Moskau richten wird. Zu diesem Zweck versucht seine Hauptgruppierung hartnäckig, ihre Lage in Moskau zu behaupten, während sich seine Reserven gegen den linken Flügel der Westfront (ostwärts Gomel und im Raum Brjansk) sammeln.

Neben Frontalangriffen gegen die Westfront wird der Gegner versuchen, mit starken Kräften der motorisierten Verbände aus dem Raum Brjansk und Orjol Moskau von Süden und Südosien mit dem Ziel zu umgehen, im Raum Gorki die Wolga zu erreichen und die Hauptstadt von den wichtigen Industrie- und Wirtschaftszentren des Wolgagebietes und des Urals zu isolieren.

Im Süden ist ein Angriff starker Kräfte des Gegners zwischen dem Nördlichen Donez und der Bucht von Taganrog mit dem Ziel zu erwarten, den Unterlauf des Don und im weiteren die Ölfelder im Kaukasus zu erreichen.

Dieser Angriff wird wahrscheinlich von einem Nebenstoß auf Stalingrad und von Landungsoperationen an der Küste des Schwarzen Meeres von der Krim aus begleitet werden.

Um den Einsatz seiner Hauptkräfte gegen Moskau und den Kaukasus zu sichern, wird der Gegner zweifellos versuchen, aus dem Raum Kursk einen Nebenstoß auf Woronesh zu führen.

Sollten diese Kräfte den Raum Woronesh-Liski-Waluiki erreichen, verlieren wir die wichtigen Bahnlinien, die Moskau mit dem Donezbecken und dem Kaukasus verbinden.

Die meteorologischen Bedingungen ermöglichen es, im Süden Mitte April und im Norden in der ersten Maihälfte umfangreiche Gefechtshandlungen zu entfalten.

Geht man aber von den Vorteilen aus, die der gleichzeitige Übergang starker Kräfte zum Angriff an allen Fronten mit sich bringt, so ist anzunehmen, daß der Gegner Mitte Mai dieses Jahres mit entschlossenen Angriffshandlungen beginnen wird.“158)

Aus diesem Dokument wird ersichtlich, daß auch Timoschenko den Hauptstoß gegen Moskau erwartete, im Süden einen „Angriff starker Kräfte“ mit dem Ziel, die Ölfelder des Kaukasus zu erobern. Der Gegner werde seine Hauptkräfte gegen Moskau und den Kaukasus einsetzen. Timoschenko zog also die Südrichtung in seine Prognose mit ein, allerdings auch nicht als die Hauptstoßrichtung.

Der Vorschlag, eine begrenzte „operative Angriffshandlung“ gegen Charkow durchzuführen, „um die Lage unserer Truppen in der strategischen Südwestrichtung etwas zu verbessern“,159) wurde von Timoschenko unterbreitet. Es handelte sich bei dem Angriff im Raum Charkow also nicht um eine „strategische Offensive.“

In der w.o. genannten Beratung im Staatlichen Verteidigungskomitee unterstützte Woroschilow den Vorschlag Timoschenkos. Shukow erklärte sich wiederholt gegen mehrere Angriffsoperationen.160)

Die Meinungen waren also nicht einheitlich bezüglich der taktischen Varianten. Nach der Beratung folgte die Direktive Stalins, Operationen auf der Krim, im Raum Charkow und in anderen Richtungen vorzubereiten und durchzuführen. Stalin hat also keineswegs im „Alleingang“ entschieden, sondern nach kollektiver Beratung, wobei die Mehrheit der Teilnehmer, nicht nur Stalin, der Meinung waren, daß der Hauptstoß der deutschen Armeen an der Westfront in Richtung Moskau, mit Umgehungsversuchen von Südwesten, erfolgen wird. Der Plan für die Operation Charkow wurde von Bagramjan ausgearbeitet. „Am Abend des 30. März wurde er von Stalin, Schaposchnikow und Wassilewski in unserem Beisein durchgesehen und gebilligt.“161) Abschließend bemerkte Bagramjan: „Sowohl aus strategischer als auch aus operativer Sicht war die Absicht des Oberkommandos richtig, im Mai 1942 die Charkower Operation zu beginnen, gründete sie sich doch auf die damals im Hauptquartier weit verbreitete Meinung, daß das faschistische Oberkommando mit Beginn der Sommeroffensive seine Hauptkräfte in Richtung Moskau und Teilkräfte gegen die Südwestrichtung einsetzen würde. Diese Ansicht teilten nicht nur der Generalstab und das Hauptquartier, sondern auch die Oberbefehlshaber der meisten Fronten, unter ihnen der Oberbefehlshaber der Südwestrichtung. Ich hielt ebenfalls an dieser Meinung fest.“162)

Sowohl die Operationen auf der Krim als auch die zur Befreiung Charkows endeten in einer Niederlage. Als Ursache für die Niederlage der Angriffsoperation im Raum Charkow nannte Shukow „vor allem die Unterschätzung der ernsten Gefahr, die die südwestliche strategische Richtung in sich barg... Für diese Operation waren nicht die notwendigen Reserven des Hauptquartiers konzentriert worden.“163)

Bagramjan sah die Hauptursache für das Scheitern der Charkower Operation darin, daß das HQ und auch die Führung der Südwestrichtung glaubten, daß der Hauptstoß des deutschen Oberkommandos auf Moskau erfolgen würde, im Süden nur ein Nebenstoß zu erwarten sei. Ausführlich zitiert er aus einem späteren Artikel von Wassilewski aus dem Jahre 1965:

„Im Sommer und Herbst 1941 handelte die stärkste gegnerische Gruppierung in der strategischen Richtung Moskau, wo erbitterte Schlachten entbrannten. Diese für uns tragischen Ereignisse waren uns noch frisch im Gedächtnis. Im Winterfeldzug 1941/42 konnten unsere Truppen den Gegner zwar von Moskau zurückwerfen, unsere Hauptstadt blieb aber weiter bedroht. Bis Ende April 1942 stand die stärkste gegnerische Gruppierung nach wie vor am Mittelabschnitt der sowjetisch-deutschen Front. Angesichts dieser Tatsache kamen das Hauptquartier und der Generalstab zu falschen Schlüssen: Sie nahmen an, das Kriegsgeschehen würde sich mit Beginn des Sommers erneut vorwiegend bei Moskau abspielen und der Gegner gerade hier, in der zentralen Richtung, wieder versuchen, uns entscheidend zu schlagen.

... Nach dem Winterfeldzug 1941/42 - der Gegner war unseren Streitkräften an Menschen und Ausrüstung immer noch beträchtlich überlegen, und einsatzbereite Reserven sowie materielle Ressourcen fehlten uns seinerzeit - kam man im Generalstab zu der festen Überzeugung, für unsere Fronten müsse die Hauptaufgabe im Frühjahr und zu Beginn des Sommers 1942 in einer zeitweiligen strategischen Verteidigung bestehen.

...Der Oberste Befehlshaber stimmte den Schlußfolgerungen und Vorschlägen des Chefs des Generalstabes zu, befahl aber, in verschiedenen Richtungen Angriffsoperationen zu planen, um zum einen die operative Lage zu verbessern und zum anderen dem Gegner bei Angriffsoperationen zuvorzukommen. Dementsprechend waren Operationen bei Leningrad, im Raum Demjansk, in den Richtungen Smolenks und Kursk-Lgow, im Raum Charkow und auf der Krim vorgesehen.

—Die Ereignisse im Sommer 1942 haben deutlich gemacht, daß uns der Übergang zur zeitweiligen strategischen Verteidigung an der gesamten sowjetisch-deutschen Front, der Verzicht auf die Durchführung von Angriffsoperartonen - zum Beispiel solcher wie bei Charkow - dem Land und seinen Streitkräften die schwerwiegenden Niederlagern erspart und uns die Möglichkeit geboten hätten, wesentlich früher zu Angriffshandlungen überzugehen und die Initiative erneut zu übernehmen.

Die Fehler des Hauptquartiers und des Generalstabes bei der Planung der Gefechtshandlungen für den Sommer 1942 wurden im weiteren beachtet, besonders im Sommer 1943, als über den Charakter der Gefechtshandlungen im Kursker Bogen entschieden wurde.“164)

Also auch Wassilewski sah die Hauptursache der schweren Niederlage der Roten Armee im Süden im Frühjahr 1942 in der falschen Bestimmung der vermutlichen Hauptstoßrichtung des Gegners Richtung Moskau. Stalin habe an dieser Auffassung bis Juli festgehalten.165)

Weiter oben wurde nachgewiesen, daß Stalin nicht allein diese fehlerhafte Prognose vertrat. Aber als Oberster Befehlshaber, der die letzte Entscheidung trifft, trug er die Verantwortung für die Niederlage, der er sich auch nicht entzog. Shukow bemerkte dazu: „Stalin hatte begriffen, daß die Schwierige Lage im Sommer 1942 auch die Folge seines persönlichen Fehlers war, den er bei der Durchsetzung des Planes für die Kampfhandlungen im Sommerfeldzug 1942 begangen hatte. Er suchte nicht unter den führenden Genossen des Hauptquartiers und des Generalstabs nach andren Schuldigen.“166)

Bagramjan bestätigte aus seiner Sicht die Haltung Stalins über die Niederlage an der Front bei Charkow. Bei der Auswertung der Ergebnisse „gab sich Stalin ruhig und zurückhaltend... Er hätte uns ernste Vorwürfe wegen unserer Fehler machen können, aber Stalin behandelte die ganze Angelegenheit ruhig und mit großer Würde.“ Bagramjan meinte, „daß die Selbstbeherrschung in der Führung der Kampfhandlungen einer der bemerkenswertesten Züge Stalins war. Er wirkte sich auf seine Tätigkeit als Militär, Politiker und Heerführer positiv aus.“167)

Bei den Fehleinschätzungen des HQ und des Generalstabes ist zu berücksichtigen, daß die Informationen über den Gegner lückenhaft waren. Was die Generale in den ersten Jahren bzw. Jahrzehnten in ihren Erinnerungen aus Dokumenten des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) anführen konnten, war ihnen zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Entscheidungen zu trafen hatten, nicht bekannt.

Bagramjan führt eine Zusammenstellung des Wehrmachtsführungsstabes des OKW vom 6. Juni 1942 über den Zustand der deutschen Wehrmacht an:

„Obwohl dem Ostheer in der Zeit vom 22. 2. 41 - 1. 5. 1942 1.100.000 Mann als Ersatz aus der Heimat zugeführt wurden (nicht gerechnet die unmittelbar aus den Lazaretten zur Feldtruppe zurückgekehrten Genesenen), wird das Ostheer am 1. 5. 42 voraussichtlich 625.000 Fehlstellen gehabt haben; sie entfallen im wesentlichen auf die fechtende Truppe. Es verfügen die Verbände der Heeresgruppe Süd über etwa 50%, der Heeresgruppe Mitte und Nord über etwa 35% ihrer ursprünglichen infanteristischen Kampfkraft. Bis Operationsbeginn ist mit Auffüllung der Divisionen der Heeresgruppe Süd auf volle Stärke, bis August 1942 mit Auffüllung der Divisionen der Heeresgruppe Mitte und Nord (je Div. nur 6 Btl.) auf 55% ihrer ursprünglichen infanteristischen Kampfkraft zu rechnen.“ Und weiter: Die „Pz. Div. der Heeresgruppen Mitte und Nord werden nur über je 1 Pz. Abt. verfügen... Die großen Kfz-Ausfälle während des Winterfeldzuges - vom 1. 11. 41 bis 15. 3. 42 75.000 Kfz, bei einer Zuführung von nur 7000 Kfz - und die hohen Ausfälle an Pferden - vom 1. 11 .41 bis 15. 3. 42 rund 180.000 bei nur 20.000 Ersatz - haben die Möglichkeit der Wiederherstellung der vollen Beweglichkeit des Heeres bis zum Operationsbeginn wesentlich beeinträchtigt... Luftwaffe: Zahlen der einsatzbereiten Flugzeuge im Durchschnitt auf 50-60% des Standes vom 1. Mai 1941 abgesunken. Bei der Flakartillerie stark erhöhte Bestände, aber Mangel an Personal... Die Wehrkraft der Wehrmacht, bedingt durch die Unmöglichkeit einer vollen personellen und materiellen Auffrischung im ganzen gesehen geringer als im Frühjahr 1941.“168)

„Leider waren unserem Oberkommando damals viele dieser für uns so außerordentlich notwendigen Angaben nicht bekannt. Dem Hauptquartier und dem Generalstab fehlte die Möglichkeit, den wahren Zustand des Gegners mit der erforderlichen Vollständigkeit zu bestimmen.

Dank den heroischen Anstrengungen der Kommunistischen Partei und des Sowjetvolkes war die Gesamtstärke unserer Roten Armee bis zu Beginn der Sommeroffensive 1942 auf 5,1 Millionen Mann gestiegen; sie verfügte über 44.900 Geschütze und Granatwerfer, fast 3900 Panzer und rund 2200 Kampfflugzeuge. Das faschistische Deutschland und seine Verbündeten hatten zu diesem Zeitpunkt an der sowjetisch-deutschen Front rund 6,2 Millionen Mann, 3229 Panzer und Sturmgeschütze, 3395 Kampfflugzeuge und 56.941 Geschütze und Granatwerfer.

Aus dieser Gegenüberstellung ist leicht zu erkennen, daß uns der Gegner personell nach wie vor überlegen war. Das quantitative und starke qualitative Übergewicht an Kampfflugzeugen sicherte dem Gegner die erdrückende Luftherrschaft. Bei Panzern waren wir zwar spürbar überlegen, aber ein beträchtlicher Teil blieb von den Gefechtseigenschaften her hinter den Deutschen zurück.“   169)

4.2. Befehl Nr. 227 vom 28. Juli 1942

Am 28. Juni 1942 begann die deutsche Sommeroffensive Richtung Kaukasus. Nach der Weisung Nr. 41 für die deutsch-sowjetische Front vom 5. April 1942 waren als Ziel der Sommeroffensive die Eroberung der Ölgebiete des Kaukasus vorgesehen. Aus den heute bekannten Dokumenten des OKW geht eindeutig hervor, daß die Wehrmacht nicht mehr die Kraft hatte, an der gesamten Front anzugreifen, sondern sich auf einen Abschnitt, den Süden, beschränken mußte. Moskau war nicht mehr das Ziel. Auch Stalingrad bildete nicht das Hauptziel, wenn auch ein sehr wichtiges. Die Stadt sollte „erreicht“ werden, oder durch Einsatz schwerer Waffen soweit zerstört werden, daß sie als „Rüstungs- und Versorgungszentrum“ ausfällt.

Immerhin betrug die Mannschaftsstärke der Wehrmacht am 4. April 1942 noch über 8.672.000 Mann. Allerdings waren die Kerntruppen der Wehrmacht bereits im wesentlichen zerschlagen.170)

An der Sommeroffensive der faschistischen deutschen Wehrmacht nahmen die 2., 6. und 17. Armee, die 1. und 4. Panzerarmee, die 4. Luftflotte, die 2. ungarische und 3. rumänische Armee teil. Am 3. Juli erreichte die 4. Panzerarmee den Don und errichtete auf dem linken Ufer einen Brückenkopf. Am 4. Juli eroberte die 11. Armee Sewastopol nach monatelangem Widerstand der sowjetischen Truppen.

Nunmehr erfolgte eine Teilung der deutschen Verbände in eine Heeresgruppe A, die in Richtung Kaukasus vorstieß, und eine Heeresgruppe B, die in Richtung Stalingrad vorging. Am 6. Juli standen deutsche Truppen vor Woronesh.

Am 12. Juli bildete das sowjetische HQ die Stalingrader Front. Mit der Eröffnung des Angriffs der Heeresgruppe B in Richtung Stalingrad am 17. Juli begann die Stalingrader Schlacht. Am 19. Juli gelangten deutsche Panzerverbände an den Unterlauf des Don und stießen zügig in Richtung Kaukasus vor. Am 26. Juli erreichten Truppen der 6. Armee den großen Donbogen, etwa 80 km von Stalingrad entfernt. Am 23./24. Juli nahmen die deutschen Truppen zum 2. Male Rostow am Don ein.

Die deutsche Sommeroffensive war für die Existenz der Sowjetunion nicht weniger gefährlich als die Offensive vom Jahre 1941. Auch wenn die deutsche Wehrmacht im Winter 1941/42 unwiederbringliche Verluste erlitten hatte, war sie noch immer eine ernste Bedrohung für die Sowjetunion. Die Rote Armee hatte ebenfalls hohe Verluste erlitten, die auch nicht mehr unbegrenzt ausgeglichen werden konnten. In der sowjetischen Kriegsliteratur sind Zahlenangaben über die eigenen Verluste nicht zu finden, von einzelnen Angaben an einigen Abschnitten abgesehen. So gibt Generalleutnant Antipenko die Verluste der 1. und 2. Belorussischen und 1. Ukrainischen Front für die Berliner Operation April 1945 mit 300.000 Toten an.170a) Es ist verständlich, daß während des Krieges keine Zahlen veröffentlicht wurden. Offenbar bestanden auch nach dem Kriege Vorbehalte, Zahlen anzugeben. So ist in den Berichten der Generale auch meistens nur von „hohen“ oder „schweren“ Verlusten die Rede. Insgesamt werden für den Großen Vaterländischen Krieg die Verluste an Menschen mit 10 Prozent der Gesamtbevölkerung, etwa 20 Millionen Menschen, angegeben, wobei in diese Berechnungen die Verluste der Zivilbevölkerung in den von den Faschisten besetzten Gebieten mit einbezogen sind.170b)

Das war, kurz skizziert, die Situation, in der der Befehl Nr. 227 des Volkskommisars für Verteidigung vom 28. Juli erlassen wurde.

Dieser Befehl wird in den Erinnerungen der Generale nur auszugsweise zitiert. Vor allem werden dessen politisch-ideologischen und psychologischen Wirkungen dargestellt.

Dieser Befehl zeigt in schonungsloser Offenheit den Ernst der Lage. Nach der Aufzählung der Verluste an Land, Ukraine, Weißrußland, der baltischen Länder und des Donezgebietes, der Verluste an Brot, Metallen, Werken und Fabriken, an über 70 Millionen Landesbewohnern, die abgeschnitten waren, folgt die Feststellung, „daß wir den Deutschen weder an Menschenreserven noch an Getreidevorräten überlegen“ sind. „Ein weiterer Rückzug ist gleichbedeutend mit unserem Untergang und dem unserer Heimat.“ Es sei „höchste Zeit“, „den Rückzug einzustellen“. „‘Nicht einen Schritt zurück!’ muß von nun an unsere wichtigste Parole sein. Man muß hartnäckig sein, bis zum letzten Blutstropfen jede Stellung, jeden Meter Sowjeterde verteidigen, man muß sich an jedes Stück Boden klammern und dieses bis zur letzten Möglichkeit verteidigen.“

Fabriken und Werke im Hinterland arbeiteten vorzüglich, die Front erhielt immer mehr Flugzeuge, Panzer und Granatwerfer. Hauptmangel sei fehlende „Ordnung und Disziplin in den Kompanien, Bataillonen, Regimentern, Divisionen, in den Panzereinheiten, in den Geschwadern der Luftwaffe.“ „Darin besteht unser größter Fehler.“ In der Armee sei „strengste Ordnung und eiserne Disziplin einzuführen.“ Kommandeure, die eigenmächtig die Stellungen aufgeben, seien nicht länger zu dulden. Desgleichen sei nicht zuzulassen, daß „einige Panikmacher ... andere zum Rückzug verleiten und damit die Front dem Feind öffnen. Die Miesmacher und Feiglinge müssen auf der Stelle vernichtet werden.“

Der Befehl enthielt Hinweise auf Strafkompanien und Strafeinheiten in der faschistischen deutschen Armee, die nach dem Rückzug im Winter 1941/42 eingeführt wurden, um die sich lockernde Disziplin in der deutschen Wehrmacht wieder zu festigen. Sie hätten damit Erfolg gehabt. Die Deutschen kämpften jetzt besser als im Winter, hätten eine „gute Disziplin“ obwohl sie nur „um das räuberische Ziel“ kämpften, „ein fremdes Land zu unterwerfen.“ „Unsere Truppen dagegen haben das hohe Ziel, ihre bedrängte Heimat zu verteidigen.“ Nur aus Mangel an Disziplin erlitten sie Niederlagen. „Wie unsere Vorfahren beim Feind lernten und ihn nachher besiegten, müssen wir es auch tun.“

Es folgt der Befehl des Oberkommandos der Roten Armee zur Aufstellung von StrafbatailIonen sowie von drei bis fünf gut bewaffneten Einheiten bis zu 200 Mann im Armeebereich, die „unmittelbar hinter unzuverlässigen Divisionen einzusetzen sind und die Aufgabe haben, im Falle eines ungeordneten Rückzugs der vor ihnen liegenden Divisionen jeden Flüchtenden und jeden Feigling zu erschießen und damit dem ehrlichen Kämpfer bei der Verteidigung seiner Heimat beizustehen.“

Dieser Befehl war in allen Kompanien, Schwadronen, Batterien und Stäben zu verlesen.171)

Dieser Befehl darf nicht, nach 50 Jahren!, nach abstrakten moralischen Kriterien be- und verurteilt werden, wie es häufig geschieht. Es gibt auch keinen Grund, ihn nicht zu veröffentlichen.

Dieser Befehl ist ein historisches Dokument, das den Ernst der Situation der Sowjetunion im Juli 1942 kennzeichnet. Nicht der Befehl war „babarisch“, wie in bürgerlichen und auch „linken“ Publikationen zu lesen, sondern barbarisch war der Einfall der faschistischen deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion, ein ordinärer Raub- und Eroberungskrieg, der in der Konsequenz zur Versklavung der „slawischen“ und „asiatischen“ „Untermenschen“, d.h., der Bevölkerung der Sowjetunion, zum großen Teil sogar ihrer physischen Ausrottung führen sollte. Diese Zielstellung der Faschisten ist aktenkundig belegt und aus den von den Faschisten besetzten Gebieten der Sowjetunion empirisch bewiesen. Es sei hier lediglich auf die berüchtigten Tischreden Hitlers im Führerhauptquartier verwiesen.171a)

Die Völker der Sowjetunion standen im wahrsten Sinne vor der Hamlet-Frage: „Sein oder Nichtsein.“ Außergewöhnliche historische Situationen erforderten auch außergewöhnliche Maßnahmen.

Es kann auch kein Gleichheitszeichen zwischen den Maßnahmen der faschistischen deutschen Wehrmacht zur Festigung der militärischen Disziplin und denen der Roten Armee gesetzt werden, worauf der Befehl auch ausdrücklich verweist. Der Gegensatz zwischen einem imperialistischen Raub- und Eroberungskrieg und einem Befreiungskrieg kann nicht durch Analogien zwischen beiden Seiten aufgehoben werden, wie es Vertreter der Totalitarismusdoktrin, als „Barbarei“ der „beiden Diktatoren“ geschieht. Die Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen bleibt ein unverzichtbares Axiom der marxistisch-leninistischen Militärtheorie und ist auf die historische Bewertung dieses Befehls anzuwenden.

Stalin betonte in diesem Befehl den Charakter des Krieges als Verteidigung der Heimat. Der Klassenaspekt des Krieges war dem nationalen Interesse, der Verteidigung der Heimat, untergeordnet. Der Große Vaterländische Krieg war Teil des Zweiten Weltkrieges, den Stalin von Anfang an als antifaschistischen Befreiungskrieg bezeichnete. Die Staaten der Anti-Hitler-Koalition waren mit Ausnahme der UdSSR kapitalistische Staaten. Die Klasseninteressen fielen in diesem Krieg mit dem gemeinsamen, dem allgemeine Interesse der Völker der Anti-Hitler-Koalition zusammen, der Verteidigung ihrer nationalen Unabhängigkeit gegen faschistische Barbarei. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Führungen der kapitalistischen Staaten der Anti-Hitler-Koalition auf ihre speziellen kapitalistischen Interessen etwa verzichtet hätten. Aber auch sie waren gezwungen, nicht zuletzt unter dem Druck der Volksmassen in ihren Ländern, ihre spezifischen Interessen dem Kampf gegen die faschistische Koalition unterzuordnen. Es waren die Volksmassen, die den Charakter des Krieges als antifaschistischen Befreiungskrieg bestimmten, nicht die herrschende Finanzoligarchie in diesen Staaten.

Die Zerschlagung der faschistischen Koalition, deren Hauptmacht das faschistische Deutschland  war, bildete die Voraussetzung für die Realisierung der Klasseninteressen der internationalen Arbeiterklasse. Dieser antifaschistische Charakter des Krieges wurde dadurch verstärkt, daß die Kommunisten in allen Ländern an vorderster Front kämpften, in der Resistance eine dominierende Rolle einnahmen. Die Sowjetunion war die Hauptmacht der Anti-Hitler-Koalition. In den sowjetischen Streitkräften, Armee und Seekriegsflotte,  kämpften Ende 1941 bereits 1,3 Millionen Kommunisten, doppelt so viel wie zu Anfang des Krieges.172)

Wenn der Klassenaspekt dem antifaschistischen Charakter des Krieges auch untergeordnet war, so blieb er während des ganzen Krieges jedoch latent vorhanden. Der antifaschistische Charakter des Krieges hinderte die Regierungen Großbritanniens und der USA nicht, ihre imperialistischen Interessen während des Krieges zu behaupten, was besonders in der Problematik der Errichtung der zweiten Front deutlich werden sollte, wie noch zu zeigen sein wird.

Shukow streifte den Befehl Nr. 227 nur kurz mit der Bemerkung, daß er durchgreifende Maßnahmen zur Bekämpfung von Panikmachern und Leuten vorsah, die gegen die Disziplin verstießen. Der Befehl verurteile alle Rückzugsstimmungen... Die Forderung „Keinen Schritt zurück!“, müsse zum eisernen Gesetz für die Truppen werden. Die Wirkung des Befehls wurde durch die politische Arbeit unterstützt.173)

Der AOB der  47. Armee im Kaukasus, Generalmajor Gretschko (später Marschall der Sowjetunion) schrieb:

„Der Befehl Stalins hatte eine gewaltige Bedeutung für die Festigung des politisch-moralischen Zustands der Armee, für die Erziehung zur eisernen militärischen Disziplin und Ordnung sowie zur hartnäckigen Verteidigung.

Zur Durchführung des Befehls war es notwendig, in kürzester Zeit jedem Soldaten und Offizier diese Forderungen bewußtzumachen. Für diese Arbeit entsandten die Politverwaltung der Front und die Politabteilungen der Armeen viele Politarbeiter in die Verbände und Truppenteile, die zusammen mit den Kommandeuren den Soldaten die Forderungen und die Notwendigkeit des Befehls eindringlich erläuterten.

Überall in den Truppenteilen und Einheiten fanden Partei- und Komsomol-versammlungen statt, auf denen über die Festigung der militärischen Disziplin und über den Kampf gegen Panikmacher beraten wurde. In den Einheiten berieten außerdem die Agitatoren in Seminaren konkrete Formen und Methoden für die Erläuterung der grundlegenden Forderungen des Befehls. Die Initiatoren dieser Maßnahmen, deren Grundlage die Forderung der Partei ‘Keinen Schritt zurück!’ bildete, waren die Kommunisten. Sie sprachen über die schwierige Lage an der Front, über die Gefahr, die der sowjetischen Heimat drohte, und riefen die Armeeangehörigen auf ihre Verantwortung gegenüber dem Schicksal des Landes zu erkennen und zu verstehen, daß es um die Existenz des Sowjetstaates, um das Leben der Völker der UdSSR ging.“174)

General Tschuikow, AOB der 62. Armee in Stalingrad (später Marschall der Sowjetunion) erinnerte sich, daß der Befehl Nr. 227 „in der politischen Arbeit jener Tage eine große Rolle spielte. Ungeschminkt wurde gesagt, wie gefährlich sich alles zugespitzt hatte und was zu tun war, um die Gefahr abzuwenden.“175) Tschuikow zitierte ausführlich wichtige Passagen aus dem Befehl.

„Seitdem die Armee den Befehl kannte, Verteidigungsstellungen zu beziehen, waren Kommandeure und Politarbeiter bei den Soldaten. Sie marschierten mit ihnen zu den vordersten Stellungen, und sie überwanden wie sie in Gewaltmärschen die Weiten der Steppe. Die Politarbeiter erläuterten die Aufgaben, die vor der Armee standen, und erklärten Taktik und Methoden des Gegners. Nun war der historische Befehl Nr. 227 eingetroffen, er leitete eine neue Etappe in der politischen Arbeit ein. Ohne etwas zu beschönigen konnten die Politarbeiter jetzt den Soldaten die tatsächliche Lage klarmachen und fordern, daß alle Befehle exakt ausgeführt würden. Die Kommandeure aller Ebenen erkannten, daß der Rückzug kein Allheilmittel mehr war. Es wäre jedoch naiv zu glauben, erst der Befehl hätte einen Umschwung in der Psyche der Soldaten bewirkt. Er drückte vielmehr aus, was seit Beginn des Sommerfeldzugs bei uns allen herangereift war. Ohne daß sich Hunderttausende unserer tragischen Lage bewußt geworden wären, hätte der Befehl allein nichts erreicht. Schmerz, Zorn und Erbitterung beherrschten unsere Soldaten in den Tagen des schweren Rückzugs. Viele wandten sich an mich. ‘Daß wir im vergangenen Jahr zurückgingen, ist verständlich’, sagten sie. ‘Der überraschende Schlag, der Verlust vieler Flugzeuge und Panzer, bevor wir den Kampf aufnehmen konnten. Jetzt aber haben wir Panzer, Flugzeuge, überhaupt Waffen, und könnten den Feind zum Stehen bringen. Warum also gehen wir zurück?’

In jenen Tagen lagen dem Stab bereits Angaben über Reaktionen des Gegners auf diesen Befehl vor. Eigentlich hätte man annehmen können, daß er trotz des Bewußtseins seiner Kraft und seiner Überlegenheit wenigstens beunruhigt wäre. Das Gegenteil traf zu. Der Kommandeur eines deutschen Korps hatte beispielsweise nichts eiligeres zu tun, als seinerseits einen Befehl zu erlassen, in dem er seinen Soldaten versicherte, Stalins Befehl sei für den Gang der militärischen Ereignisse bedeutungslos. Doch schon wenige Tage später mußte sich der General berichtigen. In einem zweiten Befehl wies er seine Offiziere warnend darauf hin, daß mit verstärktem Widerstand der Russen gerechnet werden müsse. Und der ehemalige faschistische Offizier Hans Doerr schreibt, daß etwa seit dem 10. August verstärkter Widerstand des Gegners festzustellen gewesen sei.“176)

General Bagramjan, AOB der 16. Armee an der Westfront, erklärte, daß der Befehl Nr. 227 „im Mittelpunkt“ der umfangreichen politischen Arbeit stand. „Die Kommandeure und Politarbeiter erläuterten jedem Soldaten den Inhalt dieses Befehls, damit alle, vom einfachen Soldaten bis zum General, den Ernst der Lage im Süden begriffen. Die einfachen und treffenden Worte dieses Dokuments ließen keinen gleichgültig. Sie weckten das unbändige Streben, den verhaßten Gegner bis zum letzten Blutstropfen zu bekämpfen.“177) Der Befehl hatte „wesentlichen Einfluß auf die Kampfmoral unserer Soldaten und Offiziere...“178) „In wenigen Tagen ergriff dieser Befehl Besitz von unserem Denken und Fühlen.... Nicht ein einziger Truppenteil verließ ohne Befehl seine Stellungen.“179)

Auffallend ist, daß in den Abschnitten über den Befehl Nr. 227 bei den von mir durchgesehenen Erinnerungen der Generale die unübersehbaren Weisungen über die Errichtung von Strafkompanien und Kriegsgerichten, zur Erschießung von „Flüchtenden“ und „jedem Feigling“ keine Erwähnung fanden. Aus dem Befehl ging doch klar hervor, daß es Feiglinge, Panikmacher, aus den Stellungen Flüchtende auch unter den Soldaten und Offizieren der Roten Armee gab.

Die durch die Situation bedingten scharfen Strafbestimmungen waren die notwendige Ergänzung zu den Appellen an das Ehrgefühl der Soldaten und Offiziere. Keine Armee der Welt kam bisher ohne eine Militärjustiz aus, wobei die Strenge der Gesetze den konkreten Kampfbedingungen angepaßt waren. Solange Klassen, Klassenkampf, Staaten und Armeen existieren, solange der Krieg eine Gesetzmäßigkeit des Imperialismus bleibt, wird es auch in Zukunft eine Militärjustiz; Kriegsgerichte geben; wobei die Unterscheidung nach dem Klasseninhalt zu treffen ist, nach dem Klassencharakter des Staates und den Armeen. Unter diesem Klassenaspekt gibt es keinerlei „Gleichheitszeichen“ zwischen den Kriegsgerichten der Sowjetunion und denen des  faschistischen Deutschlands.

4.3. Die „Zweite Front“

In seinem Bericht zum 25. Jahrestag der Oktoberrevolution vom 6. November 1942 nannte Stalin das Fehlen der zweiten Front als Hauptgrund für die Niederlagen der sowjetischen Truppen im Frühjahr und Sommer 1942.

Die Deutschen konnten „alle ihre Reserven zusammenziehen und sie an die Ostfront“ werfen. Das „Fehlen einer zweiten Front in Europa“ gab „ihnen die Möglichkeit ..., diese Operation ohne jedwedes Risiko durchzuführen. Der Hauptgrund der taktischen Erfolge der Deutschen an unserer Front in diesem Jahr besteht also darin, daß das Fehlen einer zweiten Front in Europa ihnen die Möglichkeit gab, alle freien Kräfte an unsere Front zu werfen und am südwestlichen Abschnitt ein großes Kräfteübergewicht zu erzielen.“180)

Die Frage der Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich waren ein wesentlicher Bestandteil des Briefwechsels zwischen Stalin und Churchill und Roosevelt. Ab Juli 1942 nahm die Auseinandersetzung zwischen Stalin und Churchill eine sehr intensive, sogar polemische Form an. Der Grund dafür lag in der Eröffnung neuer Angriffe der Heeresgruppe B in Richtung Stalingrad und der Heeresgruppe A in Richtung Kaukasus. An der deutsch-sowjetischen Front reifte eine Entscheidungsschlacht heran. In seinem Memorandum an Churchill vom 13. August 1942 berief sich Stalin auf das während des Besuchs Molotows in London am 12. Juni veröffentlichte gemeinsame englisch-sowjetische Kommuniqué, in dem die Errichtung einer zweiten Front in Europa für das Jahr 1942 zum Ausdruck gebracht worden war.

Damit sollten die Deutschen veranlaßt werden Truppen von der Ostfront abzuziehen und somit die Lage der sowjetischen Truppen zu erleichtern. Das sowjetische Oberkommando habe bei der Aufstellung der Pläne für seine Sommer- und Herbstoperationen mit der Errichtung einer zweiten Front in Europa im Jahre 1942 gerechnet. Die Weigerung der britischen Regierung, eine zweite Front in Europa zu eröffnen, habe „der gesamten sowjetischen Öffentlichkeit ... einen schweren moralischen Schlag versetzt, die Lage der Roten Armee an der Front erschwert und die Pläne des sowjetischen Oberkommandos beeinträchtigt.“

Durch diese Weigerung, die zweite Front im Jahre 1942 zu eröffnen, würde sich aus den dadurch entstehenden Schwierigkeiten der Roten Armee „zweifellos auch die militärische Lage Englands und der anderen Verbündeten verschlechtern...“

Das Jahr 1942 würde nach seiner und der Meinung seiner Kollegen „die günstigsten Bedingungen für eine zweite Front in Europa“ bieten, „da fast alle deutschen Truppen, und dabei die besten Kräfte, an der Ostfront konzentriert sind und in Europa nur eine unbedeutende Anzahl von Streitkräften zurückblieb, die darüber hinaus noch die schlechtesten sind.“ Ob 1943 ebenso günstige Bedingungen für die zweite Front vorhanden sein würden, könne man nicht wissen. Wir „halten es für möglich und nötig, gerade im Jahre 1942 die zweite Front zu errichten.“181)

In der Antwort Churchills in seinem Aide-Memoire an Stalin vom 14. August verwies dieser auf das „Unternehmen Torch“, die vorgesehene Landung anglo-amerikanischer Truppen in Nordafrika im Oktober. Mit diesem Unternehmen würde auch der „Weg für das Jahr 1943“ vorbereitet werden. Es folgt eine militär-taktische Begründung, warum eine Landung in Nordfrankreich 1942 eine „riskante und nutzlose Operation“ sein würde. Die Deutschen wären nicht veranlaßt, Truppen von der Ostfront abzuziehen. Sie, Großbritannien und die USA, hätten „kein Versprechen gebrochen.“ Churchill verwies auf einen Abschnitt 5 seines Memorandums vom 10. Juni 1942 an Molotow, in dem es „ausdrücklich“ hieße: „Wir können deshalb keine Versprechen geben.“ Die „Gespräche über eine anglo-amerikanische Invasion in Frankreich in diesem Jahr (1942, UH) hätte „beträchtliche Luft- und Landstreitkräfte (der deutschen Wehrmacht, UH) an der französischen Kanalküste gebunden.“ Es folgt die Versicherung, „unserem russischen Verbündeten mit allen uns möglichen Mitteln zu helfen.“182)

Bei diesem Briefwechsel ist die Angabe der Daten zu beachten. Stalin sprach von Festlegungen im englisch-sowjetischen Kommuniqué vom 12. Juni, Churchill von einem Aide-Memoire vom 10. Juni an Molotow, also einem Dokument, das vor dem gemeinsamen Kommuniqué Molotow überreicht wurde. Churchill erwähnt nur den Abschnitt 5 des Aide-Memoires. Im Abschnitt 8, den Churchill nicht erwähnt,  ist die Verpflichtung zur Errichtung der zweiten Front deutlich enthalten, als „das wichtigste von allem“, wobei von einer Landung britischer und amerikanischer Truppen auf dem europäischen Kontinent „in großem Maßstab im Jahre 1943“ vorgesehen war.183)

Die Formulierungen Churchills waren so verfaßt, daß sie interpretierbar waren. Die Behauptung Churchills, daß die „Gespräche!“ über eine Invasion in Frankreich das deutsche Oberkommando allein schon veranlaßt hätten, „beträchtliche Luft- und Landstreitkräfte“ in Nordfrankreich zu binden, ist nicht seriös. Als wenn sich die faschistische Führungsriege von „Gesprächen“ beeindrucken ließ!

Die USA hatten in den ersten acht Monaten des Jahres 1942 neben anderen Truppenteilen vier Divisionen der US-Army, die 1., 5. und 34. Infanteriedivision und die 1. Panzerdivision, insgesamt etwa 157.000 Mann, ohne Verluste durch deutsche U-Boote!, nach Großbritannien gebracht.184) Die Landungstruppen für „Torch“ wurden auf 500 Transportern unter Geleitschutz von 350 Einheiten der US-Navy über den Atlantik nach Nordafrika gebracht,185) unter geringen Verlusten.

Es ist nicht einzusehen, warum bei Konzentration der angloamerikanischen Streitkräfte die Errichtung einer zweiten Front in Frankreich 1942 nicht möglich gewesen sein soll.  Die Befestigungen an der Kanalküste, der sogenannte „Atlantik-Wall“, waren nicht unüberwindlich, wie sich 1944 erweisen sollte.

Inwiefern „Torch“ eine Entlastung für die Rote Armee bedeuten sollte, konnte im sowjetischen HQ und Generalstab nur Verwunderung auslösen. Zur Zeit des Telegrammwechsels standen in Nordafrika 4 (vier!) deutsche und 12 (zwölf!)  italienische, insgesamt 14 (vierzehn!) Divisionen. An der deutsch-sowjetischen Front befanden sich zu diesem Zeitpunkt 179 deutsche, 22 rumänische, 14 finnische, 10 italienische, 13 ungarische, 1 slowakische und 1 spanische, insgesamt 240 Divisionen!

Hinter der Argumentation Churchill stand etwas anderes. Die Offensive gegen das Afrikakorps sollte die Faschisten von Ägypten, vom Suez-Kanal abdrängen, sie zerschlagen, Druck auf Italien und die Türkei ausüben. Das lag im Interesse der britischen Imperialisten, um die Verbindungswege zu ihrem Kolonialreich, vor allem Indien, sowie zu den Ölfeldern im Mittleren Osten offen zu halten und den Weg zum Balkan zu öffnen.

Im Kontext des Zweiten Weltkrieges war Nordafrika ein Nebenkriegsschauplatz. Trotz aller gegenteiliger Behauptungen britischer und westdeutscher Militärhistoriker, der Sieg der britischen Truppen bei El Alamein am 20. November (Einnahme von Benghasie durch  britische Truppen) war weder kriegsentscheidend noch der „grundlegende Umschwung“ im Zweiten Weltkrieg. So kam nach Tippelskirch „den Ereignissen in Nordafrika im Rahmen des Gesamtgeschehens die weitreichendere Bedeutung“ zu, wenn auch „das deutsche Heer und mit ihm das deutsche Volk durch die Katastrophe von Stalingrad weit stärker, weil unmittelbarer und handgreiflicher betroffen“ war.185a)

Die englische 8. Armee bei El Alamein verfügte lediglich über sieben motorisierte Divisionen, drei Panzerdivisionen und sieben selbständige Panzerregimenter, denen die noch schwächeren deutsch-italienischen Verbände gegenüberstanden.186)

Selbst unter dem Aspekt britischer Interessen waren die Schlachten um Stalingrad und im Kaukasus von weitaus größerer Tragweite als in Nordafrika. Wie Hitler vorhatte, wollten die Faschisten nach ihrem Sieg im Kaukasus weiter nach Persien und Indien vorstoßen. Mit den eroberten Ölgebieten in Mittelasien würden die faschistischen deutschen Truppen die britische Herrschaft im Nahen Osten und Indien erschüttern, in denen es profaschistische und antibritische Kräfte gab. Ob die anglo-amerikanischen Truppen in Nordafrika dies hätten verhindern können, bleibt eine spekulative Frage.

Es geht hier nur darum, festzustellen, daß die Entscheidungsschlacht des Zweiten Weltkrieges in Stalingrad heranreifte. Vom Ausgang dieser Schlacht hing im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur das Schicksal der Sowjetunion, sondern auch das der Partner der Anti-Hitler-Koalition ab.

In einem hatte Churchill sicher recht. Eine Invasion in Nordfrankreich wäre nicht ohne Verluste durchführbar gewesen. Eine solche Landungsoperation war auch nicht ohne Risiko. Als ob es im Kriege „risikofreie“ Operationen geben würde! Im britischen Interesse lag es jedoch, die Verluste die Rote Armee tragen zu lassen, die eigenen Streitkräfte zurückzuhalten, um in der Endphase des Krieges, wenn die Rote Armee und die deutsche Wehrmacht genügend ausgeblutet sind, mit frischen Kräften auf dem Schlachtfeld zu erscheinen. Natürlich, so etwas konnte Churchill an Stalin nicht schreiben. Andere haben dies sehr deutlich gesagt.

Die Strategie Churchills läßt sich zusammenfassen: Zweite Front, ja, aber erst dann, wenn die Rote Armee die deutschen Truppen soweit geschwächt hat, daß eine Invasion mit geringstem Risiko, mit geringsten Verlusten möglich ist.

Über die Möglichkeiten zur Errichtung einer zweiten Front in Frankreich 1942 schrieb Admiral Kusnezow in seinen Erinnerungen:

„Die schärfste Polemik entbrannte im Jahre 1942. Ein Meinungsaustausch über die Eröffnung einer zweiten Front fand im August 1942 statt, als Churchill in Moskau weilte. Obwohl diese Frage bereits im Juni 1942, als sich Molotow in London befand, positiv entschieden worden war, erklärte der britische Premier in Moskau, daß eine solche Operation in nächster Zukunft nicht zu erwarten sei. Indessen war die Notwendigkeit, die zweite Front zu eröffnen, wohl niemals so deutlich zu spüren gewesen wie gerade in jenem unvergeßlich schweren Sommer 1942.

Die westlichen Verbündeten drückten sich vor der Eröffnung der zweiten Front im Jahre 1942, als das nicht nur die Lage dringend erforderte, sondern selbst schon Vereinbarungen getroffen waren. Diese Tatsache bleibt unbestreitbar.

Ich möchte mit wenigen Worten meine Ansichten dazu äußern, ob das Anlanden von Truppen in Frankreich möglich gewesen wäre.

Heute weiß die Welt, daß rein politische Erwägungen für das Hinauszögern der zweiten Front bestimmend waren. Die Formel ‘nicht in den Kampf der Deutschen und Russen eingreifen, solange keine dringende Notwendigkeit dazu besteht’, funktionierte einwandfrei. Als ehemaliger Oberbefehlshaber der Seekriegsflotte der UdSSR möchte ich nur die militärische Seite dieser Angelegenheit berühren.

1942 war der größte Teil der faschistischen Truppen an der sowjetisch-deutschen Front gebunden. Der Gegner erlitt große Verluste, und die faschistische Führung mußte darauf verzichten, in Frankreich die erforderliche Anzahl von Divisionen zu belassen. Diese Tatsachen, die die Grundlage für die Eröffnung der zweiten Front im Jahre 1942 bildeten, waren Churchill und Roosevelt durchaus bekannt.

Die Gefahr einer Landung alliierter Truppen in Frankreich erkannten auch die faschistischen Generale. Nach dem Kommandountenehmen der Engländer im März 1942 in St. Nazaire berief Hitler sofort eine Beratung ein. Alle anwesenden Generale wiesen einmütig auf die Notwendigkeit hin, an der französischen Küste die Truppen zu verstärken. Die verhältnismäßig geringe Anzahl von Heeresverbänden sollte durch Fliegerkräfte, durch die Marine und durch den Bau starker Küstenbefestigungen ausgeglichen werden.

Der Landungsversuch der westlichen Alliierten an der nordfranzösischen Küste bei Dieppe hatte die deutschen Befürchtungen hinsichtlich der Eröffnung der zweiten Front in Westeuropa weiter verstärkt. Doch Großbritannien und die USA dachten überhaupt nicht daran, 1942 die zweite Front in Frankreich zu eröffnen.

Die Show von Dieppe sollte dem sowjetischen Verbündeten und auch der die zweite Front fordernden eigenen Bevölkerung klarmachen, daß es 1942 unmöglich sei, auf dem europäischen Kontinent dauerhaft zu landen.

Die Aktion bei Dieppe im August 1942 war keine militärische Operation mit weitreichenden Zielen, sie war ein politisches Manöver der Westmächte, das die Unmöglichkeit beweisen sollte, 1942 die zweite Front in Westeuropa zu eröffnen. Die Tatsachen bestätigen, daß 1942, als unsere Regierung die Eröffnung der zweiten Front forderte, auch reale Möglichkeiten bestanden hatten, in Westeuropa den Zweifrontenkrieg gegen das faschistische Deutschland zu beginnen. Die Verbündeten zogen es jedoch vor, in Afrika an Land zu gehen und der Sowjetunion die Hauptlast des Krieges gegen den Faschismus zu überlassen.

Die politischen Führer Großbritanniens und der USA wollten sich nicht mit der Eröffnung der zweiten Front beeilen, solange sich auf dem Hauptkriegsschauplatz in Osteuropa nicht ein endgültiger Umschwung nach der einen oder nach der anderen Seite ergeben hatte. Das haben Memoirenschreiber und andere Publizisten des Westens in aller Ausführlichkeit ausgeplaudert.

Wenn man im Westen an die zweite Front dachte, zog man auch die Lage im Fernen Osten in Betracht. Die USA hofften insgeheim, daß Japan schließlich doch noch die Sowjetunion angreifen würde. Wäre das geschehen, wäre es Amerika gelungen, den Schlag von seinen Interessensphären im Stillen Ozean in unsere Richtung abzulenken.

Unter den verschiedenen Gründen für die Verzögerung der zweiten Front spielte auch die Meinung einiger einflußreicher britischer Militärs eine Rolle, die der Ansicht waren, die Sowjetunion würde bald eine Niederlage erleiden. Es war daher nicht die Hauptaufgabe der britischen Militärmission in Moskau, Fragen einer eiligen Hilfe für den Verbündeten zu klären. Einflußreiche britische Kreise interessierte etwas anderes, nämlich die Lage an der sowjetisch-deutschen Front. Sie wollten wissen, wie lange sich die Rote Armee halten könnte.

Wir vertraten den begründeten Standpunkt, daß Großbritannien mit seiner starken Flotte im Norden einen Druck auf die faschistischen Kräfte ausüben könnte. Das Seegebiet um den Varanger Fjord bot sich für Handlungen Flottenkräfte an, da hier die Seeverbindungen des Gegners nach Kirkenes und Petsamo verliefen. In diesem Seeraum war der Gegner nach Ansicht des Hauptstabes unserer Seekriegsflotte am meisten verwundbar.

Wie ich mich erinnere, versuchte ich nach dem Austausch von Botschaften zwischen den Regierungschefs der UdSSR und Großbritanniens bei Konteradmiral Miles herauszubekommen, was die britische Admiralität in dieser Richtung praktisch zu tun gedachte. Aus seinen vorsichtigen Äußerungen entnahm ich, daß von der britischen Marine keine ernsthaften Handlungen zu erwarten waren. Ihre Unterstützung beschränkte sich vorläufig auf die Entsendung einiger Minensuchschiffe und -boote nach Archangelsk, die helfen sollten, den Geleitzugverkehr aufrechtzuerhalten. Außerdem griffen britische Fliegerkräfte am 30. Juli von Flugzeugträgern aus Kirkenes und Petsamo an, und Anfang August trafen in der Kola-Bucht zwei U-Boote - ’Tigris’ und ‘Trident’ - ein. Die Marine des ‘Beherrschers der Meere’ leistete ihrem Verbündeten eine spärliche Hilfe! Erfolgreicher verliefen die Verhandlungen über die Geleitzüge.187)

4.4. „lend and lease“ - PQ 17188)

Es wird wiederholt behauptet, daß die Sowjetunion den Sieg über die faschistischen  Aggressoren nur dank der materiellen Hilfe, der Lieferungen von militärischen Ausrüstungen und Lebensmitteln aus den USA und Großbritannien erringen konnte.

Zunächst mal erfolgten Lieferungen nicht nur in einer Richtung, von West nach Ost, sondern auch umgekehrt. Trotz  ihrer äußerst angespannten wirtschaftlichen Lage verschiffte die Sowjetunion Rohstoffe nach Großbritannien und in die USA.

Während der Zeit, in der die Sowjetunion militärische Ausrüstungen, Flugzeuge, Panzer, LKW u.a. am nötigsten brauchte, 1941/42, besonders vor und während der Stalingrader Schlacht,  erhielt  die  Sowjetunion  am wenigsten. Nach offiziellen US-Berichten erhielt die UdSSR im letzten Quartal 1941 von den USA und aus Großbritannien 750 Flugzeuge, darunter nur 5 Bomber, 501 Panzer und leichte Flak,  während nach Protokoll geliefert werden sollten: 1.200 Flugzeuge, einschließlich 300 Bomber, 1.500 Panzer und 50 Flak. Nach dem amerikanischen Historiker Ivan Spector war die Rote Armee bis zum späten Frühjahr 1943 fast ausschließlich auf sowjetische Ressourcen angewiesen.189) Insgesamt machten die Lieferungen während des ganzen Krieges an die Sowjetunion etwa 4 Prozent (vier  Prozent!)  der sowjetischen Kriegsproduktion aus.190) Die Differenz zwischen den sowjetischen Angaben mit denen bürgerlicher Historiker ergeben sich nicht zuletzt daraus, daß die letzteren die Angaben aus den Protokollen übernehmen; während die sowjetischen Historiker davon ausgehen, was tatsächlich angekommen ist, und in welchem Zustand.

Über Quantität und Qualität der Lieferungen schrieb Shukow:

„Die von den Alliierten nach dem Lend-Lease-Abkommen groß angekündigte Hilfe erhielten wir nur in Mengen, die weit hinter den versprochenen zurückstanden. Natürlich war die Unterstützung mit Pulver, hochwertigem Benzin, einigen Stahlsorten, Kraftfahrzeugen und Lebensmitteln notwendig und hat zweifellos eine positive Rolle gespielt. Doch der Anteil am Gesamtbedarf unseres Landes war unbedeutend. Wir hätten viel größere Lieferungen gebraucht. Aber selbst bei dem gelieferten Material gab es Beanstandungen. Unsere Panzerfahrer und Flugzeugführer schätzten die ausländischen Typen nicht. Besonders wurden die Panzer mit Benzinmotoren abgelehnt, weil sie wie Fackeln brannten.“191)

Am 12. September 1942, als die deutschen Armeen vor Stalingrad standen und in Richtung Kaukasus vorstießen, äußerte sich Stalin auf einer Besprechung empört: „Das Sowjetvolk gibt Hunderttausende Menschenleben in seinem Kampf gegen den Faschismus, während Churchill um ein paar Dutzend Hurricane (moralisch überholtes, veraltetes englisches Jagdflugzeug, UH) feilscht. Dabei sind diese Flugzeuge Mist. Unsere Flieger haben sie nicht gern...“192)

General Gretschko zitiert aus dem Bericht eines Kommandeurs an der Kaukasusfront:

„Die Kampfeigenschaften der amerikanischen Panzer, mit denen damals einige sowjetische Truppenteile ausgerüstet waren, waren nicht sehr gut. Der Kommandeur des 131. Panzerregiments. das mit dem 4. Gardekavalleriekorps im Raum Mosdok zusammenwirkte, Oberst Tichontschuk, meldete am 14. Dezember 1942: ‘Die amerikanischen Panzer sind im Sand bedeutend schlechter. Ständig fallen die Ketten herunter, die Panzer bleiben im Sand stecken und verlieren an Leistung, wodurch ihre Geschwindigkeit außerordentlich absinkt. Da die 75-Miliimeter-Kanone in einer Blende montiert ist, sich also nicht wie bei einem Turm drehen laßt, muß beim Schießen auf gegnerische Panzer der ganze Panzer gedreht werden, der dabei in den Sand einsinkt. Das alles beeinträchtigt sehr stark die Feuerführung.“193)

Beschwerden über Mängel an den von den USA gelieferten Jagdflugzeugen vom Typ „Kitty Hawk“ kamen von sowjetischen Fliegern. „Diese Flugzeuge hatten Motor-Kugellager, die mit einer Silberlegierung ausgegossen waren. Diese Motoren fielen häufig aus.“ Die „Kitty Hawk“ standen mehr auf den Flugplätzen herum, als das sie flogen.193 a)

In seinem Brief an Rossevelt vom 7. Oktober 1942 schrieb Stalin, daß sie zeitweilig auf Lieferungen von Panzern, Geschützen, Munition, Pistolen u.a. verzichten könnten. Notwendig wäre die Lieferung der modernen Jagdflugzeuge „Aircobras“. Die „Kitty Hawk“ seien den  deutschen Jagdflugzeugen nicht gewachsen. Im Antwortschreiben erklärte Roosevelt, daß „die gesamte Produktion von ‘Aircobras’ jetzt sofort an die Front“ gehe, d.h. Nordafrika. Die UdSSR könne diese Flugzeuge nicht erhalten.193 b)

In einem anderen Brief an Roosevelt vom 18. Juli 1942 wies Stalin auf Mängel der amerikanischen Panzer hin: „Ich benutze die Gelegenheit, Ihnen für die Mitteilung über die zusätzliche Lieferung von 115 Panzern nach der UdSSR meinen Dank auszusprechen.

Ich halte es für meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß, wie unsere Experten an der Front behaupten, die amerikanischen Panzer sehr leicht durch Geschosse aus Panzerbüchsen in Brand geraten, wenn sie von rückwärts oder seitwärts getroffen werden. Die Ursache dafür liegt darin, daß das von den amerikanischen Panzern verwendete hochgradige Benzin in den Panzern eine dichte Schicht von Benzindämpfen bildet, die sich sehr leicht entzünden. Die deutschen Panzer fahren auch mit Benzin, aber das ist nicht so hochgradig und erzeugt deshalb nicht soviel Dämpfe, wodurch sie feuerfester sind. Unsere Sachverständigen sind der Meinung, daß der Dieselmotor für Panzer am geeignetsten ist.“194)

Generalleutnant N.A. Antipenko, ab Juni 1942 Stellvertreter Rokossowskis für rückwärtige Dienste an der Brjansker Front, der für die Ausrüstung, Verpflegung, Kleidung, Treibstoff, Munition etc. verantwortlich war, beanstandete die Qualität der von den USA gelieferten Lederstiefel. Sie seien von „minderer Qualität“. Bei den Stiefeln sei der Spann zu niedrig, oft riß die Sohle ab. Die Soldaten trugen lieber die alten, reparierten Stiefel, als die neuen ausländischen.194 a)

Die Lieferungen unter „lend and lease“ unterlagen eben auch den Marktgesetzen der kapitalistischen Wirtschaft. Was auf dem Binnenmarkt nicht mehr abgesetzt werden konnte, ließ sich unter „lend and lease“ noch immer realisieren und hatte obendrein noch den Vorteil, daß sich die Sowjetregierung dafür auch noch bedanken mußte.

Eingegangen in die Geschichte ist das tragische Schicksal des Geleitzuges PQ 17.

Am 27. Juni 1942 lief der bis dahin größte Geleitzug aus Island nach Murmansk aus. Er zählte 35 große, schwer beladene Frachter, 3 Rettungsschiffe und 2 Tanker zur Treibstoffversorgung der Geleitschiffe. Er wurde begleitet von 62 alliierten Kriegsschiffen: eine Sicherungsgruppe aus 21 britischen Einheiten, bestehend aus 6 Zerstörern, 4 Korvetten, 2 U-Booten, 3 Minensuchbooten, 2 Flak-Kreuzern, 4 ASW Trawler (U-Boot-Jäger); eine Kreuzergruppe, bestehend aus 7 alliierten Einheiten als Nahdeckung: 2 schwere britische Kreuzer, 2 schwere US-Kreuzer, l britischer Zerstörer/ 2 moderne US-Zerstörer; eine Fernsicherung, bestehend aus 19 alliierten Einheiten: 1 britischer Flugzeugträger, 1 britisches Schlachtschiff, 2 britische Kreuzer, 12 britische Zerstörer, 1 US-Schlachtschiff, 2 US-Zerstörer; eine Vorhut des Geleitzuges bestehend aus: 8 britischen, l freifranzösischem und 6 sowjetischen U-Booten. Eine solche Armada als Geleitschutz hatte es bis dahin in der Geschichte des Seekrieges nicht gegeben. Die anglo-amerikanischen Geleitschutzeinheiten waren dem in Nordnorwegen stationierten deutschen Geschwader, einschließlich dem modernsten deutschen Schlachtschiff, der „Tirpitz“ um das fünffache überlegen.

Am 4. Juli begannen im Nordmeer Angriffe deutscher U-Boote und Flugzeuge, die in Nordnorwegen gestartet waren. Der Geleitzug hatte „einige Verluste“ (nach Stemenko), „nur wenige“ Verluste (nach Blair).

Der verantwortliche britische Admiral (First Sea Lord) Dudley Pound nahm an!!!, daß die „Tirpitz“ und zwei andere Schlachtkreuzer, „Admiral Scheer“ und „Admiral Hipper“, mit Begleitschutz, 7 Zerstörern und 2 Torpedobooten, am 4. Juli ausgelaufen seien und mit den U-Booten und Flugzeugen den Geleitzug mit katastrophalen Folgen angreifen könnten. Er gab den Befehl, daß die Kreuzer-Gruppe den Geleitzug verlassen und nach Südwest abdrehen sollte. Der Geleitzug sollte sich auflösen, die Frachter als Einzelfahrer versuchen !!!, sowjetische Häfen anzulaufen.

Nachdem Großadmiral Raeder die Nachricht über das Abdrehen der Geleitschutz-Kreuzer erfahren hatte, ließ er am 15. Juli den deutschen Verband auslaufen.

Die Frachter von PQ 17 waren den drei deutschen Großkampfschiffen, den U-Booten und Flugzeugen schutzlos ausgeliefert.

Allein das sowjetische U-Boot K 21 unter Fregattenkapitän N.A. Lunin griff die „Tirpitz“ mit 2 Torpedos an, von denen einer traf.

Das deutsche Geschwader kehrte bereits nach 6 1/2 Stunden nach Norwegen zurück.

Die Bilanz: 24 Frachter versenkt mit 3.350 LKW und anderen Fahrzeugen, 430 Panzern, 210 Flugzeugen, 100.000 t weiteres Kriegsmaterial. 153 Seeleute der alliierten Handelsmarine fanden den Tod.

In sowjetischen Häfen konnten entladen werden: 896 Fahrzeuge, 164 Panzer, 87 Flugzeuge, 57.000 t andere militärische Ausrüstungen. 195)

Am 18. Juli erhielt Stalin von Churchill die Nachricht, daß die britischen Marine-Experten „mit dem größten Bedauern zu dem Schluß gekommen“ seien, „daß der Versuch, den nächsten Geleitzug, PQ 18, auf den Weg zu schicken, Ihnen keinen Nutzen bringen und nur einen vollständigen Verlust für die gemeinsame Sache zur Folge haben würde.“196) Es folgte die tröstliche „Versicherung“, die Geleitzüge auf der Murmansk-Route „wiederaufzunehmen“, „wenn wir die Möglichkeit finden, die eine reale Chance dafür bieten, daß zumindest ein erheblicher Teil der von ihnen transportierten Güter Sie erreicht.“197)

In seiner Antwort an Churchill vom 23. Juli erklärte Stalin, daß „unsere Marinesachverständigen ... die Argumente der britischen Marine-Experten für das Einstellen der Zufuhr von Kriegsmaterial nach den Nordhäfen der UdSSR nicht für stichhaltig“ halten, „sie sind überzeugt, daß es bei gutem Willen und bei der Bereitschaft, die übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen, möglich wäre, die Fahrten unter großen Verlusten für die Deutschen regelmäßig durchzuführen. Der Befehl der britischen Admiralität an den Geleitzug P.Q. 17, die Frachtschiffe im Stich zu lassen und nach England zurückzukehren, und an die Frachtschiffe, sich zu zerstreuen und sich ohne Geleitschutz einzeln zu den sowjetischen Häfen durchzuschlagen, ist unseren Experten unverständlich und unerklärlich. Ich bin natürlich nicht der Meinung, daß ein regelmäßiger Transport nach den nördlichen Häfen der Sowjetunion ohne Risiko und Verluste möglich sei. Aber in Kriegszeiten kann keine große Aufgabe ohne Risiko und Verluste durchgeführt werden. Ihnen ist natürlich bekannt, daß die Sowjetunion unvergleichlich größere Verluste erleidet. Jedenfalls hätte ich niemals annehmen können, daß uns die Regierung Großbritanniens die Lieferung von Kriegsmaterial gerade jetzt verweigern würde, da sie die Sowjetunion angesichts der ernsten Lage an der sowjetisch-deutschen Front besonders dringend benötigt. Selbstverständlich werden die Lieferungen über die persischen Häfen in keiner Weise den Verlust ausgleichen, der bei der Verweigerung der Transporte auf der nördlichen Route eintreten wird.“198)

Nicht nur die Sowjetregierung, auch Roosevelt legte scharfen Protest gegen diese unglaubliche Entscheidung der britischen Admiralität ein. Ein Geleitzug auf der Murmansk-Route wurde erst wieder im September von Island aus auf Kurs gebracht. Der nächste folgte erst am 22. Dezember. PQ 19 lief von Island aus; der ohne Verluste seinen sowjetischen Bestimmungshafen erreichte.-

War die Entscheidung Pounds aus militärischer Sicht gerechtfertigt? Bei der Überlegenheit der Geleitsicherung von PQ 17 gegenüber dem deutschen Verband gab es keinen Grund, vor der „Tirpitz“ und den beiden schweren deutschen Kreuzern abzudrehen. Auf Befehl Hitlers durften die teuren Großkampfschiffe keinem Risiko ausgesetzt werden, wie das vorzeitige Abdrehen des deutschen Verbandes nach 6 1/2 Stunden zeigte.

Die Gründe für diesen unverantwortlichen Befehl waren nicht militärischer, sondern politischer Natur.

Schtemenko wies darauf hin, daß es in der britischen Führung offene Feinde der Sowjetunion gab, zu denen Pound gehörte. Der Minister für Flugzeugindustrie, Moore-Brabazon, war offen feindselig gegen die UdSSR eingestellt. Er verzögerte insgeheim Lieferungen von Kriegsmaterial. Churchill war unter dem Druck der britischen Öffentlichkeit gezwungen, diesen Herrn seines Postens zu entheben.

Es gab natürlich auch andere Mitglieder der britischen Regierung, die zwar keine besonderen Sympathien für die UdSSR hegten, aber zu sachlicher Zusammenarbeit bereit waren; wie Lord Beaverbrook, Marineminister Alexander und der Stabschef der Luftstreitkräfte, Deal. Zu den Sympathisanten der Sowjetunion gehörte der britische Konteradmiral Philips.199)

Für die Tragödie von PQ 17 war eindeutig Admiral Pound verantwortlich, der auch den Tod britischer Seeleute mit in sein Kalkül zog. Normalerweise würde ein solcher Admiral vor ein Kriegsgericht gestellt werden.

Die Anti-Hitler-Koalition war eben nicht frei von ideologischen Widersprüchen, die in zugespitzten Situationen dem antifaschistischen Kampf erheblichen Schaden zufügen und unnötige Opfer an Menschenleben fordern konnten.200)

4.5. „...den Hitlerstaat vernichten - das kann man und soll man.“

Am 6. November, vierzehn Tage vor der Offensive der sowjetischen Armeen an der Stalingrader Front, gab Stalin den traditionellen Bericht zum 25. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution.201) Von den Vorbereitungen auf die Offensive wußte zu diesem Zeitpunkt nur ein sehr kleiner Kreis der Führung des HQ, des Generalstabs und des Politbüros. Die Geheimhaltung der Bereitstellung von starken Reserven, ihrer Bewaffnung und sonstigen materiell-technischen Ausrüstung hatte Freund und Feind darüber im Unklaren gelassen. Selbst die Frontoberbefehlshaber, die die Operation durchzuführen hatten, wußten nur soviel, wie sie für die Lösung ihrer Aufgaben unbedingt wissen mußten. Sie kannten natürlich die zu erreichenden taktische Ziele an ihrer Front, worüber sie ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichtet waren. Der Bericht war in erster Linie ein politischer Bericht, der in der Darstellung des bisherigen militärischen Verlaufs über schon vorher Gesagtes nicht hinausging.

Das „Hauptziel der deutschen Offensive“ im Sommer habe darin bestanden, „Moskau vom Osten her zu umgehen ....“ „Das Vorrücken der Deutschen im Süden in der Richtung auf die Erdölgebiete hatte das Nebenziel, nicht nur und nicht so sehr die Erdölgebiete zu besetzen, als vielmehr unsere Hauptreserven nach dem Süden abzuziehen und die Moskauer Front zu schwächen, um bei dem Schlag gegen Moskau um so leichter einen Erfolg erzielen zu können.“ So erkläre sich, daß sich „die Hauptgruppierungen der deutschen Truppen nicht im Süden, sondern im Gebiet Orel und Stalingrad“ befänden. „Das Hauptziel der Sommeroffensive der Deutschen bestand darin, Moskau einzukreisen und den Krieg in diesem Jahre zu beenden.“202)

Inwieweit diese Ausführungen Stalins zu den Täuschungsmanövern des HQ gehörten, die tatsächliche Stoßrichtung der Armeen der Donfront, der Südwestfront und Stalingrader Front geheim zu halten, muß ich hier offen lassen. Der Hinweis Stalins, daß der Gegner beabsichtige, „unsere Hauptreserven nach dem Süden abzuziehen und die Moskauer Front zu schwächen...“ deuten darauf hin.202 a)

Mit aller Deutlichkeit betonte Stalin als „Hauptgrund“ für die taktischen Erfolge der Deutschen im Süden das „Fehlen einer zweiten Front in Europa“. Dies habe ihnen die Möglichkeit gegeben, diese Operation „ohne jedwedes Risiko durchzuführen“. Sie hatten die Möglichkeit, „alle freien Reserven an unsere Front zu werfen und am südwestlichen Abschnitt ein großes Kräfteübergewicht zu erzielen.“

In seiner Argumentation zur zweiten Front führte Stalin historische Vergleiche bezüglich der Kräfteverhältnisse im Ersten und im Zweiten Weltkrieg an. „Anstelle der 127 Divisionen im ersten Weltkrieg haben wir ... jetzt an unserer Front nicht weniger als 240 Divisionen, und anstelle der 85 deutschen. Divisionen haben wir jetzt 179 deutsche Divisionen, die gegen die Rote Armee kämpfen.“203) (Die nichtdeutschen Divisionen stellten die jeweiligen Verbündeten Deutschlands, Rumänen, Ungarn u.a., UH)

Die Ausführungen über die Folgen des Fehlens einer zweiten Front sowie die historischen Analogien waren nicht zuletzt diplomatischer Natur, nämlich in aller Öffentlichkeit an die Adresse der anglo-amerikanischen Koalitionspartner gerichtet.

Früher oder später werde die zweite Front allerdings kommen, nicht so sehr, „weil wir sie brauchen, sondern vor allem, weil unsere Verbündeten sie nicht weniger brauchen als wir.“204)

Es folgt eine Gegenüberstellung der Kriegsziele der italienisch-deutschen Koalition mit dem Aktionsprogramm der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition. Die erstere sei bestimmt durch Rassenhaß, Herrschaft der „auserwählten“ Nationen, verfolge das Ziel der Versklavung anderer Nationen, die Vernichtung der demokratischen Freiheiten, die Aufrichtung des Hitlerregimes überall.

Stalin konnte zu diesem Zeitpunkt nicht die „Monologe“ Hitlers kennen, in denen Hitler am 26. August 1942 äußerte, daß er hoffe, „daß wir einmal die totale Hegemonie kriegen.“204a) Nicht nur Hitler, die Führer des faschistischen Regimes haben mehrfach diese Kriegsziele des deutschen Imperialismus zum Ausdruck gebracht. Hier sei nur auf die Goebbelsartikel in der 5-Wochenzeitschrift „Das  Reich“ und auf einschlägige Artikel im „Völkischen Beobachter“, dem Zentralorgan der NSDAP verwiesen.

Diesen Zielen gegenüber sehe das Aktionsprogramm der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition die Vernichtung der Rassenexklusivität vor, kämpfe für die Gleichberechtigung der Nationen, die Befreiung der unterjochten Nationen, das „Recht jeder Nation, sich nach eigenem Gutdünken einzurichten“, wirtschaftliche Hilfe für die geschädigten Nationen, Wiederherstellung der demokratischen Freiheiten, die Vernichtung des Hitlerregimes.205) Die englisch-sowjetisch-amerikanische Koalition sei bezüglich des Kräfteverhältnisses an Menschen und Material der faschistischen Koalition überlegen. Sie bestünde jedoch aus „verschiedenartigen Elementen“, habe „nicht die gleiche Ideologie.“ Dies zu leugnen, „wäre lächerlich.“ „Aber ... dieser Umstand“ schließt „die Möglichkeit und die Zweckmäßigkeit des gemeinsamen Vorgehens der Mitglieder dieser Koalition gegen den gemeinsamen Feind nicht aus.“206)

Stalin verwies auf den sowjetisch-englischen „Vertrag über das Bündnis im Kriege gegen Hitlerdeutschland und seine Helfershelfer in Europa und über die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe nach dem Kriege“ vom 26. Mai 1942, sowie über das sowjetisch - US-amerikanische „Abkommen über die Grundlagen der gegenseitigen Hilfe in der Kriegführung gegen die Aggression.“ vom Juni 1942.

Diese Ausführungen über die Beziehungen innerhalb der englisch-sowjetisch-amerikanischen Koalition trugen vor allem diplomatischen Charakter, wobei Stalin bereits die Nachkriegszeit tangierte, in der er auf friedliche und gegenseitig vorteilhafte Beziehungen der drei Mächte orientierte. Wir wissen heute, daß die Nachkriegsregierungen in den USA und Großbritannien aus - nicht nur - ideologischen Gründen die Nachkriegsvereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition brachen. Im November 1942 war dies noch nicht abzusehen. Illusionen über seine Koalitionspartner hatte Stalin jedoch nicht gehabt. Bemerkenswert und historisch bedeutsam sind seine Ausführungen über die Ziele der Sowjetunion gegenüber Deutschland, zu einer Zeit, wo die Entscheidung an der deutsch-sowjetischen Front noch ausstand.

Die Sowjetunion habe nicht eine solche Aufgabe, „wie die Vernichtung Deutschlands“. Dies sei unmöglich. „Aber den Hitlerstaat vernichten - das kann man und soll man.“ Desgleichen hätte sie nicht eine solche Aufgabe, „wie die Vernichtung jeder organisierten militärischen Kraft in Deutschland.“

Dies wäre nicht nur unmöglich, „sondern auch vom Standpunkt des Siegers unzweckmäßig.... Aber die Hitlerarmee vernichten - das kann man und soll man.“207)

Das waren nicht nur Worte. Die Zustimmung Stalins zur Bildung des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ (NKFD) am 12./13. Juli 1943 in Krasnogorsk, sein Glückwunschtelegramm zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 sowie die „Stalin-Note“ vom 10. März 1952 zur Herstellung eines einheitlichen demokratischen und friedliebenden Deutschlands bezeugen, daß seine Ausführungen vom November 1942 ernst gemeint waren.

Zum Abschluß seines Berichts folgt eine Aufzählung der beispiellosen Verbrechen der Faschisten, die vollständig zitiert werden, da von interessierter Seite diese Verbrechen verharmlost bis geleugnet werden. Es sei hier nur an die empörenden Aktivitäten von konservativen und neonazistischen Kräften gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ erinnert.

„Die hitlerschen Schurken haben es sich zur Regel gemacht, die Sowjetkriegsgefangenen zu martern, sie zu Hunderten zu morden, Tausende von ihnen eines qualvollen Hungertodes sterben zu lassen. Sie vergewaltigen und morden die Zivilbevölkerung der okkupierten Gebiete unseres Landes, Männer und Frauen, Kinder und Greise, unsere Brüder und Schwestern. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, die Bevölkerung der Ukraine. Belorußlands, des Baltikums. der Moldau, der Krim und des Kaukasus zu versklaven oder auszurotten. Nur gemeine Halunken und Schufte, jeder Ehre bar, auf das Niveau der Tiere gesunken, können sich schuldlosen und wehrlosen Menschen gegenüber solche Scheußlichkeiten erlauben. Aber das ist nicht alles. Sie haben Europa mit Galgen und Konzentrationslagern bedeckt. Sie haben das niederträchtige „Geiselsystem“ eingeführt. Sie erschießen und hängen völlig unschuldige, als ‘Faustpfand’ genommene Bürger, weil man irgendein deutsches Vieh daran gehindert hat, Frauen zu vergewaltigen oder friedliche Bürger auszuplündern. Sie haben Europa in ein Völkergefängnis verwandelt. Und das nennen sie die ‘Neuordnung Europas’. Wir kennen die Schuldigen an diesen Gemeinheiten, die Träger der ‘Neuordnung Europas’, alle diese neugebackenen Generalgouverneure und einfachen Gouverneure, Kommandanten und Unterkommandanten. Ihre Namen sind Zehntausenden von gequälten Menschen bekannt. Diese Henker sollen wissen, daß sie der Verantwortung für ihre Verbrechen nicht entgehen und der strafenden Hand der gequälten Völker nicht entrinnen werden.“208)

Es ist hervorzuheben, daß Stalin zu keiner Zeit, selbst nicht in den schwersten und bedrohlichsten Stunden für die Sowjetunion, das deutsche Volk mit den Hitler-Barbaren gleichgesetzt hat. Er hat stets diesen Unterschied betont. Er sah in der Vernichtung des faschistischen Regimes zugleich auch die Befreiung des deutschen Volkes. Dies ist festzuhalten!

4.6. Ausarbeitung des Planes zur Gegenoffensive

„Das Cannae des 20. Jahrhunderts

spielte sich nach vollendeten

Regeln klassischer Kriegskunst ab.“

Tschuikow

„Nach dem Tode Stalins tauchte die Frage auf, von wem diese in ihrem Ausmaß, ihrer Wirksamkeit und in den Ergebnissen so bedeutende Gegenoffensive geplant worden ist.“209)

Nach der berüchtigten „Geheimrede“ Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU, noch mehr nach Verkündung von „Glasnost“ von Gorbatschow; dem „Neuen Denken!“, wurde es auch in sich „links“ bezeichnenden Publikationen üblich, die Rolle Stalins in der Ausarbeitung des Planes und der Durchführung der Gegenoffensive zu ignorieren. Man darf schließlich nicht das wohlmeinende, gebildete Bürgertum verprellen und zeigt sich auch „neuen“ Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossen.

Entweder wird darüber hinweggegangen, werden keine Personen genannt, oder der Plan wird ausschließlich Shukow zugeschrieben. Zuweilen wird auch ein einzelner General, wie Tschuikow, als „eigentlicher Held“ von Stalingrad hervorgehoben, als ob ein einzelner General allein eine solche Schlacht hätte planen und durchführen können. In der sechsbändigen Geschichte der KPdSU, Bd. V, heißt es, daß Shukow und Wassilewski „den Plan der Gegenoffensive“ am 13. November in einer Sitzung des ZK der KPdSU und des HQ unterbreitet haben. „Nach eingehender Erörterung wurde er bestätigt.“ 210) Von wem wurde er bestätigt? Vom Pförtner?

Nach Bershin „bereitete das sowjetische Oberkommando gemeinsam mit den Oberkommandos der Stalingrader, der Südwest- und der Donfront eine grandiose Operation zur Einkessellung und Vernichtung der ganzen im Raum Stalingrad stehenden feindlichen Gruppierung vor.“211) Die Personen der genannten Oberkommandos (General Jeremenko, Generalleutnant Watutin, Generalleutnant Rokossowski) blieben in der Anonymität.

Nach der „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“, Moskau 1959/Berlin I960, gab es für die Gegenoffensive der Roten Armee am 19. November 1942 offenbar gar keine Planung. Sie fand einfach statt.212) In der „Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“, Moskau 1969/Berlin 1971, wird der „strategische Plan für die Zerschlagung der faschistischen deutschen Truppen vor Stalingrad...“ als „Ergebnis einer großen gemeinsamen schöpferischen Tätigkeit des Hauptquartieres, der Befehlshaber der Truppenarten und -gattungen sowie der Kommandos der Fronten“ bezeichnet.213)

Soweit im wesentlichen richtig. Dann folgt eine salomonische Formulierung: „Eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung und Verwirklichung diese Planes spielten die Vertreter des Hauptquartiers G.K. Shukow, A.M. Wassilewski und N.N. Woronow.“214)

Es ist nicht zu bestreiten, daß die genannten Generale eine „wichtige Rolle“ gespielt haben, wobei der Anteil von Shukow, - stellvertretender Oberster Befehlshaber! also von Stalin! - , sowie von Generaloberst Wassileweski, Chef des Generalstabes, noch unterbelichtet bleibt.

Zu solchen Eskapaden gelangt eine Geschichtsschreibung, die der revisionistischen und trotzkistischen Geschichtsklitterung folgt, nach der Stalin eine persona non grata zu sein hat und aus der Geschichtswissenschaft zu entsorgen ist. Es ist kein Wunder, daß eine solche „kritische“ und „selbstkritische“ Geschichtsauffassung geläuterter „linker“ Autoren den Beifall der bürgerlichen Historiographie und Publizistik findet.

Wie der Plan der Gegenoffensive und von wem er ausgearbeitet wurde, darüber hat Shukow ausführlich in seinen Erinnerungen berichtet, aus denen die wichtigsten Auszüge dokumentiert werden.

Am 27. August 1942, also nach Beginn der Stalingrader Schlacht am 17. Juli, wurde Shukow, der zu dieser Zeit die Westfront befehligte, über die Direktleitung von Stalin nach Moskau bestellt. Das Staatliche Verteidigungskomitee hatte beschlossen, ihn zum Stellvertreter des Obersten Befehlshaber, also Stalins, zu ernennen.

Shukow berichtet: „Stalin sagte, die Dinge im Süden stünden schlecht, und es könnte geschehen, daß der Gegner Stalingrad nähme. Nicht besser stünde es im Kaukasus.“ Shukow sollte umgehend in den Stalingrader Raum fliegen. Wassilewski, der sich zu dieser Zeit dort befand, sollte nach Moskau zurückkommen.215)

Nach Shukow erklärte Stalin: „Angesichts der schweren Lage in Stalingrad haben wir befohlen, die erste Gardearmee unter Moskalenko eilig in den Raum Losnoje zu verlegen und am Morgen des zweiten September mit dieser Armee und anderen Truppen der Stalingrader Front einen Gegenstoß auf die Gruppierung zu führen, die zur Wolga durchgebrochen ist. Ziel des Gegenstoßes ist es, sich mit der zweiundsechszigsten Armee (Tschuikow, UH) zu vereinigen. Zugleich werden die sechsundsechzigste Armee unter General Malinowski und die vierundzwanzigste Armee unter General Koslow an die Stalingrader Front verlegt.

Für Sie gilt es, Maßnahmen zu ergreifen, damit die erste Gardearmee am zweiten September den Gegenstoß führt und die vierundzwanzigste und sechsundzwanzigste Armee unter dieser Deckung ihre Ausgangsstellungen beziehen.... Diese beiden Armeen müssen Sie sofort einsetzen, sonst verlieren wir Stalingrad.“216)

Anfang September wurde die Lage für die sowjetischen Truppen kritisch. Die 6. Armee unter Generaloberst Paulus drang nach Stalingrad vor. Am frühen Morgen des 3. September unternahm die l. Gardearmee unter General Moskalenko einen Gegenstoß, der aber von starken deutschen Kräften aufgehalten wurde. Am Abend erhielt Shukow ein Fernschreiben von Stalin: „‘Die Lage bei Stalingrad hat sich verschlechtert Der Gegner steht etwa drei Werst vor der Stadt. Stalingrad kann heute oder morgen fallen, wenn die Nordgruppe nicht sofort Hilfe leistet. Verlangen Sie von den Oberbefehlshabern nördlich und nordwestlich von Stalingrad, daß sie unverzüglich losschlagen und den Stalingradern zu Hilfe eilen. Jede Verzögerung ist unzulässig und würde ein Verbrechen bedeuten. Setzen Sie alle Flugzeuge zur Unterstützung Stalingrads ein. In Stalingrad selbst gibt es nur wenig Fliegerkräfte.’

Ich rief Stalin unverzüglich an und meldete, ich könnte schon für den Morgen des kommenden Tages eine Offensive befehlen, die Truppen würden aber gezwungen sein, den Kampf fast ohne Munition aufzunehmen, da diese erst am Abend des 4. September zur Hauptkampflinie herangeschafft werden könne. Außerdem könnten wir nicht vor dem Abend des 4. das Zusammenwirken mit der Artillerie, den Panzern und den Fliegerkräften abstimmen. Ohne diese Vorbereitung sei aber die Offensive zwecklos.

‘Sie glauben wohl, der Gegner wird warten, bis Sie in Gang kommen? Jeremenko behauptet, der Gegner könne Stalingrad beim ersten Ansturm nehmen, wenn Sie nicht unverzüglich aus dem Norden vorstoßen.’

Ich erwiderte, ich sei nicht mit Jeremenko einverstanden und bitte um die Erlaubnis, die Offensive, wie früher vereinbart, am 5. zu beginnen. Die Fliegerkräfte würden auf meinen Befehl den Gegner sofort mit allen vorhandenen Kräften angreifen.

‘Na schön. Wenn der Gegner aber eine allgemeine Offensive auf die Stadt beginnt, greifen Sie sofort an, ohne die endgültige Bereitschaft der Truppen abzuwarten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die gegnerischen Kräfte von Stalingrad abzulenken und, wenn möglich, den Korridor zu liquidieren, der die Stalingrader Front von der Südostfront trennt.’

Bis zum Morgen des 5. September trat, wie wir auch erwartet hatten, bei Stalingrad nichts Besonderes ein. Um 03.00 Uhr rief Stalin bei Malenkow an und erkundigte sich, ob die Truppen der Stalingrader Front zur Offensive übergehen. Als er sich davon überzeugt hatte, daß sein Befehl ausgeführt wird, rief er mich nicht mehr ans Telefon.“217)

Am 5. September fanden harte Kämpfe statt, die den ganzen Tag über andauerten.

„Spätabends wurde ich wieder von Stalin angerufen.

‘Wie steht’s bei Stalingrad?’

Ich meldete, daß den ganzen Tag über sehr schwere Kämpfe getobt hatten. Nördlich von Stalingrad hatte der Gegner neue Truppen ins Gefecht geführt, die aus dem Raum Gumrak verlegt worden waren.

‘Na, das ist schon gut’, meinte Stalin. ‘Das ist eine große Hilfe für Stalingrad.’ Ich meldete weiter: ‘Unsere Truppen sind nur unwesentlich vorgedrungen und befinden sich zum Teil noch in ihren Ausgangsstellungen.’

‘Was ist denn da los?’

‘Wegen Zeitmangels konnten sie sich nicht gut auf die Offensive vorbereiten, die Artillerie konnte die Ziele und das Feuersystem des Gegners nicht gut aufklären, so daß es nicht möglich war, dessen Feuer niederzuhalten. Als unsere Truppen zum Angriff übergingen, konnte der Gegner sie durch sein Feuer und seine Gegenangriffe aufhalten. Außerdem waren uns die Fliegerkräfte des Gegners den ganzen Tag überlegen und griffen unsere Truppen ununterbrochen an.’

‘Setzen Sie Ihre Angriffe fort’, befahl Stalin. ‘Ihre Hauptaufgabe ist es, möglichst viel Kräfte des Gegners von Stalingrad abzuziehen.’

Als ich am 10. September noch einmal die Truppenteile und Verbände der Armeen besuchte, gelangte ich zu dem Schluß, daß es mit den vorhandenen Kräften und mit dieser Gruppierung unmöglich war, die Stellungen des Gegners zu durchbrechen und seinen Korridor zu liquidieren. Im gleichen Sinne äußerten sich die Generale Gordow, Moskalenko, Malinowski und Koslow.

In meiner Meldung an Stalin hieß es: ‘Mit den Kräften, über die die Stalingrader Front verfügt, ist es unmöglich, den Korridor zu durchbrechen und sich mit den Truppen der Südostfront in der Stadt zu vereinigen. Die Verteidigung des Gegners ist durch neu herangeführte Kräfte aus dem Raum Stalingrad wesentlich verstärkt worden. Unsere weiteren Angriffe mit denselben Kräften und derselben Gruppierung werden zwecklos sein und unweigerlich zu großen Verlusten führen. Wir brauchen zusätzliche Truppen und Zeit zu einer Umgruppierung, um einen konzentrierteren Stoß führen zu können. Die Armeen sind durch Einzelstöße nicht in der Lage, den Gegner zurückzuschlagen.’

Stalin antwortete, daß es nicht schlecht wäre, wenn ich selbst nach Moskau kommen und über diese Fragen berichten würde. Am 12. September flog ich nach Moskau und war schon nach vier Stunden im Kreml, wohin man auch den Chef des Generalstabs, Wassilewski, bestellt hatte.

Wassilewski berichtete von den neuesten Meldungen, nach denen faschistische Truppen aus dem Raum Kotelnikowo in den Raum Stalingrad verlegt worden seien, ferner von den Kämpfen im Raum Noworossisk und in der Richtung Grosny.

Stalin hörte sich den Bericht Wassilewskis aufmerksam an und faßte dann zusammen: ‘Sie wollen um jeden Preis an das Erdöl von Grosny herankommen. Jetzt wollen wir uns anhören, was Shukow über Stalingrad zu berichten hat.’

Ich wiederholte, was ich schon über Telefon gemeldet hatte, und sagte außerdem, daß die 24. Armee, die 1. Gardearmee und die 66. Armee, die an der Offensive vom 5. bis zum 11. September beteiligt waren, sich als kampfstarke Verbände erwiesen hätten. Ihre Hauptschwäche sei das Fehlen von wirkungsvollen Verstärkungsmitteln. Sie besaßen zuwenig Haubitzen und Panzerverbände, die man zur unmittelbaren Unterstützung der Schützentruppen brauche.

Das Gelände sei zudem für eine Offensive unserer Truppen äußerst unvorteilhaft: Es sei zu offen und andererseits durch tiefe Schluchten zerklüftet, die vor unserem Feuer guten Schutz böten. Der Gegner habe schon eine Reihe von beherrschenden Höhen genommen und könne unser Hinterland gut übersehen und mit seinem Feuer in allen Richtungen manövrieren. Außerdem feuere der Gegner aus dem Raum Kusmitschi-Akatowka-Sowchos ‘Opytnoje pole’ mit weitreichenden Geschützen zu uns herüber. Unter diesen Bedingungen könnten die 24. Armee, die 1. Gardearmee und die 66. Armee der Stalingrader Front die gegnerische Verteidigung nicht durchbrechen.

‘Was braucht die Stalingrader Front, um diesen Korridor zu liquidieren und sich mit der Südostfront zu vereinigen?’ fragte Stalin.

‘Dazu braucht sie mindestens noch eine komplette Armee, ein Panzerkorps, drei Panzerbrigaden und mindestens vierhundert Haubitzen. Außerdem muß dort während der Operation zusätzlich mindestens eine Luftarmee konzentriert werden.’

Wassilewski schloß sich meinen Berechnungen vorbehaltlos an.

Stalin holte seine Karte mit den Reserven des Hauptquartiers hervor und betrachtete sie lange. Wassilewski und ich entfernten uns von seinem Tisch und sprachen leise darüber, daß man offenbar eine ganz andere Lösung suchen müsse.

‘Was für eine ,andere’ Lösung?’ fragte Stalin und hob den Kopf.

Ich hatte nie geglaubt, daß er so hellhörig sei. Wir traten wieder an seinen Tisch.

‘Fahren Sie in den Generalstab und denken Sie gründlich darüber nach, was man im Raum Stalingrad tun muß. Was für Truppen und woher man sie zur Verstärkung der Stalingrader Gruppierung nehmen soll. Denken Sie zugleich darüber nach, was wir an der Kaukasusfront unternehmen können. Morgen um vierundzwanzig Uhr wollen wir uns wieder hier versammeln.’

Den ganzen nächsten Tag arbeiteten Wassilewski und ich im Generalstab.

Wir richteten unser ganzes Augenmerk auf die Möglichkeiten für eine Operation großen Maßstabs, um die in Aufstellung befindlichen und bereits vorhandenen Reserven nicht für örtliche Operationen zu vergeuden. Im Oktober ging bei uns die Aufstellung der strategischen Reserven zu Ende. Zu jener Zeit hatte unsere Industrie die Produktion von Flugzeugen der neuesten Konstruktionen und von Artilleriemunition wesentlich gesteigert.

Nachdem Wassilewski und ich alle möglichen Varianten erwogen hatten, beschlossen wir, Stalin folgenden Operationsplan vorzulegen. Erstens sollte der Gegner durch eine aktive Verteidigung weiter erschöpft werden. Zweitens wollten wir mit der Erarbeitung eines Plans für eine Gegenoffensive beginnen, um den Gegner im Raum Stalingrad so vernichtend zu schlagen, daß sich damit die ganze strategische Lage im Süden entscheidend zu unseren Gunsten ändern sollte.

Wir waren natürlich nicht in der Lage, im Laufe eines Tages genaue Berechnungen für die Gegenoffensive vorzubereiten, doch war es uns klar, daß die Hauptstöße gegen die Flanken der Stalingrader Gruppierung geführt werden mußten, die von rumänischen Truppen gedeckt wurden. Grobe Berechnungen ergaben jedoch, daß die notwendigen Kräfte und Mittel nicht vor Mitte November einsatzbereit sein konnten. Bei der Einschätzung des Gegners gingen wir davon aus, daß das faschistische Deutschland schon nicht mehr in der Lage war, seinen strategischen Plan für das Jahr 1942 auszuführen. Die Kräfte und Mittel, über die es im Herbst 1942 verfügte, genügten nicht, um seine Ziele im Nordkaukasus und im Raum zwischen Wolga und Don zu erreichen.

Alle Truppen, die die faschistische Führung im Kaukasus und bei Stalingrad einsetzen konnte, waren schon zu einem großen Teil erschöpft und zermürbt. Der Gegner besaß offensichtlich keine entscheidenden Kräfte mehr, die er im Süden zusätzlich in den Kampf werfen konnte, und würde zweifellos gezwungen sein, ebenso wie nach der Zerschlagung seiner Truppen vor Moskau an allen Abschnitten zur Verteidigung überzugehen.

Wir wußten, daß die besten Stoßarmeen des Gegners, nämlich die 6. Armee unter Paulus und die 4. Panzerarmee unter Hoth, in aufreibende blutige Gefechte verwickelt waren und die Operation zur Eroberung Stalingrads schon nicht mehr abschließen konnten, da sie ‘bis über die Ohren’ in den Ruinen der Stadt festsaßen....“

Am Abend des 13. Septembers um 22.00 Uhr waren Shukow und Wassilewski bei Stalin:

„‘Was habt ihr euch ausgedacht? Wer wird darüber berichten?’

‘Wie Sie wollen’, sagte Wassilewski. ‘Wir beide sind derselben Ansicht.’

Stalin trat an unsere Karte heran.

‘Was ist das da?’

‘Der vorläufige Entwurf eines Plans für die Gegenoffensive im Raum Stalingrad’, sagte Wassilewski.

‘Was sind das für Gruppierungen im Raum Serafimowitsch?’

‘Das ist eine neue Front. Sie muß geschaffen werden, um einen starken Stoß gegen das operative Hinterland der faschistischen Gruppierungen zu führen, die im Raum Stalingrad eingesetzt sind.’

‘Haben wir im Augenblick genügend Kräfte für eine so große Operation?’

Ich berichtete, wir hätten berechnet, daß in 45 Tagen die Operation mit den notwendigen Kräften gesichert und gut vorbereitet werden kann.

‘Wäre es nicht besser, nur südlich und nördlich des Don vorzustoßen?’ wandte Stalin ein.

‘In diesem Fall könnte der Gegner schnell seine Panzertruppen von Stalingrad umkehren lassen und unsere Schläge parieren’, erwiderte ich. Ein tiefer Stoß unserer Truppen westlich des Don würde dem Gegner wegen des Wasserhindernisses jedoch die Möglichkeit nehmen, schnell mit seinen Panzertruppen zu manövrieren und unseren Gruppierungen rechtzeitig entgegenzuwirken.

‘Holen Sie mit Ihren Stoßgruppierungen nicht zu weit aus?’

Wassilewski und ich erläuterten, daß die Operation in zwei Etappen eingeteilt werden müßte. In der ersten sollten wir die Verteidigung des Gegners durchbrechen, seine Stalingrader Gruppierung einschließen und eine stabile äußere Einschließungsfront schaffen, um diese Gruppierung von den anderen gegnerischen Kräften zu isolieren. Die zweite Etappe habe darin zu bestehen, seine Durchbruchs- und Entsatzversuche zu vereiteln und die eingeschlossenen Truppen zu vernichten.

‘Das muß man sich noch überlegen und unsere Reserven berechnen’, sagte Stalin. ‘Jetzt besteht die Hauptaufgabe aber darin, Stalingrad zu halten und nicht zuzulassen, daß der Gegner nach Kamyschin vordringt.’

In diesem Augenblick trat Poskrebyschew ein und meldete, daß Jeremenko am Apparat sei.

Nach dem Telefongespräch sagte uns Stalin: ‘Jeremenko meldete, daß der Gegner Panzertruppen nach Stalingrad heranzieht. Morgen müsse man einen neuen Angriff erwarten.’ Dann wandte er sich an Wassilewski. ‘Geben Sie sofort Weisung, daß die dreizehnte Gardedivision von Rodimzew unverzüglich über die Wolga geschickt wird, und sehen Sie nach, was morgen noch verlegt werden kann.’

Zu mir sagte Stalin: ‘Rufen Sie Gordow und Golowanow an, damit sie unverzüglich Fliegerkräfte einsetzen. Gordow soll frühmorgens angreifen, um den Gegner zu fesseln. Sie selbst fliegen zur Stalingrader Front zurück und beginnen mit einer Prüfung der Lage im Raum Kletskaja und Serafimowitsch. Wassilewski wird in ein paar Tagen an die Südfront fliegen, um die Lage an deren linkem Flügel zu prüfen. Wir werden unser Gespräch über Ihren Plan später fortsetzen. Was wir hier besprochen haben, darf außer uns niemand wissen.’...

Ende September wurde ich erneut zu Stalin nach Moskau bestellt, um den Plan für die Gegenoffensive zu beraten. Auch Wassilewski, der die Bedingungen für eine Gegenoffensive der Armeen des linken Flügels der Südostfront geprüft hatte, war nach Moskau zurückgekehrt.

Bevor wir ins Hauptquartier gingen, setzten wir uns zusammen und besprachen unsere Schlußfolgerungen.

Bei der Erörterung der Lage im Abschnitt der Stalingrader Front fragte Stalin nach meiner Meinung über General Gordow. Ich berichtete, daß Gordow fundierte militärische Kenntnisse besitze, aber irgendwie mit seinem Stab und mit den unterstellten Kommandeuren nicht gut auskomme.

Stalin meinte, man müsse in diesem Fall einen anderen Oberbefehlshaber an die Spitze dieser Front stellen. Ich schlug dafür Generalleutnant Rokossowski vor, auch Wassilewski stimmte meiner Empfehlung zu. Gleichzeitig wurde auch beschlossen, die Stalingrader Front in Donfront umzubenennen und die Südostfront in Stalingrader Front. Zum Oberbefehlshaber der Donfront wurde Rokossowski, zu seinem Stabschef M.S. Malinin ernannt. Als Oberbefehlshaber für die neu zu bildende Südwestfront wurde Generalleutnant N.F. Watutin vorgeschlagen.

Den Kern zur Bildung des Stabes der Südwestfront sollte der Stab der l. Gardearmee stellen. Der Oberbefehlshaber dieser Armee, Moskalenko, wurde als Oberbefehlshaber zur 40. Armee versetzt.

Nach einer ausführlichen Erörterung aller Fragen zum Plan der Gegenoffensive sagte Stalin zu mir: ‘Fliegen Sie zur Front zurück. Ergreifen Sie alle notwendigen Maßnahmen, um den Gegner noch mehr zu zermürben und zu entkräften. Schauen Sie sich noch einmal die im Plan vorgesehenen Konzentrierungsräume für unsere Reserven und die Ausgangsstellungen für die Südwestfront sowie für den rechten Flügel der Stalingrader Front an, besonders den Raum Serafimowitsch-Kletskaja. Genosse Wassilewski soll zum gleichen Zweck noch einmal den linken Flügel der Südostfront aufsuchen und dort alles prüfen, was mit dem Plan zusammenhängt.’

Nach einer sorgfältigen Überprüfung aller Bedingungen für die Vorbereitung der Gegenoffensive kehrten wir wieder ins Hauptquartier zurück, wo noch einmal alle wichtigen Einzelheiten des Plans für die Gegenoffensive besprochen und schließlich bestätigt wurden.

Die Karte mit dem Plan der Gegenoffensive wurde von mir und Wassilewski unterschrieben und von Stalin signiert.

Danach sagte er zu Wassilewski: ‘Ohne den Inhalt unseres Plans preiszugeben, muß man die Meinungen der Frontoberbefehlshaber einholen.’“218)

Aus den Erinnerungen Shukows, die von Moskalenko, Schtemenko, Tschuikow, Rokossowski aus deren Sicht bestätigt werden, geht eindeutig hervor, daß die Ausarbeitung des Planes für die Gegenoffensive durch  Shukow, Wassilewski und Stalin erfolgte unter Hinzuziehung mehrerer Generale, vor allem der FOB. Wassilewski kommt offenbar das Verdienst zu, den Plan in seinen Einzelheiten ausgearbeitet zu haben, wobei auch er eine Vielzahl von Informationen verarbeiten mußte. Schließlich war Wassilewski Chef des Generalstabs, dessen Aufgabe es war, den Plan vorzulegen. (Wassilewski hatte Schaposchnikow als Generalstabschef abgelöst, UH) Den abschließenden ausgewogenen Ausführungen Shukows über die Ausarbeitung des strategischen Plans der sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad ist wohl zuzustimmen:

„Bei den Vorarbeiten für den Plan einer so großen Gegenoffensive wie die dreier Fronten im Raum Stalingrad durfte man nicht nur von operativen Schlußfolgerungen ausgehen, sondern mußte man sich auch auf konkrete materiell-technische Berechnungen stützen.

Wer konnte diese Berechnungen über die Kräfte und Mittel für eine Operation von solchem Ausmaß anstellen? Natürlich doch nur derjenige, der über diese materiellen Kräfte und Mittel verfügte, in unserem Fall also einzig und allein das Hauptquartier des Oberkommandos und der Generalstab. Es sei hier darauf verwiesen, daß der Generalstab während des ganzen Krieges das Arbeitsinstrument und der schöpferische Apparat des Oberkommandos war und ohne seine initiativreiche und organisatorische Mitwirkung keine einzige Operation von operativ-strategischem Maßstab verwirklicht wurde.

Selbstverständlich prüften das Hauptquartier und der Generalstab während der Kampfhandlungen gründlich die Aufklärungsangaben über den Gegner, analysierten sie und zogen Schlußfolgerungen aus dem Verhalten des Gegners und dem Handeln der eigenen Truppen. Sie studierten die Erwägungen der Stäbe und der Oberbefehlshaber der Fronten, der Teilstreitkräfte und der Waffengattungen und faßten nach Auswertung dieser Informationen ihre Entschlüsse.

Ein Operationsplan von strategischer Tragweite konnte also nur als Ergebnis einer langwierigen schöpferischen Arbeit aller Truppen, aller Stäbe und Kommandeure entstehen.

Das Hauptquartier des Oberkommandos und der Generalstab hatten den größten und ausschlaggebenden Anteil bei der Planung und Sicherstellung der Gegenoffensive bei Stalingrad.

Bei der unmittelbaren Zerschlagung des Gegners hatten diejenigen den Vorrang, die durch kühne Schläge, zielsicheres Feuer, Mut, Tapferkeit und Geschick mit höchster Todesverachtung den Gegner schlugen: Ich meine unsere ruhmreichen Soldaten, Kommandeure und Generale, die nach der harten Bewährungsprobe der ersten Periode des Krieges vor der Gegenoffensive die höchste Bereitschaft erreichten, um die strategische Initiative an sich zu reißen und dem Gegner eine katastrophale Niederlage zuzufügen.

Es ist das Verdienst des Hauptquartiers des Oberkommandos und des Generalstabs, daß sie mit wissenschaftlicher Gründlichkeit alle Faktoren dieser gewaltigen Operation analysierten, deren Entwicklung und Ausgang wissenschaftlich voraussahen.

Es kann und darf also nicht um eine Person gehen, der die ‘Urheberschaft’ an der Idee der Gegenoffensive zukommt.“219)

Mit Planung, Organisation und Durchführung der Stalingrader Schlacht hat die sowjetische Militärdoktrin ihren Durchbruch erzielt und damit die marxistisch-leninistische Militärtheorie bereichert. In klassischer Weise haben HQ und Generalstab unter maßgeblicher Führung von Stalin, Shukow und Wassilewski die Theorie der strategischen Verteidigung umgesetzt: den Gegner in der Verteidigung schwächen, zermürben, überlegene Reserven im Hinterland aufbauen, ausrüsten und dann zur Gegenoffensive übergehen. Die Offensive ist das Ergebnis, die Schlußfolgerung erfolgreicher Verteidigung. Sie muß stattfinden, bei Strafe des eigenen Untergangs. Der bedeutende preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz faßte das Wesentliche der strategischen Verteidigung zusammen: „Hat der Verteidiger einen bedeutenden Vorteil errungen, so hat die Verteidigung das Ihre getan, und er muß unter dem Schutz dieses Vorteils den Stoß zurückgeben, wenn er sich nicht einem gewissen Untergang aussetzen will... Wie, wann und wo diese Reaktion eintreten soll, ist freilich vielen anderen Bedingungen unterworfen...“220) d.h. den konkret-historischen Bedingungen. An anderer Stelle fügt Clausewitz noch hinzu, daß durch eine solche „Widerstandsart“ ein „Machtverhältnis“ herbeigeführt wird, „welches den Sieg (der Offensive, UH) möglich macht, und durch diesen Sieg wie durch einen ersten Stoß eine Bewegung zu veranlassen/ die sich dann in ihren verderblichen Wirkungen nach den Gesetzen des Falles zu vergrößern pflegt.“220a) Diese Gesetzmäßigkeit traf für den weiteren Verlauf des Krieges zu, der folgerichtig in der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht endete.

Die gewaltigen „Operationen zur Einkesselung und Liquidierung der feindlichen Armeen“ bezeichnete Stalin „als Musterbeispiel der Kriegskunst.“ Nur „die richtige Strategie des Oberkommandos der Roten Armee und die elastische Taktik unserer ausführenden Kommandeure“ konnten „zu einer so hervorragenden Tatsache führen ... wie die Einkesselung und Liquidierung der gewaltigen 330.000 Mann  starken Elitearmee der Deutschen bei Stalingrad.“220 b)

Zum ersten Mal während des Großen Vaterländischen Krieges hatte die Rote Armee eine materiell-technische Überlegenheit über die deutsche Armee erzielt. Das war die Leistung eines ganzen Volkes. Über das Kräfteverhältnis bei Beginn der Gegenoffensive am 19./20. November gibt die nachfolgende Tabelle221) Auskunft:

Truppen                             Personalbestand     Geschütze und Panzer in Tausend     Granatwerfer        

Südwestfront:

sowjetische Truppen        399,0                       5888                                                     728

Truppen des Gegners       432.0                       4360                                                     255

Verhältnis:                        1:1,1                        1,4:1                                                     2,8:1

Donfront:

sowjetische Truppen        296,7                       4682                                                     280

Truppen des Gegners       200,0                       1980                                                     280

Verhältnis:                        1,5:1                        2,4:1                                                     1:1

Stalingrader Front:

sowjetische Truppen        410,4                       4931                                                     455

Truppen des Gegners       379,5                       3950                                                     140

Verhältnis:                        1,1:1                        1,2:1                                                     3,2:1

Verhältnis insgesamt:

sowjetische Truppen        1106,1                     15501                                                  1463

Truppen des Gegners       1011,5                     10290                                                  695

Verhältnis:                        1,1:1                        1.5:1                                                     2,1:1

Von allen Generalen wird betont, daß die Siege erfochten wurden unter der Führung der KPdSU (B), ihres Zentralkomitees und, nicht zuletzt, ihres Generalsekretärs, dem Genossen Stalin.

Es sei noch einmal betont: Die Siege sind nicht einer einzelnen Person allein zuzuschreiben. Sie sind Ergebnis eines Kollektivs von Partei- und Militärführern. Es sei aber genauso deutlich gesagt, daß Stalin als der verantwortliche Oberste Befehlshaber an diesen Siegen und an der Ausarbeitung der marxistisch-leninistischen Militärtheorie einen bedeutenden Anteil hatte. Trug Stalin als Oberster Befehlshaber die Verantwortung für die Niederlagen 1941/42, so auch für den welthistorischen Sieg bei Stalingrad.

Der 162 Tage währende, „heldenhafte(n) Kampf um Stalingrad“ habe nach Präsident Roosevelt „Ihrem Namen für immer Ehre gebracht ... und das entscheidende Ergebnis ... werden eines der stolzesten Kapitel in diesem Krieg der gegen den Nazismus und seine Nacheiferer vereinten Völker bleiben.“222)

In seinem Glückwunschtelegramm an Stalin zum 25. Jahrestag der Gründung der Roten Armee, eingegangen am 23. Februar 1943, übermittelte Präsident Roosevelt im Namen des Volkes der Vereinigten Staaten „unsere tiefe Bewunderung für ihre glanzvollen, in der ganzen Geschichte unübertroffenen Siege zum Ausdruck...“

Die Rote Armee habe „trotz furchtbarer Verluste“ einen „äußerst mächtigen Feind“ „bei Leningrad, bei Moskau, bei Woronesh und im Kaukasus zum Stehen gebracht“ ... und „schließlich ... in der unsterblichen Schlacht von Stalingrad nicht nur ... besiegt, sondern auch die große Offensive an der ganzen Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer“ eingeleitet. „Die Rote Armee und das russische Volk haben mit Gewißheit die Streitkräfte Hitlers auf den Weg der endgültigen Niederlage gebracht und sich die dauernde Bewunderung des Volkes der Vereinigten Staaten erworben.“223)

Gut ein Jahr später übersandte Präsident Roosevelt eine „Urkunde für Stalingrad“, datiert vom 17. Mai 1944: „Im Namen des Volkes der Vereinigten Staaten von Amerika überreiche ich der Stadt Stalingrad diese Urkunde, um unserer Bewunderung für ihre tapferen Verteidiger Ausdruck zu geben, deren Tapferkeit, Mut und Opferbereitschaft während der Belagerung vom 13. September 1942 bis zum 31. Januar 1943 für immer die Herzen aller freien Menschen höher schlagen lassen werden. Ihr ruhmreicher Sieg brachte die Welle der Aggression zum Stehen und wurde zum Wendepunkt des Krieges der alliierten Nationen gegen die Kräfte der Aggression.“224)

 

Wie erbärmlich sind doch dagegen die Ergüsse der Historiker der Glasnostperiode.

 

Stalingrad ist unwiderruflich in die Weltgeschichte eingegangen - Wolgograd ist nichts. Über die Frage der Rückbenennung dieser Stadt hat das russische Volk zu entscheiden, das wohl noch nicht das letzte Wort darüber gesprochen hat.

Letzteres gilt analog auch für Leningrad.

                                                                                                                                  Ulrich Huar, Berlin

Anlage Dokument 1

A. „Nicht einen Schritt zurück!“ - Stalins berühmter Befehl

Anlage zum OKM 3.Abt.Skl. B.Nr.15998/42 geh. vom 3. 9. 42

Befehl des Volkskommissars für die Verteidigung der U.d.S.S.R. Nr. 227 vom 28. 7. 1942

Geheim!    Moskau

Der Feind wirft immer neue Kräfte an die Front und dringt unter Mißachtung seiner großen Verluste weiter vor. Er fällt in das Innere der Sowjetunion ein. Er bemächtigt sich neuer Gebiete. Er verwüstet und zerstört unsere Städte und Dörfer. Er vergewaltigt, plündert und tötet die Zivilbevölkerung. Im Abschnitt Woronesh, am Don, im Süden und an den Pforten des Nordkaukasus wird gekämpft. Die deutschen Okkupanten dringen nach Stalingrad und an die Wolga vor; sie wollen sich um jeden Preis des Kuban-Gebietes und des Nordkaukasus mit ihren Reichtümern an Erdöl und Getreide bemächtigen.

Der Feind hat bereits Woroschilowgrad, Starobelsk, Rossosch, Kupjansk, Waluiki, Nowotscherkassk, Rostow am Don und die Hälfte der Stadt Woronesh erobert. Ein Teil der Truppen der Südfront hat, indem sie den Panikmachern folgen, Rostow und Nowotscherkassk ohne ernsten Widerstand und ohne Befehl aus Moskau verlassen und somit ihre Fahnen mit Schmach bedeckt.

Die Bevölkerung unseres Landes, die bisher mit Liebe und Verehrung von der Roten Armee sprach, ist enttäuscht, verliert den Glauben an sie, und viele verfluchen die Rote Armee dafür, daß sie das Volk dem Joch der deutschen Bedrücker ausliefert, indem sie sich selbst nach Osten zurückzieht. Einige unkluge Leute an der Front trösten sich mit dem Gedanken, daß wir uns auch weiterhin nach Osten zurückziehen können, da wir ein großes Land mit viel Menschen haben und immer einen Überfluß an Brot besitzen werden. Damit wollen sie ihr schändliches Verhalten an der Front beschönigen; doch sind solche Argumente völlig abwegig, verlogen und nur unseren Feinden von Nutzen. Jeder Kommandeur, Rotarmist und Politruk (= politischer Leiter, d. A.) muß verstehen, daß unsere Mittel nicht unbegrenzt sind. Das Gebiet der Sowjetunion ist keine Wüste, sondern ein Raum mit Menschen - Arbeitern, Bauern, Intelligenz - mit unseren Vätern, Frauen, Brüdern und Kindern.

Das Gebiet der U.d.S.S.R, das die Deutschen eroberten oder noch erobern wollen, bedeutet Brot und andere Lebensmittel für die Armee und die rückwärtigen Gebiete, bedeutet Metalle und Heizmaterial für die Industrie, welche unsere Armee mit Waffen und Munition versorgt, und bedeutet Erhaltung des Eisenbahnverkehrs.

Nach dem Verlust der Ukraine, Weißrußlands, der baltischen Länder und des Donez-Beckens sowie anderer Gebiete hat sich unser Landbesitz bedeutend verringert, d.h., daß wir jetzt viel weniger Menschen, weniger Brot, Metalle, weniger Werke und Fabriken haben. Wir haben über 70 Millionen Landesbewohner verloren, wir ernten aber 800 Millionen Pud Brotgetreide im Jahre weniger, und der Ausfall an Metallen übersteigt die Grenze von 10 Millionen Tonnen jährlich. Von nun an sind wir den Deutschen weder an Menschenreserven noch an Getreidevorräten überlegen. Ein weiterer Rückzug ist gleichbedeutend mit unserem Untergang und dem unserer Heimat. Jeder Fußbreit Erde, den wir weiterhin aufgeben, stärkt den Feind und schwächt unsere Verteidigung und unser Land. Aus diesem Grunde müssen wir die Gespräche, daß wir die Möglichkeit haben, uns unbegrenzt zurückzuziehen, daß wir ein großes, reiches Land besitzen, daß unsere Getreidevorräte unerschöpflich sind, im Keime ersticken. Diese Gespräche sind grundfalsch und schädlich, schwächen uns und stärken den Feind, denn falls unser Rückzug nicht sofort abgestoppt wird, bleiben wir ohne Brot und Heizmaterial, ohne Metalle und Rohstoffe, ohne Werke und ohne Eisenbahnen; daraus geht hervor, daß es die höchste Zeit ist, den Rückzug einzustellen. „Nicht einen Schritt zurück!“ muß von nun an unsere wichtigste Parole sein. Man muß hartnäckig sein, bis zum letzten Blutstropfen jede Stellung, jeden Meter Sowjeterde verteidigen, man muß sich an jedes Stück Boden klammern und dieses bis zur letzten Möglichkeit verteidigen.

Unsere Heimat erlebt schwere Tage. Wir müssen um jeden Preis den Feind aufhalten, zurückschlagen und vernichten. Die Deutschen sind nicht so stark, wie es den Panikmachern erscheint. Sie strengen ihre letzten Kräfte an. Den Druck der Deutschen jetzt und in den nächsten Monaten aufhalten, bedeutet, unseren Sieg zu sichern.

Können wir diesen Schlag ertragen und danach den Feind nach Westen zurückwerfen? - Ja, wir können es; unsere Fabriken und Werke im Hinterlande arbeiten jetzt vorzüglich, und unsere Front erhält immer mehr Flugzeuge, Panzer und Granatwerfer.

Woran mangelte es denn bei uns? - Es fehlt uns an Ordnung und Disziplin in den Kompanien, Bataillonen, Regimentern und Divisionen, in den Panzereinheiten, in den Geschwadern der Luftwaffe. Darin besteht unser größter Fehler. - Wir müssen in unsere Armee strengste Ordnung und eiserne Disziplin einführen, wenn wir die Lage meistern und unsere Heimat erhalten wollen. Wir können nicht mehr Kommandeure, Kommissare und politische Leiter sowie Einheiten dulden, die ihre Stellungen eigenmächtig verlassen. Wir können es nicht weiter dulden, daß Kommandeure, Kommissare und politische Leiter es zulassen, daß einige Panikmacher die Lage des Kampfes dadurch bestimmen, daß sie andere zum Rückzug verleiten und damit die Front dem Feind öffnen. Die Miesmacher und Feiglinge müssen auf der Stelle vernichtet werden. Von nun ab muß das oberste Gesetz für jeden Kommandeur, Rotarmist, politischen Leiter die Parole sein: „Kein Schritt zurück!“ ohne Befehl der obersten Kommandostelle.

Die Kompanieführer, Bataillonsführer, Regiments- und Divisions-Kommandeure, ebenso die entsprechenden Kommissare und politischen Leiter, welche ohne ausdrücklichen Befehl ihre Stellungen verlassen, sind als Verräter der Heimat anzusehen. Sie müssen dementsprechend behandelt werden. Das ist der Wille unserer Heimat. Diesen Befehl auszuführen, bedeutet unser Land zu erhalten, unsere Heimat zu retten und unseren widerlichen Gegner zu besiegen und zu vernichten.

Nach ihrem Rückzug im Winter, der durch die Rote Armee verursacht wurde, hatte sich die Disziplin in der deutschen Wehrmacht gelockert. Zur Wiederherstellung derselben haben die Deutschen eine Reihe strengster Maßnahmen getroffen, die von Erfolg gekrönt waren. Sie formierten über 100 Strafkompanien aus Soldaten, die sich einige Verletzungen der Disziplin und Feigheit vor dem Feinde zu Schulden kommen ließen. Diese Kompanien wurden an gefährlichen Abschnitten der Front eingesetzt und sollten ihre Fehler durch vorbildlichen Einsatz wiedergutmachen. Sie formierten außerdem weitere Strafeinheiten aus Kommandeuren, die aus Feigheit ihre Disziplin verletzt hatten. Diese Bataillone wurden in noch schwierigeren Abschnitten eingesetzt und sollten sich vor dem Feinde bewähren. Bis zur Bewährung wurden den Teilnehmern dieser Strafbataillone sämtliche Orden und Ehrenzeichen entzogen. Schließlich bildeten sie noch Einheiten, die verhindern sollten, daß Angehörige unzuverlässiger Divisionen Fluchtversuche unternehmen. Diese Einheiten wurden hinter den vordersten Linien eingesetzt mit dem Auftrag, jeden Zurückweichenden oder zum Feind Überlaufenden zu erschießen.

Wie bekannt, hat diese Maßnahme ihre Wirkung nicht verfehlt. Jetzt kämpfen die deutschen Truppen besser als im Winter. Die Deutschen haben eine gute Disziplin, trotzdem sie nicht die hohe Aufgabe haben, ihre Heimat zu verteidigen.

Sie kämpfen nur um das räuberische Ziel, ein fremdes Land zu unterwerfen. Unsere Truppen dagegen haben das hohe Ziel, ihre bedrängte Heimat zu verteidigen. Nur aus Mangel an Disziplin ertragen sie Niederlagen.

Sollten wir uns nicht unseren Feind als Beispiel nehmen, so wie unsere Vorfahren beim Feind lernten und ihn nachher besiegten! Ich denke, wir müssen es!

Daher befiehlt das Oberkommando der Roten Armee:

1.) an die Kriegsräte, vor allem an die Oberbefehlshaber der Fronten:

a) dafür zu sorgen, daß die Rückzugsstimmung der Truppe bedingungslos unterbunden wird. Der Propaganda, daß wir uns auch ferner nach dem Osten zurückziehen können oder müssen und daß dieser Rückzug keinen Schaden bedeute, ist mit eisernen Mitteln entgegenzutreten.

b) Armee-Kommandeure, welche ein eigenmächtiges Verlassen der Stellungen ohne diesbezüglichen Befehl dulden, sind bedingungslos ihrer Posten zu entheben und vor ein Kriegsgericht zu stellen.

c) Sind im Bereich der Front 1 bis 2 (je nach Bedarf) Straf-Bataillone (je 800 Mann) zu formieren. In diese Strafbataillone sind Offiziere und politische Leiter sämtlicher Truppenteile einzureihen, die sich Disziplinlosigkeit und Feigheit vor dem Feinde zu Schulden kommen ließen. Diese Bataillone sollen in besonders schwierigen Abschnitten eingesetzt werden, um den Teilnehmern Gelegenheit zu geben, ihre Schuld vor dem Feinde zu sühnen.

2.) an die Kriegsräte der Armeen und vor allem an die Armeeführer:

Korps- und Div.-Kommandeure und deren Kommissare, die den eigenmächtigen Rückzug ihrer Truppen aus den Stellungen dulden, ohne daß dafür ein ausdrücklicher Befehl vorliegt, sind sofort ihrer Posten zu entheben und vor ein entsprechendes Kriegsgericht zu stellen.

a) Im Armeebereich sind 3 bis 5 gut bewaffnete Einheiten (bis 200 Mann) aufzustellen, die unmittelbar hinter unzuverlässigen Divisionen einzusetzen sind und die Aufgabe haben, im Falle eines ungeordneten Rückzugs der vor ihnen liegenden Divisionen jeden Flüchtenden und jeden Feigling zu erschießen und damit dem ehrlichen Kämpfer bei der Verteidigung seiner Heimat beizustehen.

b) Im Armeebereich sind 5 bis 10 Strafkompanien (150-200 Mann) aufzustellen. Diese aus nicht bewährten Unterführern und Rotarmisten bestehenden Kompanien sind in schwierigen Abschnitten der Armee einzusetzen, um den Teilnehmern Gelegenheit zu geben, ihre Schuld vor der Heimat zu sühnen.

3.) an die Kommandeure und Kommissare der Korps und Divisionen:

a) Bataillons- und Regiments-Kommandeure sowie entsprechende Kommissare, welche ein eigenmächtiges Verlassen der Stellungen ohne diesbezüglichen Befehl dulden, sind nach Abnahme ihrer Orden und Ehrenzeichen ihrer Posten zu entheben und vor das Kriegsgericht zu stellen.

b) Den hinter unzuverlässigen Divisionen eingesetzten Spezialeinheiten ist bei der Wiederherstellung von Ordnung und Disziplin jede Unterstützung zu gewähren.

Dieser Befehl ist in allen Kompanien, Schwadronen, Batterien und Stäben zu verlesen.

Der Verteidigungskommissar für die U.d.S.S.R.           gez. J. Stalin

(BA/MA; RW 4/v. 331 - Zitat)

Anlage Dokument 2

B. J. W. Stalin an W. Churchill    MEMORANDUM

Auf Grund des Meinungsaustausches, der am 12. August dieses Jahres in Moskau stattfand, habe ich festgestellt, daß der Premierminister Großbritanniens, Herr Churchill, die Errichtung einer zweiten Front in Europa im Jahre 1942 für unmöglich hält.

Bekanntlich ist die Errichtung einer zweiten Front in Europa für das Jahr 1942 während des Besuches Molotows in London festgelegt und in dem am 12. Juni veröffentlichten gemeinsamen englisch-sowjetischen Kommuniqué zum Ausdruck gebracht worden.

Es ist auch bekannt, daß die Errichtung der zweiten Front in Europa das Ziel verfolgt, deutsche Streitkräfte von der Ostfront nach dem Westen abzuziehen, eine starke Widerstandsbasis im Westen gegen die faschistischen deutschen Streitkräfte zu schaffen und somit die Lage der sowjetischen Truppen an der sowjetisch-deutschen Front im Jahre 1942 zu erleichtern.

Es ist selbstverständlich, daß das sowjetische Oberkommando bei der Aufstellung der Pläne für seine Sommer- und Herbstoperationen mit der Errichtung einer zweiten Front in Europa im Jahre 1942 gerechnet hat.

Es ist leicht zu verstehen, daß die Weigerung der Regierung Großbritanniens, im Jahre 1942 eine zweite Front in Europa zu errichten, der gesamten sowjetischen Öffentlichkeit, die auf die zweite Front hofft, einen schweren moralischen Schlag versetzt, die Lage der Roten Armee an der Front erschwert und die Pläne des sowjetischen Oberkommandos beeinträchtigt.

Ich spreche gar nicht davon, daß die durch die Weigerung, im Jahre 1942 die zweite Front zu errichten, entstehenden Schwierigkeiten für die Rote Armee zweifellos auch die militärische Lage Englands und der anderen Verbündeten verschlechtern werden.

Meine Kollegen und ich sind der Meinung, daß das Jahr 1942 die günstigsten Bedingungen für eine zweite Front in Europa bietet, da fast alle deutschen Truppen, und dabei die besten Kräfte, an der Ostfront konzentriert sind und in Europa nur eine unbedeutende Anzahl von Streitkräften zurückblieb, die darüber hinaus noch die schlechtesten sind. Man kann nicht wissen, ob 1943 ebenso günstige Bedingungen für die Errichtung der zweiten Front vorhanden sein werden wie im Jahre 1942. Aus diesem Grunde halten wir es für möglich und nötig, gerade im Jahre 1942 die zweite Front zu errichten. Leider ist es mir nicht gelungen, den Herrn Premierminister Großbritanniens davon zu überzeugen. Der Vertreter des Präsidenten der USA bei den Verhandlungen in Moskau. Herr Harriman, hat voll und ganz den Herrn Premierminister unterstützt.

J. STALIN, 13. August 1942

W. Churchill an J. W. Stalin.   AIDE-MEMOIRE

In Erwiderung auf das Aide-memoire Premier Stalins vom 15. August erklärt der Premierminister Großbritanniens:

1. Die beste zweite Front im Jahre 1942 und die einzig mögliche größere Operation vom Atlantik her ist das Unternehmen „Torch“. Wenn es im Oktober verwirklicht werden kann, wird es Rußland mehr helfen als jeder andere Plan. Es bereitet auch den Weg für das Jahr 1943 vor und hat die vier Vorteile, die Premier Stalin in der Unterredung vom 12. August erwähnte. Die Regierungen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten haben darüber ihre Beschlüsse gefaßt, und alle Vorbereitungen werden mit äußerster Eile getroffen.

2. Verglichen mit dem Unternehmen „Torch“, wäre der Angriff auf die Halbinsel von Cherbourg und die Kanalinseln mit sechs bis acht anglo-amerikanischen Divisionen eine riskante und nutzlose Operation. Die Deutschen haben im Westen genügend Truppen, um uns auf dieser schmalen Halbinsel mit befestigten Linien zu blockieren, und würden alle ihre im Westen stationierten Luftstreitkräfte darauf konzentrieren. Nach Meinung aller britischen Marine-, Heeres- und Luftwaffenexperten könnte die Operation nur mit einer Katastrophe enden. Selbst wenn ein Brückenkopf errichtet werden könnte, würden die Deutschen nicht eine einzige Division aus Rußland abziehen. Es würde uns auch weit mehr als den Feind treffen und mutwillig die für die eigentliche Aktion im Jahre 1943 benötigten Spezialtruppen und Landungsfahrzeuge verschwenden. Das ist unsere feste Überzeugung. Der Chef des Empire-Generalstabs wird mit den russischen Befehlshabern die Einzelheiten bis zu jedem nur gewünschten Umfang besprechen.

3. Großbritannien oder die Vereinigten Staaten haben kein Versprechen gebrochen. Ich verweise auf Abschnitt 5 meines am 10. Juni 1942 an Herrn Molotow übergebenen Aide-memoires, wo es ausdrücklich heißt: „Wir können deshalb kein Versprechen geben.“ Dieses Aide-memoire war das Ergebnis langwieriger Unterredungen, in denen zur Genüge klargelegt wurde, daß es nur eine ganz geringe Aussicht für die Annahme eines solchen Plans gäbe. Mehrere dieser Unterredungen sind protokolliert worden.

4. Jedoch haben all die Gespräche über eine anglo-amerikanische Invasion in Frankreich in diesem Jahr den Feind irregeführt und beträchtliche Luft- und Landstreitkräfte an der französischen Kanalküste gebunden. Es würde den gemeinsamen Interessen, insbesondere den russischen, schaden, wenn es zu irgendwelchen öffentlichen Kontroversen käme, die es für die britische Regierung erforderlich machten, vor der Nation das vernichtende Argument darzulegen, das sie gegen das Unternehmen „Sledgehammer“ zu besitzen meint. Eine weitverbreitete Entmutigung würde sich bei den russischen Armeen bemerkbar machen, die die Aussicht auf diese Aktion bestärkt hatte, und der Feind erhielte die Möglichkeit, weitere Kräfte aus dem Westen abzuziehen. Es ist das Klügste, „Sledgehammer“ als Tarnung für „Torch“ zu benutzen und das Unternehmen „Torch“, sobald es beginnt, als zweite Front auszugeben. Das ist es, was wir zu tun gedenken.

5. Wir können es nicht gelten lassen, daß die Unterredungen mit Herrn Molotow über die zweite Front, die von mündlichen und schriftlichen Vorbehalten begleitet waren, in irgendeiner Weise eine Änderung der strategischen Pläne des russischen Oberkommandos verursacht hätten.

6. Wir versichern aufs neue unsere Entschlossenheit, unserem russischen Verbündeten mit allen uns möglichen Mitteln zu helfen.

W. CHURCHILL, 14. August 1942

Punkt 5 des Aide-memoires vom 10. Juni 1942 lautet:

„Wir bereiten uns auf die Landung auf dem Kontinent im August oder September 1942 vor. Wie schon früher erklärt worden ist, wird die Stärke der Landungstruppen hauptsächlich von den vorhandenen Speziallandungsfahrzeugen abhängig sein. Es ist jedoch klar, es wäre keine Hilfe für die Russen noch für die Alliierten, wenn wir uns, nur um eine Aktion einzuleiten, um jeden Preis auf eine Operation einließen, die mit einer Katastrophe enden würde und den Gegner über unseren Mißerfolg triumphieren ließe. Es ist unmöglich vorauszusagen, ob die Lage so sein wird, daß diese Operation zum genannten Termin durchgeführt werden kann. Wir können deshalb in dieser Frage kein Versprechen geben. Wenn uns aber die Operation vernünftig und sinnvoll erscheint, werden wir nicht zögern, unsere Pläne in die Tat umzusetzen.“

Die Verpflichtungen hinsichtlich der Errichtung der zweiten Front sind auch im Punkt 8 dieses Aide-memoires enthalten, auf das sich Churchill in seiner Botschaft nicht beruft. Punkt 8 lautet:

„Schließlich, und das ist das wichtigste von allem, konzentrieren wir unsere maximalen Anstrengungen auf die Organisierung und Vorbereitung der Landung britischer und amerikanischer Truppen auf dem europäischen Kontinent in großem Maßstab im Jahre 1943. Wir legen keine Grenzen für die Ausmaße und Ziele dieser Kampagne fest, an der zu Beginn britische und amerikanische Truppen in Stärke von einer Million Mann bei entsprechender Unterstützung durch Luftstreitkräfte beteiligt sein werden.“

Anlage Dokument 3

C. Eingegangen am 5. Februar 1943. An Seine Exzellenz Josef W. Stalin, Oberster Befehlshaber der Streitkräfte der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

Moskau

Als Oberkommandierender der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika gratuliere ich Ihnen zu dem glänzenden Sieg, den die Armeen unter Ihrem Oberkommando bei Stalingrad errungen haben. Der 162 Tage währende heldenhafte Kampf um die Stadt, der Ihrem Namen für immer Ehre gebracht hat, und das entscheidende Ergebnis, das alle Amerikaner heute feiern, werden eines der stolzesten Kapitel in diesem Kriege der gegen den Nazismus und seine Nacheiferer vereinten Völker bleiben. Die Kommandeure und Soldaten ihrer Armeen an der Front und die Männer und Frauen, die sie in den Fabriken und auf den Feldern unterstützten, haben sich nicht nur zusammengeschlossen, um die Waffen ihres Landes mit Ruhm zu bedecken, sondern auch, um durch ihr Beispiel alle Vereinigten Nationen zu neuer Entschlossenheit anzuspornen, alle Kräfte anzuspannen, um die endgültige Niederlage und die bedingungslose Kapitulation des gemeinsamen Feindes herbeizuführen.

F. D. ROOSEVELT

Eingegangen am 27. Februar 1943, F. Roosevelt an J. W. Stalin

Im Namen des Volkes der Vereinigten Staaten möchte ich der Roten Armee zu ihrem 25. Jahrestag unsere tiefe Bewunderung für ihre glanzvollen, in der ganzen Geschichte unübertroffenen Siege zum Ausdruck bringen. Viele Monate lang hat die Rote Armee trotz furchtbarer Verluste an Material, Transportmitteln und Territorium einem äußerst mächtigen Feind den Sieg streitig gemacht. Sie hat ihn bei Leningrad, bei Moskau, bei Woronesh und im Kaukasus zum Stehen gebracht, und schließlich hat die Rote Armee in der unsterblichen Schlacht von Stalingrad nicht nur den Feind besiegt, sondern auch die große Offensive eingeleitet, die noch immer an der ganzen Front von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer vorwärtsrollt. Der Rückzug, zu dem der Feind gezwungen wurde, kommt ihm an Menschen, Material, Territorium und insbesondere in moralischer Beziehung teuer zu stehen. Solche Siege können nur von einer Armee errungen werden, die über eine erfahrene Führung, eine gesunde Organisation, eine entsprechende Ausbildung und vor allem Entschlossenheit, den Feind ohne Rücksicht auf eigene Verluste zu schlagen, verfügt. Gleichzeitig möchte ich dem russischen Volk, aus dem die Rote Armee hervorgegangen ist und auf das sie in bezug auf ihre Menschen und ihren Nachschub angewiesen ist, meinen Tribut zollen. Auch das Volk stellt alle seine Kräfte in den Dienst des Krieges und bringt die größten Opfer. Die Rote Armee und das russische Volk haben mit Gewißheit die Streitkräfte Hitlers auf den Weg der endgültigen Niederlage gebracht und sich die dauernde Bewunderung des Volkes der Vereinigten Staaten erworben.

Quellennachweis der Anlagen

A. Carl Dirks/Karl-Heinz Janßen: Der Krieg der Generäle. Hitler als Werkzeug der Wehrmacht. Berlin, Propyläen, 1999, S. 270-275

B. Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941 – 1945, Berlin 1961, S. 75- 78

C. Briefwechsel, a.a. O. S. 518, S. 23

Anmerkungen (Quellennachweise)

1. Merezkow: Im Dienste des Volkes. Moskau 1968/Berlin 1972. 1. Auflage, S. 386.

1a. Kusnezow: Am Vorabend. Moskau 1969/Berlin 1984. 3. Auflage, S. 296.

2. SW 15/58.

2a. Schtemenko: Im Generalstab. Bd. 2. Moskau 1973/Berlin 1985, 3. Auflage, S. 250 f.

3. SW 15/15 f.

4. Wolkogonow: Triumph und Tragödie. Politisches Porträt des J.W. Stalin. Bd. 2/1. 1. Auflage. Berlin 1990. S. 310. Hervorhebung im Original.

5. Ebd.

6. Rokossowski: Soldatenpflicht. Erinnerungen eines Frontober-befehlshaber. Moskau 1968/Berlin 1971, S. 115 f.

6a. K.W.: Vom Dnepr zur Weichsel. Wojenisdat 1971/Berlin 1977, 1. Auflage, S. 154 f.

6b. Kusnezow: Auf Siegeskurs. Moskau 1975/Berlin 1979. S. 193.

7. Wolkogonow, a.a.O. 311 f. Hervorhebung im Original.

8. Rokossowski, a.a.O. S. 115.

9. Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Jubiläumsausgabe Januar 2003, Ullstein Verlag, München. S. 79.

9a. Siehe hierzu Ulrich Huar: Stalins Beiträge zur marxistisch-leninistischen Militärtheorie und -politik. Teil 2. Schriftenreihe für marxistisch-leninistische Bildung der Kommunistischen Partei Deutschlands. (Weiterhin „Schriftenreihe“ genannt) Heft Nr. 114/2, Berlin, Juli 2003. S. 39-54 oder „offensiv“, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, (weiterhin „offensiv“ genannt) Heft 12/03, S. 74-86.

10. Siehe G.K. Shukow: Erinnerungen und Gedanken. Bd. l. Moskau 1969/Berlin 1973. 4. überabeitete Auflage. S. 235-354.

11. Siehe hierzu U. Huar, „Schriftenreihe“, a.a.O. S. 39-45, oder „offensiv“, a.a.O. S. 74-79.

12. Shukow, a.a.O. S. 236 f.

13. Ebd. S. 237.

14. Ebd. S. 242 f. Berechnungen nach Angaben von Shukow.

15. Ebd. S. 244.

16. Ebd.

17. Ebd. S. 244 f.

18. Ebd. S. 245.

19. Ebd.

20. Ebd. S. 246.

21. Merezkow, a.a.O. S. 192 f.

22. Shukow, a.a.O. S. 248.

23. Zitiert nach ebd. S. 249.

24. Ebd. S. 248 f.

25. Siehe hierzu U. Huar, „Schriftenreihe“, a.a.O. S. 43-45, oder „offensiv“, a.a.O. S. 77-79.

26. Shukow, a.a.O. S. 249 f.

27. Ebd. S. 250.

27a. Schtemenko: Im Generalstab. Bd. l. Moskau 1968. Berlin 1985. 6. Auflage, S. 24 f. Schtemenko war 1940 Mitarbeiter der Operativen Verwaltung des Generalstabs, ab 1943 deren Chef. Er kam während des Krieges fast täglich mit Stalin zusammen.

28. Shukow, a.a.O. S. 249 f.

28a. Schtemenko, Bd. 1, a.a.O. S. 25 f.

28b. Kusnezow, Am Vorabend, a.a.O. S. 213.

28c Ebd. S. 314.

28d. Ebd. S. 315 f.

29. Shukow, a.a.O. S. 263.

30. Ebd. S. 264.

31. Wosnessenski gehörte zu den bedeutendsten Ökonomen der UdSSR und besaß das Vertrauen Stalins, der ihn nach dem Krieg als einen seiner möglichen Nachfolger vorsah. Wosnessenski fiel nach dem Kriege wahrscheinlich einer Intrige trotzkistischer Agenten in den Sicherheitsdiensten zum Opfer und wurde gegen den Befehl Stalins erschossen. Hier besteht noch Aufklärungsbedarf.

32. Shukow, a.a.O. S. 265.

33. Ebd. S. 266.

34. Ebd. S. 266 f.

34a. Kurt von Tippelskirch: Geschichte des Zweiten Weltkrieges. 3. unveränderte Auflage. Bonn 1959. S. 175.

35. Shukow, a.a.O. S. 268. Die Zahlenangaben von Shukow differieren von den Angaben aus „Die Deutsche Industrie im Kriege 1939 - 1945“. Duncker und Humbold, Berlin 1954, die der sowjetische Militärthistoriker G. Deborin in seiner Monographie „The Second World War“, Moscow o.J. zitiert.

Deutsche Kriegsproduktion 1940

Flugzeuge                                                                                                                                             9.500

Panzer                                                                                                                                                   1.800

Geschütze                                                                                                                                            4.000

MG                                                                                                                                                     57.000

Gewehre                                                                                                                                       1.400.000

Hinzu kam die Rüstungsproduktion aus Werken in Frankreich, der CSR, Österreich, Belgien, den Niederlanden, Ungarn, Rumänien und anderen von den deutschen Faschisten kontrollierten Ländern.

36. Shukow, a.a.O. S. 306.

37. Ebd.

38. Ebd. S. 270.

39. Ebd. S. 273.

40. Ebd. S. 260.

41. Ebd. S. 261 f.

42. Gretschko: Die Schlacht um den Kaukasus. Moskau 1969/Berlin 1971, 1. Auflage, S. 34.

43. Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. (Wehrmachtsfüh-rungsstab). Bd. 1.: 1. August 1940 - 31. Dezember 1941. Zusammengestellt und erläutert von Hans-Adolf Jacobsen. Frankfurt/M. 1965, S. 1064. Zitiert nach Gretschko, S. 34.

44. Gretschko, a.a.O. S. 35. Siehe auch Schtemenko, Im Generalstab. Bd. l, Berlin 1974, 6. Auflage S. 34.

44a. Tippelskirch, a.a.O. S. 198 f.

45. Shukow, a.a.O. S. 274.

46. Ebd. Hervorhebung von mir.

47. Ebd.

48. Siehe ebd. S. 276 und U. Huar, „Schriftenreihe“, a.a.O. Teil 2. S. 24-31 oder „offensiv“, a.a.O. S. 62 -67.

49. Maiski: Memoiren eines sowjetischen Botschafters. Moskau 1964 und 1965/Berlin 1984, 7. Auflage, S. 640.

50. Ebd. S. 639.

51. Ted Harrison: „...wir wurden schon viel zu oft hereingelegt.“ Mai 1941. Rudolf Heß in englischer Sicht. Zitiert nach Kurt Pätzold/Manfred Weiß-becker: Rudolf Heß. Der Mann an Hitlers Seite, 1. Auflage. Leipzig 1999. S. 388 f.

51a. SW 14/246.

52. Schtemenko, Bd. 2, a.a.O. S. 429.

53. Shukow, a.a.O. S. 281.

54. Tippelskirch, a.a.O. S. 180.

55. Zu Archivmaterialien einige Bemerkungen, 1. Es werden nie alle Dokumente freigegeben. 2. Es sind Dokumente vernichtet worden. 3. Der betreffende Historiker wählt aus und analysiert unter einem bestimmten subjektiven Aspekt, der - in letzter Instanz - klassenmäßig, also ideologisch bestimmt ist. In die Wertung von historischen Persönlichkeiten gehen die individuellen Wertvorstellungen des Historikers ein. Eine ideologiefreie Geschichtswissenschaft hat es seit Bestehen von Klassengesellschaften nicht gegeben. Die Behauptung von bürgerlichen Historikern, eine „objektive“ Geschichtsschreibung, „frei von Ideologie“, zu vertreten, ist bereits Ideologie, in dem Sinne, als die parteiliche bürgerliche Geschichtsschreibung beansprucht, daß sie „objektiv“, „ideologiefrei“ und als solche zu akzeptieren sei, während die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft, in der wissenschaftliche Objektivität mit Parteilichkeit zusammenfallen, insofern offen ideologischen Charakter trägt, eben als „ideologisch“ und damit „unwissenschaftlich“ verdammt wird. (Auf die diversen Schulen der bürgerlichen Historiographie kann hier nicht eingegangen werden.)

Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft umfaßt drei Funktionen:

eine wissenschafts-theoretische, 2. eine ideologische und 3. eine pragmatische Funktion. Die ideologische Funktion beinhaltet die offene, unverhüllte Parteilichkeit im Interesse der Arbeiterklasse. Ideologie und wissenschaftliche Objektivität stimmen mit den objektiven Interessen der Arbeiterklasse überein, da die Arbeiterklasse als einzige Klasse der kapitalistischen Gesellschaft objektiv an der historischen Wahrheit interessiert ist, während die Bourgeoisie als Eigentümer der Produktionsmittel und Ausbeuter der Arbeitskraft der Werktätigen (Nichteigentümer) die objektive Wahrheit der Geschichte verschleiern, verfälschen muß, um ihre Klassenherrschaft ideologisch abzusichern. Würde die Bourgeoisie die geschichtliche Wahrheit der letzten 150 Jahre akzeptieren, wäre dies gleichbedeutend mit ihrer theoretischen und historischen Selbstaufgabe. Ihre Klassendiktatur erfordert die Geschichtslüge. Daß einzelne bürgerliche Historiker mit dieser Praxis brechen, ändert daran gar nichts, höchstens, daß diese Historiker aufhören, „bürgerliche“ Historiker zu sein.

Die Glasnosthistoriker Rußlands wie die „geläuterten“  ehemaligen DDR-Historiker, die sich an die Bourgeoisie verkaufen, im PDS-Sprachgebrauch „in der BRD angekommen“ sind, indem sie ihr Häuflein oder einen Haufen Dreck auf die DDR werfen und ihre Ergüsse als „neuste Erkenntnisse“ anbieten, dokumentieren sich mit ihren Verleumdungen als ordinäre Renegaten, die als „insider“ von den Bourgeois gern genutzt werden, weil diesen eher die Halbwahrheiten und Lügen, ihre „Objektivität“ abgenommen werden als von offen konservativen Historikern.

In der kapitalistischen Gesellschaft unterliegen auch die Produkte der Geschichtsschreibung den Marktgesetzen. Der Historiker der kapitalistischen Gesellschaft ist genauso Lohnarbeiter der Bourgeoisie, verkauft wie jeder Produktionsarbeiter seine Arbeitskraft an diejenigen Eigentümer (in diesem Falle der Medien), die sie verwerten können. Darauf haben Marx und Engels schon vor mehr als 150 Jahren im Manifest der Kommunistischen Partei hingewiesen. Die Bourgeoisie „hat den Arzt, den Juristen den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter  verwandelt.“ (MEW 4/465) Da macht der  offizielle Historiker auch keine Ausnahme.

56. Marxistische Blätter, Heft 2-03, S. 70-74.

57. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Moskau 1969/Berlin 1971, S. 708-710.

58. Siehe Hans-Jürgen Falkenhagen: Leo Trotzki und das Wesen des Trotzkismus. „Schriftenreihe“...a.a.O. Heft Nr. 96/II. Berlin, Februar 2003, S. 79.

58a. Dimitroff, Tagebücher 1933 - 1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein, l. Auflage, Berlin 2000, S. 392.

59. Neues Deutschland vom 7. November 2002.

60. Shukow, a.a.O. S. 290 f.

61. Ebd. S. 292.

62. Ebd. S. 292 f.

63. Ebd. S. 294.

64. Ebd. S. 294 f.

65. Ebd. S. 293.

66. Ebd. Admiral Kusnezow war Mitglied des HQ nur bis 8. August 1941. Dann erst wieder ab 17. Februar 1945. Er wurde nur dann ins HQ gerufen, wenn Flottenfragen zur Beratung standen.

67. Schtemenko, Bd. 1, a.a.O., S. 28.

67a. Ebd. S. 33.

67b. Shukow, a.a.O. S. 345.

67c Ebd. S. 348-350.

68. Ebd. S. 328 f.

69. Dimitroff, a.a.O. S. 392 f.

70. Siehe Falkenhagen, a.a.O. S. 79.

71. SW 14/236-242.

72. Ebd. S. 237.

73. Tippelskirch, a.a.O. S. 187.

74. SW 14/237 f.

75. Gemeint sind offenbar mit Fallschirmen abgesetzte Agenten, nicht reguläre Fallschirmjägertruppen, die, soweit sie sich gefangen gaben, als Kriegsgefangene behandelt wurden.

76. SW 14/239-241.

77. Ebd. S. 241 f. Hervorhebung von mir.

78. Siehe U. Huar, „Schriftenreihe“ a.a.O. S. 11-14. oder „offensiv“, a.a.O. S. 51-54.

79. Tippelskirch, a.a.O. S. 187.

80. Schtemenko, Bd. l, a.a.O. S. 34.

81. Ebd. S. 35.

82. Berchin: Geschichte der UdSSR. 1917 - 1970. Moskau 1966/Berlin 1971, S. 511.

83. Schtemenko, Bd. l, S. 35 f.

84. Ebd. S. 36 f.

85. Tippelskirch, a.a.O. S. 201.

86. Shukow, a.a.O. S. 359 f.

87. Ebd. S. 361 f.

88. Ebd. S. 362.

89. Ebd.

90. Ebd. S. 364-367.

91. Bershin, a.a.O. S. 512 f.

92. Shukow, a.a.O. S. 408 f.

93. Rokossowski, a.a.O. S. 106.

94. Ebd. S. 104-106.

95. Schtemenko, Bd. l, S. 40.

96. SW 14/243-258.

97. Ebd. S. 244.

98. Ebd.

99. Ebd. S. 245. Bei den Zahlen ist zu berücksichtigen, daß es sich um Schätzungen handelte. Genaue Zahlen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erhalten. Tatsache war, daß beide Seiten sehr hohe Verluste in den ersten vier Kriegsmonaten erlitten hatten.

100. Ebd.

101. Ebd. S. 246. Die USA befanden sich im November 1941 offiziell noch nicht im Kriegszustand gegen die faschistischen Achsenmächte.

102. Ebd. S. 247.

103. Ebd.

104. Ebd. S. 248. Der Frage des Hinterlandes hatte Stalin in seinen militär-politischen Schriften zur Zeit des Bürger- und Interventiondkrieges große Aufmerksamkeit gewidmet. Die in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse kamen ihm hier zugute. Siehe U. Huar, „Schriftenreihe“, Teil l, a.a.O. S. 20, 38, 40 f, oder „offensiv“, a.a.O. S. 19, 33, 35 f.

105. Ebd. S. 249.

106. Ebd. S. 250.

107. Ebd.

108. Ebd.

109. Ebd. S. 254-256.

101. Ebd. S. 257.

111. MEW 35/358.

112. Shukow, a.a.O. S. 408.

113. Schtemenko/Bd. l. a.a.O. S. 41.

114. SW 14/261.

115. Shukow, a.a.O. S. 411.

116. Rokossowski, a.a.O. S. 109.

117. Schtemenko, Bd.l, a.a.O. S. 41.

118. Rokossowski, a.a.O. S. 115.

119. Shukow, a.a.O. S. 414-416.

120. Bershin, a.a.O. S. 514.

121. Tippelskirch, a.a.O. S. 212.

122. Bershin, a.a.O. S. 516.

122a. Tippelskirch, a.a.O. S. 214 f.

123. Ebd. S. 215.

124. Ebd.

125. Schtemenko, Bd. l./ a.a.O. S 43.

126. Shukow, a.a.O. S. 422.

127. Ebd. S. 423.

128. Ebd. S. 427 f.

129. Ebd. S. 429.

130. Rokossowski, a.a.O. a.a.O. S. 157 f.

131.Shukow, a.a.O. S. 431 f.

132. Ebd. S. 432.

133. Ebd. S. 434.

134. Ebd.

135. Rokossowski, a.a.O. S. 139.

136. Ebd.

137. Ebd. S. 139 f.

138. Ebd.

139. Shukow, a.a.O. S. 435.

140. Ebd. S. 438.

141. Rokossowski, a.a.O. S. 159.

142. SW 14/266.

143. Ebd. S. 265.

144. Ebd. S. 266-268.

145. Ebd. S. 269-276.

146. Ebd. S. 271.

147. Ebd. S. 272.

148. Ebd.

149. Ebd. S. 273.

150. Ebd.

151. Ebd. S. 275.

152. Ebd. S. 275 f.

152a. SW 12/262.

153. Eine ausführliche Darstellung der Stalingrader Schlacht bietet die zwölfbändige „Geschichte des Zweiten Weltkrieges 1939 - 1945“, Bd. 6/ „Der grundlegende Umschwung im Krieg. Hrsg. vom Institut für Militärgeschichte des Ministeriums für Verteidigung der UdSSR, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU. Institut für allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Institut für Geschichte der UdSSR der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Deutschspachige DDR-Ausgabe vom Militärverlag der DDR, Berlin 1979. S. 11-109. (Im weiteren „Ge. II. W.krieg“ genannt.)

154. Shukow: Erinnerungen und Gedanken, Bd.2, Moskau 1969/Berlin 1973, 4. überarbeitete Auflage. S. 8.

155. Ebd. S.9.

156. Ebd. S. 10.

157. Ch. Bagramjan: So schritten wir zum Sieg. Moskau 1977/Berlin 1984, S. 45

158. Archiv des Ministeriums für Verteidigung der UdSSR (AMV) Fonds 251, Liste 646, Akte 145, Blatt 35f. Zitiert nach Bagramjan, a.a.O. S.47 f.

159. Ebd. S. 70.

160. Shukow, Bd. 2, a.a.O. S. 11.

161. Bagramjan, a.a.O. S. 57.

162. Ebd. S. 59.

163. Shukow, Bd. 2, a.a.O. S. 13.

164. Wojenno istoritscheski shurnal, Nr. 8/1965, S. 3-10. Zitiert nach Bagramjan; a.a.O. S. 105f.

165. Ebd. S. 107.

166. Shukow, Bd. 2., a.a.O. S. 21.

167. Bagramjan, a.a.O. S. 111.

168. Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtsführungsstab). Frankfurt/Main. 1963. Bd. II. l. Halbband S. 51 f. Zitiert nach Bagamjan, a.a.O. S. 66.

169. Ebd. S. 66 f.

170. Siehe hierzu Kurt Pätzold: Stalingrad und kein zurück. Wahn und Wirklichkeit. Leipzig 2002,  Kapitel 4. Die Weisung Nr. 41. S. 32-40.

170a. Antipenko: In der Hauptrichtung. Moskau 197l/ Berlin 1973, S. 287.

170b. Die Verluste der USA betrugen 0,2 Prozent, Großbritanniens l Prozent, Deutschlands 6 Prozent, und Polens 25 Prozent (6 Millionen!) der Gesamtbevölkerung. Ebd. S. 216.

171. Den vollen Wortlaut des Befehls N. 227 siehe im Anhang, Dokument l.

171a. Adolf Hitler: Monologe im Führerhauptquartier. 1941 - 1944. Hrsg. und kommentiert von Werner Jochmann. Sonderausgabe 2000. München.

172. Shukow, Bd. 2, a.a.O. S. 16.

173. Ebd. S. 15.

174. Gretschko, a.a.O. S. 77 f.

175. Tschuikow: Die Schlacht des Jahrhunderts. Moskau 1975/Berlin 1982, S. 50.

176. Ebd. S. 52 f.

177. Bagramjan, a.a.O. S. 124.

178. Ebd. S. 128.

179. Ebd. S. 130.

180. SW 14/284.

181. Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941 - 1945. Berlin 1961. S. 75 f. (Im weiteren „Briefwechsel“ genannt) Siehe Anhang, Dokument 2.

182. Ebd. S. 76-78. Siehe Anhang Dokument 2.

183. Hervorhebung von mir.

184. Clay Blair: Der U-Boot-Krieg. 1939 - 1942. Die Jäger. Originalausgabe: Hitler’s U-Boat War. The Hunters 1939 - 1942. Random House, New York, o.J. Deutsche Lizenzausgabe, Bechtermünz, für Weltbild, Augsburg 1998. S. 982.

185. Deborin, a.a.O., S. 290.

185a. Tippelskirch, a.a.O. S. 268.

186. Deborin, a.a.O. S. 289. Ge.II.W.’krieg, Bd. 6., S.257 - 265.

187.Kusnezow: Gefechtsalarm in den Flotten. Moskau 1971/Berlin 1974, S. 243-245.

188. Pacht- und Leihgesetz, am 11. März 1941 von Präsident Roosevelt unterzeichnet. Nach diesem Gesetz lieferten die USA Waffen und andere Militärausrüstungen an Staaten, deren Kriegsführung im Interesse der USA lagen. Diese Lieferungen erfolgten jedoch nicht ohne Bedingungen. Die USA forderten dafür Stützpunkte in den belieferten Ländern. Großbritannien mußte für 50 veraltete Zerstörer langfristig Stützpunkte in der westlichen Hemisphäre an die USA abtreten. Von einem solchem Handel konnte mit der UdSSR jedoch keine Rede sein. Dennoch kamen Liefervereinbarungen zustande. PQ - Bezeichnung von Geleitzügen, die von Großbritannien, USA nach Murmansk oder Archangels liefen. In der Regel wurden sie in isländischen Gewässern zusammengestellt. PQ 17, also Geleitzug Nr. 17 von Island nach Murmansk. QP-Geleitzüge liefen in umgekehrter Richtung.

189. Spector: An Introduction to Russian History and Culture. Toronto, New York, London. 1950, S. 350.

190. Deborin, a.a.O. S. 515.

191. Shukow Bd.2. a.a.O. S. 41.

192. Ebd. S. 31 f.

193. Gretschko, a.a.O. S. 252.

193a. Golowko: Zwischen Spitzbergen und Tiksibucht. Moskau 1979/Berlin 1986. S. 88 f. Admiral Golowko war Befehlshaber der Nordmeerflotte.

193b. Briefwechsel, a.a.O. S. 496 und 498.

194. Ebd. S. 490.

194a. Antipenko, a.a.O. S. 331.

195. Blair, a.a.O. S. 905-916. Schte-menko, Bd. 2, a.a.O. S. 21-24. Golowko, a.a.O. S. 91-105. Nach Golowko habe Fregattenkapitän allerdings nicht von der „Tirpitz“ stammen.

196. Briefwechsel..., a.a.O. S. 66.

197. Ebd. S. 66 f.

198. Ebd. S. 69 f.

199. Schtemenko, Bd. 2, a.a.O. S. 24.

200. Siehe auch Kusnezow, Gefechtsalarm... a.a.O. S. 251-258.

201. SW. 14/279-292.

202. Ebd. S. 283.

202a. Über die Geheimhaltung der Vorbereitung der sowjetischen Gegenoffensive und Täuschungsmanöver gegenüber dem Gegner siehe Ge.II.W’krieg, Bd. 6, a.a.O. S. 43-48.

203. SW 14/286.

204. Ebd. S. 287.

204a. Hitler, Monologe.../ a.a.O. S. 342.

205. SW 14/287.

206. Ebd. S. 289.

207. Ebd. S. 291.

208. Ebd. S. 291 f.

209. Shukow, Bd. 2, a.a.O. S. 48.

210. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in sechs Bänden, Bd. V, erstes Buch, Moskau 1974 S. 369 f.

211. Bershin, a.a.O., S. 523 f.

212. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Moskau 1959/Berlin 1960, S. 720.

213. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Moskau 1969/1971, S. 605.

214. Ebd.

215. Shukow, Bd. 2, a.a.O. S. 22.

216. Ebd. S. 23.

217. Ebd.

218. Ebd. S. 27-35.

219. Ebd. S. 50 f. Siehe auch Tschuikow, a.a.O. S. 356 ff. Schtemenko, Bd. 2, a.a.O. S. 404 f. K.S. Moskalenko: In der Südwestrichtung Nauka 1969/Berlin 1978. 2. Anflage. S. 308-334.

220. Clausewitz, a.a.O. S. 384.

220a. Ebd. S. 529.

220b. SW 14/306.

221. Tschuikow, a.a.O. S. 357. Ge. II.W’krieg, Bd. 6, S. 45/ 56, 62, 63.

222. Briefwechsel..., a.a.O., S. 518. Siehe Anhang, Dokument 3.

223. Ebd. S. 523 f. Dokument 3.

224. Ebd. S. 836 f.